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Blog Archiv - Jahr 2014
04.05.2014

Waldbühne Berlin

Die Berliner „Waldbühne“ ist einer der schönsten Spielorte der Republik.
Seit 2008 wird die Waldbühne vom deutschen Konzertmonopolisten CTS Eventim
gepachtet und bespielt, der die Ausschreibung des Berliner Senats seinerzeit
gewonnen hat.Nun soll, wie der „Berliner Morgenpost“ zu entnehmen war, der Vertrag
neu aufgesetzt werden. Allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit, und unter
Ausschluß des üblichen Procederes, wenn öffentliches Eigentum verpachtet wird,
nämlich ohne eine öffentliche Ausschreibung.Die DEAG hat jedenfalls beim Landgericht Berlin eine einstweilige
Verfügung erwirkt, die es der Berliner Sportverwaltung untersagt, ohne
Ausschreibung einen neuen Pachtvertrag mit CTS Eventim abzuschließen. DEAG-Vorstandsvorsitzender
Schwenkow betonte gegenüber der „Berliner Morgenpost“, er wolle eine „faire
Chance bekommen“, und forderte eine „transparente, diskriminierungsfreie Ausschreibung“
– was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Nicht so für den
Berliner Senat, und der Senior Vice President von CTS Eventim, Rainer Appel,
verweist bedeutungsschwanger auf die „hervorragende Zusammenarbeit“ mit dem
Senat. Und CTS Eventim-Vorstandsvorsitzender Schulenberg barmt, ihm liege die
Arena sehr am Herzen. Wie schön. Um Profit geht es dem CTS Eventim-Boß
natürlich nicht.Normalerweise würde man jetzt sagen, das wäre doch ein schöner Fall für
den neuen Kulturstaatssekretär Tim Renner, der für Transparenz beim
Ausschreibungsverfahren sorgen und vielleicht gar besondere Pachtkriterien
definieren könnte (faire Ticketpreise zum Beispiel?). Aber natürlich: Tim
Renner ist ja nur das neue Aushängeschild Wowereits, er hat ja in Wirklichkeit nichts
zu sagen. Kultursenator ist Wowereit. Das und der ist das Problem.

04.05.2014

Auflagen Musikmagazine

Dieser Tage wurden die aktuelle 
IVW-Quartalszahlen veröffentlicht, die genauen Aufschluß geben auf die
Auflagen der hierzulande erscheinenden Periodika. Besonders interessant ist
dabei wie immer die „harte Auflage“, die das Medienmagazin DWDL.de
veröffentlicht – harte Auflage, das sind die tatsächlich verkauften Exemplare
der Zeitungen und Zeitschriften, also im Einzelverkauf (zum Großteil am Kiosk)
und per Abonnements.Die Zahlen zu den gängigen Musikzeitschriften sind deprimierend:

Rolling Stone: 36.343 (eine der wenigen Zeitschriften mit Zuwächsen
gegenüber I/2013: +9,3%)Musikexpress: 19.146 (-17%)Visions: 15.030 (-26,5%)Spex: 10.843 (-32,3%)

Das sind die Zahlen – manche Musikmagazine nähern sich dabei wieder Verkaufszahlen
ihres Ursprungs als Fanzines an...Man kann jetzt lange lamentieren und über die hausgemachte Krise des
Musikjournalismus philosophieren, was sicher zum nicht geringen Teil richtig
ist. Nichtsdestotrotz: die Zahlen sind alarmierend, denn Popkultur und Popmusik
benötigen die Musikkritik. Und die Flaute bei den Verkaufszahlen der
Musikmagazine ist erschreckend - die oben genannten führenden Musikmagazine kommen gerade einmal
noch auf etwa 80.000 verkaufte Exemplare! das ist weniger als ein Promille der
Bevölkerung, die es noch wichtig findet, sich in solchen Magazinen über Pop-
und Rockmusik zu informieren. Deprimierend.Was tun?

27.04.2014

Deutsche Jazzunion: Künstler bei Jazzahead bezahlen!

Die Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) wirft der Messe „Jazzahead“ einen
in finanzieller Sicht völlig unangemessenen Umgang mit seinen wichtigsten
Protagonisten vor, nämlich den Musikern: Bei den Showcases im Rahmen der „German
Jazz Expo“ auf der Bremer „Jazzahead“ werden den MusikerInnen demnach weder
Hotel- und Reisekosten erstattet, noch erhalten sie eine Gage, noch erhalten
sie eine Vergütung für den Rundfunkmitschnitt der öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten (die also wieder einmal ihr gebührenfinanziertes Programm ohne
Entlohnung der Musiker bestreiten, was ja mittlerweile die Regel ist – wozu
zahlen wir eigentlich unsere GEZ-Gebühren?!?) Ein Skandal, keine Frage. Aber leider bei Musikmessen nicht die
Ausnahme, sondern die unerquickliche Regel. Auch bei der Womex zum Beispiel
erhalten Musiker kein Honorar und nur sehr marginale Reise- und
Hotelkostenanteile, was dort besonders ins Gewicht fällt, weil dort ja nicht
einheimische, sondern internationale Weltmusik-Künstler auftreten, die meisten aus nicht gerade reichen Ländern...Es wird höchste Zeit, auch im Musikgeschäft endlich die in anderen
Ländern (z.B. Frankreich oder Holland) längst üblichen Mindestgagen zu
diskutieren. Gerade bei den Musikmessen, die ja zum Teil beträchtliche
Teilnahmegebühren aufrufen (bei der Womex kostet die billigste Rate z.B. EUR
255 Euro), sollte doch eine wenigstens geringfügige Bezahlung derjenigen, die
das Musikgeschäft letztlich ausmachen, selbstverständlich sein – der
Musikerinnen und Musiker nämlich!

