Nicht besonders gut war allerdings der DDR-Wein. Klar, es gab ihn in Meißen und in Saale-Unstrut, aber seien wir ehrlich: wenn der Wein damals zu DDR-Zeiten nicht so eine rare Bückware gewesen wäre, hätte sich niemand drum geschert. Denn besonders toll war er nun mal nicht, kein Vergleich mit Weinen aus Franken, dem Rheingau oder von der Mosel. War nun mal so.
Heute ist das Weintrinken sogar ein Teil der Popkultur, wie ich aus einer Einladung des „Rolling Stone“ erfahre: „Deutscher Wein ist nicht nur so gut wie vielleicht noch nie, er ist auch hip und international konkurrenzfähig: Junge Winzer der Generation Riesling haben Weine aus Deutschland in den vergangenen Jahren auf eine komplett neue Qualitätsstufe gehievt. So sind die Weine der jungen deutschen Winzer zu einem stilvoll zelebrierten Teil der Popkultur geworden.“
Echt jetzt?!? Ich mag auch dieses „so“, das jegliche Logik und jeden Zusammenhang souverän ignoriert. Die Weine sind „gut wie vielleicht noch nie“, international konkurrenzfähig (das ist dem Deutschen seit jeher wichtig, wenn er deutsche Produkte konsumiert) und auf einer „komplett neuen Qualitätsstufe“ (was genau genommen das „gut wie nie“ wiederholt) – und deshalb sind sie Teil der Popkultur.
Ach, ich vergaß: „stilvoll zelebrierter Teil der Popkultur“ natürlich. Wie darf man sich das vorstellen? Kopfnicken ist also schon mal nicht mehr, da schwappt der Wein ständig ausm Glas. Tanzen ist sowieso nicht. Weiße Tischdecken, Weinkühler, teure Gläser, und gut gekleidete junge Menschen, prosten sich stilvoll zu, die Männer mit den einschlägigen Holzfällerbärten und den Frisuren ihrer Nazi-Großväter, die Frauen mit Dutt? Mag sein, aber was ist daran „Popkultur“, außer daß Leute, die deutschen Riesling trinken und deutsche Popmusik hören, eben über einen gleich doppelten Distinktionsvorteil verfügen, also über zwei Alleinstellungsmerkmale, wie man heute zu sagen pflegt.
„Die hinter dieser Entwicklung stehende Bereitschaft zur radikalen (!) Innovation vereint die Philosophie der jungen Winzer mit jener der neuen deutschen Pop-Generation“, behauptet der „Rolling Stone“ in seiner Einladung zu „Tasting, Talk & Music“ – worin nun die „radikale“ Innovation besteht, wird nicht verraten, weder was die neuen deutschen Rieslinge noch was die neue deutsche Pop-Generation angeht. Was ist das überhaupt, die „neue deutsche Pop-Generation“? Jüngelchen wie Bosse oder Eloy de Jong? Die sind jedenfalls so langweilig, daß man mit ihnen kein Glas Wein trinken möchte. Die Deutschrapper (was trinken die eigentlich so?) dürften nicht gemeint sein, hier geht es ja um „stilvoll zelebrieren“, also eindeutig obere Mittelschicht, nix Unterschicht (die ja nicht mehr so heißt, siehe oben bei Herrn Habeck), nix Underground. Joris aus der ostwestfälischen Kleinstadt Vlotho vielleicht? Nö, der „schreit energetische und progressive Songs heraus“, wie ich aus der „Musikwoche“ erfahre, der kann also auch nicht gemeint sein mit der „neuen deutschen Pop-Generation“, das Geschrei ist nicht stilvoll (wobei „progressiv“ sich hinwiederum mit den „radikalen“ Winzern vertragen würde).
Ach, Fragen über Fragen. Und dann noch diese: „Wo begegnen sich Kunst und Winzerhandwerk?“ Darf ich lösen: im Weinkeller? Und: „Wie inspirierend wirken sich die Weine der jungen Winzer auf die Musik der neuen Pop-Generation aus?“ Hm, Inspiration ist mir bei der neuen deutschen Pop-Generation noch nicht so richtig aufgefallen – aber vielleicht hat einer einen hippen Wein-Song geschrieben? „Jetzt trink ma noch a Flascherl Wein“ (Paul Hörbiger), „Fein, fein schmeckt uns der Wein“ (Peter Alexander), „Griechischer Wein“ – oh, sorry, der paßt ja nicht, es geht ja um doitschen Wein, nur der ist hip und Popkultur! Verzeihen Sie. Also: „Sieben Fässer Wein“ (Roland Kaiser), all diese Wein-Lieder stammen ja noch aus der Zeit des Blauen Bocks und des Prä-Glykol-Zeitalters. Vielleicht geht es genau darum: Die neue Popkultur braucht einen neuen, hippen Wein-Song! Und das alles ist natürlich ausbaufähig, vielleicht kann einer der arbeitslosen Moderator*innen aus der MTV- und HipHop-Ära übernehmen und eine moderne Version des „Blauen Bocks“ moderieren? Nils Bokelberg (Kalauer, sorry) zum Beispiel – ach nein, der geht ja auch nicht, der ist ja Fritten und Bier, was nun wirklich in Zeiten des hippen Weingetrinkes sowas von uncool ist.
Die Musikumrahmung des „Rolling Stone & Generation Riesling: Tasting, Talk und Music“-Abends werden jedenfalls Tom Schilling & The Jazz Kids übernehmen. Jazz? Im Ernst jetzt? Da sind wir ja wieder bei Rollkragenpullover, Existenzialismus und frühe 1960er Jahre. Darauf ne hippe Weinschorle?
Widersprüche über Widersprüche. Und ich kann sie leider nicht auflösen, denn ich muß jetzt los, noch schnell ne Flasche Weißwein besorgen. Ich denke da an einen Burgunder, ich mag zwar auch Riesling, aber wenn es gerade so hip und Popkultur ist, Riesling zu trinken, bleib ich doch lieber bei meiner Lieblingsweinregion, ich trinke meinen Kram am liebsten ohne Meta-Ebene und ohne „mit Bedeutung aufgeladen“, egal, obs Wein, Gin Tonic, grüner Tee oder Ingwerlimonade ist; vielleicht besorge ich mir einen Mâcon-Villages Blanc, der ist garantiert unhip. Und dann lege ich Robert Mitchums „Little Old Wine Drinker Me“ auf und danach das neue Album von Jens Friebe und dann „Movies“ von Holger Czukay und denke, daß mir die „jungen Winzer der Generation Riesling“ ungefähr so gestohlen bleiben können wie die „neue deutsche Pop-Generation“.
Und bei der zweiten Flasche Burgunder, der ein Roter von meiner Lieblingswinzerin Fanny Sabre sein könnte (ätsch, sowas nenne ich Distinktionsmacht, Kinder!), höre ich dann „Liebe in GROSSEN Städten“ von Jetzt!:
„Die deutsche Musik ist tot,
in ihr (...) ist nichts über das Glück, das wir suchen (...)
und nichts über die Lügen, die wir finden
und nichts über das Leben, das wir leben.“
(Jetzt!, Liebe in GROSSEN Städten 1984-1988)