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29.01.2019

Die Toten Hosen und der Kardinal

„Die Toten Hosen sind einfach super: unkonventionell, politisch, sozialkritisch.“
Kardinal Woelki, Kölns Erzbischof

29.01.2019

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich kaum traurig bin... Marginalien über das Ende von "Spex"

Und das Ende der „Spex“? Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich kaum traurig bin...

Das Problem der Zeitschrift im, grob geschätzt, letzten Jahrzehnt ist doch ganz einfach die fehlende Relevanz, und das betrifft Inhalt wie Stil. Klar, Ausnahmen bestätigen die Regel, die Texte von Florian Sievers über afrikanische Kultur habe ich immer gelesen, so etwas findet man in hiesigen Zeitungen und Magazinen viel zu selten (eigentlich nur noch, anders, bei Jonathan Fischer in der Süddeutschen). Und die Kolumnen von Klaus Walter und Diedrich Diederichsen natürlich. Aber wenn im Musikexpress die relevanteren und interessanteren Artikel über etliche Bands erscheinen, hat eine Zeitschrift wie Spex einfach ein Problem, das nicht wegzudiskutieren ist.

Sonst habe ich das Heft meistens nur durchgeblättert, und wenn ich mal einen Artikel angelesen habe, war ich oft genervt von der wichtigtuerischen, das Journalisten-Selbst als hip und cool inszenierenden Schreibe: „In wenigen Tagen ist es soweit, vielleicht geht es sogar schon heute Nachmittag los. Peter Harris erwartet Nachwuchs. Der Geburtstermin wirkt symbolisch, wie der Beginn einer neuen Zeitrechnung: 1.Januar 2019. Mit seinem anderen Baby, dem 2016 lancierten Start-up Resonate, eschäftigt er sich daher aktuell fast nur von zu Hause aus. Das Café in Berlin-Neukölln, das er für ein Treffen um zehn Uhr morgens vorschlägt, heißt Populus...“ und sorry, spätestens da hab ich einfach keine Lust, den Artikel über den Streamingdienst Resonate weiterzulesen. Mich interessiert weder, daß Peter Harris bzw. seine Frau ein Baby bekommt, noch, in welchem Café Harris und der Spex-Autor sich verabreden (klar, daß es in „Berlin-Neukölln“ liegt, wenn schon nicht in Kreuzberg...), noch die Uhrzeit. Das ist einfach Geschwätz und überflüssig. Und ungefähr jeder zweite Artikel in „Spex“ begann in den letzten Jahren so, und das will eben niemand mehr lesen.
„Der Paratext wird zum Haupttext, die Tatsache des Interviews ist eigentlich schon der ganze Text“, analysiert Harun Maye im „Merkur“, und Jens Friebe hat das Problem dieser Sorte von Musikjournalismus im „Spex“-Interview der vorletzten Ausgabe so auf den Punkt gebracht: „Hintergrundgeschichten, oder wie Musiker persönlich sind, haben mich nie so interessiert.“
Und offensichtlich gilt das für viele ehemalige Leser*innen.

Diedrich Diederichsen hat in der Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Hausmeister des Wahnsinns" eine „sehr persönliche Erinnerung" an die Spex verfaßt - ein Text, den ich sehr empfehle, unter anderem, weil er mit dem Blödsinn aufräumt, daß die Spex daran untergegangen ist, daß kein Gatekeeperjournalismus mehr möglich sei. Denn das Hervorragende der "frühreren" Spex (um es mit Gerhard Polt zu sagen) war genau dies:

„Die Leserinnen und Leser nahmen Anteil an den Dramen, von denen wir berichteten, wenn wir über Schallplatten schrieben - sie glichen nicht nur ihren eigenen, unordentlichen, aber erhitzten Szenen eines Lebens mit Artefakten. In Spex wurde gelebt, intensiver als anderswo, dass ein Kunstgespräch (und damit der Kern von Rezeption und die Keimzelle jedes Kulturlebens) aus Urteilen besteht, wohl abgewogenen und kühn hingeworfenen, verantwortungslos präpotenten und geduldig begründeten - und natürlich sind all diese Urteile auf die Dauer haltlos. Das Gespräch aber, das sie ermöglichen, ist - mindestens - der Sinn des Lebens."

