28.10.2015

Album-Charts: Kastelruther Spatzen, Janet Jackson, Streaming...

Und was war jetzt da los? Auf Platz 1 der offiziellen deutschen
Album-Charts thronen nicht Sido, nicht Pur, nicht Helene Fischer und schon erst
recht nicht Avicii, Iron Maiden, die Editors oder Janet Jackson, sondern: die
Kastelruther Spatzen!!!Wie kommt denn sowas?Es gibt eine einfache Erklärung: Generell werden immer weniger Alben
verkauft, also weniger CDs, weniger LPs, weniger Downloads. Die deutsche
Tonträgerindustrie weigert sich seit jeher, absolute Verkaufszahlen zu nennen,
anders als die US-amerikanischen oder britischen Charts erfahren wir also nur
relative Plazierungen, keine wirklichen Zahlen. Denn wenn Sie wüßten, wieviele
bzw. wie wenige Alben auch von hoch in den Charts platzierten Künstlern
tatsächlich verkaufen – Sie würden nur den Kopf schütteln und sagen, was soll denn
das dann noch.Dies gilt vor allem für die Musik, die die jungen Menschen hören. Dort
wird gestreamt, was das Zeug hält, und so, wie längst viel mehr unter 30jährige
YouTube schauen als alle öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramme zusammen, so hören
die unter 30jährigen ihre Musik eben im Stream, bei YouTube, Spotify & Co.
Sie kaufen einfach keine sogenannten physischen Tonträger mehr.

Doch es gibt Ausnahmen: Und das gilt für Nischenprodukte, die nicht
gegensätzlicher sein könnten. Die Käufer der Schlagerrockmusik, die gemeinhin
als „volkstümlich“ bezeichnet wird, sind natürlich keine Fans der modernen
Welt, sind keine Digitalfreaks, sondern kaufen ihre Tonträger schön brav als
CD. Und zwar so gut wie alle Fans dieser Musik. Bedeutet, daß eine in etwa gleich
bleibende Zahl von KäuferInnen Tonträger von Bands wie den Kastelruther Spatzen
kauft, während Musik des Pop- und Rock-Mainstreams, vor allem aber Musik, die
junge Menschen hören, weniger bis kaum noch gekauft wird. Bedeutet: die einen
haben konstante Verkaufszahlen, die anderen deutlich geringere, was dazu führt,
daß man mit der in etwa gleichbleibenden Zahl von Käufern plötzlich als
Kastelruther Spatzen auf Platz 1 der deutschen Album-Charts stehen kann.Dies gilt übrigens in ähnlichem Ausmaß auch für die Hörer
anspruchsvoller Indie-Musik. Auch hier haben wir es mit einigermaßen konstanten
Käuferzahlen zu tun, Fans, die ihren Bands die Treue halten. Was dazu führt,
daß Bands, die früher eher nur auf hinteren Positionen der Album-Charts zu
finden waren (wenn überhaupt), plötzlich unter den Top 10 zu finden sind.Und herausragende Jazz-Alben wie „The Epic“ von Kamasi Washington
schaffen den Wiedereinstieg in die Albumcharts auf Platz 32, wenn ihre Musik
auf Vinyl erscheint; im Sommer, bei Erscheinen der CD-Version, gelang Kamasi
Washington schon einmal der Charts-Einstieg, seinerzeit auf Platz 47. Die
realen Verkaufszahlen sind o.k., aber nicht höher als früher – nur reichen
diese Verkaufszahlen heutzutage eben für höhere Charts-Platzierungen.Das Gegenteil kann man bei Musik beobachten, die früher die Albumcharts
dominiert hat, bei Musik, die in den Feuilletons und Musikmagazinen nach wie
vor ausführlichst gefeatured wird, Alben, für die die Plattenfirmen irrsinnig
teure Werbekampagnen mit Anzeigen und bundesweiten Plakatierungen finanzieren –
was aber alles nichts nützt. Das neue Album von Janet Jackson ist etwa auf
Platz 34 in den Charts eingestiegen, also trotz millionenschwerer Werbekampagne
und embedded Berichten der Zeitungen und Magazine noch hinter dem Jazzer Kamasi
Washington. Und selbst das neue Album von Keith Richards schaffte es nur eine
Woche auf Platz 3 und ist zwei Wochen später bereits auf Platz 16, also in die
Zone kommerzieller Bedeutungslosigkeit abgerutscht.

