Tut mir wirklich leid, liebes geschätztes Feuilleton der
„Berliner Zeitung“, aber: das interessantere, aufschlußreichere,
„investigativere“ Bushido-Interview hat, man höre und staune: die „Bunte“
gemacht.
Wir erinnern uns: letzten Monat unterhielt sich die
„Berliner Zeitung“ auf etwa einer halben Seite mit Bushido über ein Album, das
die Journalisten noch nicht gehört hatten, weil es keine
Vorab-Besprechungsexemplare gegeben hatte. Im November nun, am Tag, als dem
frauenfeindlichen und homophoben Rapper („Ihr Tunten werdet vergast“) ein
Burda-Bambi dafür verliehen wurde, daß sich Bushido „gegen Gewalt und für ein
respektvolles Miteinander einsetzen“ würde, erschien in der Burda-„Bunten“ ein
entlarvendes Interview mit Bushido, das den Rapper als das bloßstellt, was er
wirklich ist: als einen reaktionären Spießer.
„Meine Mutter wird
durchdrehen vor Freude, denn diese Gala sieht sie sich immer im Fernsehen an“,
teilte der mit seiner Mutter zusammenlebende 33jährige Bushido mit, als er auf
seinen „Bambi Integration“ und die Übertragung der Werbeveranstaltung im
Staatsfernsehen angesprochen wurde.
Und wie versteht Bambi Bushido Integration? „Ich war immer schon der Meinung: Wer hier
in Deutschland lebt, muß sich assimilieren. Ich wollte nie ein Fremdkörper in
Deutschland sein und diese Haltung verlange ich auch von der Familie und den
Freunden.“
Aber wurde denn in Bushidos Familie immer nur Deutsch
gesprochen, fragt „Bunte“?
„Nein (...) Vormittags
ging ich in die deutsche Grundschule und aufs Gymnasium, nachmittags in die
Koranschule. Mein Bruder studiert inzwischen hier, der ist ebenfalls
topintegriert. Ich finde, daß jeder, der die großen Vorzüge des deutschen
Sozialstaates genießen will, sich auch hier einfügen und die Sprache perfekt
sprechen muß. (...) Deutschland hat zu lange Rücksicht genommen auf seine
ausländischen Gäste und einen Schmusekurs gefahren, der nur Probleme gebracht
hat. (...) Auf der Berliner Sonnenallee spricht kein Mensch Deutsch und das
Kottbusser Tor heißt nur noch Klein-Istanbul und kein Deutscher traut sich da
hin. Das ist doch Wahnsinn! Die Kinder meiner Freunde gehen auf Privatschulen,
damit sie ordentlich Deutsch lernen.“
Wer so deutsche Stammtischparolen nachplappern kann, dem
attestiert die „Bunte“ prompt: „Längst
ist Bushido in der deutschen Gesellschaft komplett integriert“.
Weil sich kein Deutscher zum Kottbusser Tor traut, wohnt
Bushido mit seiner Mutter in einem „Berliner
Nobelviertel“. „Dort leben nur wenige
Ausländer“, stellt die „Bunte“ fest:
„Ja, meine Kumpel und
ich sind so ziemlich die einzigen. Seit vier Monaten leben auch meine Freundin
und ihr neunjähriger Sohn bei mir im Haus.“
Und wie kam es dazu, daß seine 29jährige Freundin zu ihm
zog? Bambi Bushido erweist sich als Mann alter Schule:
„Zuvor mußte ich
allerdings erst ihren Papa kennenlernen und ihn offiziell um Erlaubnis fragen.“
Und wie verwöhnt Bushido die Frauen um ihn, also seine
Freundin, seine Mutter und die Mutter seiner Freundin? „Neulich waren alle drei Frauen bei uns zu Hause und das war einfach
nur schön. (...) Als ich später in der Stadt war, bin ich zufällig an einem Gucci-Laden
vorbeigekommen und habe für jede eine Tasche gekauft. Einfach so. Die haben
mich alle drei niedergeknutscht.“
Top integriert eben.
