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Blog Archiv - Jahr %1
24.12.2025

Das bairische Bethlehem und das märkische Stonehenge

Nürnberg hat angeblich den schönsten Christkindlmarkt, Ludwigsburg den Barock-Weihnachtsmarkt, und Straßburg nennt sich gar die „Hauptstadt von Weihnachten“.
 
Nun gut, aber kennt ihr das „bairische Bethlehem“?
 
Es war in den 1960er Jahren, ich ging in die 3. Klasse der Grundschule Fürstenfeldbruck-West. Im „Heimatkunde“-Unterricht lernten wir Geschichtliches und Dönnekes über praktisch alle Orte des Landkreises: In Puch gabs eine Edigna-Linde; angeblich hat im 11. Jahrhundert Edigna, die Tochter des Königs von Frankreich, auf der Flucht vor einer Zwangsverheiratung 35 Jahre als Eremitin im Inneren des hohlen Baumes gelebt. In der katholischen Kirche wird sie wegen angeblicher posthumer Wundertaten als Selige verehrt. Beim Wandertag ging es zu der Edigna-Linde, anschließend saßen wir auf einem Feld um ein Feuer, auf dem wir Kartoffeln an einem Stock geraten haben. Those were the days.


In Schöngeising, so lernten wir, lebte der Komponist Orlando di Lasso, und in der Nähe gab es Hünengräber. Grafrath war nach einem Graf Rasso benannt, der im frühen Mittelalter die dortige Klosterkirche gründete und sich dort eine Grabstelle einrichten ließ. Er war ein eifriger Reliquiensammler und wurde von der katholischen Kirche heiliggesprochen.
 
Grafrath war der Name der Bahnstation, die 1873 für die vielen Wallfahrer angelegt worden war. 1972 schlossen sich die beiden Dörfer Unteralting und Wildenroth dann zur Gemeinde Grafrath zusammen. Davon wusste ich in der Grundschule zu Fürstenfeldbruck noch nichts, ebenso wenig, dass meine Familie in den 1970er Jahren in ebendieses Grafrath ziehen und ich später in der Rassokirche gefirmt werden sollte – wie etliche Jahre zuvor bereits der Dichter und „Konkret“-Kolumnist Horst Tomayer (der auch von sexuellen Übergriffen durch die Mönche im Kloster berichtete).
 
Und was hat das alles mit dem „bairischen Bethlehem“ zu tun?
Nun, wir mussten in der Volksschule einen Text mit just diesem Titel auswendig lernen. Denn Wildenroth trug den Untertitel „bairisches Bethlehem“. Und zwar einfach aufgrund der Behauptung eines örtlichen Marketingprofis im 19. Jahrhundert, nämlich, aus dem Gedächtnis zitiert: 
„Wäre der Sohn des Herrgotts nicht in Bethlehem zur Welt gekommen, hätte er sich garantiert Wildenroth als Geburtsort erkoren.“

So macht man das. Muss man auch erstmal draufkommen: Wildenroth als bairisches Bethlehem, weil es sicher so gewesen wäre, wenn nicht dummerweise zufällig…
 
Die Hannoverschen Pyramiden: Hätten die Pharaonen die Pyramiden nicht in Gizeh errichten lassen, würden sie garantiert in Hannover stehen. 
Oder das thüringische Pompeji: Wenn der Vesuv nicht im Jahr 79 Pompeji vernichtet hätte, wäre ganz gewiss Weimar unter der Asche des Vulkans begraben worden.
Oder das osthessische Golgatha: Wäre Jesus nicht in Jerusalem gekreuzigt worden, hätte der Herrgott sicher Fulda als Sterbeort von Jesus Christus erkoren.
Und last but not least Berlin als das märkische Stonehenge: Hätten die Menschen in der Jungsteinzeit ihr Megalith-Bauwerk nicht im südwestenglischen Wiltshire aufgestellt, hätten sie sich garantiert Berlin dafür ausgesucht. Und wir hätten statt des depperten Brandenburger Tores ein echt kultisches Baudenkmal mitten in der Spree-Metropole…
 
Stadtmarketingprofis, Touristikexpert:innen: Da geht noch was!
Es muss nicht beim bairischen Bethlehem bleiben…

24.12.2025

Spotify, Musiker:innen-Verdienste & die Nudelpresse

Der Musikstreamingdienst Spotify ist der Lieblingsgegner von Musiker:innen, schlecht informierten Presseleuten und auch etlichen Musikfans, die am liebsten jedes Rolling Stones- oder Rosalía-Album persönlich von den Künstler:innen am Merch-Stand kaufen würden, statt die Tracks im Netz zu hören – von wegen „Authentizität“, diesem unverwüstlichen Fake aus dem Jutebeutel der „handmade“ Rockmusik.
 
Da halten Musiker:innen empört ihre angeblichen Spotify-Abrechnungen in die Social Media-Kameras, aus denen hervorgehen soll, welche Cent-Bruchteile sie pro Stream sie von Spotify erhalten. Ausbeutung! Dumm nur, dass Spotify niemals auch nur einer oder einem Musiker eine Abrechnung geschickt hat – die Vertragspartner von Spotify & Co sind die Rechteinhaber, die bekommen die Abrechnungen und Auszahlungen und ziehen entsprechend ihrer Verträge mit den Musiker:innen ihren meist gewaltigen Anteil (auch bei den meisten Indies sinds immer noch 50 Prozent!) ab, bevor sie den Rest an die Musiker:innen auszahlen. 
 