Und das Langweilige an der Spex, spätestens seit Max Dax sie runtergerockt hat, ist, daß all das eben mit ganz wenigen Ausnahmen in den letzten Jahren in der Spex kaum mehr zu finden war. Und daß die Album-Rezensionen eben auch nur noch kalkulierbar waren. Weder in der Auswahl der besprochenen Alben, noch in der Sprache der Besprechungen fand sich irgendetwas Exaltiertes, Erhitztes, Dramatisches, Mutiges. Weswegen auch keiner so tun sollte, als ob es ein Verlust ist, daß es Spex ab 2019 nicht mehr geben wird - der Verlust besteht darin, daß es die Spex der 1980er und 1990er Jahre schon seit etlichen Jahren nicht mehr gibt.

Und natürlich ist es immer schade, wenn ein solches Magazin den Bach runtergeht und die Redakteure ihre Arbeitsplätze verlieren, da möchte ich nicht mißverstanden werden. Aber die eigentliche Tragik besteht doch darin, daß wir Musik- und Kulturmagazine benötigen, weil Popkultur ohne kompetente Kritik und Begleitung eben nicht richtig funktioniert. Wire! Les Inrockuptibles!

Aber wenn ich jetzt schon wieder lese, daß es online weitergehen soll, und zwar als Abo, also hinter einer Bezahlschranke. Leute!!! Aufwachen!!! Digital funktioniert nur, wenn ihr attraktive Inhalte kostenlos anbietet, die für die Menschen so wichtig werden, daß sie gerne freiwillig dafür bezahlen. Oder meinetwegen mit einem One-Klick-Bezahlmodell pro Artikel (ohne Abo, ohne komplizierte Anmeldung mit Datentransfer…), den man unbedingt lesen will. Das mit der angeblichen Kostenloskultur im Netz ist nämlich ziemlicher Quatsch – der Guardian z.B. hat mittlerweile über eine Million (!) freiwilliger Supporter (me too…), die jährlich eine bestimmte Summe zahlen, weil ihnen der dort angebotene (und kostenlose) Journalismus wichtig ist. Merke: es beginnt immer bei den Inhalten!

Ich werde jedenfalls nicht vergessen, wie ich in den 1990ern in der Spex eine Rezension von DD über eine schottische Punkband namens Nyah Fearties las, begeistert war, das Label und die Band kontaktierte und die Band mehrere Male auf Tour brachte. So lief das damals, those were the days... Der Sinn des Lebens, wie ihn Diedrich oben beschreibt, ließ sich damals in den Clubs, auf Tourneen fortsetzen. (und ich schau heute noch jeden Montag im Kicker nach, wie Kilmarnock in der schottischen Liga gespielt hat, der erklärte Lieblingsverein der Nyah Fearties)

Und ansonsten habe ich mir via Discogs die LP "New Changes" der mir bis dahin unbekannten Band The Count bestellt - neugierig, wie der „leidenschaftliche" Song "Love, oh Love, of Frustrating Love" klingt, der laut DD Redaktionshymne der damaligen Spex war...


 

29.01.2019

Die ganze Wahrheit über "Spiegel Online"

Schauen wir mal an einem zufällig ausgewählten Tag, nämlich Freitag, 18.1.2019, gegen 9 Uhr morgens, was „Spiegel Online“ so anzubieten hat – eine Auswahl der Schlagzeilen:

