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19.09.2018

The never ending story: Urheberrecht, EU-Urheberrechts"reform", Copyright-Cops

Ehrlich – das Getöse um die EU-Urheberrechtsreform ist je nach Sichtweise und Laune ein Trauerspiel oder eine Farce. Die von deutschen Großverlegern wie dem Axel Springer-Konzern oder der Holtzbrinck-Verlagsgruppe gesteuerte und von fast allen einschlägigen Medien unkritisch orchestrierte Lobbykampagne soll dazu führen, daß diese Woche ein neues Urheberrecht auf EU-Ebene verabschiedet wird, das die Freiheit des Internets massiv einschränken und zusätzlich die Einkünfte der Urheber*innen massiv verschlechtern würde.

Das Problem bei diesem Thema ist, daß es, wie so häufig bei Wirtschaftsthemen, eine trockene Materie ist. Und man benötigt einiges an Fach- und Detailwissen, um zu durchschauen, worum es wirklich geht. Und genau diese komplizierte Gemengelage machen sich die Eigentümer von Verwertungsrechten (denn es geht hier größtenteils um Verwertungs- und Verwerter-, nicht um Urheberrechte) zunutze – und diese Eigentümer sind eben in aller Regel nicht, wie uns gebetsmühlenartig von der Verwertungsindustrie eingebläut wird, die Urheber*innen, sondern beispielsweise Großverlage, Hedgefonds, Banken usw.

Ich habe mehrfach ausführlich zu diesem Thema publiziert und will an dieser Stelle nicht alle Argumente wiederholen – wer möchte, kann die Argumentation nachlesen:

Zuletzt „Copyright Cops“ (Konkret, August 2018)
Cui Bono? Wem nützt das Urheberrecht?“ (inkl. Paradise Papers und welche Hedgefonds die „Urheberrechte“ an großen Songkatalogen halten; Jungle World November 2017)
Bitte unterzeichnen Sie hier (über Gesetzentwurf von Heiko Maas/SPD, der sich zum Lakaien der Medienkonzerne macht; Jungle World April 2016)
Und natürlich mein Vorschlag zu einer wirklichen Reform des Urheberrechts zugunsten der Künstler*innen, u.a. in meinem Buch „Das Geschäft mit der Musik“, und in Kurzform in „Schneiden wir den Kuchen neu an!“ (Freitag Mai 2012)

Hier nur einige Anmerkungen zu Details, die mir in den Wochen vor der leider debakolös geendeten Abstimmung im EU-Parlament aufgefallen sind:

Da ist das Feuilleton der „FAZ“ zu nennen, das in Sachen Urheberrechtsreform auf eine geradezu blamable Art und Weise zu einem bloßen Verlautbarungsorgan der Lobby geworden ist und lauter Leute Besinnungsaufsätze über das Thema schreiben läßt, die entweder mit ihrem Geschäftsmodell von der „Reform“ profitieren würden, oder die einschlägigen Lobbyorganisationen angehören. Das ist wirklich peinlich und einseitig und eine Komplettverweigerung jeglichen Diskurses – was ja mal unter Schirrmacher die besondere Qualität des „FAZ“-Feuilletons war...