Aber dass die Musiker:innen häufig schlechte Verträge mit den Plattenfirmen haben, sie also quasi übertölpelt wurden, ist eine Narration, die sich nicht so gut macht. Zumal: wes Brot ich esse…
Und ich habe es noch nicht erlebt, dass sich Musiker:innen über schlechte Deals bei YouTube empört hätten – dabei zahlt dieser Streamingdienst mit Abstand am wenigsten an die Rechteinhaber aus (wenn man von Bandcamp absieht, bei denen das Streaming komplett ohne Bezahlung der Musiker:innen abläuft). Aber klar, ein schickes oder zumindest selbstgemachtes Video wollen sie alle auf YouTube haben, da legt man sich nicht mit dem Streamingdienstleister oder gar dessen Mutter Alphabet an und postet lieber Fake-News über Spotify.
 
Und da haben wir noch nicht von den Journalist:innen gesprochen, die in aller Regel schlecht (wenn überhaupt…) recherchierte Artikel gegen Spotify schreiben und sich im Solidaritätsboot mit den Musiker:innen wähnen. Da gibt es allen Ernstes Radiomoderator:innen, die klagen, dass Spotify doch die Indies und junge und unbekannte Musiker:innen und Bands benachteiligen würde – und das plappern sie in Sendern daher, die in ihrem Formatradio die Musik, die ihnen die Majors unterjubeln, rauf und runter dudeln und praktisch nie einen Track von Indie-Firmen oder gar unbekannten Musiker:innen spielen.
Und wenn genug auf angeblichen (und mitunter auch realen) Problemen von Spotify herumgetrampelt wurde, können dann Besinnungsaufsätze geschrieben werden, in denen es heißt „Der Ruf des Streamingportals Spotify ist am Boden“ (FAS 23.11.2025).
 
Es ist ein armselig Ding um die Berichterstattung und die Bewertung von Spotify.
Den Vogel schoss dieser Tage die „taz“ ab. Dort wirft sich ein Thaddeus Herrmann – laut Wikipedia ein „deutscher Electronica-Musiker, Musik- und Technologiejournalist sowie Labelbetreiber“ – unter der populistischen Parole „Fairer streamen“ mit allerlei Falschbehauptungen und Mutmaßungen in die Propagandaschlacht gegen Spotify.
 
So behauptet der „taz“-Autor, dass „die drei verbliebenen Majorlabel Sony, Universal und Warner Mehrheitseigner“ von Spotify seien. Das ist schon nicht mehr Fake News, sondern eine glatte Lüge. Laut Marketscreener vom Erscheinungstag des „taz“-Artikels gehört lediglich einer der drei genannten Majorlabels zu den zehn größten Anteilseignern von Spotify, nämlich die Sony Group Corporation – mit gerade einmal 2,514 Prozent Anteilen. Selbst taz-Autoren sollten über soviel Mathematikkenntnisse verfügen, dass sie herausbekommen, dass 2,5% weit entfernt von einem „Mehrheitsanteil“, also von 50,1% sind. Universal hielt Ende 2024 laut eigenem Finanzbericht noch rund 3,3% Anteile an Spotify, hat also im Lauf des Jahres diese Anteile wohl noch weiter reduziert. Und Warner hat bereits im Mai 2018 seine gesamten Spotify-Anteile für mehr als eine halbe Milliarde US$ verkauft.

Überhaupt waren die Majors (und die Indies) immer weit davon entfernt, „Mehrheitsanteile“ an Spotify zu halten. Zu Gründungszeiten des Streamingdienstes 2008 wurden die damals noch vier Majors mit insgesamt 17 Prozent (für die „taz“: das ist deutlich weniger als 50,1%!) und die Indies über Merlin, ihre kommerzielle Agentur für die Auswertung der digitalen Rechte der Indie-Labels, mit einem Prozent an Spotify beteiligt. Nominalwert: 8.804 Euro.
Zehn Jahre später, beim Börsengang von Spotify, waren diese Anteile sage und schreibe rund 2,6 Milliarden US$ wert – und wurden von den Majors zum Teil (Universal, Sony) beziehungsweise komplett (Warner) bei der erstbesten Gelegenheit, nämlich unmittelbar nach dem Börsengang von Spotify, mit gigantischen Gewinnen zu Geld gemacht.
 
Übrigens auch von Merlin, also den Indies. Merlin hat 2018 seine Anteile an Spotify monetarisiert und die erzielten gut 130 Millionen US$ komplett an seine mehr als 20.000 Mitgliedsfirmen (also Plattenfirmen und Vertriebsorganisationen) verteilt. Es wäre spannend zu erfahren, welche und wie viele der Indies ihre Musiker:innen an diesen leistungslos erzielten Spotify-Gewinnen wenigstens zum Teil beteiligt haben. Von der Beggars-Group, einer der kommerziell erfolgreichsten unabhängigen Plattenfirmen weltweit, wissen wir immerhin, dass sie die Hälfte der von Merlin an sie ausgezahlten Spotify-Gewinne an ihre Musiker:innen ausgezahlt hat; ebenso haben es Sony und Warner gehalten.
 