* * *
Was dem einen Plappermaul seine „Bunte“, ist dem anderen
Plappermäulchen sein „Spiegel“. Eine Thea Dorn („Ihren Künstlernamen hat sie in
Anspielung auf den Philosophen Theodor W. Adorno gewählt“, erfahren wir auf
Wikipedia, und Adorno ist tot und kann sich nicht wehren...),
„Schriftstellerin, Dramaturgin und Fernsehmoderatorin“, hat ein Buch mit dem
Titel „Die deutsche Seele“ mitgeschrieben, und der „Spiegel“ hat ihr Raum für
Selbstpromotion im Rahmen eines Interviews zur Verfügung gestellt. Weil der
„Spiegel“ der „Spiegel“ ist, fragt er: „Seit
der NS-Zeit finden die meisten Deutschen es vielleicht unangemessen, über ihre
guten Seiten nachzudenken.“
Woraufhin Thea Dorn antwortet:
„Das ist verständlich,
und ich selbst bin ja auch in diesem Geist aufgewachsen. Natürlich gab es diese
zwölf verbrecherischen Jahre, aber die deutsche Geschichte erschöpft sich nicht
darin. Das Wissen um unsere reiche Kultur droht verlorenzugehen. Wir leben in
einem Zustand heiterer Gedankenlosigkeit und Ratlosigkeit.“
Sehr schön, dieses „zwölf verbrecherische Jahre“. Natürlich
gab es sie. Sie kamen irgendwie über uns – so, wie Frau quasi ihre Tage
bekommt, hatte der Deutsche als solcher eben seine „zwölf verbrecherischen
Jahre“...
Aber was will man von einer Schriftstellerin erwarten, die
von sich als „ich selbst“ spricht, außer heiterer Gedankenlosigkeit (im
Wortsinn). Früher hat nicht jeder, der bescheuertes Zeugs plappern kann, gleich
ein „Spiegel“-Interview bekommen... Aber vielleicht kann Burda sich ja erbarmen
und Thea Dorn nächstes Jahr einen Ehren-Bambi für heitere Ahnungslosigkeit
verleihen, Liveübertragung im Staatsfernsehen inbegriffen (Staatsfernsehen ist
das, wo ein anderer heiter Ahnungsloser namens Guido Knopp als Historiker
rumläuft).
* * *
Nun gut, ich gebe zu: Ich habe mich getäuscht. Ich hatte
nicht erwartet, daß der Mann, der über Wasser gehen kann, schon so bald wieder
in den hiesigen Medien auftaucht. Ich hatte ihn erst in circa drei Jahren
erwartet, auferstanden von den Toten. Nun aber kommt er, der Blödzeitung des
deutschen Mittelstands, also der „Zeit“ sei Dank, schon jetzt über uns. Und
wie.
Ein Giovanni di Lorenzo, den naive Gemüter immer noch für
einen „Journalisten“ halten, macht den bezahlten Stichwortgeber und hat dem
Karl-Theodor zu Guttenberg sozusagen sein neues Buch geschrieben. Und weil sie
eben alle nur Teil eines Vermarktungsbusiness sind, titeln Blödzeitung (das
Original) und „Zeit“ (die Kopie) unisono vom Buch des Karl-Theodor, für das ihn
der „Zeit“-Chefredakteur interviewt hat. Und im „Dossier“ der „Zeit“ gibt es,
standesgemäß, den mehrseitigen Vorabdruck, und das just kurz nachdem die
bairische Staatsanwaltschaft das Strafverfahren gegen Guttenberg gegen die
Zahlung einer 20.000 Euro-Spende an eine wohltätige Institution eingestellt hat
– läuft alles wie geschmiert, gelt?
Di Lorenzo dackelt und stichwortelt wie ein unterwürfiger
Reitbursche, den „Zeit“-Lesern dagegen wird die „Steigbügelhalterei“ (Niggemeier) als ein „Streitgespräch“ verkauft
– aber wahrscheinlich hält Di Lorenzo einen Satz wie „In Ihr Gesicht schleicht sich hin und wieder ein harter Zug ein“
schon für Majestätsbeleidigung, ähem, also, für kritischen Journalismus halt.