27.04.2014

Einige Gedanken zu der Deutschen Lieblingskünstler Ai Weiwei

„Propaganda und
Aufklärung“ – das ist der Titel des aktuellen Newsletters des Palace in St.
Gallen, und in der Tat, in Zeiten, da Werbespots auf der Fressenkladde eine
ganz besonders coole Hipness erzeugen können, in Zeiten, da die Schlammflut
parfümierter digitaler Kommerzpropaganda einem Augen und Ohren wegbläst, sollte
man auf dieses schöne, altmodische Wort zurückkommen, nämlich, eben:
Propaganda!Nehmen wir das
Bohei, das die deutschen Medien und die deutsche Politik dieser Tage erneut um Ai Weiwei
veranstalten. Was in dem Zusammenhang an falschen Behauptungen aufgestellt und
veröffentlicht wird, an eindeutigen Unwahrheiten und Vermutungen, die als
Wahrheiten hingestellt werden, ist schier unglaublich – dagegen ist, wie
Christian Y. Schmidt gesagt hat, die chinesische Propaganda geradezu ein
Kindergeburtstag.Nehmen wir den
Grund, warum Ai Weiwei von den chinesischen Behörden verhaftet worden war und
bis heute nicht ausreisen darf – bei Steuerhinterziehung im Millionenbereich
auch in Deutschland durchaus gängige Praxis. Die deutschen Medien wie die
sogenannte „linksliberale“ Frankfurter Rundschau haben Ai ja bereits vor Jahren
heilig gesprochen – im Wortsinn: dort wurde Ai Weiwei 2012 allen Ernstes als
der „Heilige Ai“ bezeichnet, als ein Idealchinese, eine Art „Ersatz-Dalai Lama“
(daß die Journalisten nicht einmal wissen, was im Chinesischen Vor- und was
Nachname ist, läßt in die kulturelle Ernsthaftigkeit, mit der sich mit dem Thema
beschäftigt wird, tief blicken...). Demzufolge kann an dem Vorwurf der
Steuerhinterziehung natürlich nichts dran sein. Ein Heiliger hinterzieht ja wohl keine Steuern.Insofern liest
man in deutschen Medien immer von Ai Weiwei als nahezu selbstlosem Mann,
der z.B. für die Kinder kämpft, die Opfer eines Erdbebens wurden. Nirgendwo
liest man jedoch, daß Ai Weiwei etwa als Projektkurator für das Projekt „Ordos
100“ gearbeitet hat, die Idee des Multimillionärs Cai Jiang, der u.a. als
Großzulieferer für den innermongolischen Molkereigiganten Meng Niu fungierte –
diese Firma war übrigens 2008 in den Melamin-Milchskandal verwickelt, der
mehreren Kleinkindern das Leben kostete. Der in China lebende Autor Christian
Y. Schmidt beschreibt, wie Cai Jiang plante, mitten in der mongolischen Steppe
ein Kunstmuseum und um das Museum herum hundert Villen anlegen zu lassen,
inklusive Indoorpools und Dienstbotenquartiere – eine fette „gated community“
für neureiche Chinesen. Cai Jiang hat zu diesem Zweck das, natürlich, Schweizer
Architekturbüro Herzog & de Meuron verpflichtet, und eben Ai Weiwei als
Projektkurator, der selbst den Masterplan für die neue Luxussiedlung entwarf.
Die Architekturzeitschrift „Urbane“ titelte über dieses Projekt „Rebuilding
Xanadu“.Oder: niemand fragt sich, wie Ai Weiwei als
Künstler in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen eines
Städters im Jahr 2013 bei 3.556,94 Euro lag (und in der Gruppe der hohen
Einkommen standen jeder Person auch nur durchschnittlich 6.788,24 Euro im Jahr zur Verfügung),
mal eben den Betrag von 600.000 Euro zuzüglich Zinsen und Strafgebühren bei den
Behörden seines Heimatlandes hinterlegen kann. Oder in bester Berliner Lage für
einen Millionenbetrag ein Atelier erwerben kann. Ist es denn tatsächlich
auszuschließen, daß ein Künstler, der auch als Teilzeit-Architekt (siehe das
Beijinger Olympiastadion) oder als Projektkurator (siehe oben) tätig ist und
dessen Werke im Westen für Millionenbeträge verkauft werden, Steuerschulden
hat? Wie können sich alle Berichterstatter in dieser Sache so sicher sein?