Die bösen Majors also, die laut „taz“ ja immer noch über die Mehrheitsanteile an Spotify verfügen, die sie nie hatten…
(Frage am Rande: Gibt es bei der taz wirklich keine kompetenten Redakteur:innen, die derartige Lügenmärchen ihrer Autoren auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen?!?)
 

24.12.2025

Musikstreaming und AI-Tracks

Bleiben wir noch einen Moment beim Musikstreaming.
Am 12. November meldete „Music Business Worldwide“ (MBW), dass jeden Tag 50.000 von AI, also künstlicher Intelligenz, kreierte Tracks die hauptsächlich in Frankreich relevante Musikstreaming-Plattform Deezer fluten würden. Das sind 34 Prozent aller täglich neu eingestellten Tracks auf Deezer.
Aijaijai…
 
Allerdings: Etwa 70 Prozent all dieser AI-Tracks werden von Deezer als betrügerisch bezeichnet und von den Lizenzzahlungen ausgeschlossen. Und sowieso beträgt der Anteil aller AI-generierten Streams bei Deezer nur 0,5 Prozent, ist also weitgehend vernachlässigbar.
 
Mal abgesehen von der Frage, wer all die täglich neu eingestellten 147.000 Tracks hören soll (und will) – noch interessanter fand ich den zweiten Teil des MBW-Berichts. Demnach hat Ipsos in acht Staaten eine umfassende Umfrage unter 9.000 Streamingnutzern durchgeführt, die erstmalig die Haltung zu AI-generierter Musik untersucht hat.
Dabei kam heraus, dass 97 Prozent aller Befragten bei einem „Blind listening test“ absolut keinen Unterschied zwischen komplett von Künstlicher Intelligenz hergestellten Tracks und solchen von Menschen kreierten feststellen konnten.
 
Man könnte nun feststellen, dass die AI mittlerweile verdammt gut darin ist, Mainstream-Musik herzustellen. Andersherum wird für die Musikindustrie und ihre Copyright-Cops jedoch ein Schuh draus: Ganz offensichtlich ist es nicht die menschliche Kreativität, die allein in der Lage ist, die „einzigartige“ Schlager-, Rock- oder Popmusik herzustellen, wie von den Verfechtern des umfassenden Verwertungsrechts immer wieder behauptet wird. Nein, 97 Prozent des Zeugs, mit dem alle Musikkanäle tagtäglich verstopft werden, lässt sich offensichtlich ebenso schlecht von AI erzeugen. Jedenfalls scheint es für die Musikhörenden egal zu sein, ob die Musik, die sie hören, von Menschen oder von AI produziert wird. Sie hören den Unterschied einfach nicht. Es gibt nämlich keinen.
 
Für jemanden, der seit jeher Musik:innen vertritt, die eher „besondere“, „abseitige“ oder als „schwierig“ geltende Kunst machen, ist AI eher keine Bedrohung. Denn den drei Prozent neuer Musik, bei denen die Hörer:innen bemerken, dass sie durch menschliche und eben nicht durch künstliche Kreativität geschrieben und produziert wurden, gilt weiterhin unser Augenmerk, unser Engagement und unsere Leidenschaft. Dafür ist AI keine Gefahr…
 
Übrigens: Mindestens zehn mit AI hergestellte Songs sind in den letzten Wochen weltweit gechartet. Telisha „Nikki“ Jones beispielsweise, die mit Gospel, Blues und R&B aufgewachsen ist, in einem Chor singt und Gedichte schreibt, hat nie daran gedacht, eine Künstlerin zu sein – „was never a dream of mine“. Dann aber hat sie ein Gedicht mit dem Titel „How Was I Supposed to Know?“ geschrieben und ließ eine KI die Musik dazu erstellen. Das Ganze schrieb sie einem ebenfalls von AI kreiertem Avatar namens Xania Monet zu. Der Song brachte ihr die Aufmerksamkeit, nach der sich die meisten aufstrebenden Musiker:innen sehnen: Er startete durch, schaffte es in die Top 20 der Billboard „Hot R&B“-Charts und brachte ihr laut „Wall Street Journal“ einen siebenstelligen Plattenvertrag ein… (die ganze Story hier)

(obacht: das ist ein AI-generiertes Bild der AI-Performerin Xania Monet! Quelle: WSJ)
 

24.12.2025

Marktgängige, schrottige Popmusik

Juliane Liebert in der „Zeit“ über die Popmusik unserer Tage:
 
„Leider ist ein Großteil der markt­gän­gigen Popmusik heute präze­denzlos schrottig und über­flüssig. Das ist keine aus stilis­ti­schen Gründen gewählte Hyperbel, sondern im Wortsinn gemeint: grässlich, unhörbar. So furcht­ein­flößend grausig, so abgefuckt und austauschbar herz- und geistlos, dass man einen baldigen Hörsturz erfleht, sich aus dem Taxi werfen will oder den Super­markt nieder­brennen möchte, in dem man den ganzen uner­träg­li­chen Mist zwangs­hören muss.“
 
Gut gebrüllt, Löwin!