Interessant auch Guttenbergs „vorerst gescheitert“, das man ja auch anders lesen kann: nämlich
so, als ob der Mann, der über Wasser gehen kann, mit seinen Betrügereien nur
fürs Erste gescheitert sei, aber fest damit rechne, mit den Betrügereien beim
nächsten Mal durchzukommen.
Und so dürfte ein Politiker, von dem keine einzige
bedenkenswerte politische Idee, keine einzige politische Tat in Erinnerung
geblieben ist, nächstes Jahr wie Bushido den Bambi derer erhalten, die „eine
zweite Chance verdient“ haben. Burdas „Bunte“ jubiliert bereits heute auf der
Titelseite: „Die Guttenbergs: Sie kommen
zurück.“ Noch sind wir nicht verloren.
* * *
Schöne Sätze sprechen auch andere Leute:
„Bei der
Leadgenerierung beziehungsweise Fangewinnung verschiebt sich der Anteil
deutlich von Paid auf Earned und Owned Media.“
So ein Florian Steps, „Leiter Direct & Digital“ im
Marketing von Vodafone Deutschland.
* * *
Und wenn die Sonntagsredner der politischen Parteien und die
Tagungen ihrer Stiftungen und all der Tutzinger und sonstigen Akademien mal
wieder über die Gründe der Politikverdrossenheit der Bürger reden und rätseln –
ich wüßte da ein paar Gründe, warum die Bürger mit ihren Politikern nichts mehr
zu tun haben wollen... Zwei davon standen Ende November an zwei
aufeinanderfolgenden Tagen auf der Titelseite der „Berliner Zeitung“:
An einem Tag ging es um „Strombonus
für Industriekonzerne“ – „klammheimlich
hat die schwarz-gelbe Bundesregierung die Industrie und wenige andere Stromsonderkunden
um eine Milliardensumme entlastet und die Kosten den Kleinverbrauchern
aufgebürdet“, der Energieexperte des Verbraucherschutzverbandes VZBV
spricht von einer „einmaligen
Schweinerei, die Industrie massiv zu entlasten und allein die Kleinverbraucher
die Zeche zahlen zu lassen“.
Anderntags dann erfahren wir: „Riestern rentiert sich nicht“, jedenfalls nicht für die Sparer –
die müßten nach einer DIW-Studie steinalt werden, um von der Anlage zu
profitieren. „Die Riester-Rente, benannt
nach dem damaligen Arbeitsminister Walter Riester (SPD), wurde 2011 von der
damaligen rot-grünen Bundesregierung eingeführt. Die Anlageform steht heftig in
der Kritik – auch wegen angeblich enger Kontakte rot-grüner Politiker zu
Anbietern der Sparform“, heißt es in der „Berliner Zeitung“. Eine
35-jährige Frau, die 2011 eine Riester-Versicherung abgeschlossen hat, muß 78
Jahre alt werden, damit sie überhaupt nur die eingezahlten Beiträge wieder
zurückbekommt. Um auf eine garantierte Rendite von 2,5% zu kommen, müßte sie gar
90 Jahre alt werden. Und wenn die Frau heute einen Riester-Vertrag abschließen
würde, müßte sie sogar 110 Jahre alt werden, um eine Rendite von 2,5% zu
erzielen.
Rentiert hat sich „Riestern“ dagegen für die Konzerne der
Finanz- und Versicherungswirtschaft, für die an der Umstellung beteiligten
Wissenschaftler und für viele Politiker. Der ehemalige Bundestagsabgeordnete
und Publizist Albrtecht Müller konstatiert: „Die
Zerstörung der gesetzlichen Rente zugunsten einer privaten Altersvorsorge ist
ein heutzutage leider typischer Fall von politischer Korruption.“
Die Bürger haben ein recht feines Gespür dafür, wann sie von
den Regierenden verarscht werden...