Am besten hat mir der Berliner Rechtsanwalt und
Kulturmann Peter Raue gefallen. Ach was, falsch: nicht Peter Raue hat mir am
besten gefallen, sondern die deutsche Journaille, die ihre (Rest-...)Intelligenz,
ihr Kombinationsvermögen und ihre kritische Haltung vor der Pressekonferenz
Raues an der Garderobe abgegeben hat. Raue jedenfalls hat, wie er auf dieser
Pressekonferenz im Berliner Martin-Gropius-Bau erzählte, in Beijing die
Unterlagen studiert, die „Akten und Fakten“, wie er es nannte. Kann Herr Raue
etwa Chinesisch? Kann er nicht, wie er in einem Interview bekannte. Ist er
Experte im chinesischen Steuerrecht? Kein bißchen. Hat er Kontakt mit den
Behörden aufgenommen und zumindest versucht, sich von ihnen den Sachstand
erklären zu lassen, also auch die andere Seite anzuhören? Mitnichten.Man muß sich das so vorstellen: Raue düst nach
Beijing, wo ihn Ai Weiwei erwartet. Der und seine Anwälte zeigen Raue die
„Akten und Fakten“, wie der „Tagesspiegel“ das in hinterhereilendem Gehorsam
nannte. Akten, die Raue nicht versteht und nicht lesen kann, weil er eben das
Chinesische nicht beherrscht. Akten aber, nach deren Durchsicht, die die Presse
dann „Rercherche“ nennt, feststeht: „Nichts,
gar nichts liegt gegen Ai Weiwei vor.“ (so der Tagesspiegel und in
Variationen alle anderen deutschen Medien). „Haltlose, abstruse Vorwürfe: (...) Steuervergehen.“„Der dann
doch schriftlich erhobene Steuervorwurf“ (einen Absatz zuvor wurde noch
behauptet, es gebe „lediglich mündliche“
Mitteilungen der chinesischen Behörden, BS) „bezieht
sich ausschließlich auf die Firma ‚Fake’ – an der Ai Weiwei jedoch nie Anteile
hatte. Geschäftsführerin ist seine Ehefrau“ („Tagesspiegel“) – nun, das
sollen auch deutsche Steuerhinterzieher schon praktiziert haben, daß ihre
Ehefrauen plötzlich Firmen besaßen und die Ehemänner nichts, aber auch rein gar
nichts damit zu tun hatten...

Stellen wir uns das ganze Bohei mal andersherum
vor. Stellen wir uns einen Moment lang vor, ein nicht des Deutschen noch des
Englischen, ja nicht einmal der in Deutschland verwendeten Schriftzeichen
mächtiger chinesischer Fußballfunktionär würde nach Bayern reisen. Er ließe
sich in den Monaten vor Hoeneß’ Prozeß – falls Sie das vergessen haben sollten:
das war die Zeit, als Hoeneß noch nicht der reuige Steuersünder war, sondern
derjenige, der es als Skandal bezeichnete, daß gegen ihn, den „Vater Teresa vom Tegernsee“ (so
Karl-Heinz Rummenigge, selbst einschlägig vorbestrafter Uhrenschmuggler),
Ermittlungen liefen und er in den Medien „vorverurteilt“ werde... – von dessen
Anwälten die Aktenordner zeigen, die er natürlich nicht lesen könnte. Dann
würde dieser chinesische Fußballfunktionär nach China zurückfliegen und in
Beijing eine große Pressekonferenz geben, auf der er behauptet: „Nichts, gar
nichts liegt gegen Uli Hoeneß vor.“ Und: „Die angeblichen Steuervergehen von
Uli Hoeneß sind komplett haltlose Vorwürfe.“ Und: „Daß Uli Hoeneß der Prozeß
gemacht wird, ist ein Skandal des bundesdeutschen Regimes.“ Und flugs würde
dieser chinesische Fußballfunktionär auch noch ein Solidaritätskomitee gründen
mit dem Ziel, daß Hoeneß nicht ins Gefängnis müsse, sondern zu einem
Fußballspiel des FC Bayern bei Beijing Guoan frei reisen dürfe.Sagen Sie selbst: Sie würden sich doch an den Kopf
tippen, oder? Und Sie würden den Kopf schütteln, wenn irgendein Journalist unkritisch
über diese Pressekonferenz berichten würde.Das ist aber genau das, was die deutschen Medien
im Fall des „Heiligen Ai“ produzieren.Daß die hiesigen Medien dabei permanent mit Lügen oder unwahren
Behauptungen arbeiten, ist perfide. Der angebliche „Dissident“ Ai Weiwei hat
jahrelang mit den staatlichen Behörden Chinas prächtig zusammengearbeitet, etwa
beim Jinhua Architecture Park, den Ai Weiwei im Auftrag der lokalen Regierung
in der Nähe von Shanghai errichten ließ. Ein Foto in der Zeitschrift „Urbane“
zeigt Ai Weiwei bester Laune bei der Eröffnungsfeier zusammen mit
Regierungsvertretern. Oder die immer wieder gerne verbreitete Behauptung, daß
Ai Weiwei noch nie in China habe ausstellen dürfen – während man im Internet
ohne Probleme Fotos z.B. von der Ausstellungseröffnung einer Ai Weiwei-Schau in
der Pekinger Galerie Faurschou betrachten kann, die dort 2009 monatelang lief.
Und Ai Weiwei, der sich angeblich in China nicht äußern darf, postet und
blogged munter auf Google+ und in anderen Medien – es interessiert nur eben in
China nicht viele Leute. Und Ai Weiwei, der doch angeblich zensiert wird, darf
Kunstwerke für eine Berliner Großschau herstellen und sie ohne Probleme und
offiziell via Shanghai nach Deutschland senden, ohne daß ihn die chinesische
Regierung daran hindern würde. Zensur stelle ich mir anders vor... (und es gibt Zensur, in China wie andernorts,
und das ist unangenehm und nicht zu rechtfertigen, damit wir uns da nicht
mißverstehen).

