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Blog Archiv - Jahr %1
09.02.2018

Zensurbehörde Facebook: "Das Bild enthält zu viel Text!"

Standard bei der Zensurbehörde namens Facebook:
„Deine Werbeanzeige wird nicht ausgeliefert.“
Und warum nicht?
„Das Bild deiner Werbeanzeige enthält zu viel Text und deine Werbeanzeige kann deshalb nicht an deine Zielgruppe ausgeliefert werden. Klicke auf einen der nachfolgenden Links, um deine Werbeanzeige zu verwalten und den Text in deinem Werbeanzeigenbild zu verkürzen, um das Problem zu beheben.“
Das „Bild“ der von Facebook abgelehnten Werbeanzeige zeigte das Cover meines Buchs „Klassikkampf“...

Einen Tag später wird das „Facebook Ads Team“ in einer Email noch konkreter: „Deine Werbeanzeige könnte eine viel bessere Leistung erzielen“, flötet es aus der Betreffzeile der Mail, und dann wird Facebook konkret: „Das Bild deiner Werbeanzeige enthält Text, der sich negativ auf die Auslieferung auswirkt. Klicke zum Verwalten deiner Werbeanzeige auf einen der nachfolgenden Links und nimm entsprechende Änderungen vor, um den Text im Werbeanzeigenbild zu reduzieren und so die Leistung zu verbessern.“

Irgendwer sollte den Zensoren der Fressenkladde mal verklickern, daß es zu den Eigenarten von Büchern gehört, daß in ihnen Text enthalten sein kann... und daß es selbst unter den Nutzern (Facebook-Sprech: „Zielgruppe“) der Fressenkladde Zeitgenoss*innen gibt, die nicht nur mit Bildern traktiert werden wollen, sondern auch in der Lage und willens sind, ein paar ganze Sätze zu lesen und zu verstehen.

09.02.2018

Lady Gaga: Eventim ist echt auf zack!

Am Montag, dem 5.2.2018, also ganze zwei Tage, nachdem Lady Gaga den Rest ihrer Europa-Tournee inklusive des Gastspiels in Berlin abgesagt hat, bekomme ich eine Email von „eventim.de Insider“: „Lady Gaga und weitere persönliche Empfehlungen für Sie!“
Die selbsterklärten Insider von Deutschlands Ticket-Monopolisten sind echt auf zack!
Wenn man dann allerdings unter „Highlights in Berlin und Umgebung – Top-Events direkt vor Ihrer Tür“ auf Lady Gaga klickt, erfährt man direkt unter „Bestplatzbuchung“: „abgesagt“! Der Eventim-Konzern wußte also doch irgendwie Bescheid, nur die „Insider“-Abteilung hat noch versucht, ebensolche Geschäfte zu platzieren.

09.02.2018

Kuratieren nur mit Kondom!

Was soll ich sagen – offensichtlich bin ich nicht der einzige Kuratiererei-Gegner hierzulande. Wiglaf Droste jedenfalls schreibt am Ende seines schönen kleinen Texts „Projekt und Konzept“:
„Elender noch als das Tuwort projektieren ist kuratieren. Kann man Angeberhafteres sagen als den Satz: »Ich habe das kuratiert«? Wenn jemand kuratiert, ist es geboten, auf Abstand in jeder Form zu achten. Für den Kuratierenden selbst steht geschrieben: »Kuratieren nur mit Kondom!« Man möchte diesen geschlagenen Schaum ja nicht auch noch abkriegen.“ (jw 3.2.2018)

26.01.2018

Robert Rotifer über Mark E. Smith: "Northern white crap"

Einen hervorragenden, klugen und tiefschürfenden Text über Mark E. Smith ganz ohne die übliche Betroffenheits-Schleimerei und Heiligsprechung hat Robert Rotifer (siehe auch Tourdaten im März und Mai d.J.!) für den Rundfunksender fm4 geschrieben: „Northern white crap“.
So geht Qualitäts-Pop-Journalismus!