* * *
Und was sagt Jan Delay, einer der kommerziell
erfolgreichsten deutschen Popstars, zu Urheberrecht und den „illegalen
Downloads“? Das (in Originalgrammatik und -interpunktion):
„Im letzten jahr hat
es 800.000 (!) abmahnungsverfahren wg. Illegalen downloads gegeben. Heißt:
windige anwälte beschäftigen billiglöhner, die den ganzen tag nix anderes tun
als ip-adressen von illegalen saugern aufzuschreiben um diese mit einem
bußgeldbescheid von durchschnittlich 1500 euro abzumahnen und mit
Gerichtsverfaren zu drohen falls nicht gezahlt wird. Heraus kommt das stolze
sümmchen von 1,2 Milliarden (!!), welches unter den anwälten und den
plattenfirmen gesplittet wird, die künstler sehen davon nix! Das sind alles
miese schweine!! Saugt bitte alle ruhig weiter, und laßt euch nicht erwischen!
Kein peer 2 peer!! Und wenn es Künstler gibt, die ihr schätzt und die sich den
arsch aufreißen um gute platten zu machen: bitte supported sie!!“ (Quelle:
Jan Delays Facebook-Seite)
Mal abgesehen von der auf mehreren Ebenen etwas kruden
Argumentation: nach geltendem Verständnis der Musikindustrie dürfte diese
Aussage ein Fall für die Copyright-Cops sein. Gorny und Chung, übernehmen Sie!
* * *
„Pop ist tot
Denn böse Menschen
kaufen keine Lieder
Sie laden nur
darnieder“
(„Die Türen“)
(wirklich tolles kleines Buch zum Albumrelease übrigens)
* * *
Und was tut sich sonst so an der Urheberrechtsfront? Ein
paar Ausschnitte der Debatten der letzten paar Wochen:
„Das geltende
Urheberrecht schanzt Verlagen Vorteile zu Lasten der Forscher zu. Sie bezahlen
fürs Publizieren und müssen die wichtigsten Rechte abtreten“, berichtet die
altehrwürdige konservative „FAZ“.
Wie auf „Spiegel Online“ zu lesen war, wollen „US-Copyright-Cops weltweit zugreifen –
Websperre, Zahlungsstopp, Beschlagnahmung – neue US-Gesetze sollen die Jagd auf
Raubkopierer erleichtern. Die amerikanische Justiz erklärt damit die ganze Welt
zu ihrem Hoheitsgebiet: Sie will sogar einen Briten in den USA anklagen, der
nach heimischem Recht legal gehandelt hat.“
Und nun kritisiert sogar die EU-Kommissarin für die Digitale
Agenda, Neelie Kroses, das aktuelle Urheberrechtssystem, das „kaum dafür geeignet“ sei, „den rechtlichen, kulturellen und
wirtschaftlichen Anforderungen gerecht zu werden“. Es dürfe nicht darum
gehen, „bestimmte Geschäftsmodelle
festzuschreiben“. Vielmehr müsse „die
EU einen intelligenten Rahmen schaffen, der möglichst vielen verschiedenen
Geschäftsmodellen zur Blüte verhelfen“ könne. Das Urheberrecht sei „zwar wichtig“, man dürfe sich aber „nicht allein darauf konzentrieren“.
Viel wichtiger sei es, „ein System zur
Anerkennung und Vergütung kreativer Leistungen zu schaffen, das den Künstler in
den Mittelpunkt rückt“, berichtet die „Musikwoche“.
Die "Berliner Zeitung" kommentiert den Beschluß
des "Grünen"-Parteitages zum Urheberrecht und die gebetsmühlenhaften
Proteste z.B. des Deutschen Kulturrates so: "Die
Wirtschaftslobby hatte im Vorfeld kräftig dagegen getrommelt (...) Daß es bei
dem ethisch anspruchsvoll formulierten Protest auch um das einträgliche und
keineswegs nur kunstförderliche Vermarktungsmonopol der Kulturindustrie ging,
wurde von den Lobbyisten huldvoll verschwiegen. (...) Einfach auf seinem
Monopol bestehen und ansonsten die Preise erhöhen, ging schon bei der
Musikindustrie schief..."