Was lernen wir daraus? Das „Verkaufs-Paradigma“, wie Bob Lefsetz es
nennt, ist heutzutage bedeutungslos. Es ist irrelevant, wenn Künstler zehn
gute, selbst geschriebene Songs aufnehmen (wir reden hier nicht von
künstlerischer Relevanz, und wir reden nicht von den old school-Freaks, die
tolle Musik auf Vinyl kaufen, oder von den Schlagerrock-Fans, die sich ihre
Kastelruther Spatzen auf CD besorgen; wir reden von Charts-Musik!). Es kommt
darauf an, einen tollen Song hinzubekommen. Und der wird gehört. Millionenfach.
Zigmillionenfach. Dort, wo die Musik spielt: im Stream!Und wenn man sich die Streaming-Charts anschaut, erfährt man noch etwas,
was interessant ist: Die Fans vertrauen Künstlern, deren Hits sie lieben. „Acts
become bigger than their singles“ (Lefsetz). The Weeknd hat sechs Songs in den
US-Top 50 von Spotify – wie es den Beatles in den 1960er Jahren gelang. Nur:
heute bekommt The Weeknd für jedes Anhören seiner Singles Geld, die Beatles
bekamen es seinerzeit nur einmal beim Verkauf einer LP. Und jetzt raten Sie
mal, mit welchem Modell mehr Geld verdient wird. Und Lyor Cohens Fetty Wap hat
fünf Tracks in den Top 50 von Spotify USA. Fetty was? Und auch Drake hat fünf
Songs in den Top 50, Ed Sheeran immerhin drei.Die Künstler werden also heutzutage „gezwungen“, wieder Konzerte zu
spielen, weil der Tonträgermarkt zusammengebrochen ist – ach ja? Tatsächlich?!?
Wer so etwas schreibt, hat einfach keine Ahnung. Fast alle erfolgreichen Acts,
die mit Streaming Millionen verdienen, spielen auch zahlreiche Konzerte. Und
gleichzeitig gibt es Bands, die in den Charts kaum eine Rolle spielen (ob in
den deutschen Album- oder in den US-Spotify-Charts), die aber ein großes und
treues Live-Publikum haben. Musterbeispiel: die Rolling Stones. Oder Madonna.
Wahrscheinlich auch Janet Jackson, die 2016 nach Deutschland kommen wird.Manchmal lohnt es sich, die Charts näher zu betrachten.

28.10.2015

Jugendangebot von ARD & ZDF

Das Staatsfernsehen gibt nicht auf. Nur eine Minderheit sieht noch die
Programme von ARD und ZDF, und unter den 14- bis 29-Jährigen sehen wesentlich
mehr YouTube als ARD und ZDF und all ihre Satellitensender zusammen. Doch wer
auf einem Geldbatzen von 8,324 Milliarden Euro jährlich sitzt und jetzt für
sein fabelhaftes Programm sogar noch mehr Geld fordert (die ARD will 396
Millionen zusätzlich, das ZDF 383 Millionen!), dem ist die Realität natürlich
schnurz. Also haben die Ministerpräsidenten der Bundesländer jetzt einmütig
beschlossen, daß es ein „junges
Programmangebot von ARD und ZDF“ geben soll – im Internet! „Zielgruppe“ sind laut „SPON“ „die 14- bis 29-Jährigen. Als Gesamtbudget
sind rund 45 Millionen Euro für das gemeinsame Online-Jugendangebot von ARD und
ZDF vorgesehen.“

„Das ist ein guter
Tag für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk“, jubelt denn auch die rheinland-pfälzische
Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Fürs Staatsfernsehen mags ein „guter
Tag“ sein, für uns alle ists ein trüber Tag. Denn wie wollen denn ausgerechnet
ARD und ZDF ein Programmangebot bereitstellen, das ausgerechnet jungen Menschen
gefällt? Rosamunde Pilcher als Comic? Nonnen-Sendungen als Live-Chat? Nervtötende
Plapperformate und ein Überangebot an deprimierenden Unterhaltungs-Shows von
Andrea Berg bis Andrea Kiwi Kiewel  
sehen wir bereits mehr als genug. Nun wollen die Fernsehverantwortlichen
und die Politiker ihre Verblödungsmaschine also auch aufs Internet ausdehnen.
Steht zwar nicht im Rundfunkstaatsvertrag, aber macht man eben ein neues
Gesetz. Wir lassen es uns ja gefallen.Und so werden wir dann ein „crossmediales“ „junges Angebot“ für rund 45
Millionen Euro jährlich erhalten. Auf daß uns der öffentlich-rechtliche
Schwachsinn auch noch im Internet verfolgt. „Um Himmels Willen!“

28.10.2015

Rach 3, Depp 1

Klassik-Musikjournalismus at it’s best I:Im „Kultur-Spiegel“ berichtet ein Johannes Saltzwedel vom Trainingscamp
für die Olympischen Spiele: „Unter
Pianisten sind seit Langem für zwei Massive des Konzertrepertoires flotte
Abkürzungen in Umlauf: ‚Rach 3’ bedeutet Sergej Klavierkonzert, ‚Rach-Pag’ sind
seine Paganini-Variationen. Nur wenige nehmen die kräftezehrende Arbeit auf
sich, diese Stücke zu üben; einschüchternde Aufnahmen gibt es längst. Kommt
eine hinzu, wirkt das wie eine inoffizielle Bewerbung um Eintritt in die
Weltspitze.“ Und so plappert das nichtssagend in einem fort.Unter LeserInnen ist übrigens seit langem eine Abkürzung für
inkompetente Musikjournalisten in Umlauf: „Depp 1“...