Dass Ulf Poschardt, der Chefredakteur der „Welt“, in derselben das Lied dessen grölt, wessen Brot er isst, wundert natürlich wenig – Springers Mathias Döpfner ist einer der vehementesten Verfechter des neuen Leistungsschutzrechts für Verlage. Und die Fakten kümmern solche Herren natürlich wenig. Das wird besonders hübsch (oder ekelhaft, je nachdem, wie man das formulieren möchte), wenn Poschardt Anlauf nimmt und fordert: „Geistiges Eigentum muß in Zeiten von Copy-and-paste besser geschützt werden.“ Poschardt meint (aber sagt es aus durchsichtigen Gründen nicht) das „geistige Eigentum“, das die Verlage den Autoren mit in der Regel schlecht honorierten Buy-Out-Verträgen zur Verwertung abkaufen. Und an dem Gewinn, die sie mit fremder Leute Arbeit machen, beteiligen sie die Autoren natürlich nicht.
Als es darum ging, um den rechtlich unzulässigen (vulgo: illegalen!) Verlegeranteil an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaft VG Wort zu kämpfen, also den Autoren, den Urhebern, den ihnen zustehenden Anteil abzuknöpfen, war von „geistigem Eigentum“ natürlich keine Rede.
Genau dies will die Verwertungsindustrie nun übrigens schon wieder, nur diesmal auf EU-Ebene: Die Verwertungskonzerne wollen die Urheber*inne um einen guten Teil ihrer Gelder betrügen. Im in der Diskussion sträflich vernachlässigten Artikel 12 der EU-Urheberrechtsreform wird festgelegt, daß die Urheber*innen künftig ihre Ausschüttungen mit Verlegern oder Plattenfirmen teilen müssen – eine Praxis, die hierzulande höchstrichterlich als gesetzwidrig verworfen wurde, soll zum Nachteil der Urheber*innen durch die Brüsseler Hintertür Gesetz werden. Die Verlage und Plattenfirmen wollen sich also an den Einnahmen der Urheber zu deren Lasten bereichern.
Da ist es schon nicht mehr Chuzpe, sondern eine dreiste Unverschämtheit, wenn von den Lobbyorganisationen der Verwertungsindustrie immer wieder behauptet wird, daß das neue Recht den Urheber*innen zugute kommen würde – das Gegenteil ist der Fall!

Besonders drollig (oder frech) agitiert die GEMA, die ja ohnedies nicht gerade für Künstler- bzw. Urheber-Freundlichkeit, dafür aber für Verlags- und Plattenfirmen-Nähe berüchtigt ist. Um ihren Kampf zugunsten der Verwerter zu illustrieren, verwendet die GEMA die „Studie“ eines Marktforschungsinstituts (ein Widerspruch in sich...), wonach 87 Prozent der befragten 6.000 EU-Bürger für Regelungen sind, „die Urhebern eine faire Vergütung für die Verbreitung ihrer Werke im Onlinebereich zusichern können“. Das ist in der Tat eine erfreuliche Situation und, nebenbei bemerkt, kräftig eins in die Fresse der Verwertungsindustrie, die doch sonst ständig die angebliche „Gratismentalität“ der Menschen im Internet beklagt. Nein, 87% der Befragten sind dafür, daß Urheber fair bezahlt werden.
Allerdings – das ist ja, wenn es um das neue EU-Urheberrecht geht, gar nicht die Frage. Die Frage, die korrekterweise hätte gestellt werden müssen, ist: „Sind Sie dafür oder dagegen, daß die Europäische Union Vorschriften einführt, die Verlagen und Plattenfirmen eine Vergütung dafür zusichert, daß Werke von Künstlern und Urhebern auf Internetplattformen vertrieben werden?“ Oder, zweite Frage: „Sind Sie dafür oder dagegen, daß die EU Vorschriften einführt, wonach die Künstler und Urheber einen wesentlichen Teil ihrer Einnahmen aus der Verwertung auf Internetplattformen an die Konzerne der Verlags- und Musikindustrie abgeben müssen?“
Da wären die Antworten wirklich spannend gewesen...

Der kanadische Science-Fiction-Autor, Literaturpreisträger, Journalist und Blogger Cory Doctorow schildert in einem aktuellen Beitrag auf Boingboing unter dem Titel „Nicht in unserem Namen! Warum Europas Kreative gegen den EU-Vorschlag, Links zu begrenzen und das Internet zu zensieren, kämpfen müssen“ nochmal die Risiken des Leistungsschutzrechts (Übersetzung von „Perlentaucher“):
„Artikel 11 definiert nicht wirklich, was ein 'Link' oder eine 'Nachrichtenseite' ist (das ist ein ziemlich krasser Flüchtigkeitsfehler). Aber Artikel 11 ist eine EU-weite Version der lokalen Gesetze, die bereits in Spanien und Deutschland versucht wurden, und unter diesen Gesetzen wurden Links verboten, die die Überschrift im 'Anker-Text' (das ist der unterstrichene, blaue Text, der zu einem Hyperlink gehört) enthalten. In den vorliegenden Änderungsanträgen hat Axel Voss vorgeschlagen, dass die Verwendung von mehr als zwei aufeinanderfolgenden Wörtern aus einer Überschrift ohne eine Lizenz nicht zulässig wäre."