Nur der „Parlamentskorrespondent“ der „taz“, Daniel Bax, hat
mal wieder nichts kapiert: Als „Flop des
Jahres“ bezeichnet Bax die „Ablehnung
des Urheberrechts. Die Musikindustrie darbt, aber es gibt Leute, die behaupten,
es ginge auch ohne Urheberrecht. Künstler können so wenig allein von Auftritten
leben wie Journalisten vom Internet“. Brillant argumentiert. Fehlt nur
noch, daß sich nach Bax auch noch Dax zum Urheberrecht äußert...
* * *
„Rockmusik ist
Mißbrauch von Heeresgerät.“ (Friedrich Kittler)
* * *
Deutscher Dreisatz:
„Im Paradies würde ich
vor Langeweile sterben.“ (Wolf Biermann im „Zeit“-Interview).
Ich würde in einem Konzert von Wolf Biermann vor Langeweile
sterben.
Ist ein Konzert von Wolf Biermann jetzt also das Paradies?
Oder das Paradies ein Konzert von Wolf Biermann?
* * *
55.000.000.000 Euro.
Fünfundfünfzig Milliarden.
55 Milliarden Euro hat die Bundesregierung mal eben so
„übersehen“. Bei der „Bad Bank“ der früheren Hypo Real Estate hat es
Fehlbuchungen in dieser Höhe gegeben, beim Handel mit den riskanten Derivaten
wurde versäumt, Forderungen (sprich Guthaben) mit den Schulden zu verrechnen.
Der größte Buchungsfehler der Wirtschaftsgeschichte ist höchst peinlich für die
Bundesregierung. Wie kann es sein, daß sich der Staat um 55 Milliarden Euro
verrechnet, und es niemandem auffällt?
Der gesamte Bundeshaushalt beträgt 2012 etwas mehr als 300
Milliarden Euro – mehr als ein Sechstel des ganzen Bundeshaushalts also wird
mal eben vom Finanzministerium „übersehen“?
55.000.000.000 Euro übersehen?
Ein Tausendstel dieser Summe sind immer noch 50 Millionen!
Ein Hunderttausendstel dieser Summe sind immer noch 500.000 Euro. Und selbst
ein Zehnmillionstel dieser Summe wäre mir auf meinem Betriebskonto
aufgefallen...
Und während in jeder Firma jeder Buchhalter und Controller,
der ein Millionstel dieser Summe übersehen hätte, ernste Konsequenzen zu
befürchten hätte, geschieht bei der Bundesregierung natürlich nichts.
55.000.000.000.
Solchen Leuten traut man doch sofort die wirtschaftliche
„Rettung“ Europas zu, oder?
* * *
Nun gut, plötzlich entschuldigen sich alle Politiker bei den
Türken für die Morde der jahrelang unbehelligt und quasi unter
Verfassungsschutz-Aufsicht durch die Lande ziehenden Nazi-Terroristen: der
Bundestag. Der Bundespräsident. Der SPD-Vorsitzende Gabriel. Die Medien, die
über ein Jahrzehnt lang von „Döner-Morden“ geredet haben und über mutmaßliche
Drahtzieher bei unseren „ausländischen Mitbürgern“.
Das tönte jahrelang ganz anders. Der SPD-Innenminister
Schily etwa hatte einen Tag nach dem Kölner „Nagelbombenattentat“ die Erklärung
parat, nichts deute auf einen terroristischen oder Neonazi-Hintergrund der Tat
hin, eher handele es sich um eine Tat „im
kriminellen Milieu“. Und der „schlimmste
Nadelstreifenrassist der deutschen Nachkriegsgeschichte“ (Mely Kiyak)
Sarrazin ist immer noch Mitglied der Partei Gabriels und Schilys und hat ein
Buch veröffentlicht, das in der sogenannten Mitte der Gesellschaft
millionenfach verbreitet wurde und eines der erfolgreichsten Sachbücher aller
Zeiten hierzulande wurde.
