Und das Ende der „Spex“? Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, daß ich kaum traurig bin...
Das Problem der Zeitschrift im, grob geschätzt, letzten Jahrzehnt ist doch ganz einfach die fehlende Relevanz, und das betrifft Inhalt wie Stil. Klar, Ausnahmen bestätigen die Regel, die Texte von Florian Sievers über afrikanische Kultur habe ich immer gelesen, so etwas findet man in hiesigen Zeitungen und Magazinen viel zu selten (eigentlich nur noch, anders, bei Jonathan Fischer in der Süddeutschen). Und die Kolumnen von Klaus Walter und Diedrich Diederichsen natürlich. Aber wenn im Musikexpress die relevanteren und interessanteren Artikel über etliche Bands erscheinen, hat eine Zeitschrift wie Spex einfach ein Problem, das nicht wegzudiskutieren ist.
Sonst habe ich das Heft meistens nur durchgeblättert, und wenn ich mal einen Artikel angelesen habe, war ich oft genervt von der wichtigtuerischen, das Journalisten-Selbst als hip und cool inszenierenden Schreibe: „In wenigen Tagen ist es soweit, vielleicht geht es sogar schon heute Nachmittag los. Peter Harris erwartet Nachwuchs. Der Geburtstermin wirkt symbolisch, wie der Beginn einer neuen Zeitrechnung: 1.Januar 2019. Mit seinem anderen Baby, dem 2016 lancierten Start-up Resonate, eschäftigt er sich daher aktuell fast nur von zu Hause aus. Das Café in Berlin-Neukölln, das er für ein Treffen um zehn Uhr morgens vorschlägt, heißt Populus...“ und sorry, spätestens da hab ich einfach keine Lust, den Artikel über den Streamingdienst Resonate weiterzulesen. Mich interessiert weder, daß Peter Harris bzw. seine Frau ein Baby bekommt, noch, in welchem Café Harris und der Spex-Autor sich verabreden (klar, daß es in „Berlin-Neukölln“ liegt, wenn schon nicht in Kreuzberg...), noch die Uhrzeit. Das ist einfach Geschwätz und überflüssig. Und ungefähr jeder zweite Artikel in „Spex“ begann in den letzten Jahren so, und das will eben niemand mehr lesen.
„Der Paratext wird zum Haupttext, die Tatsache des Interviews ist eigentlich schon der ganze Text“, analysiert Harun Maye im „Merkur“, und Jens Friebe hat das Problem dieser Sorte von Musikjournalismus im „Spex“-Interview der vorletzten Ausgabe so auf den Punkt gebracht: „Hintergrundgeschichten, oder wie Musiker persönlich sind, haben mich nie so interessiert.“
Und offensichtlich gilt das für viele ehemalige Leser*innen.
Diedrich Diederichsen hat in der Süddeutsche Zeitung unter dem Titel „Hausmeister des Wahnsinns" eine „sehr persönliche Erinnerung" an die Spex verfaßt - ein Text, den ich sehr empfehle, unter anderem, weil er mit dem Blödsinn aufräumt, daß die Spex daran untergegangen ist, daß kein Gatekeeperjournalismus mehr möglich sei. Denn das Hervorragende der "frühreren" Spex (um es mit Gerhard Polt zu sagen) war genau dies:
„Die Leserinnen und Leser nahmen Anteil an den Dramen, von denen wir berichteten, wenn wir über Schallplatten schrieben - sie glichen nicht nur ihren eigenen, unordentlichen, aber erhitzten Szenen eines Lebens mit Artefakten. In Spex wurde gelebt, intensiver als anderswo, dass ein Kunstgespräch (und damit der Kern von Rezeption und die Keimzelle jedes Kulturlebens) aus Urteilen besteht, wohl abgewogenen und kühn hingeworfenen, verantwortungslos präpotenten und geduldig begründeten - und natürlich sind all diese Urteile auf die Dauer haltlos. Das Gespräch aber, das sie ermöglichen, ist - mindestens - der Sinn des Lebens."
Und das Langweilige an der Spex, spätestens seit Max Dax sie runtergerockt hat, ist, daß all das eben mit ganz wenigen Ausnahmen in den letzten Jahren in der Spex kaum mehr zu finden war. Und daß die Album-Rezensionen eben auch nur noch kalkulierbar waren. Weder in der Auswahl der besprochenen Alben, noch in der Sprache der Besprechungen fand sich irgendetwas Exaltiertes, Erhitztes, Dramatisches, Mutiges. Weswegen auch keiner so tun sollte, als ob es ein Verlust ist, daß es Spex ab 2019 nicht mehr geben wird - der Verlust besteht darin, daß es die Spex der 1980er und 1990er Jahre schon seit etlichen Jahren nicht mehr gibt.
Und natürlich ist es immer schade, wenn ein solches Magazin den Bach runtergeht und die Redakteure ihre Arbeitsplätze verlieren, da möchte ich nicht mißverstanden werden. Aber die eigentliche Tragik besteht doch darin, daß wir Musik- und Kulturmagazine benötigen, weil Popkultur ohne kompetente Kritik und Begleitung eben nicht richtig funktioniert. Wire! Les Inrockuptibles!
Aber wenn ich jetzt schon wieder lese, daß es online weitergehen soll, und zwar als Abo, also hinter einer Bezahlschranke. Leute!!! Aufwachen!!! Digital funktioniert nur, wenn ihr attraktive Inhalte kostenlos anbietet, die für die Menschen so wichtig werden, daß sie gerne freiwillig dafür bezahlen. Oder meinetwegen mit einem One-Klick-Bezahlmodell pro Artikel (ohne Abo, ohne komplizierte Anmeldung mit Datentransfer…), den man unbedingt lesen will. Das mit der angeblichen Kostenloskultur im Netz ist nämlich ziemlicher Quatsch – der Guardian z.B. hat mittlerweile über eine Million (!) freiwilliger Supporter (me too…), die jährlich eine bestimmte Summe zahlen, weil ihnen der dort angebotene (und kostenlose) Journalismus wichtig ist. Merke: es beginnt immer bei den Inhalten!
Ich werde jedenfalls nicht vergessen, wie ich in den 1990ern in der Spex eine Rezension von DD über eine schottische Punkband namens Nyah Fearties las, begeistert war, das Label und die Band kontaktierte und die Band mehrere Male auf Tour brachte. So lief das damals, those were the days... Der Sinn des Lebens, wie ihn Diedrich oben beschreibt, ließ sich damals in den Clubs, auf Tourneen fortsetzen. (und ich schau heute noch jeden Montag im Kicker nach, wie Kilmarnock in der schottischen Liga gespielt hat, der erklärte Lieblingsverein der Nyah Fearties)
Und ansonsten habe ich mir via Discogs die LP "New Changes" der mir bis dahin unbekannten Band The Count bestellt - neugierig, wie der „leidenschaftliche" Song "Love, oh Love, of Frustrating Love" klingt, der laut DD Redaktionshymne der damaligen Spex war...