Streaming: Spotify, Umsonstkultur, Künstler
Streaming, Spotify – die unendliche Geschichte. Da kann
sich unsereiner noch so sehr den Mund fusselig reden bzw. die Finger klamm
schreiben, alle paar Wochen taucht in den Medien ein Musiker auf, der barmt,
daß er bei Spotify kein Geld verdiene, und die Damen und Herren Journalisten
verbreiten die Mär, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ein wenig die Fakten
zu recherchieren.
Also noch einmal, ganz langsam für die in den hinteren
Reihen, die nicht so schnell mitkommen: Nein, Spotify ist nicht, wie immer
wieder gern behauptet wird, „kostenlos“ – Streaming kostet Geld, und zwar
entweder eine Gebühr von etwa 10 Euro monatlich, wenn man sein Spotify-Konto
auf verschiedenen Geräten nutzen will, oder 5 Euro (ein Gerät), oder man
bezahlt nichts und wird mit Werbung zugemüllt – womit man eben auch bezahlt.
Zweite Mär, die abzunudeln sich anscheinend kein
Qualitätsjournalist zu blöd ist: Die Künstler bekommen beim Streaming kein
Geld. „Für die Künstler gibt es quasi
nichts“, so Sven Regener, ausgewiesener Gema- und Universal-Fan;
„Ärzte“-Sänger Farin Urlaub sagt im „Stern“, das „Abgespeistwerden mit Kleinbeträgen sei schlicht Verarschung“, während
Herbert Grönemeyer fordert, „wir müssen
Musik wieder einen Wert geben und nicht umsonst als Geschenk verteilen (...)
die Künstler bekommen beim Streaming kaum etwas dafür“ – aber immerhin
bekannte Grönemeyer im gleichen Atemzug entwaffnend ehrlich: „Vielleicht muß ich über etwas sprechen, von
dem ich keine Ahnung habe“...Wohl
wahr. Ein merkwürdiges Phänomen, daß sich Musiker bemüßigt fühlen, über
Geschäftsmodelle zu reden, das erinnert stark an Fußballer, die die Weltlage
kommentieren. Da lob ich mir Bryan Ferry, der freimütig bekannte: „Streaming? Ich weiß nicht mal, wie das
geht!“
Tatsache
bleibt: Spotify und andere neue Streamingdienste verteilen etwa 70% aller
Einnahmen an die Rechteinhaber (wohlgemerkt: an die Rechteinhaber! nicht an die
Künstler...). Das ist mehr, als in anderen Geschäftsmodellen bezahlt wird (und
übrigens auch mehr, als der weltgrößte Streamingdienst, YouTube, auszahlt. Spotify
jedenfalls hat in den wenigen Jahren seiner Existenz bereits zwei Milliarden
Dollar an die Rechteinhaber ausgeschüttet. Wenn davon wenig bei den Künstlern
ankommt, sollten diese ihre Verträge mit den Plattenfirmen überprüfen.
Grönemeyer jedenfalls hat auf seiner Keynote beim Reeperbahn-Festival auf die
Rolle der großen Plattenkonzerne hingewiesen: „...er
verurteilte auch das profitorientierte Verhalten von Musikunternehmen. Als die
CD in Anfang der 80er Jahre auf den Markt kam, hätten Plattenfirmen ihre
Künstler betrogen und sie erst sehr viel später an den Einnahmen aus
CD-Verkäufen beteiligt. Heute besteht das gleiche Problem beim Streaming; große
Musikunternehmen seien an Streaming-Diensten beteiligt...“ („Musikmarkt“).
In der Tat, die
großen Plattenkonzerne haben sich Beteiligungen an den Streamingdiensten
sozusagen erpreßt – sind Streamingdienste wie Spotify oder Deezer also
erfolgreich, werden die Plattenfirmen immer Profit machen...Neue Firmen wie
Kobalt, ein Verlag, der auch Leistungsschutzrechte und andere Label-Services
für seine Mitglieder wahrnimmt und auf faire Teilung mit den Künstlern achtet,
schüttete im ersten Quartal 2014 bereits 13 Prozent mehr Spotify-gerierte
Tantiemen an Autoren und Komponisten aus, als aus iTunes erwachsen sind.