„Seit Wochen strömen deutsche Journalisten, Kuratoren
und Anwälte wie Zugvögel nach Peking, um den Künstler in seinem Studio zu
treffen und ein paar Informationen aufzupicken über ihn und seine Ausstellung.
Man ließ sich hübsch mit dem Künstler fotografieren und filmen und schrieb
emphatisch über seine Geschichte: über das Unrecht, das er dokumentiert, die
Meinung, die er sagt, die Freiheit, für die er kämpft.“ (Antje Stahl in
der „FAZ“)(Was mich am Rande
interessieren würde: wer finanziert denn eigentlich all den bundesdeutschen
Journalisten ihre Reise in Ai Weiweis Atelier? Das erinnert sehr an die von den
Plattenkonzernen finanzierten Promoreisen zu einer Zeit, als die Musikindustrie
noch mehr Geld hatte als heutzutage – auch damals entstanden liebesdienerische Artikel über die Künstler, die die Journalisten besucht hatten...)Ob im
„Tagesspiegel“, in der „Zeit“, im „Spiegel“ – allüberall Schranzen, die sich
als Journalisten ausgeben, am Hof des Heiligen Ai, Jünger auf Pilgerfahrt, auf
der das Heiligtum beschaut wird und keinesfalls in Frage gestellt, es kann nun
einmal nicht sein, was nicht sein darf, man will einzig eine Bestätigung der
vorgefaßten Meinung, das ist der einzige Behuf all der Dienstreisen in die
„chinesische Diktatur“. Und ganz offensichtlich geht es nur um diese eine,
einzige Narration – das Vermögen, Kunstwerke mit Sachverstand zu betrachten und
zu analysieren, wurde in Deutschland zurückgelassen (falls es denn je
bestand...).

Und was noch
auffällt: keiner und keine all der JournalistInnen auf Pilgerfahrt in Beijing
hat auch nur eine einzige Kunstausstellung besucht – oder zumindest nicht
darüber berichtet. Kein Wort, nirgends. Dabei läuft im unabhängigen „Ullens
Center for Contemporary Art“ (UCCA) eine beeindruckende Schau von Xu Zhen. Dort
hat der Künstler zum Beispiel die große kommunistische Bronze vorm
Volkshelden-Monument des Tian’anmen-Platzes nachgebaut – mit lauter Steinzeitmenschen.
Es ist eher eine der schwächeren Arbeiten in dieser Schau, aber: ja, so etwas
darf in Beijing gezeigt werden. Ohne Probleme. Mitten im Herzen der Diktatur...Oder die Schau von
He Xingyon im Today Art Museum: auf riesigen Formaten zeigt der Künstler
Foto-Kunstwerke vom Eingriff der chinesischen Moderne in die Natur – von der
Zerstörung der Natur, von Umweltkatastrophen (etwa einer Explosion in einer Chemiefabrik
in Chao Tian Men, die den nebenliegenden Fluß blutrot färbt). Fotos, die in
Qualität und Format an Gursky erinnern, die kritisch sind, und ja, auch so
etwas wird in Beijing in Museen gezeigt.Oder die
eindrucksvolle Schau zum 60jährigen Bestehen der Kunstschule der Akademie im
Nationalen Kunstmuseum. Alles Ausstellungen, die ohne Zweifel hervorragend
sind, die ein kritisches Bild von China transportieren (wenn es Ihnen darauf
ankommt...) – die aber von all den deutschen Journalistinnen und Journalisten,
die in Beijing beim Heiligen Ai zugange waren, souverän ignoriert wurden.

Kann das Zufall
sein? Peter Hacks schrieb einmal den bösen Satz: „Ein Land, das Medien hat, braucht keine Zensur.“ 

P.S.Letztlich am
besten hat mir dann doch eine Stelle im Artikel von Deutschlands führendem
investigativen Magazin gefallen. Da wird Ai Weiwei mit Gandhi und Picasso
verglichen. Kleiner hamses grade nich: „Ai
ist in seiner Wirkung eine Mischung aus Gandhi und Picasso. Er steht auf der
richtigen Seite der Moral und der Kunst.“ („Spiegel“)Ah ja. Aber hat
der Heilige Ai nicht auch schon zwei Musikvideos gedreht? Sollte man ihn also nicht
auch auf eine Stufe mit Beethoven oder Mozart stellen? Und jüngst soll er sogar
in einem Kurzfilm mitgewirkt haben, der „heimlich“ in Beijing entstanden ist
(wie geht das eigentlich, „heimlich“, wo der Künstler doch tagein tagaus
permanent überwacht wird? nun ja, wollen wirs mal nicht zu genau nehmen...).
Man sollte ihn also auch mindestens mit Jack Nicholson oder Robert de Niro
vergleichen: Ai Weiwei, eine Mischung aus Gandhi, Picasso, Beethoven und Jack
Nicholson. Schon besser, oder? 

