Nun ist also erneut das überflüssige, vom Berliner Senat via seines Music-Boards veranstaltete „Pop.Kultur“-Festival über die Bühne gegangen. Mit knapp anderthalb Millionen Euro wurde das Senatsfestival laut „Berliner Zeitung“ dieses Jahr gefördert, und man hat gut 70 Konzerte und insgesamt etwa 100 Veranstaltungen kuratiert, die etwa 10.000 Besucher*innen angezogen haben. Jede einzelne Veranstaltung hat also gut 15.000 Euro gekostet. Wow, ein ganz schöner Batzen Geld, nicht? Oder andersherum: jedes Ticket des Festivals wurde mit gut 150 Euro subventioniert, also in einer Dimension, in der sonst die Plätze in Opernhäusern oder bei Philharmonikerkonzerten mit öffentlichen Mitteln finanziert werden – bloß, daß da riesige Ensembles mit bis zu hundert Mitgliedern auftreten, während die meisten Popbands doch nach wie vor in Besetzungen spielen, deren Mitglieder an den Fingern einer Hand abzuzählen sind.
Welchen Zweck also hat es, daß der Staat derart tief in die Tasche greift, um seine Vorstellungen von Staatspop bzw. Senatspop durchzusetzen? Cui bono? Es ist ja kein Geheimnis, daß es den Politiker*innen mit ihrer Subvention der Popkultur darauf ankommt, deren eingebrannte (und zugegeben mitunter kaum noch zu erkennende) Widerständigkeit einzuebnen. Es geht um kulturelle Hegemonie, und dieser sollen sich all die „bunten Völkchen“ unterordnen, die vor Zeiten einmal subversive Lebenskonzepte und alternative gesellschaftliche Vorstellungen verfolgt haben. Es lohnt sich, den Gedanken der Kulturstaatsministerin Grütters (CDU) zu lauschen, wenn man eine Vorstellung gewinnen will, worum es hier geht: Die nämlich erklärte in ihrem Grußwort zum „Pop-Kultur“-Festival in dankenswerter Deutlichkeit, daß sie die Popkultur als eine Art Bierkultur ansieht: Grütters warf laut „Tagesspiegel“ die Brau- und die Pop-Kultur in einen (Brau-?)Topf, sprach von „Craft-Pop“ (denn auch eine Kulturstaatsministerin hat heutzutage Redenschreiber, die sich mit dem hippen Craft-Beer auskennen) und von „musikalischen Geschmackserlebnissen“ – Frau Grütters möchte also, daß Popmusik so konsumiert wird, wie man Bier trinkt. Da ist es nicht mehr weit vom Pop-Kultur-Festival zum Oktoberfest, ein Event das eine wie das andere. „Wie die Craft-Beer-Brauer sind Sie die sympathischen Rebellen der Branche“, beleidigte die Kulturstaatsministerin schließlich noch die Popkultur-Musiker*innen und Kulturarbeiter*innen (bzw. den Teil, der eine derartige Verharmlosung noch als Beleidigung begreift). Und so machte einer der Kuratoren dann auch prompt brav Dienerchen und bedankte sich äußerst artig bei Frau Grütters, denn „dank der zusätzlichen Förderung der Beauftragten des Bundes für Kultur und Medien konnte sich das Festival merkbar weiterentwickeln“. Und noch mehr Künstler*innen und Bands auftreten lassen, die ohne die 150-Euro-pro-Ticket-Subvention sonst niemals nicht in Berlin auftreten könnten und würden: Von Balbina, Erobique, Romano, den Sleaford Mods, den Friends of Gas, Andreas Dorau und all den anderen hat man ohne die Senatspop-Veranstaltung in Berlin nämlich bisher noch nie etwas gehört...
Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die Popkultur braucht im Großen und Ganzen keine staatlichen Subventionen! Die wenigen Ausnahmen sind Produktionen, die aufwendig sind, bestimmte Spielorte wie Theater benötigen und anders nicht zu finanzieren wären; das sind höchstens 5 Prozent aller Pop-Konzerte. Die Popkultur benötigt auch keine Kuratoren! Sorgt dafür, daß es bezahlbare Mieten und günstige Proberäume gibt! Sorgt dafür, daß es ausreichend Musikunterricht gibt – in Berlin stehen über 10.000 Kinder und Jugendliche auf den Wartelisten der Musikschulen, Berliner Kinder und Jugendliche haben laut Deutschem Kulturrat „bundesweit die schlechtesten Chancen auf kulturelle Teilhabe“! Und sorgt endlich dafür, daß die Musiklehrer*innen auch anständig bezahlt werden! In Berlin sind nur 7 Prozent der Musiklehrer*innen fest angestellt, im Vergleich zu 75 Prozent im Bundesschnitt, und der öffentliche Zuschuß pro Jahreswochenstunde an den Musikschulen ist in Berlin der mit Abstand niedrigste aller deutschen Großstädte. Wenn ihr wirklich etwas für die Musik tun wollt, dann laßt die Popkultur in Ruhe, hört auf, den Distinktionsvorteil der Mittelschichts-Kids und Fan-Boys mit 150 Euro pro Ticket zu finanzieren, und packt das Geld stattdessen in die Musikschulen, denn dort wird es wirklich dringend benötigt!
Ach ja, und ein Letztes: Einigermaßen drollig finde ich immer das „Argument“ der Journalisten, das Staats- bzw. Senatspop-Festival trete doch gar nicht in Konkurrenz zu den vielen Berliner Veranstaltern, die tagtäglich ohne Subventionen versuchen, ein anspruchsvolles popmusikalisches Programm auf die Beine zu stellen, weil es doch so ein schönes Festival mit so guten Konzerten geworden sei. Der Zweck also heiligt die Mittel? Mich würde interessieren, was die Damen und Herren des eingebetteten Popjournalismus schreiben würden, wenn der Berliner Senat auf die Idee kommen würde, eine Tageszeitung herauszugeben. Ist ja auch etwas, was nicht zu den Kernaufgaben der öffentlichen Hand gehören würde, genauso wie das Veranstalten von Popfestivals. Und wenn diese Senats-Tageszeitung dann einigermaßen o.k. wäre, wäre dann auch alles in Ordnung, und die Journalisten würden sich über sinkende Auflagen (und nachfolgende Entlassungen...) ihrer Publikationen freuen, oder sie zumindest nonchalant in Kauf nehmen?