Eine besonders
drollige Rechnung macht Sven Regener in Sachen Betriebswirtschaft auf: „Mit Spotify haben wir zum ersten Mal in der
Musikindustrie einen Akteur, der ein finanzielles Interesse daran hat, daß
möglichst wenig Musik gehört wird“, behauptet Regener. Wie bitte? Das
könnten ihm wohl sogar Grundschüler vorrechnen: wenn eine Firma 70 Prozent
ihrer Einnahmen an Rechteinhaber ausschüttet, verdient sie dann tatsächlich
weniger, wenn diese 70 Prozent sich auf weniger Stücke verteilen? Wenn man eine
Torte hat und 70 Prozent der Torte in mehr oder weniger große Stücke aufgeteilt
wird, ändern sich dadurch die anderen 30 Prozent? So eine Rechnung sollten auch
Bremer Gesamtschüler lösen können. Oder Edelfedern, die so etwas unhinterfragt
abdrucken, nämlich im, ähem, Wirtschaftsteil der „FAZ“. Und im Übrigen ist es
natürlich genau andersherum: Ein Streamingdienst muß ein starkes Interesse
daran haben, daß mehr Kunden
hinzukommen (vulgo: mehr Stücke angehört werden), denn erstens generieren mehr
Kunden auch mehr Gebühreneinnahmen, und zweitens generieren mehr Kunden höhere
Werbeeinnahmen, der gesamte Kuchen wird also größer. Es ist so einfach zu
verstehen. Eigentlich.
Aber was hat es
denn nun mit Taylor Swift auf sich? Überall war doch zu lesen, daß die
US-Country-Pop-Sängerin mit CD-Verkäufen und iTunes-Downloads so viel mehr Geld
verdient hat als per Streaming. Und die Ärzte! Und Grönemeyer!Ja, genau, das ist
richtig: Künstler, die viele Alben verkaufen, ob als CD oder als Download,
verdienen damit zunächst mal mehr Geld, und vor allem: schneller mehr Geld als beim Streaming. Denn hier zählt nur, daß
Musik gekauft, nicht, ob sie auch
angehört wird. Wohl gemerkt: das gilt für Künstler, die viele Alben verkaufen. Sehr viele Alben. Millionen Alben und
Downloads. Es gilt also einzig und allein für die wenigen, an zwei Händen
abzählbaren internationalen und nationalen Superstars. Wir erinnern uns: Die
Menschen kaufen keine Alben mehr. Wenige Tage, bevor die neue Welle der Streaming-Artikel
durch die Qualitätsmedien schwappte, wurden an nämlicher Stelle noch
Krokodilstränen vergossen: „Den Prognosen
nach wird 2014 vermutlich keine einzige Platin-Auszeichnung an ein Album gehen.
Das wäre das erste Mal seit der Einführung 1976“, hieß es noch am 21.10. in
der „FAZ“, und wir haben alle still in uns hineingeheult und die Manager der
Tonträgerkonzerne wahlweise im Geist an unser Herz gedrückt oder sie in unser
Abendgebet eingeschlossen. Am 5.11., also nur zwei Wochen später, meldete die
„FAZ“, daß das neue Album von Taylor Swift „auf
dem Weg ist, den höchsten Absatz zu erreichen, den seit 2002 ein neues Album
einer weiblichen Künstlerin in der ersten Woche nach seiner Veröffentlichung
geschafft hat. Vielleicht werden sogar noch ein paar weitere Rekorde geknackt“...
Mit Prognosen ist das halt so eine Sache, gelt? Oder: was kümmert mich mein
Geschwätz von vor zwei Wochen, behaupten wir eben mal rasch das Gegenteil. Ha!
Nur: Künstler wie
Taylor Swift und ihre Verkaufserfolge sind eben die rar werdende Ausnahme. Der
Trend ist klar: im Jahr 2011 wurde in den USA von sage und schreibe 870.000
Alben mindestens ein Exemplar verkauft. Allerdings haben nur 13 dieser Alben
mehr als eine Million Stück verkauft (und wie gesagt, der Trend geht nach
unten, in 2014 wird es wohl nur noch ein Album mit mehr als einer Million
Verkäufen sein...). Während nur 1.000 Alben etwa die Hälfte aller Verkäufe und
nur 10.000 der 870.000 Alben etwa 80 Prozent aller Verkäufe generiert haben,
haben 513.000 Titel (also 60 Prozent aller Alben) weniger als 10 Exemplare
verkauft. In Worten: zehn. Noch drastischer ist es übrigens bei den Downloads:
von den 8 Millionen verschiedenen Tracks, die 2011 in den USA als Downloads
verkauft wurden (größtenteils bei iTunes), haben 94 Prozent weniger als 100
Einheiten verkauft. Und übrigens: 32 Prozent aller 8 Millionen Tracks haben nur
eine einzige Kopie verkauft, also nur einen Download geschafft (also: Mami hat
den Track runtergeladen, der große Bruder oder die kleine Schwester oder deine
College-Kumpel schon nicht mehr...). Man kann das alles in dem großartigen
„Blockbusters“-Buch von Anita Elberse nachlesen.