P.P.S.Und um das alles
abzurunden: Die Bohai-Bucht ist eine der drei großen Meeresbuchten im Norden
des Gelben Meeres. Vom Beijinger Südbahnhof kann man mit dem Schnellzug in
dreißig Minuten nach Tianjin an der Bohai-Bucht fahren. Vielleicht haben sich
die deutschen Medienvertreter dort ja verabredet und zu ihrem großen Bohai
inspirieren lassen? Gewissermaßen zu tief ins Wasser der Bohai-Bucht geschaut?

27.04.2014

Die halbe Nation ist irre

„Die halbe Nazion
iss irre; (& die andre Hälfde nich ganz bei Groschn!).“Arno Schmidt, „Die Schule der Atheisten“ (1971)

27.04.2014

NSA & Heartbleed

Und wie nun herausgekommen ist, hat die NSA uns alle unter Ausnutzung
der Heartbleed-Sicherheitslücke zwei Jahre lang ausspioniert:Die SZ meldet heute, am 12.4.2014, (wie die
meisten anderen Medien) in ihrem Online-Aufmacher: „Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg
unter Berufung auf zwei 'mit der Angelegenheit vertraute Personen'
berichtet, wußte die NSA seit
mindestens zwei Jahren von der Schwachstelle. Anstatt diese jedoch zu melden
und damit die Internet-Sicherheit zu verbessern, habe man Heartbleed zur Sammlung von Daten im
Rahmen von Geheimdienstoperationen verwendet. Über das Ausmaß der Aktionen ist
nichts bekannt."Zitiert nach „Perlentaucher“, der in seiner
Einleitung allerdings eher die falsche Frage stellt:„Schock über Heartbleed: Jimmy Wales und viele andere fragen, ob uns
die NSA über zwei Jahre Kriminellen auslieferte“, schreibt der
„Perlentaucher“. Dabei ist doch wohl eher die NSA (und alle anderen
Geheimdienste mit ähnlichen Praktiken) selbst die kriminelle Organisation, der
wir alle ausgeliefert sind, oder?!? Heartblöd.

27.04.2014

Journalisten können nicht an sich halten

Was einem ja wirklich permanent auf den Keks geht, ist, wenn die Damen
und, meistens, Herren des sogenannten Popjournalismus nicht an sich halten
können. Da wird Mitte April das neue Album von der auch von mir sehr und seit
langem (danke Jens Balzer!) geschätzten Fatima Al Qadiri besprochen, in „Spex“
und in Klaus Walters ebenfalls sehr geschätztem wöchentlichen Rundbrief. Allein
– das Album wird erst am 9.Mai erscheinen. Was also soll das? Warum wird etwas
besprochen, das es noch gar nicht gibt?Schon klar, liebe Pop-Journos, ihr seid natürlich die allertollsten
Hechte und habt alles, was es an Musik so gibt, schon Wochen oder Monate im
Voraus, klar. Aber müßt ihr das auch immer so groß raushängen lassen? Müßt ihr
wirklich auf der von der Musikindustrie gelegten Schleimspur bereitwillig
herumrutschen? Den Verwertungszyklus befeuern? Denkt ihr wirklich, irgendjemand
würde euch für uncool halten, wenn ihr ein Album mal nicht als erste, sondern
dafür kompetent und ausführlich nach
Erscheinen (also zu einem Zeitpunkt, da es nicht nur ihr, sondern auch der
gewöhnliche Sterbliche anhören kann) besprechen würdet?Es saugt. Und nützt den meisten Alben auch eher wenig, denn der
„Konsument“ dürfte einen Monat später bei Erscheinen des Albums eure tolle
Rezension längst vergessen haben und damit möglicherweise auch den Kauf des
Albums, erst recht in diesen Zeiten, in denen mediale Zyklen ja eher minimiert
denn maximiert werden...Don’t like.

13.04.2014

Raubkunst in Hermann Parzingers Büro

Im Büro eines der obersten Hüters der deutschen Kultur, des kulturellen
Preußen-Erbes, im Büro also des Chefs des Präsidenten der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz, die den Neubau des Berliner Stadtschlosses mit dem
Humboldt-Museum massiv vorantreibt, hing bis vor kurzem ein Gemälde von Oskar
Kokoschka, bei dem es sich sehr wahrscheinlich um Raubkunst handelt. Und der
oberste Hüter der Preußen-Kultur, Hermann Parzinger, fand nichts dabei, ganz im
Gegenteil, im „Tagesspiegel“ äußert sich Parzinger nonchalant: „Da wir davon ausgingen, daß keine Verfolgungsbedingtheit
vorlag, gab es keinen Grund, es nicht zu hängen.“ So reden deutsche
Kulturbürokraten mit Sekundärtugenden, mit denen sie ohne Weiteres vor einigen
Jahrzehnten auch dem Nazi-System hätten dienen können.