Und man könnte natürlich auch die Stellungnahme des EPIP, eines Verbands von Wissenschaftlern, die zum Thema „Intellectual Property“ arbeiten, zur Kenntnis nehmen – der schlägt schlicht die komplette Streichung des kompletten Paragraphen 11 des EU-Vorschlags vor.

Besonders der EU-Abgeordnete Axel Voss (CDU) tut sich setzt sich seit Jahren für härtere Regeln im Internet ein, wobei er selbst eher keine Ahnung vom Internet hat: Er zeigte sich in einem Interview überrascht davon, daß jeder bei Wikipedia Inhalte hochladen kann, und seine Facebook-Posts schmückt er gerne mit dpa-Fotos, für die er keine Rechte hat. In gewisser Weise ist CDU-Voss ein typischer deutscher Digitalisierungs-Politiker: vom Internet keine Ahnung, aber entschieden gegen die Rechte der Bürger*innen und immer auf der Seite der Verwertungsindustrie. Voss betreibt eine Art digitalen Handels-Protektionismus und hat dafür gesorgt, daß der ursprüngliche EU-Gesetzentwurf sogar noch weiter verschärft wurde. Er behauptet, Uploadfilter kämen in dem neuen Gesetz gar nicht vor. Stimmt, da ist verharmlosend von „Erkennungssoftware“ die Rede – beim Kampf gegen das Asylrecht geht es ja auch um die „Fiktion der Nichteinreise“ und nicht um Internierungslager, in denen Asylsuchende gefangen gehalten werden...

Doch CDU-Voss ist bei seinem Kampf nicht allein, unterstützt wird er beispielsweise von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU), die sich nicht zum ersten Mal uneingeschränkt auf die Seite der Kulturindustrie schlägt und der es mit dem verschärften Urheberrecht nicht schnell genug gehen kann. Aber auch die EU-Abgeordnete Helga Trüpel (Grüne) kämpft für die Freiheit des Axel Springer-Konzerns, zulasten der Journalist*innen und der Internet-Nutzer*innen möglichst große Profite machen zu können. In einem Beitrag für die „FAZ“ bezichtigte sie die Gegner des EU-Urheberrechts eines „falschen Freiheitsbegriffs“. Und im Interview mit der „taz“ behauptet die Grünen-Abgeordnete, „daß rund die Hälfte der Europäer die Nachrichten des Tages bei Google News liest, also dort durch die Textanrisse scrollt, aber nicht auf die Links klickt. Dann ist doch klar, daß Anzeigenkunden eher bei Google werben, als auf Verlagsseiten.“ Dumm nur, daß auf Google News gar keine Werbung geschaltet werden kann – klassische Fake News von Frau Trüpel also.

Sie sehen, die Verfechter des verschärften EU-Urheberrechts, die Armee der Copyright-Cops, kämpft mit allen Mitteln. Und diese Mitteln sind nicht selten unlauter – was letztlich kein Wunder ist, denn mit Fakten können sie natürlich nicht aufwarten. Sie haben halt das Geld, mit dem große Kampagnen zugunsten der Großkonzerne gefahren werden können – das Recht oder gar die Moral haben sie nicht auf ihrer Seite. Interessant wird morgen im EU-Parlament, welche Parteien sich auf die Seite der Großkonzerne der Verwertungs- und Bewußtseinsindustrie schlagen – bei der letzten Abstimmung im Juni 2018 waren es neben einigen versprengten Abgeordneten der Grünen und der SPD (deren Fraktionen sich mehrheitlich gegen die Reform stellen) zum Beispiel die komplette CDU/CSU-Fraktion, AfD und die Nachfolgeorganisation des rechtsradikalen Front National, die gegen ein freies Internet, gegen die Interessen der Urheber*innen und für die Interessen der Verwertungsindustrie gestimmt haben. Was ja schon Bände spricht...

