In Berlin wird dieser Tage über das Flugfeld Tempelhof abgestimmt.
„In Berlin ist die
totale Mobilmachung der Bilder, die Antriebskraft der Moderne überhaupt, an ihr
Ziel gelangt. Die Stadt, die wie keine andere durch die Wirtschaftskrise der
1920er Jahre, die Machtübernahme der Nazis, die Zerstörungen des Weltkriegs,
den Einmarsch der Kommunisten und die Zweiteilung der Stadt von politischen
Kämpfen gezeichnet wurde, ist bloß noch ein imaginäres Feld, auf dem Politik
nicht mal mehr symbolisch ausgefochten wird. Die Menschen der Stadt sind keine
Pioniere mehr auf der Suche nach dem „neuen Menschen“, sie sind nur noch späte
Kolonisten, die sich auf einem bereits eroberten Terrain niederlassen wollen,
das alle Eigenheiten verloren hat, die an seine hochpolitische Geschichte
geknüpft waren“, schreibt Cord Riechelmann in der „FAS“ in einer Rezension von
Francesco Mascis neuem Buch „Die Ordnung herrscht in Berlin“. Die aufgeklärte,
gern grün-nahe, vage alternative Mittelschicht, die das öffentliche Bewußtsein
von Berlin prägt und die hinter dem Wunsch nach einer großen Leerstelle namens Tempelhof
inmitten Berlins steht, propagiert ihr wattiertes Glück. Das ist sehr
Nimby-mäßig („not in my backyard!“), sicher würde jedeR der Tempelhof-ProtagonistInnen
in seinem alternativen Stammcafé sofort dafür argumentieren, daß mehr billiger
Wohnraum gebaut werden sollte, immerhin zogen in den letzten drei Jahren
100.000 Menschen nach Berlin – nur eben bitte nicht in meiner Nachbarschaft,
da, wo ich schon wohne, da, wo ich mein kleines, wattiertes Glück lebe. Da soll
alles leer bleiben, da soll nichts bebaut werden, da muß alles bleiben, wie es
ist. Da soll der Flughafen Tempelhof, der heute ein alternativer Sehnsuchtsort
ist, wo aber auch mal eines der ersten Konzentrationslager stand und wo
Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs die Maschinen zusammenbauen
mußten, die ganz Europa bombardierten (davon reden die Berliner eher
ungern...), eine große Leerstelle im Bewußtsein bleiben.
Der eigentliche Skandal an dem tatsächlich so genannten Volksentscheid über das Tempelhofer
Feld ist jedoch, daß ein Großteil der BerlinerInnen gar nicht abstimmen darf.
Denn beim Volksentscheid darf eben nur das Volk abstimmen, und das meint: das deutsche Volk. Die gerne so genannten
ausländischen MitbürgerInnen gehören nicht dazu, Menschen anderer
Nationalitäten, die dauerhaft in Berlin leben, sind vom Volksentscheid
ausgeschlossen. Das Tempelhofer Feld wird von den Bezirken Kreuzberg, Neukölln
und Schöneberg umschlossen, Bezirke, in denen besonders viele Menschen
türkischer Herkunft leben. „Doch von den
knapp 3 Millionen Berlinern über 18 Jahren dürfen sich 487.000 Frauen und
Männer nicht an dem Volksentscheid beteiligen. Weil sie keinen deutschen Paß
haben.“ („Berliner Zeitung“) Etwa eine halbe Million Berlinerinnen und
Berliner, die seit Jahren und Jahrzehnten in der Stadt leben, die hier Steuern
und ihre Sozialabgaben zahlen, also ihre zahllosen Pflichten erledigen, werden mithin
vom Recht, über die Geschicke der Stadt, in der sie leben, mitzuentscheiden, ausgeschlossen.
Ein außerordentlicher Skandal.Seit Jahrzehnten fordern vernünftige Menschen kommunales Wahl- und
Mitbestimmungsrecht für ausländische BürgerInnen. Ausgerechnet das angeblich so
weltoffene Berlin jedoch schließt all diejenigen, die nicht dem deutschen Volk angehören, also eine
halbe Million BürgerInnen, etwa ein Sechstel aller in der Stadt lebenden Wahlberechtigten,
von der Demokratie aus. Wie immer der Volksentscheid ausfällt – nach
demokratischen Mindeststandards legitim
ist er nicht.Manchmal kann man sich für Berlin nur schämen.