„Bumerang aus Peking. Streit zwischen USA und China“
„Riesiger Weißer Hai schwimmt friedlich mit Tauchern“
„Aufgepaßt, es steht ein Blutmond über Deutschland“
„Der Duft des Todes. Mit Calvin-Klein-Parfum auf Tigerjagd“
„Wer hat Schuld an Trump? Gwen Stefani!“
„Urologica und Uhrfalltheorien. Dschungelcamp, Tag 7“
„Was Sie vor einer Kreuzfahrt wissen sollten“
„Viermal die Woche Sex. Ist das realistisch?“
„Wer Siddartha wirklich war“
„Wo die Suiten Stahltüren haben. Hotel Intercontinental Kabul“
„Das hilft gegen Stress-Schmerzen“
„Warum ist Freizeitsport in Deutschland immer so anstrengend?“
„Robert Habeck – Deutschlands grüne Nervensäge“
„Wo ist Betsy? Entlaufene Rodeo-Kuh aus Alaska“
„Prinz Philip in Autounfall verwickelt“
„Bierbrauer wollen Kalorienangaben aufs Etikett drucken“
„In der Dusche auszurutschen, bleibt privates Pech“
„Sind Sie sexuell aktiv? Absurde Fragen im Bewerbungsgespräch“
„Sarah Lombardi fällt verletzt aus. Dancing on Ice“ (das ist übrigens die Headline der Abteilung „Kultur“...)
„Kleinkinder sollen ab dem ersten Zahn zum Zahnarzt“
„Deutschland mit guten Noten – und Nachholbedarf. Integration durch Bildung und Arbeit“
„Möglichst unappetitlich. Die Anti-Foodblogger“
„Die fetten Jahre beginnen jetzt. Autogramm Porsche 911 Carrera 4S“
„Die Jagd nach dem perfekten Körper“
Und natürlich:
„Die deutschen Ballermänner. Handball-Sieg über Serbien“
Deutschland bombardiert wieder einmal Serbien...

Diese sehr besondere Mischung aus Yellow Press, Herzblattgeschichten, irrelevanter Nichtigkeiten, Apotheken-Umschau, Blödzeitung und flapsiger Beliebigkeit nennen sie wahrscheinlich digitalen Qualitätsjournalismus. Mir scheint, Claas Relotius ist noch das kleinste Problem des „Spiegel“...

29.01.2019

Wie Bloger*innen ihre Themen finden

Und wo nehmen Blogger*innen so ihre Themen her?
Falls es keine Erfindung ist, und das weiß man bei Medien der „Spiegel“-Gruppe ja nie so genau, falls also weder die Bloggerin Merve Kayikci noch ihr Interview im „Uni Spiegel“ erfunden ist, „erleichtert ihr diese App das Leben“: Google Trends.
Begründung: „Damit kann ich sehen, welche Themen die Menschen in unterschiedlichen Ländern gerade interessieren und worüber sie sprechen. So kann ich einschätzen, was ich recherchieren und worüber ich schreiben sollte.“
Die Dame ist 24 Jahre alt und studiert Journalismus. Ich würde sagen: vergebens. Aber mit ihrer Einstellung qualifiziert sie sich für eine große Karriere zum Beispiel beim ZDF, die senden auch nur, was die Über-65jährigen gerade interessiert und worüber sie sprechen...

29.01.2019

Unsere imperiale Lebensweise: Wir lassen uns das Fliegen nicht verbieten!

Keine andere Form des Reisens trägt bekanntlich so massiv zum Klimawandel bei wie das Fliegen. Dennoch wird immer mehr geflogen, es werden etliche neue Flughäfen gebaut und das Fliegen mit Steuervergünstigungen staatlich subventioniert – es gehört eben zu unserer imperialen Lebensweise, die wir uns von niemandem, aber auch wirklich niemandem vermiesen lassen.

Inhaltlich ja völlig richtig, aber rechnen können sie bei „Spiegel Online“ nicht:

„Wer einmal nach New York fliegt und zurück, stößt vier Tonnen CO2 aus. Wer eine 130 Quadratmeter große, schlecht gedämmte Altbauwohnung beheizt, 4,6 Tonnen CO2 pro Jahr. Damit liegt dieser Mensch bereits tonnenweise über dem deutschen Durchschnitt, der bei rund elf Tonnen CO2 jährlich liegt.“

4 + 4,6 = größer als 11?!?
Aber wie gesagt, die „klimabesorgten Klimasünder“ sind natürlich eines der Hauptprobleme beim CO2-Ausstoß – „während die Menschen 'bio' kaufen, weniger Fleisch essen und Fahrrad fahren, unterschätzen sie den CO2-Ausstoß durch ihre Fernreisen, ihre schlecht isolierte Wohnung und ihr Auto. Und das sind leider klimatechnisch die Big Points", erklärt Michael Bilharz vom Umweltbundesamt.