19.09.2018

Der erfolgreichste "Klassik"-Künstler aller Zeiten

Kleine Rätselfrage:
Was denken Sie – wer ist der erfolgreichste „Klassik“-Tournee-Künstler aller Zeiten? Mit Tournee-Einnahmen von mehr als 550 Millionen US-$? Na?
Und wer steht auf Platz zwei der aktuell erfolgreichsten Tourneen des Jahres, der „Hot Tours“ laut Billboard Boxscore, direkt hinter dem unvermeidlichen Ed Sheeran?
Die Antwort ist beschämend und deprimierend und lautet in beiden Fällen: Andre Rieu.

19.09.2018

Feine Sahne Fischfilet, der Bundespräsident und die CDU-Generalsekretärin

Daß die CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer zum beeindruckenden Open-Air-Konzert gegen Fremdenhass in Chemnitz nichts Anderes zu tun hat, als den Bundespräsidenten Steinmeier (SPD) für seine Unterstützung dieses Konzerts zu kritisieren, weil dort die Band Feine Sahne Fischfilet aufgetreten ist, ist ein echtes Armutszeugnis.
Feine Sahne Fischfilet haben für den in Sachsen dringend benötigten Antifaschismus mehr getan als alle CDU-Politiker*innen zusammen.

19.09.2018

Advertorials, Inhalte und Glaubwürdigkeit

Sagt mal, liebe „Spex“, könnt ihr mir erklären, was ein „Advertorial“ ist? „Editorial“ kenne ich, „Anzeige“ (englisch: „Advertising“) kenne ich auch. Aber „Advertorial“? Also das Dingens, das ihr auf Seite 9 eurer aktuellen Ausgabe druckt und das aussieht wie ein redaktioneller Beitrag?

O.k., zugegeben, das war eine rhetorische Frage, denn natürlich ist mir bewußt, was ein Advertorial ist. Die Werbeindustrie nennt sowas „native advertising“: Werbe-Artikel, die von Redakteuren im Layout der Zeitschrift (oder Website) geschrieben werden, die aber lediglich eine irreführende Werbung sind. Und so geht es in eurem „Advertorial“ darum, daß „Jesper Munk mit Melitta das Hurricane Festival gerockt“ hat. Mit Melitta? Also nicht mit Gitarre oder anderen Instrumenten, sondern mit der „beliebten Kaffeemarke“? Aha.

„Mit einem chilligen Akustikkonzert im Melitta Festival Wohnzimmer läutete Jesper Munk in Scheeßel die diesjährige Melitta Festivaltour ein“, kann man in dem „Spex“-Text lesen. „Im gemütlichen, zweistöckigen Wohnzimmer der beliebten Kaffeemarke lauschten die Besucher aber nicht nur Munks Soul- und Blues-Songs, sondern genossen auch köstlichen Kaffeespezialitäten von Melitta. Für jeden Kaffeetypen war etwas dabei...“ undsoweiter undsofort flötet es da aus der Zeitschrift, die mal ein wichtiges Musikmagazin war.

Nicht nur Musiker wie Herr Munk, sondern vor allem der Musikjournalismus ist schon gewaltig auf den Hund gekommen...
Glaubwürdigkeit wird längst und quasi jederzeit gegen Geld getauscht.
Eine Gefahr für den unabhängigen Journalismus sehe ich darin aber eher nicht. Der findet ja sowieso kaum noch statt.