Wobei man natürlich hinzufügen könnte und sollte, dass sich der der Großteil des aktuellen embedded Pop-Journalismus leider längst dem Niveau der „marktgängigen Popmusik“ angepasst hat und ähnlich „schrottig und überflüssig, grässlich und unlesbar“ daherkommt.
Ausnahmen bestätigen die Regel, wie immer…
 

24.12.2025

Filmmusik 1: Was Kim Jong-il sagt

Unlängst habe ich den Film „Highest 2 Lowest“ von Spike Lee angesehen, mit Denzel Washington in der Hauptrolle. Angeblich soll das ein Remake des Akira Kurosawa-Klassikers von 1963 sein. Nun ja. Die erste Hälfte war höchstens mittelmäßig, der Rest langweilig.
 
Weswegen ich das hier erwähne, hat mit der Filmmusik zu tun. Bei den meisten US-amerikanischen Filmen und Serien kann man ja über die Songauswahl, die im Hintergrund läuft, nicht klagen, nicht selten kommen da auch Musiker:innen dieser Agentur zum Zug, etwa Patti Smith, Bonnie ‚Prince‘ Billy, Townes Van Zandt, Rufus Wainwright, um nur einige zu nennen. Sogar Pere Ubu kamen in der jüngsten Folge von Tim Robinsons „The Chair Company“ zu verdienten Ehren, auf schönste Weise.
 
Die Musikauswahl von „Highest 2 Lowest“ war allerdings von der erbärmlichsten Art und erinnerte an die Musik in deutschen Degeto-Produktionen. Kitsch as Kitsch can, Schmalzhymnen und simpelste Barmusik zuckern lauthals die Handlung zu, da können auch die tolle Straßenszene, bei der der wunderbare Eddie Palmieri auf einer Puerto-Rico-Day Parade performt, und der fabelhafte Track „Trunks“ von A$AP Rocky nichts mehr retten.
 
Mir kommt es immer häufiger so vor, als ob die Filmkomponisten (oder auch solche von Videospielen) zu genau ihren Kim Jong-il studiert haben (oder nicht genau genug?). Der nordkoreanische Diktator hat 1973 in seinem Buch „Über die Filmkunst“ unter anderem Handlungsanweisungen zur Verwendung von Musik in Filmen gegeben:
 
„In einem Film, der das Leben so widerspiegelt, wie es die Menschen tatsächlich erleben, sind Musik und Geräusche wichtige Darstellungsmittel (…) 
Der Situation entsprechende, ausdrucksstarke Musik und Geräusche üben eine starke Wirkung darauf aus, den Ideengehalt und Kunstwert des Films zu erhöhen. Der Regisseur hat mit dem Komponisten, dem Spezialisten für Geräusche und dem Tonregisseur gut zusammenzuarbeiten, damit sie auch mit nur einem einzigen Musikstück oder Lied den Menschen eine lebendige Vorstellung geben und sie in tiefe emotionale Bewegung versetzen können.
Um die Wirkung der Musik im Film zu erhöhen, muß der Komponist gute Lieder schaffen (…)
Natürlich muß erforderlichenfalls eine die Atmosphäre hebende Musik ausgewählt werden, aber auch sollte sie dazu dienen, die Emotionen des Haupthelden auszudrücken (…)
…dann können aus dem Herzen des Haupthelden auch lyrische Melodien erklingen, obwohl die Musik, die in einer stillen Atmosphäre das Gefühl der von tiefer Bewegung ergriffenen Hauptperson ausdrückt, auch leidenschaftlichen Charakter haben kann. (…)
Nur ein Regisseur, der sich in den  Geheimnissen der musikalischen und klanglichen Darstellung auskennt und mit den für diesen Bereich verantwortlichen Künstlern geschickt arbeitet, ist in der Lage, eine lebenswahre, hervorragende Tondarstellung zu schaffen, die durch ein klares Kolorit besticht und mit der jeweiligen Szene in harmonischem Ein klang steht.“
 
Alles klar? Juche, bzw. Juchhe.
 

24.12.2025

Filmmusik 2: Wendy Carlos!

An dieser Stelle sei einmal kurz der laut Dietmar Dath „göttlichen“ Wendy Carlos gedacht, „Electronica-Heldin der ersten Stunde, Mitkonstrukteurin des Moog-Synthesizers, Soundtrack-Magierin“, die die Filmmusik unter anderem für Kubricks „A Clockwork Orange“ und „The Shining“ und zu „Tron“ komponierte und bis heute der Filmkunst zeigt, wie Soundtrack geht. Love & Respect, Wendy Carlos!

                                          (Quelle: wendycarlos.com)
 

24.12.2025

Pauschale Ticketinggebühr statt skandalösen prozentualen Vorverkaufsgebühren!

In Hamburg haben Kulturinstitutionen wie Kampnagel, das Deutsche Schauspielhaus und das Thalia Theater nach einer Ausschreibung eine Ticketing-Zusammenarbeit mit dem isländischen Ticketinganbieter Tixly vereinbart. Dadurch gibt es jetzt günstige und vor allem pauschale Ticketinggebühren. Tortoise-Fans zahlen bei Kampnagel zum Beispiel eine Ticketgebühr von € 2,50 brutto (wobei Tixly sogar nur einen Bruchteil dieses Betrags erhält, der Rest geht in die Abwicklung bei den Veranstaltern).
 
