07.04.2014

Sacropop

Und was denken Sie, welche die weltweit erfolgreichste Tournee im ersten
Quartal 2014 war? Bruce? Beyoncé? Bublé? Depeche? Metallica?Iwo. Laut „Musikmarkt“ und „Pollstar“ war die erfolgreichste Tournee
weltweit im ersten Quartal 2014 ein Ding namens „Winter Jam Spectacular“. Und was
ist das? Eine Tournee christlicher Musik, die mehrere Bands des Sacro-Pops gemeinsam
auf Tour schickt. 557.112 Tickets wurden davon an die Jünger verkauft. Da
konnte nicht mal „Disney On Ice“ mithalten. Ganz zu schweigen von Depeche Mode
(Platz 3), die ja auch irgendwie Gläubige versammeln, Bruce Springsteen (Platz
4), Beyoncé (Platz 5), Michael Bublé (Platz 6) oder Metallica (Platz 9).So ist das nämlich alles. Herrgott –  und jetzt alle mitsingen bitte! – „danke / für
diesen schönen Tag“...

07.04.2014

Freejazz in der Tätärä

Und nochmal a propos Propaganda –warum muß eine von einem staatlichen Museum und mit staatlichen Mitteln
geförderte Ausstellung über Freejazz in der DDR, die sich mit den ganzen großen
Jazzmusikern der DDR beschäftigt, von „Luten“ Petrowsky bis „Baby“ Sommer,
eigentlich „Freejazz in der DDR – Weltniveau im Überwachungsstaat“ heißen? Hat
das Faktum, daß es in der DDR eine Stasi gab, irgendetwas mit dem dort
gespielten Free Jazz zu tun?!? Wohl eher nicht. Aber die staatlichen Stellen
sollen eben Propaganda machen, das ist ihr Auftrag. Oder glauben Sie im Ernst,
eine Ausstellung über aktuelle Jazzentwicklungen in den USA würde „Freejazz im
Überwachungsstaat USA“ betitelt werden?

07.04.2014

Handelsblatt

Und im Handelsblatt können Sie sich die Seite 3 kaufen.
Kostet schlappe 5.000 Euro. Etwas weniger, als Sie für eine Titelstory in einem
der führenden Musikmagazine hinblättern müssen. Der
„Handelsblatt“-Anzeigenverkäufer garantiert, daß die gekaufte Werbung „redaktionell absolut harmonisch integriert“ und vom
Leser „als Beitrag der Redaktion
wahrgenommen“ wird, berichtet das Werbebranchenblatt „Werben und
Verkaufen“.Nichts, was Sie und mich wundern würde, oder?

07.04.2014

Waffenexporte: China und BRD

„China baut Waffenexport
rasant aus“, lautet die Schlagzeile bei „Spiegel Online“.Ist natürlich nicht schön, daß die zweitgrößte
Volkswirtschaft der Erde (bei „Spon“ natürlich: „das kommunistische Regime“...) immer mehr Waffen exportiert und
nun sogar Frankreich „überholt“ hat.Die interessantere Schlagzeile wäre aber doch wohl das
gewesen, was bei SPON nur im Kleingedruckten vorkommt, nämlich: Deutschland
liegt nach wie vor auf Platz 3 im internationalen Waffenhandel, deutlich vor China. Deutschland blieb dabei
der weltgrößte Lieferant von U-Booten und nach Rußland der zweitgrößte
Exporteur von Panzern. Dazu findet SPON kein kritisches Wort, das nämlich hätte
SPON keine brauchbare Schlagzeile gebracht, denn auch SPON will die Weltpolitik
natürlich nicht nur von der Außenlinie kommentieren, sondern steht
gesinnungstreu fest zur neuen Größe Deutschlands (das man Großdeutschland zu
nennen derzeit noch nicht wagt).