28.10.2015

Artemis Quartet im Tagesspiegel

Klassik-Musikjournalismus at it’s best II:

Im „Tagesspiegel“ versucht ein Udo Badelt, der des Deutschen eher nicht
mächtig ist („Das Artemis Quartet gedenkt
Weigle konzertant“ – ich hab weiland mal in der Schule gelernt, daß man
„gedenkt“ mit dem Genitiv verwendet...), zu beweisen, daß er auch von Musik nichts
versteht, und schreibt dies über ein wundervolles, trauriges, anrührendes und
bewegendes Konzert des Artemis Quartetts im Kammermusiksaal der Philharmonie
und das Klavierquartett op. 47 von Schumann: „Dabei hilft die wirklich außergewöhnliche Besetzung: Klavierquartette
sind eigentlich für Klavier, Geige, Bratsche und Cello geschrieben. Die
fehlende Mittelstimme, die Präsenz zweier Geigen verleihen dem Gesamtklang
etwas Gespaltenes, Zwielichtiges.“

Dumm nur, daß weder Schumanns Klavierquartett noch das folgende von
Brahms für zwei Geigen geschrieben wurde, sondern eben „eigentlich“ für Geige,
Bratsche, Cello und Klavier. Die „fehlende“ Mittelstimme fehlt also gar nicht.
Weder im Notentext Schumanns, noch in der Aufführung, denn das Publikum sah,
wie Gregor Sigl Bratsche spielte, und das sehr eindrucksvoll – und übrigens
sogar auf der italienischen Viola aus dem 18.Jahrhundert des verstorbenen
Friedemann Weigle. Von den „zwei Geigen“, die der Tagesspiegel-Rezensent
gesehen und gehört haben will, kann also keine Rede sein. Hat ihn das Artemis
Quartet ganz schön ins „Zwielichtige“ geführt...

Die Zugabe hat der Badelt auch nicht verstanden. „Erneut das Andante von Brahms. Weitere Worte gibt es nicht.“ War
aber gar nicht das Andante von Brahms, sondern das Andante cantabile von
Schumann. Aber kommt dem deutschen Qualitätsjournalismus nicht so drauf an,
Hauptsache deutsche Romantik, und mit welchen Instrumenten gespielt wird, ist
letztlich auch wurscht, Geigen, Bratschen, irgendwie sinds doch alles
Streichinstrumente, oder? Hauptsache, das Zeilenhonorar wird bezahlt, mit
irgendwas müssen die Blättchen ja vollgequasselt werden. Aber sie sollen sich
nicht wundern, daß irgendwann niemand mehr für diesen Schmarrn noch Geld
ausgeben will. „Meine Lieben, Sie verschwenden für fünf Sous
Feuilleton!“ will man sinngemäß Balzac zitiern.

28.10.2015

Claudius Seidl versucht, Igor Levit für die FAS zu interviewen

Klassik-Musikjournalismus at it’s best III – in der „FAS“ versucht
Claudius Seidl, den Pianisten Igor Levit zu befragen, und das hört sich so an:

„Herr Levit, vor
zwei Jahren kam Ihre erste Plattenaufnahme heraus: die späten Klaviersonaten
von Ludwig van Beethoven. War das nicht fast schon eine Unverschämtheit – ein
26jähriger Pianist und der späte Beethoven?“Levit: Wieso soll das unverschämt sein?„Es ist Musik, die
es einem nicht leichtmacht. Als Hörer, finde ich, sollte man mindestens vierzig
sein...“

Was will uns Herr Seidl damit sagen? Menschen unter vierzig Jahren
sollten nur leichte Kost hören? Und wer nicht so alt ist wie Herr Seidl und es
dennoch wagt, späten Beethoven zu spielen, der ist „unverschämt“?!? Ein
Rotzlöffel also?Will Herr Seidl Warn-Aufkleber auf CDs mit späten Beethoven-Werken?
„Parental Advisory! This Beethoven guy is way too heavy for people younger than
40 years old!“

28.10.2015

Lungensüchtige Keyboard-Sounds

Aber auch der Pop- und Rock-Journalismus ist nicht ohne: In einer
Rezension von Liveaufnahmen von Grateful Dead schreibt Deadlef (danke für den
Kalauer, KW!) Diederichsen in der „taz“:„Mit dem
Keyboarder Brent Mydland rekrutierte man schließlich einen Musiker, der mit
seinen lungensüchtigen 80s-Keyboard-Sounds, seinem
Mainstream-Songwriting-Approach und seiner Joe-Cocker-Röhre quasi das Gegenteil
der Musikauffassung verkörperte...“Lungensüchtige Keyboard-Sounds? Das schreit nach Erklärung!

28.10.2015

Interview Bettina Reitz

Einige Kritiker meines neuen Buches, das die Abschaffung des
gebührenfinanzierten Staatsfernsehens fordert, werfen mir vor, ich sei
wahlweise ein „Wirtschaftsliberaler“ oder sonstwie mit dem Klammerbeutel
gepudert; zwar sei meine Kritik an den Öffis, das sagen eigentlich alle
Rezensenten, völlig berechtigt, aber man müsse den Laden unbedingt reformieren,
und bloß nicht abschaffen.

Interessant ist, daß zuletzt einige prominente Fernsehleute ganz ähnlich
argumentieren – der langjährige ARD-Korrespondent Christoph Maria Fröhder
rechnete im „Spiegel“ als Insider mit den Methoden der „Tagesschau“ ab, und der
ehemalige Leiter des ZDF-Hauptstadtbüros, spätere ZDF-Talkmaster und
langjährige „Aspekte“-Redaktionsleiter und Moderator Wolfgang Herles schrieb
gar ein ganzes Buch über den „Verfall der
Fernsehkultur“ und den „Totalitarismus
der Quote“; seine Einschätzung gipfelte im Statement: „So, wie es ist, macht
sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen selbst überflüssig. Reformiert ARD und
ZDF grundlegend oder schafft die Anstalten ab!“Ach ja, interessant, ein ZDF-Insider fordert, ARD und ZDF abzuschaffen.