Doch selbst wenn das Kokoschka-Gemälde formaljuristisch nicht unter die
Raubkunst-Kriterien fallen sollte – Tatsache bleibt, wie Nikolaus Bernau
dankenswerterweise für die „Berliner Zeitung“ recherchiert hat, daß das Gemälde
1935 von der „Berliner
Nationalgalerie aus Beständen erworben wurde, die die Münchener Kunstsammlerin
und Galeristin Anna Caspari in der Dresdner Bank als Pfand hinterlegt hatte.
Anna Caspari gelang es gerade noch, ihre Söhne nach London in Sicherheit zu
bringen, bevor sie selbst 1941 nach Litauen deportiert und am 25. November in
Kaunas ermordet wurde." Ein Bild also, das einem Opfer des Holocaust
gehörte, bevor es unter fragwürdigen Rahmenbedingungen an den Staat ging, einer
Jüdin, deren Galerie 1939 von der Gestapo geplündert und geschlossen wurde und
die zwei Jahre später von den Nazis ermordet wurde. Und darunter saß tagein
tagaus der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ging seinen
Geschäften nach. Und ist sich keiner Schuld bewußt. Ein Kriterium wie Empathie
darf man bei so einem Kulturfunktionär schon gar nicht erwarten.

Es ist widerlich. Hermann Parzinger ist als
Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht länger tragbar. Da er
sicher nicht das Fünkchen Anstand besitzt, von sich aus zurückzutreten, muß er
von der Politik, und wenn die wieder einmal versagen sollte, von den
Bürgerinnen und Bürgern zum Rücktritt gezwungen werden!

07.04.2014

Sacropop

Und was denken Sie, welche die weltweit erfolgreichste Tournee im ersten
Quartal 2014 war? Bruce? Beyoncé? Bublé? Depeche? Metallica?Iwo. Laut „Musikmarkt“ und „Pollstar“ war die erfolgreichste Tournee
weltweit im ersten Quartal 2014 ein Ding namens „Winter Jam Spectacular“. Und was
ist das? Eine Tournee christlicher Musik, die mehrere Bands des Sacro-Pops gemeinsam
auf Tour schickt. 557.112 Tickets wurden davon an die Jünger verkauft. Da
konnte nicht mal „Disney On Ice“ mithalten. Ganz zu schweigen von Depeche Mode
(Platz 3), die ja auch irgendwie Gläubige versammeln, Bruce Springsteen (Platz
4), Beyoncé (Platz 5), Michael Bublé (Platz 6) oder Metallica (Platz 9).So ist das nämlich alles. Herrgott –  und jetzt alle mitsingen bitte! – „danke / für
diesen schönen Tag“...

07.04.2014

Freejazz in der Tätärä

Und nochmal a propos Propaganda –warum muß eine von einem staatlichen Museum und mit staatlichen Mitteln
geförderte Ausstellung über Freejazz in der DDR, die sich mit den ganzen großen
Jazzmusikern der DDR beschäftigt, von „Luten“ Petrowsky bis „Baby“ Sommer,
eigentlich „Freejazz in der DDR – Weltniveau im Überwachungsstaat“ heißen? Hat
das Faktum, daß es in der DDR eine Stasi gab, irgendetwas mit dem dort
gespielten Free Jazz zu tun?!? Wohl eher nicht. Aber die staatlichen Stellen
sollen eben Propaganda machen, das ist ihr Auftrag. Oder glauben Sie im Ernst,
eine Ausstellung über aktuelle Jazzentwicklungen in den USA würde „Freejazz im
Überwachungsstaat USA“ betitelt werden?

07.04.2014

Handelsblatt

Und im Handelsblatt können Sie sich die Seite 3 kaufen.
Kostet schlappe 5.000 Euro. Etwas weniger, als Sie für eine Titelstory in einem
der führenden Musikmagazine hinblättern müssen. Der
„Handelsblatt“-Anzeigenverkäufer garantiert, daß die gekaufte Werbung „redaktionell absolut harmonisch integriert“ und vom
Leser „als Beitrag der Redaktion
wahrgenommen“ wird, berichtet das Werbebranchenblatt „Werben und
Verkaufen“.Nichts, was Sie und mich wundern würde, oder?

07.04.2014

Waffenexporte: China und BRD

„China baut Waffenexport
rasant aus“, lautet die Schlagzeile bei „Spiegel Online“.Ist natürlich nicht schön, daß die zweitgrößte
Volkswirtschaft der Erde (bei „Spon“ natürlich: „das kommunistische Regime“...) immer mehr Waffen exportiert und
nun sogar Frankreich „überholt“ hat.Die interessantere Schlagzeile wäre aber doch wohl das
gewesen, was bei SPON nur im Kleingedruckten vorkommt, nämlich: Deutschland
liegt nach wie vor auf Platz 3 im internationalen Waffenhandel, deutlich vor China. Deutschland blieb dabei
der weltgrößte Lieferant von U-Booten und nach Rußland der zweitgrößte
Exporteur von Panzern. Dazu findet SPON kein kritisches Wort, das nämlich hätte
SPON keine brauchbare Schlagzeile gebracht, denn auch SPON will die Weltpolitik
natürlich nicht nur von der Außenlinie kommentieren, sondern steht
gesinnungstreu fest zur neuen Größe Deutschlands (das man Großdeutschland zu
nennen derzeit noch nicht wagt).