19.09.2018

Helene Fischer, die Schlager-Göttin

Einer der Gründe, warum ich vor Längerem die „Berliner Zeitung“ abbestellt habe (die Artikel z.B. von Schneider und Uehling kann man ja auch online lesen), die eine Zeitlang das beste Pop-Feuilleton der Republik hatte – aus der „Besprechung“ eines Helene Fischer-Konzerts (Hervorhebungen von mir):
„Man muss die Musik nicht mögen - aber wer diese Show nicht bejubelt, ist selbst schuld. Mit ihrer Inszenierung macht sich die Schlager-Königin vollends zur Schlager-Göttin. ‚Wir wollen den Fans einfach einen schönen, ja vielleicht unvergesslichen Abend bereiten’, sagt sie. In Berlin ist das gelungen.“
(Berliner Zeitung vom 5.9.2018, online)

28.08.2018

Warum lassen uns die 80er Jahre nicht los?

80er Jahre? „Warum läßt uns dieses Jahrzehnt nicht los?“, fragt auf zig Seiten ein sogenanntes Special im aktuellen „Musikexpress“, und fast hätte ich den Artikel angelesen, weil er von Oliver Götz geschrieben wurde, der zu den Autoren gehört, die ich schätze und bei denen ich in der Regel erstmal schaue, was sie so zu sagen haben, aber dann hab ich den Text doch nicht gelesen, weil mich das Thema nicht interessiert.

Aber ich möchte lösen, also:
Warum lassen uns die 80er nicht los? Ganz einfach: weil immer wieder irgendwelche Magazine dicke Specials darüber zusammenstellen. Denn ansonsten interessieren die 80er wirklich niemanden, sie gehen den meisten Menschen sowas von am Popo vorbei, und das gilt übrigens genauso für die 70er, die 50er oder die 90er...

Fake decades, sozusagen.

28.08.2018

Die Eagles, Michael Jackson und das Ancien Regime der Rockmusik

Da können alle weißen Männer und alle Rockisten aber aufatmen: Nicht mehr Michael Jackson, sondern die Eagles haben das meistverkaufte Album aller Zeiten eingespielt. Ein Triumph, passend zu neorechten Zeiten, zu Trump, Kurz, Orban et al.
Und so jubelt denn auch ein Matthias Heine im Feuilleton von Poschardts „Welt“, daß das „Ancien Regime der Rockmusik so unsterblich ist wie die Spiritualität und die Familie“.
„Ancien Regime der Rockmusik“, da muß man auch erstmal drauf kommen, Rockmusik also als Musik eines feudalistischen Obrigkeitsstaats – das vermeintliche Argument könnte auch ein bißchen nach hinten losgehen, oder?
Jedenfalls: genau, weil wir in neuen konservativen Zeiten leben, hören die Menschen in ihren Familien unter den von Söder aufgehängten Kreuzen eben nicht Michael Jackson, sondern die Eagles. Und morgens lesen sie alle die „Welt“. So kommt zusammen, was zusammengehört. Zumindest, wenn man fürs Feuilleton der „Welt“ schreibt. Das ist die Zeitung, die ausdrücklich nicht mit dem Slogan wirbt, daß dahinter immer ein kluger Kopf stecken würde...

19.08.2018

Berliner S-Bahn: Atonale Musik gegen Drogenabhängige!

Daß der Harmoniebrei der Neoklassik, der auf dem Berliner PopKultur-Festival verzapft wurde, zur Abschreckung von Drogenabhängigen auf Berliner S-Bahnhöfen verwendet wird – nun, das kann dieser Musik jedenfalls nicht passieren. Dazu verwendet man in Berlin zeitgenössische atonale Musik:

Quelle: "Tagesspiegel" 18.8.2018

19.08.2018

Nile Rodgers & CHIC - und sogenannter "Service" eines Konzertveranstalters

Das wahrscheinlich beste Konzert der drei Tage des PopKultur-Festivals fand am Donnerstag im Tempodrom statt: Der Auftritt von Nile Rodgers & CHIC war beglückend und wundervoll.