Den Vogel aber schießt Bettina Reitz ab. Bettina Reitz war lange Jahre
ZDF-Redakteurin, BR-Filmchefin, Geschäftsführerin der ARD-Tochter Degeto, der
berüchtigten Kitschfabrik, und von 2012 bis September 2015 war Reitz
Fernsehdirektorin des BR, bis sie zum 1.10.d.J. zur Präsidentin der Hochschule
für Film und Fernsehen München berufen wurde.Reitz gab nun der „Zeit“ ein längeres Interview mit allerlei
interessanten Aussagen, etwa:„Ich verhehle nicht, dass ich die Zukunft des Films
und der Serien innerhalb des öffentlich-rechtlichen Fernsehens skeptisch sehe.
(...) Salopp gesagt, fühlte ich mich irgendwann wie eine Art Sterbebegleiterin
des klassischen Fernsehens.“Oder: Im Bereich „Film- und Serienangebote haben wir eine
riesige Lücke hinterlassen. (...)Wo bleibt der Mut zu einer gewissen Größe für
Kinofilme und auch für gute Serien? Größe im Denken, im Erzählen, in der
Ausstattung. Das Miniland Dänemark ist mit seinen Filmen und Serien talk of the
town. Sind die Dänen künstlerisch so viel freier? Nun, sie haben einen anderen
Willen, mit ihren Filmen international Gesprächsstoff zu geben. Hierzulande
genügt es den Machern oft, in einer kleinen Nabelschau am Ende irgendwie ihr
Filmchen zu machen.“Und schließlich,
man höre und staune: „Das klassische,
lineare Fernsehen, über das wir hier reden, ist ein Auslaufmodell. Die Menschen
haben heute die Möglichkeit, ich weiß nicht wie viele Programme anzusehen und
auch selbst herzustellen.“

Die Autorin der „Zeit“ blieb, wie es heutzutage eben so ist, still und
stumm. Frau Reitz mußte sich keine einzige ordentliche Rückfrage gefallen
lassen, etwa, ob sie als langjährige Öffi-Redakteurin, Filmchefin,
Degeto-Geschäftsführerin und schließlich sogar BR-Programmdirektorin nicht
diejenige hätte sein müssen, die Antworten
gibt, statt zum Abschied von ihren Öffi-Funktionen lauter Fragen aufzuwerfen, so, als ob sie mit den Öffis nie etwas zu tun
gehabt habe.Wenn Sie wissen wollen, wie das mit einer der größten und
finanzstärksten Machtformationen im Lande genau funktioniert, darf ich Sie
freundlich auf mein neues Buch „I Have A Stream“ hinweisen, das ich an anderer
Stelle in diesem Rundbrief bereits vorgestellt habe.

28.10.2015

TTIP, Gabriel

Über 250.000 Menschen sind gegen TTIP und CETA auf die Straße gegangen,
eine der größten Demonstrationen in der Geschichte der Bundesrepublik – und was
hat SPD-Gabriel zu tun? Er schaltet, genauso wie Wirtschaftsverbände, teure
Anzeigen in Tageszeitungen, um seine Konzern-freundliche und bürgerfeindliche
Sicht der Dinge mit gewaltigem Pathos und anbiedernder Schleimerei zu
verbreiten. 225.000 Euro hat das Bundeswirtschaftsministerium für diese
Kampagne an Steuergeldern verpulvert, um den BürgerInnen Sand in die Augen zu
streuen. Gabriel etwa fordert, daß „Handelsgerichtshöfe“ über
Investitionsstreitigkeiten entscheiden sollen – er fordert also eine
Paralleljustiz, die rechtsstaatlichen Prinzipien widerspricht, obwohl es auf
Bundes- wie Europaebene doch längst Gerichte gibt, bei denen Firmen klagen
können. Gabriel fordert „Investor-State Dispute Settlements“ (ISDS), also
„Investitionsschiedsverfahren“, die es Konzernen erlauben, eine Regierung zu
verklagen, wenn deren Politik zur Profitminderung führt. „Das heißt: Transnationale Unternehmen können die Politik demokratisch
gewählter Regierungen diktieren“ (Slavoj Žižek). Gabriel behauptet, es
werde bei TTIP „keine Absenkung der in
Deutschland und Europa erreichten Umwelt-, Sozial- und
Verbraucherschutzstandards geben“, obwohl er natürlich genau weiß, daß die
Standards von EU und USA angeglichen werden sollen, was eine Verschiebung der
Standards in die eine oder andere Reichtung bedeutet, und man kann sich
ausrechnen, in welche Richtung hier Standards verändert werden... Und durch
TTIP sollen Konzerne noch mehr Einfluß auf die Gesetzgebung erhalten, und ohne
Zustimmung der USA können de facto kaum noch Standards verbessert werden. Und
Gabriel verschweigt, daß den Abgeordneten der zuständigen Parlamente der Zugang
zu den Verhandlungstexten ebenso verwehrt wird wie der Öffentlichkeit.Wirtschaftsminister Gabriel betreibt eine Politik der Konzerne. Nun gut,
wen würde das wundern? Die BürgerInnen jedenfalls nicht: Anders als Gabriel es
sich wünscht, ist eine deutliche Mehrheit gegen TTIP, und nur noch 34 Prozent
der in der jüngsten Umfrage befragten sagen, TTIP sei eine gute Sache.

