Sehr gefreut habe ich mich beim Durchblättern der aktuellen Ausgabe des „Rolling Stone“. In einer großen Titelgeschichte (auf dem Cover: Johnny Cash, passend zu seiner aktuellen Tournee sozusagen) geht es um die „50 besten Country-Alben“, und das Genre versteht das Magazin erfreulich offen, also eher „Americana“ als „Country“. Verschiedene Autor*innen haben jeweils fünf Alben ausgewählt.
Ich bin sowieso immer gerührt, wenn ich Townes Van Zandt erwähnt sehe, aber bei Arne Willanders Auswahl lese ich neben den Palace Brothers („There Is No-One What Will Take Care Of You“, was war das für ein großes Album, und wie lange darf ich nun schon mit Bonnie ‚Prince’ Billy zusammenarbeiten...), Ween und Elvis Presley: Souled American!
Souled American’s „Sonny“ hält Willander also für eines der besten „Country“-Alben.
Souled American? Kennt die noch jemand?
Ich habe deren (bisher?) letzte Europatournee veranstaltet, es ist ewig her, solange, daß wir damals noch nicht mal mit Excel-Tourneefiles gearbeitet haben, es muß also in den späten Neunziger Jahren gewesen sein. Die Tournee war, geschäftlich gesehen, ein Flop – ich sollte für derartige Tourneen, für derartige Musik vielleicht den Begriff „Unpop“-Musik einführen. Unpop im Sinne von „unpopulär“ – denn unpopuläre Konzerte und Tourneen gab und gibt es sonder Zahl. Bei Souled American kamen, wenn ich das recht erinnere, zwischen 20 und 50 Fans pro Abend. Ähnlich wenige waren es damals bei Smog oder bei Southern Culture On The Skids, und bei den Czars, der Band eines gewissen John Grant, waren es eher noch weniger damals in den Neunzigern. Bei der ersten Tournee von Lambchop haben wir in Berlin 65 Karten verkauft, bei ihrer zweiten Berlin-Show waren es 80. Ein Flop, geschäftlich gesehen. Unpop-Musik (die im Fall eines John Grant und von Lambchop erfreulicherweise dann doch noch um einiges populärer wurde)
Aber musikalisch waren all diese Tourneen: eine Offenbarung!
Souled American hatten ewig geprobt (und wer sich ein wenig mit dieser Band, die nun schon seit mehr als 20 Jahren ein neues Album ankündigt, beschäftigt hat, weiß, daß „ewig“ in diesem Fall tatsächlich „ewig“ heißt). Bei einem Treffen in Chicago hatte ich Chris Grigoroff und Joe Adducci erzählt, daß ihre Version von „Rock That Cradle Lucy“ einer meiner Lieblingstracks auf dem „Sonny“-Album sei, und Chris meinte, „auweiah, der Song ist schwer zu spielen, da müssen wir ganz schön proben, um den live hinzubekommen“, aber sie spielten mir zuliebe auf der Tour den Song (jedenfalls bei jedem Konzert, das ich besuchte), und sprachen mich nach dem Konzert jedesmal stolz grinsend darauf an, „haste gehört“...
Souled American waren auf Tour ein echter Kindergarten – und zwar nicht in dem Sinn, den Tourmanager gern und nicht ganz zu Unrecht verwenden, wenn sie von Bands on tour reden, also „Kindergarten“, der nur schwer einzuhegen ist usw. Nein, sie waren ein Kindergarten, weil sie sich für ihre Musik begeisterten wie kleine Kinder, die diese Musik zum ersten Mal erleben – nach jeder Show erzählten sie sich stundenlang, was ihnen an ihrer Musik und ihren Versionen aufgefallen war – „haste gemerkt, wie ich das und das heute gespielt habe?“, so in der Art. Sie waren begeisterte und leidenschaftliche Musiker, und ihre Konzerte waren das pure Glück (und glücklich dürften auch alle Dope-Händler entlang ihrer Route geworden sein...), und das galt für das endlose Stimmen ihrer Instrumente ganz genauso wie für die Stücke selbst (und mitunter war das sowieso nicht genau auseinanderzuhalten).
Willander schreibt über Souled American: „Diese drei Amerikaner machten sich einen kleinen Namen damit, daß sie die verschlurftesten Langschläfer-Counrty-Oden spielten. (...) Sie entschleunigten Trauerlieder noch spektakulärer als bald Uncle Tupelo und Lambchop.“
Was ist Popmusik? Zählt Popularität, wie der Begriff uns suggerieren möchte? Die Menge kann nicht irren? Oder zählt nicht vielmehr das Glück, das diese Musik uns in ihren besten Momenten verschaffen kann? Und dieser Zauber ist letztlich unabhängig von der Zahl der Menschen, mit denen man ihn teilen kann (mal abgesehen davon, daß man sich als Konzert- oder Tourneeveranstalter ein wenig besser fühlt, wenn man bei einem Konzert nicht allzu viel Geld verliert).
Ich kenne die Hälfte der zehn Menschen, die vor gut zwanzig Jahren beim Auftritt des Boxhead Ensemble (u.a. mit Doug McCombs, Jim White...) in Berlin mit dem Stummfilm „Dutch Harbour“ im Konzert saßen, persönlich – das war finanziell gesehen ein ziemlicher Reinfall, to say the least. Aber der Berliner Konzertveranstalter erzählt mir heute noch mit großen Augen und voller Begeisterung von dem magischen Abend...
Manchmal ist eben es die Unpop-Musik, die uns wirklich bewegt.
Und in diesem Sinne sind Souled American eine der wunderbarsten Bands überhaupt, und ihr Album „Sonny“ gehört völlig zu Recht in die Liste der 50 besten Country-Alben aller Zeiten.
Danke, Arne Willander!