Warum ist das ein guter und wichtiger Schritt?
 
Die meisten Ticketing-Konzerne verlangen eine Vorverkaufsgebühr von 10 Prozent sowie eine „Systemgebühr“ in Höhe von über einem Euro (meist zwischen 1,10 und 1,30 €). 
Dazu kommen skandalöse Versandgebühren von über 5 Euro (für einen normalen Brief ohne Einschreiben, Porto 0,95 €!) oder ebenfalls skandalöse „Print at home“-Gebühren.
Auf diese Weise erzielen Ticketkonzerne wie CTS Eventim oder Ticketmaster, aber auch kleinere Anbieter wie Reservix immense risikolose und weitgehend auch leistungslose Profite.
 
Das Problem besteht neben den unseriösen Versandkosten in den prozentualen Vorverkaufsgebühren. Der Verkauf von Tickets ist ja im Grunde eine Dienstleistung, die unabhängig von der Höhe des Ticketpreises kalkuliert werden sollte. Mit welcher Logik nehmen CTS Eventim oder Ticketmaster immer höhere VVK-Gebühren, je mehr der Ticketpreis steigt? Ihre Dienstleistung bleibt ja immer die gleiche.
 
Das wäre in etwa so, wie wenn im Supermarkt die Papiertüte, die pauschal zum Beispiel 50 Cent kostet, bei Einkäufen mit höheren Einkaufssummen proportional immer teurer werden würde. Kaufen Sie für 50 Euro ein, kostet die Tüte dann zum Beispiel zwei Euro… Die Kunden wären zurecht sauer. Beim Ticketing für Konzertkarten aber nehmen wir das alle einfach so hin. Dadurch werden die Ticketingkonzerne immer reicher – CTS Eventim beispielsweise hat allein in der ersten Jahreshälfte 2025 nur im Ticketing einen Superprofit von 166,8 Millionen Euro eingeheimst – eine Bruttomarge von über 40 Prozent! Und es geht sogar noch besser: In den gerade veröffentlichten Zahlen des dritten Quartals 2025 nennt der CTS Eventim-Konzern einen „Profit“ (EBITDA) von 91 Millionen Euro – in gerade einmal drei Monaten, nur durch den Verkauf von Tickets! Die Bruttomarge stieg auf 43,1 Prozent.
Und wer hat das bezahlt? Die Fans. Mit viel zu hohen Ticketgebühren. Die Aktionäre freuts, die Aktienkurse stiegen deutlich, CTS Eventim verzeichnete den größten Wochengewinn an der Deutschen Börse.
 
Die Ticketingkonzerne verdienen durch die prozentualen VVK-Gebühren sogar meistens deutlich mehr als die örtlichen und die Tournee-Veranstalter, die ja die eigentliche Arbeit machen und vor allem das Risiko der Konzerte tragen.
 
Bei einem Konzert mit 1.000 verkauften Tickets zu sagen wir 35 Euro, also nach Abzug der 7% Mehrwertsteuer 32,71 Euro, kommen beim Ticketingkonzern 1000 x 3,27 € plus 1000 x 1,03 € zusammen, insgesamt 4.300 Euro (plus der Profite aus den überhöhten Versandkosten!). Tourveranstalter und örtliche Veranstalter kommen dabei in aller Regel auf weniger als 40% dieses Betrages – obwohl diese wie gesagt nicht nur die ganze Arbeit machen (natürlich jenseits der Musiker:innen, die auf der Bühne stehen), sondern auch das komplette Risiko tragen.
 
Richtig interessant wird es natürlich bei größeren Konzerten. Stellen Sie sich die Einnahmen durch das Ticketing bei einem Konzert mit 10.000 Plätzen á € 60 vor: 67.100 netto! Oder nehmen wir 20.000 Tickets á 120 €: 246.400 Euro für die Ticketinganbieter! Ich will Sie jetzt nicht mit den Einnahmen bei Stadionkonzerten und Ticketpreisen von mehreren hundert Euro langweilen…
 
It’s the ticketing, stupid!
 
Allerhöchste Eisenbahn, diesen weitgehend leistungs- und risikolosen Superprofiten der Ticketing-Konzerne einen Riegel vorzuschieben! Eine Möglichkeit hat der Hamburger Senat vorgemacht: Günstigere Ticketing-Anbieter auszuwählen, die pauschale Ticketinggebühren „all inclusive“ (also ohne versteckte Zusatzgebühren) anbieten. Das ist ein Schritt hin zu einem kommunalen Ticketing, das faire Ticketgebühren gewährleistet und die Tickets für die Fans dadurch wesentlich günstiger macht.
 
Wir waren, wie so häufig, schon mal weiter.
Bei meinem ersten Stadionkonzert, Rolling Stones im Münchner Olympiastadion im Juni 1982, haben die Tickets pauschal (also völlig egal, wo man saß oder stand) 40 DM gekostet: 38 DM „zzgl. DM 2.- Vorverkaufsgebühr“, so stand es auf den Karten. 2 DM – das sind übrigens gerade einmal 5,26 Prozent – und das in der Prä-Internet-Ära…

Was 1982 bei den Rolling Stones möglich war, nämlich eine pauschale Ticketgebühr ohne versteckte Zusatzkosten, ist 2025 zum Beispiel in Hamburg ja auch wieder möglich, siehe oben. Man muss es nur wollen. Und man darf annehmen, dass auch Tixly bei pauschalen Ticketgebühren in Höhe eines Bruchteils von 2,50 Euro noch Geld verdient, Tixly ist ja schließlich auch kein Wohlfahrtsunternehmen.
 