28.10.2015

Biergiganten, Konzertgiganten, Michael Rapino

„Ein Biergigant schluckt den anderen“ lauteten die Schlagzeilen, als
bekannt wurde, daß die beiden weltgrößten Bierbrauer fusionieren:
Anheuser-Busch Inbev kaufte für unglaubliche 92 Milliarden Euro die
SABMiller-Gruppe, was als „eine der größten Übernahmen in der Unternehmenswelt“
gilt. Soweit so schlecht. Wer denkt, daß sein Beck’s, Hasseröder, Budweiser,
Franziskaner, Löwenbräu, Corona, Diebels oder Löwenbräu (alle Anheuser-Busch
Inbev) oder sein Pilsner Urquell oder Gambrinus (jeweils SABMiller), oder sein
Jever, Radeberger oder Schöfferhofer (alle Oetker-Konzern) aus einer netten
Privatbrauerei stammen würde (oder in der Semperoper gebraut werde, wie mehrere
mir bekannte US-Musiker angesichts der Fernsehspots von Radeberger glaubten), der
ist natürlich gutgläubig und naiv.

Was aber macht diese Fusion der Bier-Giganten zu etwas Besonderem in der
Geschichte der Monopolisierungsentwicklungen, die jüngst auch gesehen hat, wie
Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia die Nummer zwei, Deutsche
Wohnen, übernimmt? Die Fusion der Immobilienkonzerne, die dann mehr als 500.000
Wohnungen verwalten, alarmiert die Mieterschützer. Die Menschen zahlen immer
die Zeche, wenn Konzerne größer werden, das ist klar, das reicht von „teurer
wohnen“ bis zu „schlechteres Bier trinken“.

Es lohnt sich aber, kurz einen anderen Blick auf den weltgrößten
Bierkonzern Anheuser-Busch Inbev zu lenken mit seinen 21% Weltmarktanteil und
einem Umsatz von mehr als 47 Milliarden US$ und einem Gewinn (Ebit) von über 15
Milliarden US$. Denn einer der wichtigsten Männer der Konzertbranche kommt aus
dem Biergeschäft und studierte dort Konzentrationsprozesse, die er auf das
Veranstaltungsgeschäft anwandte und den Weltmarktführer Live Nation
konstruierte. Die Rede ist von Michael Rapino, dem CEO des weltgrößten
Live-Konzerns Live Nation, der das Konzertgeschäft laut „Billboard“
„fundamental verändert“ hat: „he really is the Concert Master“.

Michael Rapino ist in Kanada aufgewachsen, in Thunder
Bay. Von einem Freund im örtlichen „Beer Store“ (das ist in Kanada der einzige
Ort, an dem man Bier kaufen kann) hört er, daß bei der Brauerei Labatt ein Job
als College-Vertreter frei ist. Rapino schreibt einen detaillierten
Marketingplan, mit dem er zum Vorstellungsgespräch geht. Er bekommt den Job.
Die Labatt Brewing Company Ltd. ist eine kanadische Brauerei, die 1847 von dem
irischen Einwanderer John Kinder Labatt in London, Ontario gegründet wurde.
1915 begann in Kanada das Verbot öffentlicher Bars, manche Provinzen verboten
die Produktion von Alkohol, ähnlich der Prohibition in den USA. Labatts
Strategie war es, ein Bier mit weniger als 2% Alkoholgehalt herauszubringen,
das in Ontario verkauft werden durfte. Durch die Verbote, die bis 1926 bestanden,
mußten viele Brauereien in Kanada schließen, was jedoch die Marktstellung der
Labatt-Brauerei festigte. 1951 startete Labatt den Verkauf des Pilsener Lagers
namens „Blue“; um diese Biermarke zu bewerben, ging die Firma einen
langfristigen, genau: Sponsoring-Deal mit dem Footballteam Winnipeg Blue
Bombers ein. Die Brauerei wurde 1995 vom belgischen Konzern Interbrew (heute
als InBev bekannt) übernommen – Interbrew ging aus einer 1366 gegründeten und
1717 von Sebastien Artois in Artois umbenannten Brauerei hervor. Artois ging
seit 1952 auf Beutezug und übernahm nach und nach etliche führende Brauereien,
zunächst in Belgien (1952 Leffe), dann auch in den Nachbarländern Holland und
Frankreich. Seit der Börsennotierung 2000 dehnte die 1987 in Interbrew umbenannte
Firma ihre Expansion rasch aus und übernahm 2002 die deutschen Brauereien
Diebels, Beck’s und die Gilde-Gruppe (u.a. Hasseröder), 2003 unter anderem die
Spaten-Löwenbräu-Gruppe, 2004 die Dinkelacker-Gruppe und die führende
chinesische Brauerei Zhejiang Shiliang Brewery Company Ltd. Durch den
Zusammenschluß mit AmBev im gleichen Jahr entstand die größte Brauereigruppe
der Welt, eine Position, die durch die Übernahme von Anheuser-Busch 2008 noch
ausgebaut wurde.