Und: Je höher das Einkommen, desto höher der Umweltverbrauch. Und in der repräsentativen Erhebung des Umweltbundesamts von Pro-Kopf-Verbrauch natürlicher Ressourcen in der BRD nach Bevölkerungsgruppen ist auch herausgekommen: Es sind gerade Grünen-Wähler*innen, die am meisten fliegen...

29.01.2019

Der brasilianische Diktator und die Finanzmärkte

Finden Sie den Fehler im ersten Absatz des „SPON“-Artikels zum Amtsantritt von Bolsonaro mit der Überschrift „Rechtspopulist löst Börsenfeuerwerk in Brasilien aus“:

„Brasiliens neuer Präsident Bolsonaro äußert sich frauenverachtend, rassistisch, homophob und er will den Umweltschutz beschneiden. Die Finanzmärkte quittieren seine ersten Tage im Amt trotzdem mit Begeisterung.“

Genau: Es muß natürlich „just deswegen“ heißen, nicht „trotz“...

29.01.2019

"SPON": Der Mond ist eine Scheibe!

Überhaupt „SPON“, die Yellow-Homepage des ehemaligen Nachrichtenmagazins: Zunächst haben sie von der „dunklen“ Seite des Monds gesprochen, wo die chinesische Sonde „Change 4“ gelandet ist. Einen Tag später schrieben sie: „China gelingt erste Landung auf der Rückseite des Monds,“ und dabei bleiben sie, auch am 12.1. schreiben sie wieder von der „Rückseite des Monds“.

Aber ist der Mond nicht rund, wie die Erde? Während doch eher Scheiben oder Blätter Vorder- und Rückseite haben – und der Mond selbst, wenn er darüber entscheiden könnte, vermutlich die von „SPON“ als Rückseite deklarierte Seite wenn überhaupt, dann eher als seine „Vorderseite“ bezeichnen würde.

Nein, was die Leute von „SPON“ meinen, aber nicht zu schreiben in der Lage sind, ist „die der Erde abgewandte Hälfte“ des Mondes. Danke, gerne.

29.01.2019

Galileo Galilei in der Blödzeitung widerlegt - die Sonne dreht sich doch um die Erde!

Konfusion in der Einschätzung von Planeten teilen sich die „SPON“-Leute übrigens mit ihrem Kollegen Franz Josef Wagner von der Blödzeitung; der schreibt am 23.11.2018 in etwas merkwürdigem Deutsch:

„Liebe Lindenstraße,
solange sich die Sonne um die Erde dreht, dachte ich, dass Du bleibst.“

Jetzt produziert der Springer-Konzern schon systemische Fake-News. Sie lügen wirklich wie gedruckt.

29.01.2019

Deutscher Filmpreis, Berliner Preis für Popkultur, Panoptikum der Mittelmäßigkeit

Der Filmkritiker Rüdiger Suchsland beschäftigt sich auf Artechock mit der Longlist für den deutschen Filmpreis und schreibt zornig, daß diese „wieder einmal ein Panoptikum der Mittelmäßigkeit und künstlerischen Bedeutungslosigkeit bietet, dass es zum Himmel schreit. (...) Der deutsche Film according to deutsche Filmakademie ist ein Biotop der Harmlosigkeit und Irrelevanz."

Wohl wahr, genau so etwas fördert die Regierung hierzulande. Und genau das läßt sich an den Kandidat*innen und Preisträger*innen des „Echo“ und des mal als Gegen-Echo inszenierten, diesem an Bräsigkeit und Harmlosigkeit aber kaum mehr nachstehenden Berliner „Preis für Popkultur“ ebenfalls konstatieren. Alles strotzt vor Mittelmäßigkeit und künstlerischer Bedeutungslosigkeit. So etwas passiert halt, wenn Kommerz zum Gütesiegel von Kunst wird.