24.12.2025

Gefahr! Der Kulturstaatsminister steht hinter uns und öffnet Türen, knallt sie aber vor den Clubs wieder zu

Wäre doch eigentlich ein schönes Thema für den Kulturstaatsminister: Einhegung der Macht der Ticketingkonzerne. Organisieren von bundesweitem kommunalem Ticketing, um Fans, Veranstalter und Musiker:innen zu unterstützen. Deckelung der Vorverkaufsgebühren.
 
Ich meine, falls Herr Weimer, dieser Hans Dampf in allen Sackgassen, gerade mal Zeit hat und sich nicht um die Profite seines Medienkonzerns – kann es in Ordnung sein, wenn ein Staatsminister damit Geld verdient, dass Kabinettskollegen in einer Veranstaltung seines Familienunternehmens auftauchen und Leuten, die 80.000 Euro für die Teilnahme an dieser Veranstaltung auf den Tisch legen, „Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger“ versprochen wird? – oder die Urheberrechtsverletzungen der von ihm herausgegebenen Zeitschriften, wo Politiker und sogar verstorbene Intellektuelle ohne ihr Wissen als Hausautoren ausgegeben wurden, oder um sonstige Skandale kümmern muss.
 
Natürlich ist auch die CSU heftig mit den Weimerschen Geschäften verbandelt. Der Freistaat Bayern subventioniert den Weimerschen Erhard-Gipfel laut „SZ“ mit 700.000 Euro – kein Wunder, mit Ticketpreisen von 80.000 Euro kann man so eine Veranstaltung natürlich nicht finanzieren, das wird jeder verstehen. Schirmherr des Erhard-Gipfels: Bayerns Ministerpräsident Markus #söderisst Söder. Der Weimers Veranstaltung auch gerne als „bayerisches Davos“ adelt. Und als der Herr Staatsminister noch der Journalist Weimer war, hat er sich angemessen revanchiert und 2021 laut „SZ“ für Söders Kanzlerkandidatur geworben: Weimer stellte Söder als „erfolgreichen Macher und Wohlstandsgarant“ dar, und alle würden „Sehnsucht nach einem Aufschwung-Kandidaten wie Söder“ verspüren…
 
Das alles wäre ein bisschen weniger übel, wenn Weimer eine einigermaßen erfolgreiche Bilanz als Kulturstaatsminister vorlegen würde. Aber da ist ja nicht viel, wenn man mal von den fast täglichen Pressemitteilungen seines Amtes absieht. Darin geht es meistens um Themen, für die Weimer gar nicht zuständig ist oder, noch schlimmer, für deren Bewältigung ihm nicht nur jede fachliche, sondern vor allem auch jede politische Kompetenz fehlt, etwa, wenn er die „Zerschlagung von Google“ („Handelsblatt“) fordert…
 
Das der Staatsminister für Kultur und Medien lediglich einer dieser Populisten ist, an denen die politische Landschaft heutzutage so überreich ist, zeigt sich an einem aktuellen Beispiel: Bei der jährlichen Almosen-Verteilung an Musikclubs und Veranstalter namens „Applaus Award“, bei der in München 1,7 Millionen Euro an 88 Preisträger:innen verteilt wurden, konnten Weimers Worte gar nicht groß genug sein: „Die Bundesregierung steht hinter euch!“, behauptete der Kulturstaatsminister laut „Musikwoche.de“, und: „Auch deshalb sind wir eine Kulturnation: Wegen des beeindruckenden Reichtums kultureller Institutionen in der Fläche und der breiten Palette regionaler Exzellenz. Die zentrale Aufgabe von Kulturpolitik ist es daher, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Clubs auch in Zukunft ihre Türen öffnen können: durch die ständige Weiterentwicklung passgenauer Clubförderprogramme sowie durch Verbesserungen beim Bau- und Immissionsschutzrecht. Wir werden alles dafür tun, Clubs auch weiterhin tatkräftig zu unterstützen." 
 
Was es konkret bedeutet, wenn diese Bundesregierung „Rahmenbedingungen schafft, damit Clubs auch in Zukunft ihre Türen öffnen können“, und was es in Wirklichkeit bedeutet, wenn Weimer & Co. „alles für die Clubs tun“ (nämlich, Spoiler: nichts!), zeigte sich zeitgleich bei der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses im Deutschen Bundestag, wo CDU, CSU und SPD zwar den Festivalförderungsfond um zwei Millionen € aufgestockt haben, die Clublandschaft jedoch wieder einmal rechts liegen gelassen haben.
 
Mankel Brinkmann, der Vorsitzende der LiveKomm, bemängelte denn auch die fehlende finanzielle Unterstützung für Clubs, Venues und unabhängige Veranstalter: „Wir hätten angesichts der gegenwärtigen gesellschaftspolitischen Situation sowie der wirtschaftlichen Herausforderungen unserer Betriebe den dringend notwendigen Ausbau der Unterstützung begrüßt und sind daher enttäuscht.” „Kein Lichtblick für die Clubs“ also, wie die LiveKomm in einer Pressemitteilung konstatiert.
 