Doch zurück zu Michael Rapino. Die von Rapino und
seinen Bewunderern gestreute Narration des besessenen Erfolgsmenschen geht so:
Rapino studierte Buchhaltung, arbeitete in diesem Beruf jedoch nur zwei Wochen
bei Labatt. Er wollte Repräsentant der Biermarke werden und bildete sich
beharrlich weiter, „las jedes Buch in der Unternehmensbibliothek“ (Bob Lefsetz)
und nutzte jede Chance auf betriebliche Weiterbildung. Er wurde die Nummer Eins
unter den Labatt-Vertretern. In einer versoffenen Nacht beschloß Rapino
angeblich, daß er Chef einer Konzertagentur sein wollte, bevor er 40 wurde,
wahrscheinlich auch beeinflußt durch die Verflechtung des Labatt-Konzerns mit
dem Konzertveranstalter CPI, der Firma eines gewissen Michael Cohl. Nach über
einem Jahrzehnt bei dem kanadischen Bierbrauer gründete Rapino seine eigene
Konzertagentur und verkaufte sie später an den SFX-Konzern.

So ist das im Monopolkapitalismus unserer Tage,
wurscht, ob Bier, Wohnungen oder Konzerte: Es geht ums „Imperiengeschäft“, wie
Walt das in „Breaking bad“ nennt, es geht darum, ein immer größeres Imperium
aufzubauen, Monopole zu errichten, die weltweit Milliardengewinne abwerfen,
nicht selten auch unter Umgehung der Gesetze (Tochtergesellschaften von
Anheuser-Busch InBev waren an sogenannten Bierkartellen mit unerlaubten
Preisabsprachen in NL und in D beteiligt, man fungierte vor den Kartellbehörden
als Kronzeuge und ging in NL wie D straffrei aus. Wer aber zahlt die Zeche?
Dreimal dürfen Sie raten.

04.10.2015

Genosse Sido und der Kapitalismus

Paul Hartmut Würdig, im Popleben auch als Sido bekannt, glaubt nicht an
den Kapitalismus, sondern, wie er die „Neue
Westfälischen“ auf eine entsprechende Frage hat wissen lassen:„Ich glaube eher
an eine Form von Kommunismus. Kommunismus ist vielleicht das einzige, was die
großen Probleme dieser Welt lösen könnte. Wir müssen lernen, unsere Bedürfnisse
runterzuschrauben und von dem zu leben, was tatsächlich vorhanden ist. Es ist
falsch, in den Supermarkt zu gehen und irgendwas zu kaufen, das man nicht
braucht, nur, weil es angeboten wird. Das geht zu Lasten der Umwelt und zu
Lasten von anderen, auf deren Kosten wir leben.“Wo Paul Hartmut Würdig Recht hat, hat Genosse Sido Recht.

04.10.2015

Die Allianz-Versicherung rät

Die Allianz Versicherung Österreich
rät laut „Musikmarkt“ dringend von „deutschsprachiger, emotionaler, komplexer Musik
beim Autofahren ab“. Nun ist deutschsprachige Musik ja in der Regel sowieso
eher unterkomplex, aber der Autor der Allianz-Studie, Marcin Suder,
empfiehlt: „Musik kann entspannen und den
Kreislauf fördern, wenn das Tempo in etwa dem menschlichen Puls entspricht.
Darauf sollte beim Autofahren geachtet werden. (...) Einfache Melodien, simple
Rhythmik und ein überschaubarer Ablauf von Strophen und Refrain kennzeichnen
demnach die idealen Songs für die Fahrt.“Also nicht, daß Sie beim Autofahren in den nächsten Wochen wieder nur
Liturgy, Kendrick Lamar und Arnold Schönberg hören. Legen Sie bei Ihren
Autofahrten doch einfach die Bands auf, die beim Lollapalooza-Festival
auftreten. Etwas mit einfachen Melodien und simpler Rhythmik eben.Gute Fahrt!

04.10.2015

Laibach goes Nordkorea

Es war nicht mehr als ein Marketing-Gag, daß die slowenische Band
Laibach kürzlich in Nordkorea auftrat – „als
erste westliche Gruppe überhaupt“, wie die „taz“ und mit ihr im Kanon die
fast komplette einheimische Qaulitätspresse doppelt wahrheitswidrig behauptete.
Denn es gab durchaus bereits westliche Gruppen, die in Nordkorea aufgetreten
sind, man kann es in der Autobiografie „Der patagonische Hase“ von Claude
Lanzmann nachlesen. Und als ich vor etlichen Jahren mal eine Woche in Nordkorea
war (siehe meinen dreiteiligen Reisebericht in „Konkret“, unter „Texte“ auf
meiner Homepage abrufbar), traf ich im Hotel in Pjöngjang mehrere bundesdeutsche
Gruppen aus Darmstadt, die bei einem Musikfestival in Pjöngjang auftraten,
unter anderem einen munteren Chor aus Darmstadt. Da standen nur weder eine
Marketingabteilung einer Plattenfirma noch etliche willige
Feuilletonredaktionen dahinter, weswegen niemand darüber berichtet hat.

Doppelt wahrheitswidrig wird die Inszenierung allerdings durch die
interessante Behauptung, daß die „slowenische Artrockband“ („taz“) Laibach eine
„westliche“ Gruppe sei. Mag ja sein, daß in den Augen der hiesigen Qualitätspresse
das Balkan-Musterländle Slowenien längst zum „Westen“ gehört, nur war Slowenien
nun mal ein Teil Jugoslawiens, und die 1980 gegründete Gruppe Laibach war nun
mal eine jugoslawische Band, die mit ihrem doch sehr speziellen ästhetischen
Konzept so auch nur in einem Ostblockland denkbar war und ist.