Man will da praktisch jeden Satz zitieren, hier nur eine Stelle hineingeworfen, den Rest müßt ihr selbst lesen:
„Das Kennen aller 46 Singles, 32 Studioalben und 13 EPs von The Fall ist in der Tat zu 98,3 Prozent das Distinktionskapital einsamer Männer, und man muss ihnen das nicht übel nehmen (Zwischenthese: Hätten The Fall nie was anders rausgebracht als ihren Lauf von Seven Inches zwischen ’79 und ’80 von „Rowche Rumble“ über „Fiery Jack“ und „How I Wrote Elastic Man“ bis „Totally Wired“, die Welt hätte auch daran noch bis heute zu kiefeln).“

28.12.2017

HipHop 2017 unpolitisch? Open Mike Eagle hören!

Schon lustig: Da bejammern die hiesigen Popjournalist*innen in ihren Jahresrückblicken wortreich, daß im HipHop 2017 angeblich das Politische fehlen würde – alles nur noch Rückzug, Depression, Sucht, Privates...
Aber das großartige und sehr politische Album „Brick Body Kids Still Daydream“ von Open Mike Eagle, eine Art „The Wire“ in Musik, konnte ich in keinem einzigen Jahresrückblick oder in den Jahrescharts finden, noch habe ich bisher hierzulande auch nur eine Rezension dieses Meisterwerks gelesen.
Der L.A.-Underground-Rapper beamt sich in diesem Album zurück in seine Kindheit in den Robert Taylor Homes in Chicago, damals eines der größten „Projects“ in den USA. Es geht, wie „Pitchfork“ weiß, um unser Verhältnis zu physischen Räumen, und wie der Rassismus sich eben nicht zuletzt in den Kommunalverwaltungen und im sozialen Wohnungsbau zeigt. Und die Musik spiegelt das Klaustrophobische der in sich zerfallenden Gesellschaft.
Eines der Alben des Jahres, if you ask me.

28.12.2017

MeToo, Gender-Gap

Zum aktuellen #MeToo-Getue dieser Tage hat Fritzi Busch im Dezember-Heft von „Konkret“ alles Notwendige gesagt, zum Beispiel, daß die Empörung über Harvey Weinstein „etwas Falsches hat. Sie gibt vor, nichts gewußt zu haben. Vor allem arbeitet sie auf Hochtouren an dem Eindruck, Weinstein sei ‚ein Monster’, ‚ein Perverser’, ‚ein alter Sack’, ‚ein Schwein’ und nicht ein ganz normaler Mann mit Macht. Vieles spricht dafür, daß er ein sexistisches Arschloch, manches dafür, daß er ein Krimineller ist. Aber jeder Versuch, das ‚Phänomen Weinstein’ zu erklären, dichtet das soziale Problem der sexuellen Gewalt in ein psychisches um und verleiht der Erzählung zugleich den wohligen Schauer einer Sex-and-Crime-Story.“
Der Artikel „Macht. Geil.“ wird hiermit dringend zur Lektüre empfohlen.

Fritzi Busch verweist auch auf das unverändert bestehende „Gender Gap“ bei der Bezahlung von Frauen und Männern. Nach einer neuen Studie des Weltwirtschaftsforums (WEF) ist dieser Gender Gap das erste Mal seit 2006 wieder größer geworden. Weltweit verdienen Frauen heute etwas mehr als die Hälfte dessen, was Männer verdienen. „In Deutschland sind laut WEF vor allem die Lohnunterschiede bei gleicher Arbeit und der geringe Anteil von Frauen an Führungspositionen ein Problem: Bei der wirtschaftlichen Gleichheit liegt Deutschland auf Platz 43 und damit hinter Kamerun und Jamaika.“
Noch irgendwelche Fragen?

Hinzuzufügen sind höchstens die Zahlen aus unserem Bereich, der Kulturindustrie. Laut den jährlichen Aufstellungen der Künstlersozialkasse (KSK) beträgt das durchschnittliche Jahreseinkommen der aktiv Versicherten der KSK hierzulande zum 1.1.2017 (in €):

                                    Männer            Frauen

Bereich Wort               23.430             17.491

Bildende Kunst            18.994             13.760

Musik                           15.143             11.490

Darstellende Kunst      19.561             12.974

Alle Bereiche               18.739             14.056

Männliche Musiker verdienen also im Schnitt ein Drittel mehr als weibliche.
Ohne eindeutige gesetzliche Regelungen sowie Verpflichtungen, daß zum Beispiel Festivalveranstalter einen deutlich höheren Anteil von Frauen zu ihren Veranstaltungen einladen müssen, wird sich daran wohl kaum etwas ändern.