21.03.2014

Ai Weiwei, die Zeit und der Widerstand

Vom Artikel „So geht Widerstand“ von Christoph Amend
in der „Zeit“ vom 20.3.2014 kann man viel und auf vielen Ebenen lernen, jedoch
will ich sie nicht den Details langweilen. Aber zwei Dinge sind doch
interessant bei dieser Stilisierung des chinesischen Künstlers in des deutschen
Studienrats Hauspostille:„In einer
anderen Ecke steht eine Pappfigur von Angela Merkel, Ai Weiwei hat sie aus
Dankbarkeit für sich anfertigen lassen und in seinem Büro aufgestellt. Die
Kanzlerin war eine der wenigen Stimmen der internationalen Politik, die heftig
protestiert hat, als er vor drei Jahren verhaftet und monatelang eingesperrt
wurde.“So geht Widerstand also? Dann lassen Sie uns jetzt
auch alle gleich ne Angela Merkel aus Pappmachee basteln. Und was tun wir dann
mit dieser Pappkameradin? Genau. –Und dann heißt es in dem Artikel an einer anderen Stelle:„Die zwölf
Jahre in Amerika haben Ai Weiwei bis heute geprägt. Er hängt an dem Land,
selbst sein Blaumann, den er als Zeichen seiner Verbundenheit mit den
Handwerkern und Arbeitern Chinas trägt, ist ein amerikanisches Modell, ‚ich
habe ihn bei Gap gekauft’, sagt er und lacht.“Da lach ich doch gerne mit. Ai Weiwei zeigt seine
Solidarität mit den chinesischen Handwerkern und Arbeitern also dadurch, daß er
Design-Klamotten bei Gap kauft? Die fast so viel kosten wie das Monatsgehalt
eines chinesischen Arbeiters?Aber wahrscheinlich fressen die Zeit-Redakteure
auch Kaviar, um ihre Verbundenheit mit den Arbeitern auf der Krim zum Ausdruck
zu bringen...