Daß und wie die hiesigen Feuilletons auf die Nordkorea-Reise Laibachs
reagiert haben, zeigt aber natürlich, daß Laibach Teil des kulturindustriellen
westlichen Komplexes sind, wenn man das so sagen will. Und daß die „Süddeutsche
Zeitung“ zunächst ihrem Label-Boß, der noch nie in Nordkorea war, ein großes
Interview über Nordkorea spendierte, um wenige Tage später gleich die ganze
Seite 3 für das welthistorisch fürwahr sehr wichtige Ereignis eines Laibach-Konzerts
in Pjöngjang freizuräumen. Eine Seite unter dem sinnigen Titel „Im Disneyland
des Journalismus“, oh, Verzeihung, „des Totalitarismus“ natürlich gabs auch in
der „taz“, die leider nicht selbst dabei sein konnte, sich aber am Telefon
alles ganz genau von der Band erzählen ließ und dazu ein Promotion-Foto
Laibachs abdruckte, das die Band vor einer DPRK-Flagge auf einem Gebäude in
Pjöngjang zeigt – „Foto: Laibach handout“. Bericht: „taz embedded“.

04.10.2015

Streaming, WLAN und Gorny-Lobbyismus

Ach ja: Universal Norwegen hat letztes Jahr die höchsten Royalty-Summen
in seiner Geschichte ausbezahlt. Und warum haben die Rechteinhaber (und
letztlich auch die Künstler) die höchsten Zahlungen der Geschichte erhalten?
Weil in Skandinavien die ganze Bevölkerung Musik streamt! Und dafür bezahlt (das Verhältnis von bezahlt vs. Freemium
bei Spotify in Norwegen ist 80 zu 20!). So einfach ist das, da können ahnungslose
Künstler noch so häufig gegen Streaming in die bereitstehenden Mikrofone
ahnungsloser Journalisten bitchen und barmen.

So einfach? Nun ja, das setzt natürlich technologischen Fortschritt
voraus, einfache und günstige W-Lan-Möglichkeiten zum Beispiel, also das
Gegenteil von dem, was die Bundesregierung plant. In Sachen Digitalisierung ist
Deutschland eben Steinzeit. Sascha Lobo hat unlängst auf SPON darauf
hingewiesen, daß „in Deutschland im Mai
2015 ein Megabyte mobile Datenübertragung rund 5000 Prozent mehr kostete als in
Finnland. Moment, fünftausend Prozent? Fünftausend? Nein, kein Rechenfehler,
sondern die bittere Wahrheit. Das sind klar prohibitive Preise.“

Die hiesigen
Telekommunikationskonzerne verzögern die Verbreitung billiger Technologien
(Deutschland hatte 2014 zwei WLAN-Hotspots je 10.000 Einwohner, Südkorea 37). Die
Konzerne wringen absurde Preise aus den Nutzern heraus. Und die Politik
torpediert, siehe oben, die Digitalisierung und unterwirft sich, siehe Gabriel
& Gorny, den intensiven Lobby-Bemühungen der Konzerne. Wollen Sie digitalen
Fortschritt, günstige, schnelle und unkomplizierte Internetverbindungen? Gehen
Sie nach Skandinavien, in die baltischen Staaten, nach China oder nach
Südkorea. Hierzulande regieren die Fortschrittsfeinde, deren Namen mit „G“
beginnen: Gabriel. Gema. Gorny. Die Organisatoren der digitalen Prohibition.

04.10.2015

Gorny, Rechtsverstöße & Lobbyismus II

Daß der Einfluß des neuen "Regierungs-Beauftragten für Kreative und Digitale Ökonomie", also des Cheflobbyisten der deutschen Musikindustrie, Dieter Gorny auf die Gesetzgebung bereits nach wenigen Monaten
eklatant ist, beweist ein Aufsatz des Direktors des Instituts für
Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster,
Thomas Hoeren, in der „FAZ“. Laut Hoeren hat die geplante Änderung des
Telemediengesetz offiziell „das Ziel, den
Ausbau öffentlicher W-Lan-Netze in den Städten voranzutreiben. Soweit
Neusprech, in Wirklichkeit geht es um eine Verschärfung der Haftung für
W-Lan-Betreiber. Hintergrund ist vermutlich eine interne Liason dex
Bundeswirtschaftsministers mit der Musikindustrie, aufgrund derer Sigmar
Gabriel im März den Vorsitzenden des Bundesverbandes Musikindustrie, Dieter Gorny,
zum Beaftragten für digitale Ökonomie ernannte. Der Musikindustrie sind offene
W-Lan-Netze jedoch ein Dorn im Auge. Dies spiegelt sich im Gesetzentwurf
wider.“

So Thomas Hoeren in der „FAZ“. Und Hoeren verweist auf eine weitere
Verschärfung des Gesetzes: „Zudem dürfen
sie den Zugang nur solchen Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen, die zuvor
eingewilligt haben, keine Rechtsverletzungen zu begehen. Anders als zunächst
vorgesehen, gilt dies nun auch für private, nichtgeschäftsmäßige
W-Lan-Angebote.“ Gabriel und Gorny, G. & G., also gewissermaßen der
doppelte deutsche G-Punkt der Musikindustrie, stellen sich das also so vor:
Wenn ich mal bei Freunden zuhause bin und auf meinem Smartphone eben im
dortigen W-Lan die Adresse der Kneipe, in die wir gehen wollen, auf Google Maps
checken möchte, legen mir meine Freunde eine Erklärung vor, die sie immer
vorbereitet rumliegen haben, und in der ich an Eides statt versichere,
keineswegs Rechtsverletzungen begehen zu wollen. Eigentlich ganz einfach und
logisch, oder? So leben wir digital citizens im 21.Jahrhundert natürlich...