Allerdings, paradise doesn’t come without mistakes (Kurt Wagner/Howe Gelb). Wie Publikums-feindlich die großen Konzertveranstalter heutzutage mitunter agieren, konnte man an diesem Beispiel gut betrachten: Zwei Tage vor dem Konzert flatterte ein „Wichtiger Hinweis“ ins Email-Postfach. „Die Mitnahme von Taschen größer als A4 ist untersagt.“ Außerdem solle man „folgende Gegenstände zu Hause lassen“, und es folgt eine fünfzehnteilige Liste, darin u.a. „Helme, Skateboards und sonstiges Sportequipment“. Daß Fahrrad- oder Motorhelme möglicherweise kein „Sportequipment“ sind, sondern lebensnotwendige Schutzmaßnahmen, die im Fall von Rollern und Motorrädern sogar gesetzlich vorgeschrieben sind, hat sich zum Konzertveranstalter anscheinend nicht herumgesprochen. Klar ist: Man zahlt über 50 Euro für ein Ticket, aber das Stellen einer Garderobe, an der man z.B. Helme oder Rucksäcke abgeben kann, gehört zu den Serviceleistungen, die man für solch einen Preis wohl nicht erwarten darf. Daß Menschen unter der Woche von der Arbeit kommen und entsprechende Utensilien bei sich führen, übersteigt die Vorstellungskraft von Konzertveranstaltern, für die „Service“ ein Fremdwort bleibt.

Aber es kam noch doller: Am Konzerttag flatterte um 17:33, also weniger als eine Stunde vor Einlaßbeginn, eine weitere Email ins Postfach. Der Veranstalter hat uns mitgeteilt, dass Ihr Event verlegt wurde.“ Konzertbeginn jetzt plötzlich 19:15 Uhr statt der auf den Karten ausgedruckten 20:00 Uhr. Offensichtlich war der Konzertveranstalter völlig überfordert und wußte bis kurz vor dem Konzert nicht einmal, wann das von ihm organisierte Konzert beginnen würde. Unglaublich, diese Unprofessionalität, gemischt mit Ignoranz gegenüber den Interessen des Publikums.

Die Konzertfans – die Feinde mancher Konzertveranstalter. Zu dumm, daß man die Fans benötigt, weil irgendwer muß ja die Kasse füllen...

Der Auftritt von Nile Rodgers & CHIC begann dann übrigens gegen 20:30 Uhr und war, wie gesagt, ein Traum.

16.08.2018

Neo-Klassik beim Berliner Pop-Kultur-Festival - alter Wein in mittelneuen Schläuchen

16.August 2018

Liebes Berliner Pop-Kultur-Festival,

gestern Abend habe ich dein „Commissioned Work“ von Henrik Schwarz & Alma Quartet namens „Plunderphonia“ gehört und gesehen. Im Programmbuch hast du versucht klarzustellen, daß diese Auftragsarbeit keine „Neo-Klassik“ sei, weil das für dich „einer der schlimmsten Ausdrücke der jüngeren Musikgeschichte“ sei. Nun ja, ich finde ja ehrlich gesagt, daß nicht der Ausdruck „Neo-Klassik“ das schlimmste ist, sondern die Musik, die sich dahinter verbirgt, aber wollen wir mal nicht kleinlich sein, vielleicht hast du einfach nicht sagen können, was du sagen wolltest.

Angeblich soll „Plunderphonia“ das „Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit einigen der aufwühlendsten und mitreißendsten Streichquartette der letzten Jahrhunderte“ sein. Die „interessantesten Stellen“ hat Henrik Schwarz „geplündert“, also „gesampelt, um sie dann wieder in Notenform zu überführen“. Mal abgesehen davon, daß dieser Halbsatz ausgesprochener Bullshit ist – aber zu hören waren gestern: ein paar Stellen aus Streichquartetten unter anderem von Bartók, Glass, Part, Barber (die Streichquartette der drei letztgenannten als „mitreißend“ zu bezeichnen, ist schon eine besondere Form von Inkompetenz, ihre Qualität liegt ganz woanders... auf einem meiner Berlin-Konzerte vor ein paar Jahren hat das Kronos Quartet Werke von Philip Glass zusammen mit dem Komponisten aufgeführt, hättet ihr euch mal ansehen sollen, vielleicht hättet ihr was verstanden, vielleicht auch nicht...), Schubert, Schostakowitsch und anderen – leider nur ein paar Stellen, und nicht das, worauf es in der Musik eigentlich ankommt, nämlich wie die Musik zu diesen Stellen gelangt ist, die Entwicklung dahin. Und wann immer es pathetisch wurde, kamen von den Keyboards dräuende Bass-Sounds hinzu, ganz wie im schlechten Kino, wenn die Wirkung, der man nicht traut, noch künstlich verstärkt werden muß – der erhobene musikalische Zeigefinger gewissermaßen. Und im Hintergrund waren vier Leuchtreklamen zu sehen, auf denen hin und wieder, man möchte allem Anschein doch Hochkultur sein, die Namen der geplünderten Komponisten aufschien.