28.12.2017

Parteispenden: Wer kassiert am meisten?

Und nun: Überraschung!
CDU und FDP haben 2017 laut „FAZ“ die mit Abstand meisten Großspenden* von Wirtschaftsunternehmen und vermögenden Gönnern bekommen. „Die CDU strich bis kurz vor Weihnachten meldepflichtige Großspenden von insgesamt fast 2,9 Millionen Euro ein, die FDP kam auf rund 1,9 Millionen Euro.“
Und die dritte konservativ-bürgerliche Partei, die Grünen, liegen bei diesen Großspenden mit 373.000 Euro mittlerweile sogar vor der SPD, die nur 350.000 Euro erhalten hat. Die Spenden kamen unter anderem von den Industriekonzernen Evonik und Daimler oder von der „BMW-Großaktionärsfamilie Quandt“, deren 200.000 Euro jeweils zur Hälfte an CDU und FDP gingen. Daimler überwies jeweils 100.000 Euro an CDU und SPD, und zu den Großspendern der FDP gehört der Arbeitgeberverband Südwestmetall.
Wer hätte das gedacht...

* Hier geht es nur um die sogenannten „Großspenden“, also Spenden von mehr als 50.000 Euro, die laut Parteiengesetz meldepflichtig sind und von der Bundestagsverwaltung mit den Spendernamen veröffentlicht werden.

28.12.2017

Lidl-Besitzer macht es vor: Man finanziert Universitäten, nicht mehr Parteien!

Ein Mäzenatentum ganz eigener Art hat Lidl-Besitzer und Multimilliardär Dieter Schwarz begründet: Er finanziert nicht Parteien, sondern Universitäten. Beziehungsweise er hat sich in Heilbronn quasi eine eigene Universität eingerichtet. Dort wächst mit dem Geld der Stiftung des Lidl-Besitzers ein ambitionierter „Bildungscampus“. „Die Dieter-Schwarz-Stiftung finanziert 20 großzügig ausgestattete Stiftungsprofessuren im Fach Wirtschaftswissenschaften“, berichtet die „taz“ über die neuesten Entwicklungen (die ich auch ausführlich im Bildungskapitel meines Buches „Klassikkampf“ beschrieben habe).
Rein vom Standpunkt des Stifters ein kluger Schachzug: man finanziert keine Politiker, sondern man sorgt mit einem Steuersparmodell für Unternehmen für eine Art neoliberaler Mainstreamforschung. Nicht nur die vielen nicht gerade einkommensstarken Kund*innen von Lidl finanzieren so eine Bildungseinrichtung, die gegen die Interessen der unteren Schichten agitiert, sondern über die einschlägigen Steuersparmodelle bezahlt auch die Gesellschaft das neoliberale Entrepreneurship des wahrscheinblich reichsten Mannes dieser Republik. So verfestigt sich der neoliberale Mainstream. Und wozu sollen dann noch altmodische Parteispenden gut sein?

23.12.2017

Van Morrison über Musik und das Musikgeschäft

Großartiges Interview mit dem sowieso verehrungswürdigen Van Morrison im SZ-Magazin:
"Ich bin von Beruf Musiker, Songschreiber und Sänger, aber ich sehe mich nicht als Teil des Musikgeschäfts. Wenn man von Beruf Musiker ist, ist die Musik die Hauptsache. Im Musikgeschäft ist die Musik jedoch zweitrangig, da geht es um Images, Plattenverkäufe, wie man aussieht - lauter Dinge, die nichts mit der Musik zu tun haben. Das ist ein großer Unterschied. (...)
Die Leute aus dem Musikgeschäft stellen es immer so dar, als gäbe es nur einen Weg, die Dinge zu machen - ihren. Aber das ist eine große Lüge. (...) Deshalb muß man sich genau überlegen, was man erreichen möchte. Willst du es machen, weil du die Musik liebst? Oder hast du andere Gründe?"
Ach, man könnte das ganze Interview zitieren, soviel Klugheit und Weisheit ist darin. Doch es sei auch Johannes Waechter bedankt: denn der hat Van Morrison dies Interview abverlangt...
(leider nur hinter einer Bezahlschranke...)

17.12.2017

Warum fühlen sich Schwaben in Berlin so wohl?