Daß Gabriel unter Mithilfe seines Duz-Kumpels und Lobbyisten Gorny
natürlich nicht die gängige Rechtsprechung in den Gesetzentwurf eingearbeitet
hat, wonach „die Betreiber öffentlicher
W-Lan-Netze aufgrund der europäischen E-Commerce-Richtlinie und des
Telemediengesetzes von jeglicher Haftung befreit sind“ (etliche Gerichte,
etwa in Hamburg oder Berlin, haben zuletzt entsprechend geurteilt), versteht
sich fast von selbst.Thomas Hoeren kommt zu dem eindeutigen Schluß: „Insgesamt ist die Regelung europarechtswidrig und eine einzige
Unverschämtheit. Gabriel behauptet, er tue etwas für den Ausbau öffentlicher
W-Lan-Netze. Tatsächlich praktiziert der Bundeswirtschaftsminister genau das
Gegenteil – an der Rechtsprechung vorbei, gegen europarechtliche Vorgaben und
in einer Terminologie, die mit Jura nichts mehr zu tun hat. Wer schreibt
eigentlich solch einen Unsinn? Warum die übereifrige Verbeugung von Sigmar vor
Dieter?“Gute Fragen. Wir leisten uns einen Bundeswirtschaftsminister, der uns
Bürgerinnen und Bürgern massiv schadet und damit seinen Amtseid verletzt, und
der stattdessen die Interessen der Großindustrie, deren oberstem Lobbyisten er
einen Schreibtisch im Ministerium verschafft hat, massiv vorantreibt (was sich
ansonsten auch in seinem Eintreten für TTIP und CETA zeigt). Wie lange noch?

04.10.2015

Berlin Pop.Kultur - Dercon, Volksbühne

Und das Berliner Staatspop-Pünktchen-Festival „Pop.Kultur“? Dazu ein
andermal in Ruhe etwas Grundsätzliches. Heute nur: Es hat keinem weh getan.
Seit Rot-Grün wurde Pop ja zur „Staatsräson“ ausgerufen, wie Frank Apunkt
Schneider in „Deutschpop halt’s Maul!“ schreibt. Drollig war der verzweifelte
Versuch, alles, was dort stattfand, zu einer „Weltpremiere“, „Premiere“ oder
doch zumindest „Berlin-Premiere“ auszurufen. Besonders selbstbewußt wirkte das
nicht, zumal die meisten Künstler, die aufgeboten wurden, sowieso alle naslang
in Berlin gastieren (nur üblicherweise eben von freien Veranstaltern der Szene
organisiert, die damit mühsam die Steuergelder erwirtschaften, von denen die
sogenannten Popkuratoren dann ihr Programm finanzieren – wäre gut, wenn Letztere
mal unter „Subsidiaritätsprinzip“ nachschlagen würden).

Andrerseits – sagen wir’s mal so: Wenn man Ihnen oder mir 700.000 Euro
aus Steuergeldern gegeben hätte, ich möchte wetten, Sie oder ich hätten damit
ein spannenderes, interessanteres und vielseitigeres Programm
zusammengestellt...

Doch was sind schon 700.000 Euro. Der neue Chef der Berliner Volksbühne
bekommt zusätzlich zum normalen
Volksbühnen-Etat von über 20 Millionen Euro und zusätzlich zur Erhöhung des Volksbühnen-Etats mit dem Amtsantritt
Dercons um noch einmal 3 Millionen – wohlgemerkt, bis heute liegt weder der
Öffentlichkeit noch den Berliner Abgeordneten auch nur ein Hauch von Konzept des
Herrn Dercon vor, was er an der Volksbühne überhaupt vorhat – noch einmal sage und schreibe 3
Millionen Euro zur „Vorbereitung seiner Intendanz“ – wie dürfen wir das
verstehen? Wird Dercon, wenn er 2017 aus London von seinem bisherigen Job bei
der Tate Gallery einschwebt, ein roter Teppich vom Flughafen Tegel bis zum
Rosa-Luxemburg-Platz ausgerollt?!? Allein für die Vergoldung seiner Intendanz
bekommen Dercon und die Volksbühne so viel, wie die gesamte Compagnie Sasha
Waltz im gleichen Zeitraum vom Land Berlin erhält. Im Vergleich zu all dem
Dercon-Money ist all das Geld für Popkultur oder Musicboard nur Peanuts.Diese obszöne Überfinanzierung von Dercons Eventkultur läßt jede
Relation vermissen, zumal die Freie Szene auch im neuen Haushaltsplan von
Müller, Renner und Co. jenseits von warmen Worten wenig Brauchbares findet, und
etablierte kleinere Spielorte oder Off-Theater-Truppen leer ausgehen. Aber Tim
Renner soll ja, so ist zu hören, planen, „Scouts
aus der freien Szene zu berufen, die Ausschau nach leeren Räumen halten sollen“
(„Berliner Zeitung“). Echt nachhaltige, perspektivenreiche Kulturpolitik eben.

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