13.03.2014

Diederichsens Pop-Buch

In einer
Rezension von Diedrich Diederichsens Buch „Über Popmusik“ in der „Zeit“ meint
Thomas Gross, „zu den Standards im
Schreiben über Pop gehört die Beschwörung lebensverändernder Kräfte. Es macht
etwas mit einem, wenn man nachts das Ohr an den Lautsprecher eines Radios
presst, rotierenden Scheiben geheime Botschaften ablauscht, es hat Folgen, wenn
man, der Einzelhaft des Kinderzimmers entronnen, aus der magischen Kiste des
DJs das Evangelium des Beats entgegennimmt. Wer der Wirkung von Pop
hinterherhorcht, schreibt immer auch von einer Urszene her: dem Moment, in dem
er in die Gemeinde der Wissenden aufgenommen wurde.“Hört sich gut
an, nur – hat das Beschriebene tatsächlich etwas mit „Pop“ zu tun? Ich denke:
nein. Das, was Gross hier beschreibt, ist die klassische Initiationsszene des
kulturellen Erlebens. Schon Rilke beschreibt in seinem Gedicht „Archaïscher
Torso Apollos“ ein derartiges Erlebnis beim Betrachten einer Statue: es bricht „aus allen seinen Rändern / aus wie ein
Stern: denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben
ändern.“Und so geht es
einem doch mit jeder Art von Musik, die einen beeindruckt – große Musik bewegt
den, der sie hört, und zwar genau im von Rilke beschriebenen, umfassenden Sinn
(„da ist keine Stelle / die dich nicht sieht“!), die einen als einen Anderen
aus einem Hörerlebnis heraustreten läßt als der, der man vorher war, mit der
Gewißheit: „Du mußt dein Leben ändern“! Dein Leben ist jetzt, nachdem du dieses
Konzert, dieses Stück Musik erlebt und zu einem Teil deines Lebens gemacht
hast, eben ein völlig anderes, ein neues. Das mag für Diederichsen nach seinem
ersten Konzert mit Johnny Winter so gewesen sein, das werden Andere nach einer
Beethoven- oder einer Mahler-Sinfonie so erlebt haben, und es hat wirklich
nichts mit „Pop“ zu tun.Eine zweite
These, die Thomas Gross in seinem Artikel referiert, scheint mir zunächst
richtig zu sein: „Diedrichsens These: Popmusik
ist weniger als Musik. Verglichen mit den souveränen Kunstschöpfungen des
19.Jahrhunderts spielt sie immer schon auf einem Terrain des Vernutzten,
Warenförmigen, industriell Kontaminierten. Pop ist die Kultur, die nach der
Katastrophe der Weltkriege kam, eingängig, auf Effekt getrimmt, arbeitsteilig
produziert, ein Hohn auf sämtliche Versuche, der Übermacht des Hergestellten
unvergängliche Altäre entgegenzusetzen. Autonome Kunst? War einmal. Jeder Hit
beweist: Nicht das Individuum regiert, it’s the economy, stupid!“ Das ist
wohl wahr.Doch die
Schlußfolgerung Diederichsens, wie sie Gross in der „Zeit“ referiert, greift
wieder zu kurz: „Entgegen der
traditionellen Auffassung, beim ‚Starkult’ handle es sich um etwas der Musik
Äußerliches, rehabilitiert Diederichsen die Pose als zentrale Einheit des Pop:
Wer aus dem Publikum auf die Bühne hinaufschaut, will wissen: Wer ist der Typ?
Was finde ich toll an ihm? Mit Lacan gedacht: In der Pose erkennt das
jugendliche Subjekt sich selbst im Spiegel fremder Begierden. Die Stimme
wiederum steht für das Einmalige, Auratische eines konkreten Sängers, das
Punctum: Als Mal des Authentischen verkörpert es die Seele im
kulturindustriellen Produkt.“Das Problem
solcher Behauptungen ist allein schon ihre Autoreferentialität, dieses
Hauptproblem des Diskurses über Pop und Popmusik. Das hört sich so, wie es da
steht, ja alles ganz nett und belesen an, es ist nur leider wenig sachgerecht
und hat hauptsächlich damit zu tun, daß die Kritiker des Pop selten über ihren
eigenen cup of tea hinausschauen, sondern bevorzugt so tun, als ob es außer
Popmusik und vielleicht noch ein wenig Jazz keine Musik gebe. „Starkult“,
mitunter sogar „Pose“ gab es schon im Barock, gab es in der Klassik (Mozart! Beethoven!),
gab es in der Romantik erst recht (von Chopin über Liszt bis zu Paganini), gab
es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (man denke nur an Caruso), und
über all diejenigen, die den Starkult als etwas „der Musik Äußerliches“ erlebt
haben, läßt sich das oben Gesagte genau so behaupten: Das aus dem Publikum auf
die Bühne hinaufschauen. Was finde ich toll an dem Typ? Der Lacan-Gedanke, das
Sich-Erkennen im Spiegel fremder Begierden. Das ist alles richtig erkannt,
wohnt nur eben aller Musik, ja sogar aller Kultur inne, hat also mit „Pop“ eher
wenig zu tun. Und kann als Erklärung für das Phänomen „Pop“ also nicht wirklich
dienen.Ganz im
Gegenteil: Hier ausgerechnet das „Authentische“ heranzuziehen, scheint mir doch
reichlich absurd zu sein. Gerade Pop verweigert sich ja bewußt den Zumutungen
der Authentizität – Pop ist eben nicht „handgemacht“, nicht „unplugged“, nicht
schnödes Lagerfeuer. Pop ist das genaue Gegenteil davon – Pop ist Behauptung,
ist Konstruktion, und die Künstler des Pop sind ja nun meistens Kunstfiguren,
wie etwa David Bowies Ziggy Stardust, oder solche, die mit dieser künstlichen
Konstruktion spielen, wie Michael Jackson, Madonna oder Lady Gaga. Schillernde
Identitäten, die mit Authentizität, diesem dumpfen und so schwierig auszusprechenden
Au-Wort, ungefähr so viel gemeinsam haben wie Maradona mit Uli Hoeneß.

13.03.2014

Diederichsens Verwertungszyklus

Auch
interessant: In einem klugen Aufsatz für die „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ forderte Diedrich Diederichsen 2010, daß die Kritiker (der
Beitrag war mit „Plattenkritik“ überschrieben) lange Texte schreiben sollen,
die sich ausdrücklich den Verwertungszyklen der Kulturindustrie verweigern, „Texte, die nicht zum Erscheinen der Platte, des
Buches, zur Einführung des Games oder zum Kinostart des Films erscheinen,
sondern irgendwann, zu Beginn, in der Mitte oder am Ende eines Rezeptionszyklus
intervenieren. Die Verbindung zum Leben, zur Rezensentensubjektivität als
Testarena der Rezeption stellt nicht mehr Schnelligkeit her, sondern eine
qualifizierte Langsamkeit die antikapitalistische Tiefe eines ungehetzten
Lebens im Dienste ästhetischer Reflexion.“Gut gebrüllt! Doch bei seinem eigenen Buch hat sich Diederichsen für das
Gegenteil entschieden – das Buch wurde mit einer massiven Kampagne beworben,
das deutsche Feuilleton stand Gewehr bei Fuß und brachte lange Rezensionen, bevor Diederichsens Buch überhaupt
erschienen war, und es gab große Interviews allüberall – die Werbekampagne war
generalstabsmäßig eben auf das „Erscheinen des Buchs“ ausgerichtet, es ging
gerade um Schnelligkeit, gewissermaßen um kapitalistische Oberflächlichkeit,
durch die Diederichsens eigene Forderung nach „antikapitalistischer Tiefe“ der
Kritik geradezu ad absurdum geführt wurde. It’s the economy, stupid!Und Sie wissen schon, „die schärfsten Kritiker der Elche“ undsoweiter...

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