Es war „Neo-Klassik“ der übelsten Sorte. Eine plumpe Vereinfachung raffinierter Kompositionen. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, daß Henrik Schwarz wirklich Stücke aus den Streichquartetten sampeln würde, in der Art, wie im US-Hip-Hop zum Beispiel klassische Soulmusik gesampelt wird. Daraus hätte in Verbindung mit Schwarz’ House- und DJ-Erfahrung etwas ganz Eigenes entstehen können – ob das was getaugt oder ob es mir gefallen hätte? Keine Ahnung. Es wäre aber wirklich ein interessanter Versuch gewesen. So bliebs bei einem plumpen, nichtssagenden Versuch der Aneignung klassischer Appetithäppchen um des kleinen Distinktionsvorteils willen. Traurig. „Neu ist, wenn es unerhört ist, und das im wahrsten Sinne des Wortes“, begründet ihr eure „Commissioned Works“. „Plunderphonia“ war das Gegenteil davon – alter Wein in mittelneuen Schläuchen, abgestanden und alles andere als „genuin neue Musik“.

Wie schön wäre es gewesen, statt dieses aufgequirlten Schmarrns ein komplettes Streichquartett von Bartók oder Schostakowitsch oder Glass zu hören. Ohne jedes Beiwerk, vielleicht mit zwei, drei Sätzen zur Einführung, warum derartige Musik zwar nicht Teil von „Popkultur“ ist, aber dennoch sehr wichtig, sehr einzigartig und, ja, sehr schön. Das wäre dann wirklich ein Beitrag zur Überwindung von E- und U-Musik gewesen, die ihr euch doch auf die Fahnen geschrieben habt, wenn ich die Reden zur Eröffnungsveranstaltung richtig verstanden habe. So habt ihr nur bewiesen, daß ihr die sogenannte „klassische“ Musik nur akzeptiert, wenn sie popistisch angeeignet und verbrämt wird. Daß dafür Staatskohle ausgegeben wird, ist einfach nur ärgerlich.

16.08.2018

Zwei Fragen an das Berliner Pop-Kultur-Festival

Und dann, liebes Berliner Pop-Kultur-Festival, habe ich noch zwei Fragen:

Erstens: Warum muß ein Staatspop-Festival, daß mit mehr als einer Million Euro subventioniert wird, sich zusätzlich noch den einschlägigen Sponsoren an den Hals werfen, mit denen man auch bei allen anderen, kommerziellen Festivals belästigt wird, von Becks bis Telekom? Und ist es wirklich nötig, beim zum Teil durchaus honorigen „Nachwuchs“-Programm die Firma Sennheiser einen Workshop zum Thema „Mikrofone“ ausrichten zu lassen, bei dem sich herausstellen soll, daß „ein 300-Euro-Mikrofon der Firma Sennheiser einen Unterschied macht“, wie ihr im Programmheft schreibt (was nicht mal mehr Schleichwerbung ist...)?

Zweitens: Ihr habt euch (zu Recht!) die Aufgabe gestellt, daß weibliche Acts mindestens die Hälfte des Programms eures Festivals gestalten sollen. Sehr gut. Wie aber kommt es, daß die „Kuratoren“ des Festivals ausschließlich Männer sind?