Außerdem hat Weimer beim „Applaus“ in München noch vollmundig „Verbesserungen beim Bau- und Immissionsschutzrecht“ angekündigt. 
Die Clubs und Venues mussten dagegen feststellen, dass auch 2026 erneut keine konkreten Maßnahmen in diese Richtung geplant sind und das 2024 mit großer Mehrheit beschlossene Schallschutzprogramm auch weiter nicht für eine nachhaltige Finanzierung vorgesehen ist.
 
Große Worte, nichts dahinter… 
 
Vielleicht könnte der Herr Kulturstaatsminister mal bei Brechts Arturo Ui nachschlagen:
„Ihr aber lernet, wie man sieht, statt stiert
Und handelt, statt zu reden noch und noch“
 

24.12.2025

CTS Eventim goes Kosmetik

Und was macht Deutschlands größter Ticketingkonzern mit all seinen Profiten?
CTS Eventim goes Kosmetik:

24.12.2025

Versandkosten

Schon, ähem, „lustig“, wie einige deutsche Indie-Labels die unseriösen Geschäftspraktiken der Ticketing-Großkonzerne nachahmen, die für den bloßen Versand von Tickets in einem simplen Brief (ohne Einschreiben oder sonstige Zusatzfunktionen) in aller Regel 5,90 Euro draufschlagen, und für den Versand einer CD innerhalb Deutschlands bei Bandcamp glatte 6 Euro verlangen. Während andere Labels z.B. vorbildhafte und realistische 2,25 Euro berechnen. Und sogar einige englische Labels CDs für 4 Euro nach D verschicken.
Der Kunde als Feind. Und dann wird wieder groß gejammert, dass die Leute keine Musik mehr kaufen…
 

24.12.2025

Qualitäts-Musikjournalismus

Qualitäts-Musikjournalismus im Januar:
„Schon jetzt ein Kandidat für das Album des Jahres.“
Qualitäts-Musikjournalismus im September:
„Ein heißer Kandidat für das Album des Jahres.“
Qualitäts-Musikjournalismus im Dezember:
„Das Album ist natürlich auf allen Bestenlisten des Jahres.“
 

24.12.2025

Friedensangst

Kaum haben wir den Begriff „Kriegstüchtigkeit“ verinnerlicht, schon müssen wir ein anderes Wort lernen, das mit der Kriegstüchtigkeit in einer gewissen Paarverbindung steht, nämlich: „Friedensangst“.
Ja, ihr habt richtig gelesen: Wir müssen jetzt Angst vorm Frieden haben, nicht mehr wie weiland vor dem Krieg.
Denn wenn ein Krieg allzu schnell vorbei ist, funktioniert der Militärkeynesianismus nicht mehr, und unsere geschätzten Rüstungskonzerne machen keinen Profit. Und das wollen wir doch nicht, oder? ODER?!?


 

24.12.2025

Hanno Loewy: Universalismus vs. Identitätsdenken

Und dann war da noch der kluge Hanno Loewy, der große Intellektuelle unter den deutschsprachigen Museumsmacher:innen, der als langjähriger Direktor des Jüdischen Museums Hohenems nun in Pension geht und im „Standard“ ein bemerkenswertes Interview gegeben hat.
Darin sagt er unter anderem:
 
„Trump ist doch ein mit Allmachtsfantasien durch die Gegend laufender Hooligan.
Aber natürlich habe ich mich an dem Tag, an dem die Waffen schwiegen, gefreut. Ganz einfach, weil endlich einmal das Sterben aufgehört hat und die Geiseln freigekommen sind. Aber hat das Sterben wirklich aufgehört? Und gelöst ist natürlich gar nichts. Niemand weiß, wie das Wunder aussehen soll, das komplett kaputte Gaza für die Menschen wieder aufzubauen.
Und das Drama der Siedlergewalt im Westjordanland? Der Konflikt ist nur dann lösbar, wenn alle Seiten aufhören, davon zu träumen, dass die anderen einfach weg sind. Sowohl die postkolonialen Gaza-Protestierenden, die meinen, Israel sei ein reines Kolonialprojekt, als auch jene Israelis, die meinen, sie könnten die Palästinenser vertreiben. Sie alle leben seit Jahrtausenden in der Region, beide haben auch das Recht dazu.
 
STANDARD: Sie sagen oft, das Problem ist das Identitätsdenken, sowohl von links als auch von rechts.
 
Loewy: Ich würde behaupten, Identitätsdenken ist per se rechts. Und wenn Linke meinen, sie
müssen im postkolonialen Diskurs nun auch damit anfangen, dann sind sie keine Linken
mehr für mich. Sie geben das Wichtigste auf, das für mich mit „links“ zu tun hat: den Universalismus.
 

09.09.2025

Holy hostages! Holy Gaza!

Foto: Oliver Nielsen
 
Was war das für eine großartige Tournee des Patti Smith Quartets!
Patti und ihre Musiker in Top-Form, wunderbares Publikum – wirkliche „Ereignisse“ im schönsten Alain Badiou-Sinn.
Fast 40.000 Menschen hatten daran bei den neun Deutschland-Konzerten Anteil und wurden Teil einer Community.
Und nebenbei bemerkt war das damit auch die erfolgreichste und umsatzstärkste Tournee in der nun auch schon mehr als 37-jährigen Geschichte dieser kleinen Agentur – for what it’s worth.
 