Und warum fühlen sich, Achtung Gemeinplatz!, die Schwaben in Berlin seit langem so wohl? Es gibt einen ganz einfachen Grund: Die Stickoxidwerte an Berliner Hauptverkehrsstraßen erinnern die Schwaben an die verpestete Luft ihrer Landeshauptstadt Stuttgart.
Wie eine Recherche des RBB mit unabhängigen Messungen ergab, übersteigt die Feinstaub- und Stickoxidbelastung an vielen Berliner Straßen die zulässigen Grenzwerte um ein Vielfaches.
Ach ja, eine weitere Gemeinsamkeit, die die zugezogenen Schwaben in Berlin an ihre Heimat erinnern dürfte: Der Senat hie wie die Landesregierung da tun nichts. Keine Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, keine Verkehrswende. Deutschland einig Autoland.

17.12.2017

Franz Dobler: "Passagier 2017" (oder: vom neuen Geist des Kapitalismus, und was Iggy Pop und Supermärkte damit zu tun haben)

Franz Dobler, einer der wenigen bedeutenden deutschen Schriftsteller unserer Tage, hat jüngst ein Gedicht geschrieben, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Es handelt von der Wechselwirkung von Popkultur und Kommerz und von der eigenen Rolle, die wir alle in diesem Spiel einnehmen. Und vom „neuen Geist des Kapitalismus“, wie Boltanski/Chiapello die Tatsache genannt haben, daß der Kapitalismus alle menschlichen Kräfte integrieren kann, also auch und gerade diejenigen, die gegen ihn gerichtet sind, etwa in emanzipatorischer Absicht.

„Passagier 2017“ heißt das Gedicht, mit freundlicher Abdruckgenehmigung des Autors:

Im Supermarkt kommt aus den Lautsprechern
Iggy Pop mit The Passenger.
Vor 40 Jahren um 15 Uhr hätte ich das so gesehen:
Wir haben den Supermarkt eingenommen!

Jetzt haben sich die Rauchwolken verzogen
Und die Sache sieht anders aus:
Sie sind überall.
Es gibt kein Entkommen.

Eine Erkenntnis
Die mich nicht schockierte
Nur ganz kurz berührte.
Ich hatte mir schon sowas gedacht.

17.12.2017

Fake News: Musiker*innen sind gezwungen, Konzerte zu spielen, weil sich mit Tonträgern kein Geld mehr verdienen lässt...

Wissen Sie, was mir wirklich auf den Keks geht? Es sind diese ständig wiederholten Behauptungen in fast allen Medien (denn einer schreibt vom anderen ab, und wenn sich die Fake News dann verselbständigt haben, nennt man es „common sense“...), daß die Musiker*innen und Bands heutzutage, wo sich mit Tonträgern kaum noch Geld verdienen lasse, „gezwungen“ seien, ihr Geld mit Tourneen zu verdienen.

Alle behaupten das, immer wieder, ob „Süddeutsche“ oder „ZDF“, ob Musikzeitschriften oder Feuilletons, und wie gesagt, durch die ständigen Wiederholungen setzt sich eine derartige Falschbehauptung derart fest in den Gehirnen, daß sie zur „Wahrheit“ wird oder zu dem, was man für selbige hält, und alle wiederholen diesen Unsinn, den banalen Welterklärungsdreiklang Digitalisierung (böse!) – Plattenverkäufe brechen ein (traurig) – Musiker müssen fürs Überleben Konzerte geben (tragisch): „Die Digitalisierung hat dazu geführt, daß die Plattenverkäufe eingebrochen und Konzerte zur Haupteinnahmequelle geworden sind“, lese ich im Rundbrief eines sehr geschätzten Schweizer Clubs. Allein: das ist auf vielen Ebenen blanker Unsinn, eine Unwahrheit, die man bei näherem Hinsehen und nach kurzem Nachdenken mit Harry Frankfurt einfach als „Bullshit“ bezeichnen kann.