Rassismus aus und in der Mitte der Gesellschaft eben. Wer
nur mit dem Zeigefinger auf Behörden und Verfassungsschutz zeigt, macht es sich
zu einfach. Leider.
* * *Wie darf man den Kauf der EMI durch Universal Music und Sony
denn nun werten? O.k., die Banker der Citigroup wollten sich nicht mehr
langfristig im Musikgeschäft engagieren und haben EMI Music abgestoßen, nachdem
der Konzern bereits 1979 vom Mischkonzern Thorn Electrical gekauft und auf
einen „konservativ-profitorientierten
Kurs getrimmt“ (Jens Balzer) und nach dem Börsengang 1996 im Jahr 2007 vom
Private Equity-Investor Guy Hands übernommen wurde. Und der russische Oligarch
Len Blavatnik, der im März 2011 bereits Warner Music gekauft hatte, wurde vom
Vivendi-Konzern (dem Universal Music gehört) überraschend überboten.
Also, damit wir das mal klarkriegen: Bei den Tonträgerfirmen
verfügt Universal Music weltweit über 28,7% Marktanteile, hinzu kommen 10,2%
der gerade erworbenen EMI Music – bedeutet also 38,9% Weltmarktanteile in der
Hand eines Konzerns, der Vivendi. Sony Music hat weitere 23% Marktanteile,
Warner Music (im Besitz des russischen Multimilliardärs) 14,9%. Insgesamt
verfügen nun also nur noch drei statt vier multinationale Konzerne über knapp
77% der Weltmarktanteile des Tonträgergeschäfts.
Bei den Musikverlagen sieht es ähnlich aus: dort verfügen
Sony/ATV über 12,5% der Weltmarktanteile, die an Rechten reiche EMI Music
Publishing über 19,7%, zusammen sind sie nun mit 32,2% der Weltmarktführer
unter den Musikverlagen. Universal Music Publishing hält 22,6%
Weltmarktanteile, Warner/Chappell 13,9%. Die drei multinationalen Konglomerate
verfügen über 68,7% der Weltmarktanteile an Musikverlagen.
An der Sony-Bietergruppe für EMI Music Publishing soll unter
anderem der amerikanische Finanzinvestor Blackstone beteiligt sein. Blackstone
wurde nach dem Kauf von 31.000 Wohnungen von der öffentlichen Hand 2004 scharf
kritisiert (der damalige SPD-Vorsitzende Müntefering verwendete 2005 den
unglücklichen Begriff „Heuschrecken“ für die Finanzinvestoren); Blackstone
gehört u.a. die Hilton-Hotelkette und hält Beteiligungen u.a. an der Deutschen
Telekom; der Vorstandschef der Firma, Schwarzman, wurde in der Debatte um
astronomische Managergehälter an vorderster Stelle genannt (im Jahr 2006
erhielt Schwarzman z.B. 398,3 Millionen Dollar, in 2008 waren es 702 Millionen
Dollar - und derartige Fantasiegehälter erhält SChwarzman nicht dafür, daß er
Kultur betreibt, sondern dafür, daß er seiner Firma noch höhere Profite
beschert). Die China Investment Corporation hält übrigens 9,3% der Anteile von
Blackstone.
Dem Konsortium, das unter Führung von Sony/ATV die EMI Music
Publishing kaufte, gehören neben Blackstone auch der amerikanische Musik- und
Kinomogul David Geffen sowie die in Abu Dhabi ansässige Mubadala Investmentbank
an.
