Und da
haben wir noch nicht mal von Bilderbuch, der Lieblingsband der etwa 30jährigen
freien Feuilleton-Autorinnen („aber der blonde Sänger ist doch soo süß!“... und
daran habe ich jetzt nichts erfunden, damit das mal klar ist), oder von Schnipo
Schranke gesprochen, die mit Wanda zumindest den Anti-Feminismus gemein haben,
was ihnen von Altherrenmagazinen wie dem „Stern“ das Siegel „haben einen Nerv getroffen“ einbringt –
denn wer heutzutage gesellschaftliche Errungenschaften der letzten vierzig oder
fünfzig Jahre in Frage stellt, gilt als „mutig“ und wird in neoliberalen Zeiten
für seinen „Tabubruch“ gelobt. „Wir
hatten niemals politische Gründe dafür, Musik zu machen und wir würden uns
niemals als Feministinnen sehen“, sagen Schnipo Schranke, oder: „Wir wollen unterhalten. Wer die Welt
verändern will, soll Vorträge halten“, Äußerungen, die so auch von Andrea
Berg oder Helene Fischer kommen könnten und einen neuen Standard setzen für
eine nicht nur unpolitische, sondern geradezu apolitische Haltung des aktuellen
Deutschpops, dem man mit Frank A. Schneider zurufen möchte: „Deutschpop halt’s
Maul!“ Die einen wollen endlich mal wieder so richtig und ohne Augenzwinkern
Macho sein können, die anderen wollen „niemals“ als Feministinnen oder
Weltveränderinnen gesehen werden. Banaler Weltzustimmungspop in finsteren
Zeiten.
„Die Stammesältesten von Intro,
Musikexpress und Spex sind sich einig“, berichtet Focus, und so können die Hinterherhinker von
Focus und Spiegel und der ARD dann nachziehen und sich ebenfalls auf das
einigen, auf was sich eben alle einigen. Es besteht ein Überfluß an Musik, die
trotz ihrer extremen Mäßigkeit ein großes Presseecho findet. Und zwar deswegen,
weil Musikmarketing und Musikkritik dabei sind, ineinander überzugehen (wie der
US-Filmkritiker Jonathan Rosenbaum schreibt, nur eben über Filmkritik und Filmmarketing...).
Die Eskapaden und vermeintlichen Tabubrüche der Künstler (Schnipo Schranke machen
die Charlotte Roche on pop und singen davon, daß der „Genitalbereich nach Pisse
schmeckt“, oder reimen „komm in meine Arme, komm in meinem Mund / nimm mich an
der Hand, nimm mich an der Wand“) und der wirtschaftliche Erfolg beherrschen
die Berichterstattung. Haben Sie in irgendeiner Musikzeitschrift oder einem
Feuilleton eine detaillierte und fundierte Kritik des neuen Adele-Albums
gelesen? Natürlich eher nicht. Während sie allüberall darüber unterrichtet
wurden, daß Adele alle Charts- und Verkaufserfolge getoppt hat. Die nicht
vorhandene kulturelle Relevanz wird durch eine wirtschaftliche Relevanz, durch
wirtschaftlichen Erfolg, durch Profit ersetzt. Aber glauben Sie, daß irgendein Song von Adele bleiben wird, daß man ihn in Jahrzehnten
noch singen oder die Melodie summen wird? Es ist alles so bedeutungslos, und
das ist vielleicht die einzige Bedeutung, die all die Adeles, Bilderbücher,
Schnipo Schrankes und Wandas unserer Tage haben..
Cristina
Nord hat im „Revolver“-Blog unlängst über Filmkritik und Filmwirtschaft
nachgedacht, und man kann ihre klugen Bemerkungen unter dem Titel „Der Tiger auf dem Baum“ fast eins zu
eins auf Musikwirtschaft und Musikkritik übertragen:„...Filmkritik hat umso weniger
Freunde, je weiter sie vom Pfad des Blockbuster-Kinos abweicht. Das hat zu tun
mit etwas, was man recht allgemein Strukturwandel der Öffentlichkeit nennen
kann – konkreter bedeutet es zum Beispiel, dass sich die Feuilletons heute mehr
als vor 20 Jahren an Ereignissen und Events ausrichten, an dem, was ohnehin
durch großflächige Marketingmaßnahmen präsent ist. "Star Wars",
"Der Untergang" und "München" bündeln die Aufmerksamkeit
(...) Zu dieser Kurzatmigkeit kommt ein Verschulden der Kritiker, haben doch
viele von ihnen gar keine Lust, sich auf unerschlossenes, unwegsames Terrain zu
begeben.“
Und
Cristina Nord zitiert Roland Barthes, der in „Stumme und blinde Kritik“
schrieb:„In Wahrheit ist jeder Vorbehalt
gegenüber der Bildung Ausdruck einer terroristischen Position. Den Beruf eines
Kritikers ausüben und verkünden, dass man nichts vom Existentialismus oder
Marxismus verstehe (denn durch eine ausdrückliche Feststellung sind es
insbesondere diese beiden Philosophien, von denen man sagt, dass man sie
nicht begreife), heißt seine eigene Blindheit oder seine eigene Stummheit als
universale Regel der Wahrnehmung aufstellen, heißt den Marxismus und den
Existentialismus aus der Welt verbannen: ‚Ich verstehe es nicht, also seid ihr
dumm.'"
(Und
sorry, lieber „Musikexpress“, aber man nicht gleichzeitig den klugen, tiefen
und politischen HipHop eines Kendrick Lamar auf Platz 1 der „Alben des Jahres
2015“ setzen, und dann auf den Plätzen 2 und 3 den reaktionären Schmarrn von
Wanda und Bilderbuch. Man muß sich schon entscheiden, wo man stehen will, meine
Herren!)