13.08.2018

Aufstehen? Nicht mit Sahra, Oskar, Antje & Larryn!

Es gibt wahrlich eine Menge Gründe, warum man die von Sahra Wagenknecht, Antje Vollmer, Oskar Lafontaine und anderen propagierte „Aufstehen“-Bewegung ablehnen bzw. ignorieren sollte. Man liest zum Beispiel den Aufsatz des „Aufstehen“-Propagandisten Wolfgang Streeck in der „FAZ“, stimmt den ersten zwei Dritteln weitgehend zu, einer durchaus o.k.en Analyse des deutschen Wirtschaftsimperialismus gegen Griechenland et al, der „Subventionierung von Lohndrückerei in der gewerkschaftsfreien Zone des Dienstleistungssektors“ oder der Entstehung eines Subproletariats. Gut gebrüllt, soweit. Das letzte Drittel ist allerdings nicht aushaltbar – Streeck nennt es „pragmatische Gerechtigkeitspolitik“, wenn er fordert, „daß nicht jeder jederzeit unbesehen in Deutschland einreisen und dort Unterstützung beanspruchen kann“. Er fragt: „Wen wollen wir nicht einreisen lassen, und wie setzen wir das durch?“ Hier entpuppt sich die „Aufstehen“-Bewegung als das, was sie ist: als eine national-sozialistische Bewegung.

Kein Zufall, daß ausgerechnet Monika Maron ausgerechnet in Springers „Welt am Sonntag“ das Hohe Lied auf Sahra Wagenknecht anstimmt. Spätestens dann sollte jedem und jeder klar sein, welches Lied hier gespielt wird. Und dieses Lied ist in der Tat eines der schauderhaftesten, das je geschrieben und aufgeführt wurde, nämlich eine neue Version des furchtbaren „Bots“-Klassikers „Aufstehen“, das schon in den 1980er Jahren bewiesen hat, daß die damalige Friedensbewegung kulturell unterirdisch war. Diether Dehm hat den Song damals verbrochen, und er arbeitet an einer Aktualisierung für die „Aufstehen“-Bewegung. Zu erwarten ist: nicht weniger als das totale Grauen.

Wenn Wolfgang Pohrt nicht sehr bedauerlicherweise das Schreiben eingestellt hätte, würde man sich einen Aufsatz von ihm zu diesem Thema wünschen. Wobei: das würde die „Aufstehen“-Bewegung und den dumpfen, biederen Song dann schon wieder vollkommen unverdient adeln...

13.08.2018

China: Streit als Kunstform

In China ist Streit eine veritable Kunstform:

Video hier anklicken

Habe derartiges öfter in China beobachtet, mich aber nie getraut, es zu filmen. Erstaunlich, daß es immer bei engagiertestem Streit bleibt und nie zu Handgreiflichkeiten kommt. Eine Kulturtechnik.

„Die oft bemerkte Phantasiearmut, welche die Deutschen bei der Erfindung von Schimpfwörtern zeigen, ist nur ein anderer Ausdruck für den Mangel an Zivilisation, deren größte Errungenschaft in der Fähigkeit besteht, den Gegner statt mit dem Hackebeil bloß mit Wörtern zu verletzen.“
Wolfgang Porth, in „Honoré de Balzac. Der Geheimagent der Unzufriedenheit“
 

03.08.2018

Rechenaufgabe aus dem Verfassungsschutzbericht

Laut aktuellem Verfassungsschutzbericht des Bundes leben in Deutschland ca. 700 islamistische Gefährder und über 12.000 gewaltbereite Rechtsradikale (letzteres ein neuer Höchststand).
Rechenaufgabe: welche Gruppe ist größer?
Denkaufgabe: über welche Gruppe wird mehr gesprochen und geschrieben?

03.08.2018

Politische Kultur

Ausgerechnet der FDP-Politiker Christian „Bäckerschlange“ Lindner warnt ausgerechnet in der „Blöd am Sonntag“ vor der Verrohung der politischen Kultur.

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