Joost Smiers schrieb 2007 in einem vielbeachteten Artikel in
der „SZ“, der heute nur in der Frage „aus vier mach drei“ aktualisiert werden
muß:
„Vier Musik-Konglomerate beherrschen achtzig Prozent der
Musik weltweit; eine Handvoll Film- und Verlagskonsortien teilen sich den
Kulturmarkt und sind auch noch untereinander stark vernetzt. (…) Die Demokratie
und das menschliche Recht auf Kommunikationsfreiheit und auf Teilhabe am
kulturellen Leben sind in Gefahr.“
(Der VUT-Funktionär Mark Chung dagegen hat seine eigene
Sicht der Dinge, er schreibt:
„Die Musikwirtschaft ist schon seit Jahren überwiegend „independent“
geprägt.“ Und „...weit mehr als 60% aller Unternehmensumsätze der
Musikwirtschaft werden von kleinen, mittleren und Kleinstunternehmen erzielt...“
Aha.)
* * *
Meinen Artikel "Die Leistungsschutzgelderpresser"
(Konkret 11/2011) können Sie übrigens jetzt auch direkt hier auf unserer neuen
Homepage lesen.
Der Artikel und der "offene Brief" des
VUT-Funktionärs Chung war einigen Zeitschriften und Zeitungen Anlaß für
Berichterstattung zum Thema - die "Musikwoche" etwa brachte gleich
auf zehn Sonderseiten den Chung-Text, der "Freitag" berichtete, und
in der "taz" pumpte sich René Martens auf. Wenn Sie nun aber gedacht
hätten, auch nur eine der Publikationen hätte auch nur einen Satz mit mir
gesprochen - Pustekuchen. "Recherche" ist für den heutigen
"Anything goes"-Journalismus eben ein Fremdwort.
* * *
Wollen Sie einen weiteren Grund wissen, warum China derzeit
so ungleich erfolgreicher im Weltgeschehen agiert als der Westen? Unter anderem
deswegen, weil, weil die chinesische Regierung laut „SZ“ den Antrag des
„Bundesverbandes der Deutschen Schausteller“ abgelehnt hat, auf dem Platz des
Himmlischen Friedens zu Beijing Glühwein auszuschenken...
Sie machen dort halt nicht jeden Scheiß mit, sozusagen.
(Medien, obacht! bitte unbedingt sofort über die chinesische
Menschenrechtsverletzung berichten, daß dort kein Glühwein usw. usf.)
* * *
Eine der ekelerregendsten Publikationen hierzulande ist die
in der Regel etwa der „Zeit“ oder der „FAZ“ beiliegende Zeitschrift der
evangelischen Kirche namens „Chrismon“. Deren Chefredakteur Arnd Brummer, der
unübertroffene Horst Tomayer hat es unlängst in seinem „ehrlichen Tagebuch“
aufgedeckt, schreibt in dieser Zeitschrift Halbsätze wie diese:
„Der Tag, an dem ich
beschloß, dem Evangelischen in mir Raum zu geben“, oder „Ratzinger hatte mich so erzürnt, daß ich
meiner evangelischen Frau sagte: „Ab morgen zahle ich meine Kirchensteuer bei
deinen Leuten.““ (und was macht Brummer, wenn ihn dann die Ex-Bischöfin
Käßmann erzürnt? Ach, ich vergaß, die ist Herausgeberin dieser Postille,
zusammen u.a. mit der Grünen-Bundestagsabgeordneten Göring-Eckardt...).
Brummer jedoch hat auch ein Buch geschrieben, „Unter Ketzern
– Warum ich evangelisch bin“, für das der Verlag so wirbt:
„Arndt Brummer (...)
erzählt die Geschichte seiner Suche nach einer kirchlichen Heimat. (...) Eine
Predigt des damaligen Kurienkardinals Joseph Ratzinger, heute Papst Benedikt
XVI., erzürnt den jungen Intellektuellen so sehr, daß er aufbricht, um unter
den Ketzern heimisch zu werden. Heimat ist, wo Fragen, Diskutieren, ja Zweifeln
erlaubt sind. Ein leidenschaftliches Plädoyer für die evangelische Kirche.“
Gelt, das glauben Sie mir jetzt nicht? Aber es steht so da,
der Beweis liegt vor und ist archiviert. So sind manche Zeitgenossen – regen
sich über Ratzingern auf und werden vor lauter Erzürnis evangelisch...