29.01.2019

Christoph Hein über Donnersmarcks "Das Leben der Anderen" und Hanswurstiaden

In einem interessanten Aufsatz für die „Süddeutsche Zeitung“ erklärt der Schriftsteller Christoph Hein, worin das Problem mit Donnersmarcks „Das Leben der Anderen“ besteht (der auch dann interessant bleibt, wenn man in der „FAZ“ die offenkundigen Fehler in Heins Text berücksichtigt, die Andreas Platthaus aufgedeckt hat). Heins Text bleibt eine Lehrstunde in jüngerer deutscher Geschichte und in Kulturpolitik, Kulturindustrie und Kulturbetrieb:

„Nein, "Das Leben der Anderen" beschreibt nicht die Achtzigerjahre in der DDR, der Film ist ein Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt, vergleichbar mit Tolkiens Mittelerde. (...)
Mein Leben verlief völlig anders. Aber diese Wahrheit ist für ein Melodrama ungeeignet. Um Wirkung zu erzielen, braucht es ein Schwarz-Weiß, werden edle Helden und teuflische Schurken benötigt. Der Regisseur war über den Wunsch, meinen Namen im Vorspann zu streichen, offenbar sehr verärgert und sagte nie wieder, er sei mir unsäglich dankbar. (...)
Weiß ich doch, dass es neben der Wahrheit noch die melodramatische Wahrheit gibt und neuerdings die alternativen Fakten. Hegel sagte, dass alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich zweimal ereignen. Marx fügte hinzu: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Nachzutragen habe ich, dass auch ein dummer Jungenstreich sich wiederholt, und zwar als Hanswurstiade.“

29.01.2019

Filmkritiken als nationale Aufgabe

Der Schauspieler Sebastian Koch dagegen stützt Florian Henckel von Donnersmarck und hält dessen Kritiker*innen auf DLF Corso entgegen: „Was ich fatal finde, das sind (...) Kritiker, die eigentlich den eigenen Ast absägen, auf dem sie sitzen. Es schadet dem deutschen Kino, (...) dem deutschen Film generell.“
Filmkritiker! Eure Kritiken sind eine nationale Aufgabe! Schreibt gefälligst nur Jubelarien über die dumpfen Filme von Donnersmarck! Schließlich haben wir jede Menge Steuergelder in dessen jüngsten Film versenkt. Donnersmarcks jüngster, sehr umstrittener Film „Werk ohne Autor“ wurde laut „FAS“ mit 5,4 Millionen Euro staatlich subventioniert, jede Kinokarte wurde also mit 24,50 Euro Staatskohle gefördert. Wenn da unser Geld drin ist, dann muß der Film gut sein. Schreibt gefälligst positiv darüber!

31.10.2018

Plattenfirmen: Kulturabgabe für günstige Eintrittspreise!

Dieser Tage endlich mal die Dokumentation über die DDR-Plattenfirma Amiga komplett gesehen, die seit Monaten durch die Dritten Programme, 3sat und Phoenix geistert. Nicht uninteressant. Unter anderem erfuhr man, daß die VEB Schallplatten (wie der staatseigene Konzern hieß, der als einziger in der DDR Schallplatten veröffentlichen durfte) jährlich etwa 20 Millionen Schallplatten herausbrachte – alles von Ostrock über Liedermacher, Tanz- und Volksmusik bis hin zu Klassik. Und die VEB Schallplatten hatten jedes Jahr 100 Millionen Mark aus den Erlösen ihrer Schallplattenverkäufe an das Kulturministerium abzuführen, womit die „Hochkultur“ subventioniert wurde, damit alle Bürger*innen daran dank sehr billiger Eintrittskarten Anteil haben konnten – ein niedrigschwelliges Angebot also.

Transponieren wir dieses Modell mal in der Kulturindustrie unserer Tage und stellen wir uns für einen Moment vor, wie es wäre, wenn die Konzerne der deutschen Tonträgerindustrie für jede ihrer CDs, nun, seien wir mal großzügig: nicht fünf Euro, sondern für den Anfang mal einen Euro an den Staat abführen müßten. Bei 76 Millionen Alben, die in Deutschland 2017 verkauft wurden, käme da eine hübsche Summe zusammen. Und die würde dann Konzert- und Opernhäusern, soziokulturellen Zentren und den Clubs zur Verfügung gestellt, damit die Eintrittspreise günstiger werden können. Sagen Sie selbst: das wär doch was, oder?

Es war eben nicht alles schlecht in der DDR...