Betrachten wir zunächst die wirtschaftliche Ebene: Seit jeher haben Musiker*innen Konzerte gespielt, um damit einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen zu bestreiten. Das galt für Bach, der nicht nur als Kirchenmusiker tätig war, sondern während seiner Leipziger Tätigkeit laut Gardiner mehr als 1.200 Stunden Unterhaltungsmusik im Kaffeehaus oder in Kaffeegärten gespielt hat, ebenso wie für Mozart, der auf eigene Rechnung Konzerte im Innenhof des Hauses seiner Wiener Wohnung veranstaltet und dafür Abonnenten gewonnen hat (die er „Suscriteurs“ nannte), und das galt auch über Jahrzehnte hinweg in Zeiten, da es bereits Tonträgeraufnahmen gab, und es gilt heute nicht minder, Digitalisierung hin oder her. Es gab nur eine sehr kurze Phase, in der Musiker*innen mit Tonträgern vernünftige Einnahmen kreieren konnten, und das waren die paar Jahre in den Achtzigern und Neunzigern des letzten Jahrhunderts, als es der Musikindustrie gelungen war, die gegenüber der Schallplatte deutlich billigeren und schlechteren CDs den Musikfans als das bessere und mithin teurere Produkt zu verkaufen. Gleichzeitig vermochte es die Musikindustrie, quasi ihren gesamten Backkatalog den Fans nochmal zu verdaddeln, und zwar auf CD – und die Musikindustrie schwamm plötzlich im Geld, und die Plattenfirmen bezahlten in dieser relativ kurzen Phase ihre Musiker*innen einigermaßen fair (wobei man nicht vergessen sollte, daß dies nicht zuletzt dazu diente, sich weitere Backkataloge anzueignen, und daß einige Bands an den harten Vertragsbedingungen zerbrachen, wie zum Beispiel die Jayhawks, und andere Künstler, wie Prince oder Michelle Shocked, mit dem Sklavereiparagraphen der amerikanischen Verfassung gegen die Knebelverträge der Musikindustrie klagten – und Jahre später Recht bekamen...). Mick Jagger erklärte das in einem BBC-Interview mal sehr klar: „Es gab eine kurze Periode, als die Musiker sehr anständig bezahlt wurden. Mit Platten ließ sich nur eine sehr, sehr kurze Zeit lang Geld machen, aber jetzt ist diese Periode vorbei.“

Vor allem aber ist diese wohlgepflegte Narration, daß die Musiker*innen durch die Digitalisierung und aufgrund des einbrechenden Tonträgermarktes gezwungen seien, nun vermehrt Konzerte zu spielen, eine Verhöhnung der meisten Musiker*innen und ihrer künstlerischen Integrität. Es läßt ja schon tief in die Gehirnwindungen all derer blicken, die den Quark verbreiten. Offensichtlich übersteigt es die Vorstellungskraft gewisser Journalist*innen, denen Recherche zum Fremdwort geworden ist, daß Musiker*innen aus anderen als Geldgründen Konzerte spielen – etwa aus Leidenschaft und mit Vergnügen. Weil Konzerte ihnen einen direkten Kontakt mit den Fans bescheren, weil das Konzerterlebnis einzigartig ist, und weil das Spielen von Musik „live“ an guten Abenden eines der größten kulturellen Vergnügen darstellt, die man sich überhaupt denken kann – und zwar für Musiker*innen wie für Fans!

Glaubt denn tatsächlich irgendjemand, die Rolling Stones oder ein Jimi Hendrix oder Bob Marley oder die Doors hätten Konzerte nur gespielt, um Geld zu verdienen?!? Schaut euch die Performances an, die filmisch festgehalten wurden, und ihr merkt, was für ein Blödsinn solche Gedanken sind. Da ist pure Leidenschaft zu sehen, da erleben wir Grenzüberschreitungen, die uns heute noch sprachlos machen, und da spüren wir etwas, wofür wir leben und wofür wir in Konzerte gehen, eine Einzigartigkeit, die uns fasziniert, immer wieder. Und genau dafür stellen sich auch heute noch die meisten ernstzunehmenden Musiker*innen immer wieder auf die Konzertbühnen: um uns diese Erlebnisse zu verschaffen (und auch, um dieses Erlebnis als Musiker selbst zu genießen...).

Also bitte, liebe Musikjournalist*innen: hört auf, diese bescheuerte Narration weiter zu verbreiten. Musiker werden nicht gezwungen, Konzerte zu spielen, auch wenn das euren Horizont übersteigen mag – die meisten Musiker*innen spielen Konzerte aus Lust und Leidenschaft. Und das wird auch so bleiben.
(und, liebe Leser*innen: wenn ihr wieder einmal den oben genannten Unfug lest: glaubt kein Wort! und überlegt euch, ob derartige Medien auch in anderer Hinsicht Fake-News verbreiten...)

