Im Rahmen eines Kölner
Abonnementkonzerts von Concerto Köln spielte der in England lebende iranische
Cembalist Mahan Esfahani neben Werken von Johann Sebastian und Carl Philipp
Emanuel Bach auch Werke von Fred Frith und Steve Reich. Bei seiner
Interpretation von „Piano Phase“ von Steve Reich kam es zum Skandal. Piano
Phase ist eine minimalistische Komposition von 1967, zwei „Klangfäden“ aus
stets wiederholten kurzen Tonfolgen in h-moll driften, da sie in geringfügig
unterschiedlichen Tempi gespielt werden, auseinander, wodurch es zu immer neuen
Interferenzen kommt. Esfahani spielte eine Tonfolge an seinem Cembalo, die
andere kam vom Tonband, er hatte sie vorher eingespielt. Ein interessantes
Stück Minimalismus.
Doch das Stück konnte in der
Domstadt nicht zu Ende aufgeführt werden. Teile des Publikums lachten,
klatschten, pfiffen und machten andere Geräusche, nach etwa sechs Minuten des
circa sechzehn Minuten langen Stücks so laut, daß der Cembalist seine
Darbietung abbrechen mußte. Esfahani fragte das Publikum: „Why are you afraid?“
Warum und wovor haben Sie Angst? Der pöbelnde Anteil des Publikums antwortete:
„Reden Sie gefälligst deutsch!“ Denn, Merke: in der Kölner Philharmonie wird
immer noch deutsch gesprochen. Das wird man einem aus dem Iran dahergelaufenen
Cembalisten ja wohl noch sagen dürfen.
Was ist nun das Besondere
an diesem Vorfall? Pegida im klassischen Konzertsaal? Gemach. Es ging um eine
Art „Machtdemonstration jener
Kulturbürger, denen der Sonntagnachmittag heilig ist“ (Arthur Buckow). Hier
haben sich konservative Wutbürger erregt, die Angst vor Veränderung, Angst vor
Neuem haben, selbst wenn das Neue schon fast fünfzig Jahre alt sein mag. Dieser
Reflex ist nicht neu; neu ist lediglich, daß sich diese konservativen Lümmel mit
ihrem reaktionären Gepöbel jetzt aus der Anonymität des bürgerlichen
Stillseins, das in den Konzertsälen
Brauch ist, hervorwagen wie die Ratten aus ihren Löchern. Ermöglicht wird
solcherart Pöbelei vom medialen Grundton, der seit dem sogenannten „Flüchtlingsproblem“
in den bürgerlichen Medien regiert und von Leuten wie Sloterdijk oder Safranski
orchestriert wird, also dieser antimodern, antizivilisatorisch und
fremdenfeindlich wabernde Sound, der mittlerweile auch aus Suhrkamp-Bändchen
quillt.
Und es ist natürlich kein
Zufall, daß derartige antimoderne Machtdemonstrationen ausgerechnet in Köln
stattfinden. Dazu, wie die Stadt Köln den öffentlichen Raum kapitalisiert und
zur Bühne privater Events abgewirtschaftet hat, hat Felix Klopotek im März-Heft
von „Konkret“ alles Notwendige gesagt. Dazu passen letztlich die jüngsten
Schlagzeilen aus Köln, die von einem „Abi-Krieg“ rivalisierender Gymnasien
berichten, der derart außer Kontrolle geraten ist, daß sogar Jugendliche schwer
am Kopf verletzt wurden. „Überrascht
haben mich die Ausschreitungen in Köln nicht“, sagt laut „FAZ“ die
Kulturwissenschaftlerin Katrin Bauer, die erklärt, daß „in keiner anderen Stadt die Schüler so extrem rivalisieren“ (ich
frage mich übrigens, warum die Medien, die über diesen Kölner Abi-Krieg
berichten, diesmal darauf verzichten, die Religionszugehörigkeit der Schüler zu
erwähnen, wie das sonst in Köln doch mittlerweile üblich zu sein scheint; nun,
die meisten der am Abi-Krieg beteiligten Schüler dürften christlichen Glaubens
sein – es ist halt so eine Sache mit den abendländischen Werten...).