31.10.2018

Little Old Wine Drinker Me: Weintrinken ist jetzt Popkultur! Sagt der "Rolling Stone"...

Nicht besonders gut war allerdings der DDR-Wein. Klar, es gab ihn in Meißen und in Saale-Unstrut, aber seien wir ehrlich: wenn der Wein damals zu DDR-Zeiten nicht so eine rare Bückware gewesen wäre, hätte sich niemand drum geschert. Denn besonders toll war er nun mal nicht, kein Vergleich mit Weinen aus Franken, dem Rheingau oder von der Mosel. War nun mal so.

Heute ist das Weintrinken sogar ein Teil der Popkultur, wie ich aus einer Einladung des „Rolling Stone“ erfahre: „Deutscher Wein ist nicht nur so gut wie vielleicht noch nie, er ist auch hip und international konkurrenzfähig: Junge Winzer der Generation Riesling haben Weine aus Deutschland in den vergangenen Jahren auf eine komplett neue Qualitätsstufe gehievt. So sind die Weine der jungen deutschen Winzer zu einem stilvoll zelebrierten Teil der Popkultur geworden.“

Echt jetzt?!? Ich mag auch dieses „so“, das jegliche Logik und jeden Zusammenhang souverän ignoriert. Die Weine sind „gut wie vielleicht noch nie“, international konkurrenzfähig (das ist dem Deutschen seit jeher wichtig, wenn er deutsche Produkte konsumiert) und auf einer „komplett neuen Qualitätsstufe“ (was genau genommen das „gut wie nie“ wiederholt) – und deshalb sind sie Teil der Popkultur.
Ach, ich vergaß: „stilvoll zelebrierter Teil der Popkultur“ natürlich. Wie darf man sich das vorstellen? Kopfnicken ist also schon mal nicht mehr, da schwappt der Wein ständig ausm Glas. Tanzen ist sowieso nicht. Weiße Tischdecken, Weinkühler, teure Gläser, und gut gekleidete junge Menschen, prosten sich stilvoll zu, die Männer mit den einschlägigen Holzfällerbärten und den Frisuren ihrer Nazi-Großväter, die Frauen mit Dutt? Mag sein, aber was ist daran „Popkultur“, außer daß Leute, die deutschen Riesling trinken und deutsche Popmusik hören, eben über einen gleich doppelten Distinktionsvorteil verfügen, also über zwei Alleinstellungsmerkmale, wie man heute zu sagen pflegt.

„Die hinter dieser Entwicklung stehende Bereitschaft zur radikalen (!) Innovation vereint die Philosophie der jungen Winzer mit jener der neuen deutschen Pop-Generation“, behauptet der „Rolling Stone“ in seiner Einladung zu „Tasting, Talk & Music“ – worin nun die „radikale“ Innovation besteht, wird nicht verraten, weder was die neuen deutschen Rieslinge noch was die neue deutsche Pop-Generation angeht. Was ist das überhaupt, die „neue deutsche Pop-Generation“? Jüngelchen wie Bosse oder Eloy de Jong? Die sind jedenfalls so langweilig, daß man mit ihnen kein Glas Wein trinken möchte. Die Deutschrapper (was trinken die eigentlich so?) dürften nicht gemeint sein, hier geht es ja um „stilvoll zelebrieren“, also eindeutig obere Mittelschicht, nix Unterschicht (die ja nicht mehr so heißt, siehe oben bei Herrn Habeck), nix Underground. Joris aus der ostwestfälischen Kleinstadt Vlotho vielleicht? Nö, der „schreit energetische und progressive Songs heraus“, wie ich aus der „Musikwoche“ erfahre, der kann also auch nicht gemeint sein mit der „neuen deutschen Pop-Generation“, das Geschrei ist nicht stilvoll (wobei „progressiv“ sich hinwiederum mit den „radikalen“ Winzern vertragen würde).

