Um nochmal auf die bürgerlichen Qualitätsjournalisten zurückzukommen –
was sie derzeit ja auch gerne treiben: sie schreiben Reportagen über einzelne
junge Menschen, die nach Syrien reisen und sich dem IS anschließen. Wie die
„Süddeutsche Zeitung“ über zwei Wiener Teenagerinnen, die im April nach Syrien
reisten und sich dem IS anschlossen.Mal jenseits dessen, daß ich mich frage, wie diese Reportagen entstehen,
also ob a) die Zeitungen tatsächlich die jungen Menschen in Syrien aufsuchen
(wohl eher nicht), und b) ob die jungen Menschen dann tatsächlich mit den
Reportern sprechen würden (wohl eher nicht), und c) ob die IS derartige
Gespräche von Neu-Islamisten mit Reportern der bürgerlichen abendländischen
Presse überhaupt zulassen würden (wohl eher erst recht nicht) – und wenn man
diese drei kleinen Fragen beantwortet hat, denkt man sich, es wird halt so sein
wie im topseriösen Blödzeitungsjournalismus – man lungert ein bißchen bei
Verwandten und Freunden herum, schreibt deren Äußerungen ins Notizbuch und
bläht das alles mit eigenen Empfindungen auf. Heraus kommen dann Sätze wie in
dem der „Süddeutschen Zeitung“, die ein Franz Josef Wagner nicht besser hätte
schreiben können: „Meisterinnen der sozialen Netzwerke. Sie
rennen aus ihren Schulen, werfen ihre kurzen Röcke weg und schicken Selfies,
auf denen nichts zu erkennen ist hinter schwarzem Tuch. Früher tänzelten sie
durch die Favoritenstraße, jetzt sind sie in einer Welt, in der selbst die Hinterteile der weiblichen Schafe auf
den Märkten verdeckt werden müssen.“ („SZ“) Oder, auf „SPON“, über eine
junge Französin, die nach Aleppo abgehauen ist: „Dabei sei sie früher ein ganz normales, fleißiges Mädchen gewesen und
habe sich für Disney-Filme interessiert.“Aber jenseits all dessen, und ich bitte, nochmal ansetzen zu dürfen:
Eine Frage, die man sich ja stellen könnte und die zu beantworten spannend
wäre, ist doch die, warum sich junge
Menschen, die jahre- bzw. meist jahrzehntelang in unserer ach so tollen
abendländischen Demokratie aufwachsen, ganz offensichtlich mit deren
politischen, kulturellen und vielleicht auch sozialen Angeboten so wenig
anzufangen wissen, daß sie sich lieber einer islamistischen und de facto
faschistischen Organisation anschließen. Vielleicht sind die Gründe ähnlich wie
bei den vielen Menschen, die an den Wahlen nicht mehr teilnehmen, also der
Nichtwähler (und jetzt mögen bitte keine Sozialdemokraten ums Eck geschossen
kommen und versuchen, die jungen Islamisten mit Bonuspunkten und Rabattmarken
von Supermärkten in die Demokratie einzuwerben, wie sie es bezüglich der
Nichtwähler vorgeschlagen haben...). Daß die Narration von Teilhabe, Kultur und
Zivilgesellschaft für viele Menschen in der neoliberalen Postdemokratie einfach
nicht mehr funktioniert. Daß der Neoliberalismus, der „uns in einen Zustand permanenter Angst befördert hat“ (Mark
Fisher), eben das Gegenteil der „Freiheit“ ist, die sie uns immer noch
verkaufen, die aber nur die Freiheit zu grenzenlosem, angestrengtem Konsumismus
in einer „marktgerechten Demokratie“ (Angela Merkel) ist. Und in einer Welt der
Ego-Maschinen und Selbst-Kuratierer gibt es eben einen gewissen, dramatisch
steigenden Prozentsatz von Menschen, die sich gemeinsam in eine „Mikrogemeinde“
zurückziehen, wie Georg Seeßlen bei anderer Gelegenheit schreibt. Eine
Mikrogemeinde auch als Parallelwelt wie bei dem französischen Teenager-Mädchen,
das eben nicht nur „ganz normal und fleißig“ ist und (oder weil es)
Disney-Filme schaut, sondern das ein Doppelleben geführt hat: „Erst nach ihrem Verschwinden habe die Familie ein zweites Handy, einen
zweiten Facebook-Account und islamische Kleidungsstücke entdeckt.“ (SPON).Daß diese Mikrogemeinde, in die die Teenager (und
es scheinen Hunderte zu sein) abgetaucht sind, ausgerechnet islamistisch und
reaktionär ist, ist ausgesprochen tragisch. Wie die bürgerlichen Medien darüber
berichten, ist traurig und haben die Teenager so nicht verdient.