Es ist außerdem wohl kein Zufall,
daß die neokonservativen Mutbürger gerade in der Kölner Philharmonie die
Aufführung eines modernen (nicht einmal zeitgenössischen) Werkes sprengen. Es
wundert mich, daß keiner der sachkundigen Feuilletonisten darauf hingewiesen
hat, daß dieses Beispiel just in Köln eine gewisse Tradition hat: „Der
wunderbare Mandarin“ von Béla Bartók wurde vor neunzig Jahren, im November
1926, in der Oper Köln uraufgeführt. Es gab einen riesigen Skandal. Der „Kölner
Stadt-Anzeiger“ schrieb seinerzeit von „aus
dem Orchesterraum hervorbrechenden Geräuschen“ und einer „widerlichen Handlung“, sodaß „die Räume durch ein gelinde gesagt
minderwertiges Werk entweiht wurden“. Das Publikum erregte sich, es „erschollen hundertfältig und minutenlang
die Rufe Pfui! Gemeinheit! Skandal!“Die Erstaufführung des
Bartók-Werkes in Köln war 1926 auch gleichzeitig seine Letztaufführung: Kölns
Oberbürgermeister Konrad Adenauer (genau, der spätere Bundeskanzler der BRD)
ordnete an, daß „Der wunderbare Mandarin“ sofort vom Spielplan zu nehmen sei.
Das vermeintlich Skadalöse sprach sich europaweit herum, sodaß zu Bartóks
Lebzeiten mit einer Ausnahme (1927 in Prag) das Ballett in Europa nicht mehr
aufgeführt wurde (siehe Stefan Fricke, in „Musik. Politik?“, Köln 2015). „Sie haben es getan
und sie werden es jederzeit wieder tun, wenn es ihnen gestattet wird“, schrieb der Schriftsteller Hans Frick 1965 in seinem
Debütroman „Breinitzer oder Die andere Schuld“ über die Bundesrepublik
Deutschland (ein Roman, über den Jörg Fauser 1979 sagte: „Ich weiß, daß es in meinem Land nur einige wenige Schriftsteller gibt,
die das Papier wert sind, auf dem ihre Bücher gedruckt werden. Einer von ihnen
ist Hans Frick.“ Wundert uns, daß Hans Frick heute praktisch vergessen ist,
während „der Betrieb“ seine einschlägigen Nudeln wie Ronja von Rönne rauf und
runter dudelt? Lesen Sie den Nachruf
auf Hans Frick, den Franz Dobler geschrieben hat, oder noch besser: Lesen Sie
seine Bücher, zum Beispiel „Breinitzer“ oder „Die blaue Stunde“).
Doch wollen wir
nicht so tun, als ob diese antimoderne Grundhaltung aus der Kölner
Philharmonie, die verlangt, daß alles unbedingt so bleiben solle, wie man es gewohnt
ist, auf Köln und die Klassik-Szene beschränkt sei. Wir erinnern uns: Als
letztes Jahr Kanye West, sicher einer der interessantesten und innovativsten
Musiker unserer Zeit, fürs altehrwürdige Glastonbury-Festival gebucht wurde,
ging ein Aufschrei durch Großbritannien, es gab Petitionen, es sei „eine
Beleidigung für Musikfans in aller Welt“, wenn Kanye West in Glastonbury
spiele, man solle ihn streichen und durch eine Rockband ersetzen. Und bei einer
Abstimmung auf „Spiegel Online“ fanden auch hierzulande 93,75% der Teilnehmer,
der schwarze Hip-Hop-Star habe auf dem Festival nichts verloren... Und der in
einem vergangenen Rundbrief bereits zitierte Schreiberling der „Süddeutschen
Zeitung“, der in seinem Lemmy Kilmister-Nachruf bedauerte, daß es so „alte
Rocker“ wie Helmut Schmidt nicht mehr gebe und der es schaffte, den
Wehrmachtsoffizier, Nachrüstungs- und Atomkraft-Freund in einem Atemzug mit Lou
Reed, David Bowie und Lemmy Kilmister unterzubringen, erging sich im gleichen
Qualitätspresse-Artikel in Ergüssen gegen HipHop, weil quasi alle schwarzen
Rapper per se „irre doof“ und „frauenfeindlich“ seien („Eines Tages werden wir allein sein mit frauenfeindlichen Rappern, die
irre doof sind, keinen Spaß verstehen und mit schweren Goldketten die Gebisse
ihrer Feinde einschlagen“).So ist
das mit den Verteidigern von weißen Männern, die Rockmusik spielen. Fans von
Rockmusik können genauso antimodern und reaktionär sein wie die Besucher von
Kölner Klassikkonzerten...