Nur ein paar Philosemiten kamen nicht umhin, Haare in der Suppe zu finden. Patti Smith würde angeblich mit dem BDS paktieren (stimmt nicht) und man solle deswegen nicht zu den Konzerten gehen; manche behaupteten gar, sie sei eine „Antisemitin“ (absurd) und was sonst noch an Fake News zur Verfügung stand.
 
Zunächst: Wer wollte angesichts des unsagbaren Leids in Gaza nicht gegen das Vorgehen der israelischen Streitkräfte und gegen die Politik der zum Teil rechtsextremen israelischen Regierung protestieren? All meine israelischen Freunde und Geschäftspartner gehören zu den mehreren Hunderttausend Demonstranten, die sich immer wieder gegen die Politik Netanjahus auflehnen. (Am Rande: 300.000 und mehr Demonstrant:innen in Israel sind so viele, wie wenn in den USA über 10 Millionen Menschen gleichzeitig gegen Trump auf den Straßen wären…)
 
Allerdings: Wer in Deutschland gegen die israelische Politik protestiert, ohne die reaktionäre Hamas zu verdammen, und wer „Zusammen für Gaza“ reklamiert, ohne Freiheit für die israelischen Geiseln und das Niederlegen der Waffen der Hamas zu fordern, der ist nicht nur geschichtsblind, sondern eben schlicht antisemitisch.
 
Patti Smith hat auf mehreren ihrer Juli-Konzerte, unter anderem auch in Berlin, aus Allen Ginsbergs „Footnote to Howl“ rezitiert und das legendäre 
„Holy! Holy! Holy! The world is holy! The sould is holy! The skin is holy! The nose is holy! The tongue and cock and hand and asshole holy! Everything is holy! everybody’s holy!“ um einige improvisierte Zeilen erweitert:
„The hostages are holy!“
Kein Beifall in Berlin, keine Reaktion.
„Gaza is holy!“
Stürmischer Beifall.
Bezeichnend.
In Stuttgart meinten einige, auf das „Gaza is holy!“ mit Sprechchören „Free Palestine!“ reagieren zu müssen. 
Pattis Reaktion, nach einigen Sekunden des Schweigens: „Free everybody!“
Da ward den lautstarken Vereinfacher:innen schnell und nachdrücklich das Maul gestopft.
 

08.09.2025

Marginale Anmerkungen zum Haushalt des Staatsministeriums für Kultur

Wer gedacht hatte, dass sich mit der Ernennung von Wolfram Weimer zum Staatsminister für Kultur die Kulturpolitik des Bundes ändern würde, kann sich bereits nach einigen Monaten auf nicht besonders angenehme Weise bestätigt sehen. „Weimer empfiehlt Genderverbot für öffentliche Institutionen“ („Die Zeit“), „Weimer will Sender und Streaminganbieter verpflichten, Geld in deutsche Filme zu stecken“ („FAZ“), das waren so die Schlagzeilen.
Oder: „Der Kulturetat des Bundes soll um 200 Millionen Euro steigen“ („Musikwoche“) – ja potzblitz, ist doch super! 200 Millionen mehr für die Kultur! Weimer Superstar, da können wir schon mal aufs Gendern verzichten, oder?
Gemach. Wie meistens haben von Politiker:innen (ich gendere das jetzt einfach mal, bin ja keine öffentliche Institution…) groß angekündigte Verbesserungen einen oder mehrere Haken. So auch diese Etatsteigerung.
 
Das Gros der Steigerung im Kulturhaushalt des Bundes entfällt auf die staatliche Filmförderung. Bei „Kulturförderung im Inland“ ist im Entwurf des Haushaltsplans unter dem Titel „Anreiz zur Stärkung der Film- und Serienproduktion in Deutschland“ eine Erhöhung um 133,3 Millionen Euro auf dann 250 Mio. € geplant, mehr als eine Verdoppelung der staatlichen Mittel also. Allerdings, nicht nur wenn man sich die Qualität der staatlich geförderten Filme ansieht, wird man unschwer zu dem Schluss kommen, dass diese Förderung weniger mit „Kultur“ als mit „Wirtschaft“ zu tun hat. Staatsminister Weimer sorgt also dafür, dass Till Schweiger, Bully Herbig & Co. bis an ihr Lebensende ihre Filme auf Staatskosten finanziert bekommen… Hurra!
 
Ansonsten werden Mittel für die üblichen Leuchtturmprojekte angehoben: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz soll künftig 414,1 Millionen Euro statt 388,3 Mio. erhalten, die Zuschüsse für Investitionen sollen von 82,8 auf 99,3 Mio. steigen. Und fürs eigene Haus sorgt der Herr Staatsminister ebenfalls: Für Verwaltungszwecke sind statt bisher 15,5 jetzt 40,2 Millionen Euro vorgesehen…
Immerhin bekommt die Initiative Musik mit nunmehr 17,7 Mio. auch knapp 2 Mio. € mehr als bisher; das Reeperbahn Festival soll wie bisher 6,275 Mio. € erhalten.
 

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