* * *
Und aus unserer kleinen Reihe unverlangter Künstlerangebote:
„Wir möchten Ihnen ein
stilvolles Adventskonzert mit Gänsehaut-Garantie für Ihre weihnachtlichen
Firmenfeierlichkeiten anbieten. (...) Die Berliner Klassik-Pop-Formation Songs
Of Lemuria: Songs Of Lemuria bauen Brücken zwischen Klassik und Moderne,
zwischen der Melancholie des Chanson und der glitzernden Euphorie der goldenen
Zwanziger.“
Goldene Zwanziger – wir erinnern uns, das war die Zeit vor
den zwölf verbrecherischen Jahren... Und Brücken bauen ist auch immer gut, so
gewinnt man manch einen Bambi.
„Das Set können wir
natürlich mit Ihren Wünschen abstimmen“, flöten die
Klassik-Pop-Brückenbauer, schlagen aber schon mal, quasi sicherheitshalber,
„ein mögliches Set“ selber vor: „Nach
einer freundlichen Begrüßung folgen zunächst einige weihnachtliche
Instrumentalwerke. Nach einigen Weihnachtssongs (mit Cello und
Klavierbegleitung) würde schließlich auch Nik Page gesanglich hinzu stoßen.“
„Gesanglich hinzu stoßen“ – toll!
„Nach ein paar zur
Advents-Stimmung passenden Pop-Klassikern...“
- welche da wohl gemeint sind? Ave Maria? nein: „Hunting high and low“ (a-ha“), „I was born to love you“ (Queen),
„Stairway to Heaven“ (Led Zeppelin) oder „Judas“ (Depeche Mode) – glauben
Sie jetzt nicht? Ich schwöre, das steht so da! -
„...würden die Musiker
schließlich als Finale STILLE NACHT in kompletter Bandbesetzung (Cello + Piano
+ weibl. & männl. Gesang) unter Einbeziehung des Publikums darbieten.“
Ich weiß nicht, liebe Leserinnen und Leser dieses kleinen
Rundbriefs, wie die Weihnachtsfeiern Ihrer Firmen aussehen. Und wie Sie sich
„tief in Ihnen“ eigentlich eine Weihnachtsfeier vorstellen und wünschen. Ich
kann nur sagen – meinen Vorstellungen kommt dieses Programm schon ziemlich
nahe. Wir bauen auch gerne Brücken zwischen Klassik und Moderne, die Weihnachtsfeiern dieser Firma bestehen seit
jeher aus gemeinschaftlich begangener
Hausmusik, gerne stimmen wir fröhliche und melancholische Weihnachtslieder
an, und zum gemeinsamen finalen „Stille Nacht“-Singen fassen wir uns an den
Händen und tanzen langsam um den Adventskranz in unserem Büro. So ist das seit
jeher.
Und warum wir das Angebot, die „Songs Of Lemuria“ für unsere
Firmenweihnachtsfeier zu buchen, dennoch nicht angenommen haben? Ganz einfach:
Wir finden Weihnachtslieder wie „Stairway to heaven“ oder ein zärtlich
gehauchtes Depeche Modse-„Judas“ einfach der vorweihnachtlichen Stimmung nicht
ganz angemessen. Zu sehr „ordinary world“ (Duran Duran) sozusagen. Da singen
wir dann doch lieber selber...
Ansonsten und deswegen: wir sehen uns bei den „Feliz Navidad
– The Return of the Mexican Santa“-Weihnachtsparties von El Vez, den Memphis
Mariachis und den Lovely Elvettes.
Da geht’s kräftig zur Sache, versprochen! Mexmas, Glühwein
& Rock’n’Roll!
In diesem Sinne herzliche adventliche Grüße – und seien Sie
vorsichtig, wenn Sie wieder mal zürnen, ja? Man gerät offenbar leichter in die
evangelische Kirche, als einem lieb ist...