Was lernen wir aus
all dem? CD-Verkäufe und Downloads bescheren einigen Großkünstlern und ihren
Plattenfirmen große und schnelle Profite. Für das Gros der Musiker, die keine
Top-Superstars sind, wird durch CD-Verkäufe und Downloads immer weniger
Einkommen generiert. Während Musiker mit Streaming immer mehr Geld verdienen,
und zwar mit steigender Tendenz. Und: beim Streaming haben die Musiker die
Garantie, daß ihre Musik tatsächlich angehört
wurde, denn nur, wenn ein Stück mindestens 30 Sekunden gestreamt wird, fließt
Geld. Künstler wie Regener machen ihre Milchmädchenrechnung auf: „Um das einzunehmen, was man mit einer CD
verdient, müßten bei Spotify sämtliche Songs 150 mal gehört werden“, sagt
Regener der „FAZ“. Interessant, daß Regener die Musik seiner Band als so
unerheblich und so uninteressant einschätzt, daß deren Songs nicht 150 mal gespielt
werden... Und hier sind wir, mal jenseits der Tatsache, daß auch in diesem Fall
Regeners Zahlen nicht stimmen, bei einem interessanten Punkt: Wie gesagt, CDs
werden gekauft. Ob sie auch angehört werden, weiß niemand. Das
Interesse von Musikern sollte aber doch eigentlich darin bestehen, daß ihre
Musik tatsächlich gehört wird – oder
habe ich da etwas falsch verstanden? Die interessanten Stücke auf etlichen
meiner liebsten Alben habe ich weit mehr als 150 mal angehört – beim Streaming
würden die Musiker, die diese Stücke komponiert und eingespielt haben, immer
weiter Geld damit verdienen, beim Album nicht. (und jenseits dessen stimmt
natürlich keine einzige der in die Umlaufbahn geschossenen Zahlen, denn man
kann den „pro Stream“-Preis bei Spotify nicht berechnen, er ändert sich quasi
täglich, je nachdem, wieviele Nutzer Gebühren bezahlen, wie viel Werbung
verkauft wird, wie viele Nutzer Stücke streamen... die ca. 70 Prozent bleiben
gleich, nicht die pro-Stream-Ausschüttung, klar).
Bob Lefsetz hat
dieser Tage in seinem Blog darauf hingewiesen, daß es interessant ist, daß
YouTube, wo ja wesentlich weniger an die Rechteinhaber ausgeschüttet wird,
deutlich weniger in der Kritik der Künstler und Medien steht als das wesentlich
besser bezahlende Spotify. Tatsache ist jedenfalls, daß Streaming heute die
Zukunft der Musikindustrie darstellt (was übermorgen schon wieder anders sein
kann). Selbst Taylor Swift hat ja beträchtliche Spotify-Einnahmen generiert: in
den 30 Tagen bis zum 5.11.d.J. wurden ihre Stücke bei Spotify über 16 Millionen
mal angehört. Bis Taylor Swift ihren Katalog von Spotify abgezogen hat, war sie
laut Spotify-Chef Daniel Ek „auf dem
besten Weg, die Marke von mehr als sechs Millionen Dollar an Auszahlungen zu
erreichen – angesichts der Wachstumsraten bei Spotify hätte es im kommenden
Jahr auch die doppelte Summe sein können“ („Musikmarkt“) – sechs bzw. gar
zwölf Millionen Dollar sind ja auch für einen US-Superstar, die sich die
Markteinführungskampagne ihres neuen Albums von einer Cola-Firma sponsern läßt,
keine Peanuts (auf dem dazugehörigen Spot nimmt Frau Swift einen Schluck Cola
und spielt mit, genau, zwei kleinen Kätzchen...).
Den brauchbarsten
Kommentar zu all diesen Geschäftsmodellen hat jedenfalls Dave Grohl von den
„Foo Fighters“ abgegeben; laut „Digital Spy“ sagte Dave Grohl (Hervorhebungen
BS):"Me personally? I don't f**king care. That's
just me, because I'm playing two nights at Wembley next summer (...) I want people to hear our music, I don't
care if you pay $1 or f**king $20 for it, just listen to the f**king song.“Grohl meinte, die
Leute seien zu sehr auf „Delivery“ und „Technologie“ fokussiert, während es den
Musikern doch um die Wichtigkeit ihrer Konzerte gehen sollte... denn dort
spielt die Musik, im wahrsten Sinne des Wortes: Live is king!