R.I.P. Leonard Cohen!
R.I.P., Leonard Cohen!
Was für ein trauriges Jahr.
Ich erinnere, wie wir 1974 in der ("illegalen") Raucherecke am Viscardi-Gymnasium in Fürstenfeldbruck standen, und es war ein etwas dicklicher neuer Schüler, der aus einem Ostblock-Land kam (ich glaube mich zu erinnern, daß es Polen war), und der eine überraschende Wirkung auf die interessanten Mädchen unseres Jahrgangs hatte - und er war es, der das Album "Songs From A Room" aufbrachte, und "Bird On The Wire" wurde unsere Hymne für einige Monate - und ganz besonders die Hymne der coolen Mädchen. Denn es war klar: Leonard Cohen, das war einer, den auch wir Jungs verehrten, dessen "In My Way I Tried To Be Free" uns die Welt bedeutete, den die Mädchen und jungen Frauen aber liebten. Und es drangen "Suzanne", "So Long, Marianne", "Hey, That's No Way To Say Goodbye" (den nicht wenige damals bei Gelegenheit erster Trennungen verwendeten, sei es als Aussage, sei es als Trost...) oder "Famous Blue Raincoat" in unsere Welt ein mit einer ungeheuren Dringlichkeit und Intensität, und sie hörten nie mehr auf, Teil unseres Lebens zu sein.
Später dann das große "Who By Fire" und das ebenso große "First We Take Manhattan"... und auch auf seinen späten Alben finden sich Songperlen, die die meisten Singer/Songwriter gerne geschrieben hätten, "Alexandra Leaving" etwa oder "Nevermind". Und den "Partisan"-Song habe ich erst spät für mich entdeckt, dank David Eugene Edwards und seinen 16 Horsepower.
"Singer/Songwriter"? Leonard Cohen war ein Dichter, ein Poet. Irgendjemand hatte Cohen geraten, Melodien zu seinen Gedichten zu schreiben, und so geschah es. Seine Lyrikbände "Blumen für Hitler" (1972) und "Wem sonst als dir" (1985) wurden hierzulande übrigens beim legendären März-Verlag von Jörg Schröder verlegt.
Interessant ist, daß kein einziger Nachruf in den deutschsprachigen Tageszeitungen, den ich gelesen habe, auskommt ohne den Verweis auf die US-Präsidentschaftswahlen – während andrerseits kein einziger dieser Nachrufe darüber berichtet, daß Leonard Cohen im Oktober 1973, als die arabische Welt versuchte, Israel von der Landkarte auszuradieren, von der ägäischen Insel Hydra, auf der er damals lebte, nach Tel Aviv gereist war, um als Jude dem Staat Israel zu unterstützen. Während des dreiwöchigen Krieges gab Leonard Cohen täglich bis zu acht Konzerte für die israelischen Truppen, sei es für eine Einheit von Fallschirmspringern auf dem Weg zum Suezkanal, sei es in einem Lazarett für verwundete Soldaten, sei es in einem Loch, in dem einige wenige Soldaten eine Haubitze bedienten.
Eines seiner besten Lieder, „Who By Fire“, hat Leonard Cohen in einer Feuerpause geschrieben, für die Soldaten beider Seiten:
„And may the spirit of this song,
may it rise up, pure and free.
May it be a shield for all of you,
a shield against the enemy.“
Wer von dieser israelischen Truppenbetreuungs-Episode aus der Karriere des Leonard Cohen, der sich damals auf dem ersten Höhepunkt seiner Laufbahn befand, erfahren will, sollte unbedingt den informativen Artikel von Arno Frank im aktuellen Dezember-Heft des Musikexpress lesen (der natürlich nicht als Nachruf geschrieben wurde, aber die meisten veröffentlichten Nachrufe um Längen schlägt).
(auf Spotify habe ich eine Leonard-Cohen-Playlist zusammengestellt)