Ach, Fragen über Fragen. Und dann noch diese: „Wo begegnen sich Kunst und Winzerhandwerk?“ Darf ich lösen: im Weinkeller? Und: „Wie inspirierend wirken sich die Weine der jungen Winzer auf die Musik der neuen Pop-Generation aus?“ Hm, Inspiration ist mir bei der neuen deutschen Pop-Generation noch nicht so richtig aufgefallen – aber vielleicht hat einer einen hippen Wein-Song geschrieben? „Jetzt trink ma noch a Flascherl Wein“ (Paul Hörbiger), „Fein, fein schmeckt uns der Wein“ (Peter Alexander), „Griechischer Wein“ – oh, sorry, der paßt ja nicht, es geht ja um doitschen Wein, nur der ist hip und Popkultur! Verzeihen Sie. Also: „Sieben Fässer Wein“ (Roland Kaiser), all diese Wein-Lieder stammen ja noch aus der Zeit des Blauen Bocks und des Prä-Glykol-Zeitalters. Vielleicht geht es genau darum: Die neue Popkultur braucht einen neuen, hippen Wein-Song! Und das alles ist natürlich ausbaufähig, vielleicht kann einer der arbeitslosen Moderator*innen aus der MTV- und HipHop-Ära übernehmen und eine moderne Version des „Blauen Bocks“ moderieren? Nils Bokelberg (Kalauer, sorry) zum Beispiel – ach nein, der geht ja auch nicht, der ist ja Fritten und Bier, was nun wirklich in Zeiten des hippen Weingetrinkes sowas von uncool ist.

Die Musikumrahmung des „Rolling Stone & Generation Riesling: Tasting, Talk und Music“-Abends werden jedenfalls Tom Schilling & The Jazz Kids übernehmen. Jazz? Im Ernst jetzt? Da sind wir ja wieder bei Rollkragenpullover, Existenzialismus und frühe 1960er Jahre. Darauf ne hippe Weinschorle?

Widersprüche über Widersprüche. Und ich kann sie leider nicht auflösen, denn ich muß jetzt los, noch schnell ne Flasche Weißwein besorgen. Ich denke da an einen Burgunder, ich mag zwar auch Riesling, aber wenn es gerade so hip und Popkultur ist, Riesling zu trinken, bleib ich doch lieber bei meiner Lieblingsweinregion, ich trinke meinen Kram am liebsten ohne Meta-Ebene und ohne „mit Bedeutung aufgeladen“, egal, obs Wein, Gin Tonic, grüner Tee oder Ingwerlimonade ist; vielleicht besorge ich mir einen Mâcon-Villages Blanc, der ist garantiert unhip. Und dann lege ich Robert Mitchums „Little Old Wine Drinker Me“ auf und danach das neue Album von Jens Friebe und dann „Movies“ von Holger Czukay und denke, daß mir die „jungen Winzer der Generation Riesling“ ungefähr so gestohlen bleiben können wie die „neue deutsche Pop-Generation“.
Und bei der zweiten Flasche Burgunder, der ein Roter von meiner Lieblingswinzerin Fanny Sabre sein könnte (ätsch, sowas nenne ich Distinktionsmacht, Kinder!), höre ich dann „Liebe in GROSSEN Städten“ von Jetzt!:

„Die deutsche Musik ist tot,
in ihr (...) ist nichts über das Glück, das wir suchen (...)
und nichts über die Lügen, die wir finden
und nichts über das Leben, das wir leben.“
(Jetzt!, Liebe in GROSSEN Städten 1984-1988)

31.10.2018

Bands, Seele, Verti Hall

Bands und Musiker*innen, die in der Verti Music Hall am Mercedes-Platz in Berlin auftreten, haben die Kontrolle über ihr Leben verloren und ihre Seele verkauft – wenn sie denn jemals sowas hatten: eine Seele, ein Leben...

31.10.2018

Klasse Satz: Morgens festen Boden unter die Füße bekommen!

Sehr schöner Satz:

„Ich rede am Morgen immer nur so daher, um festen Boden unter die Füße zu bekommen. Das habe ich von Bach gelernt.“

(Jan Reichow in seinem sowieso immer lesenswerten und lehrreichen Blog; Reichow spielt darauf an, daß Bach wie jeder Barockkomponist selten ein Stück schrieb, indem er nicht zu allererst die Tonika mit einer Kadenz gefestigt hat. Auch die klassischen indischen Musiker verfahren so und etablieren erstmal den Grundton Sa)

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