17.12.2017

Trump-Sohn fordert: Depp feuern!

Videotext „RTLtext“ am 25.Juni 2017:

„Trump-Sohn fordert: Depp feuern!
Nun macht die Familie von US-Präsident Donald Trump Front gegen...“

...nun ja, nicht, wie man hoffen würde, gegen den eigenen Donald, sondern leider nur gegen Johnny Depp. Schöne Schlagzeile aber trotzdem.
(gefunden in der Zeitschrift „Der tödliche Pass“)

17.12.2017

Björk, das Rubato & die Popkritik

Auch lustig: Eine Björk-Rezension in der „Zeit“.

„Man höre, wie Arca und sie im Eröffnungsstück Arisen My Senses schwere, dramatisch dräuende Orchester-Samples mit metallisch stotternden Beats unterwühlen und Björk ihren Gesang – reines Rubato – ausschließlich an den scheinbar unbesingbaren Rhythmen und Bässen orientiert. Im Titelstück driftet sie fast solipsistisch an einer sich um sich selbst drehenden Flötenfigur vorbei – bis ihr Gesang durch die erst ebenso umgebungsblind dahinknirschenden Beats doch wieder verlässlich in das musikalische Ganze gebunden wird.“

Alles klar?
Nun habe ich auch nach mehrmaligem Anhören des Songs kein „rubato“ (und auch kein „reines Rubato“...) in Björks Gesang finden können, aber ich nehme an, der Begriff wurde nicht aus inhaltlichen Gründen gewählt, sondern nur, weil da irgendein italienischer Musikfachbegriff stehen sollte, wurscht, was er in Wahrheit bedeutet. Die immer wieder gern verwendete inhaltslose Distinktions-Zurschaustellung des Popjournalismus eben.

P.S.
Der betreffende Musikjournalist schrieb mir aufgrund dieser Veröffentlichung: "...selbstverständlich singt Björk rubato, insofern sie ihre Melodietöne mit deren schwankender Metrik ausschließlich an den ebenfalls schwankenden Bässen von Arca orientiert. Das ist doch bemerkenswert. Wieso hören Sie das nicht?"
Darauf entspann sich noch ein kurzer, freundlicher und inhaltlich interessanter Mailwechsel. Eine spannende Auseinanderdersetzung, die mir gut gefallen hat und die dem hiesigen Popjournalismus (bzw. zumindest seinem hier erwähnten Vertreter) ein gutes Zeugnis ausstellt.

17.12.2017

Ausnahmezustand in Hamburg! Karl Lagerfeld in der Elbphilharmonie!

Und wozu dient die Elbphilharmonie in Wirklichkeit? Diese Kathedrale der Hamburgischen Gesinnung, in der sich Event und Kaufmannschaft zur Investorenarchitektur vereinigen?
Genau: Dazu, daß ein Karl Lagerfeld an diesem Ort eine Chanel-Kollektion präsentieren darf. Dafür wurde das Ding gebaut! Darüber freuen sich die Eigentümer der Luxuswohnungen in den oberen Stockwerken der Elphi, die schlappe 35.000 Euro pro Quadratmeter ausgegeben  haben, sicher ebenso wie die Mitglieder des „Elbphilharmonie Circle“, des „Unternehmerkreises der Elbphilharmonie“, denen im 13.Stock des Gebäudes eine exklusive Circle Lounge eingerichtet wurde – nun müssen die Superreichen nicht immer nur Klassik und Einstürzende Neubauten sehen, wenn sie paar Stockwerke tiefer in die großen Säle fahren, sondern können das erleben, worauf es wirklich ankommt: Eine Chanel-Modenschau! Karl Lagerfeld! Models!
„Das Orchester spielt ‚La Paloma’, die ersten Models zeigen sich ganz oben auf Stockwerk 16 (...) Das Chanel-Defilee in der Elbphilharmonie hat Dimensionen erreicht, die eine ganze Stadt in einen Ausnahmezustand versetzt. Organisatorisch und mental.“ (FAZ)
Das mit dem „Ausnahmezustand“ glaube ich sofort (das mit der „ganzen Stadt“ weniger). Eine Stadt kommt zu sich, am dafür vorgesehenen Ort.

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