21.03.2014

Ai Weiwei, die Zeit und der Widerstand

Vom Artikel „So geht Widerstand“ von Christoph Amend
in der „Zeit“ vom 20.3.2014 kann man viel und auf vielen Ebenen lernen, jedoch
will ich sie nicht den Details langweilen. Aber zwei Dinge sind doch
interessant bei dieser Stilisierung des chinesischen Künstlers in des deutschen
Studienrats Hauspostille:„In einer
anderen Ecke steht eine Pappfigur von Angela Merkel, Ai Weiwei hat sie aus
Dankbarkeit für sich anfertigen lassen und in seinem Büro aufgestellt. Die
Kanzlerin war eine der wenigen Stimmen der internationalen Politik, die heftig
protestiert hat, als er vor drei Jahren verhaftet und monatelang eingesperrt
wurde.“So geht Widerstand also? Dann lassen Sie uns jetzt
auch alle gleich ne Angela Merkel aus Pappmachee basteln. Und was tun wir dann
mit dieser Pappkameradin? Genau. –Und dann heißt es in dem Artikel an einer anderen Stelle:„Die zwölf
Jahre in Amerika haben Ai Weiwei bis heute geprägt. Er hängt an dem Land,
selbst sein Blaumann, den er als Zeichen seiner Verbundenheit mit den
Handwerkern und Arbeitern Chinas trägt, ist ein amerikanisches Modell, ‚ich
habe ihn bei Gap gekauft’, sagt er und lacht.“Da lach ich doch gerne mit. Ai Weiwei zeigt seine
Solidarität mit den chinesischen Handwerkern und Arbeitern also dadurch, daß er
Design-Klamotten bei Gap kauft? Die fast so viel kosten wie das Monatsgehalt
eines chinesischen Arbeiters?Aber wahrscheinlich fressen die Zeit-Redakteure
auch Kaviar, um ihre Verbundenheit mit den Arbeitern auf der Krim zum Ausdruck
zu bringen...

13.03.2014

Diederichsens Pop-Buch

In einer
Rezension von Diedrich Diederichsens Buch „Über Popmusik“ in der „Zeit“ meint
Thomas Gross, „zu den Standards im
Schreiben über Pop gehört die Beschwörung lebensverändernder Kräfte. Es macht
etwas mit einem, wenn man nachts das Ohr an den Lautsprecher eines Radios
presst, rotierenden Scheiben geheime Botschaften ablauscht, es hat Folgen, wenn
man, der Einzelhaft des Kinderzimmers entronnen, aus der magischen Kiste des
DJs das Evangelium des Beats entgegennimmt. Wer der Wirkung von Pop
hinterherhorcht, schreibt immer auch von einer Urszene her: dem Moment, in dem
er in die Gemeinde der Wissenden aufgenommen wurde.“Hört sich gut
an, nur – hat das Beschriebene tatsächlich etwas mit „Pop“ zu tun? Ich denke:
nein. Das, was Gross hier beschreibt, ist die klassische Initiationsszene des
kulturellen Erlebens. Schon Rilke beschreibt in seinem Gedicht „Archaïscher
Torso Apollos“ ein derartiges Erlebnis beim Betrachten einer Statue: es bricht „aus allen seinen Rändern / aus wie ein
Stern: denn da ist keine Stelle, / die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben
ändern.“Und so geht es
einem doch mit jeder Art von Musik, die einen beeindruckt – große Musik bewegt
den, der sie hört, und zwar genau im von Rilke beschriebenen, umfassenden Sinn
(„da ist keine Stelle / die dich nicht sieht“!), die einen als einen Anderen
aus einem Hörerlebnis heraustreten läßt als der, der man vorher war, mit der
Gewißheit: „Du mußt dein Leben ändern“! Dein Leben ist jetzt, nachdem du dieses
Konzert, dieses Stück Musik erlebt und zu einem Teil deines Lebens gemacht
hast, eben ein völlig anderes, ein neues. Das mag für Diederichsen nach seinem
ersten Konzert mit Johnny Winter so gewesen sein, das werden Andere nach einer
Beethoven- oder einer Mahler-Sinfonie so erlebt haben, und es hat wirklich
nichts mit „Pop“ zu tun.Eine zweite
These, die Thomas Gross in seinem Artikel referiert, scheint mir zunächst
richtig zu sein: „Diedrichsens These: Popmusik
ist weniger als Musik. Verglichen mit den souveränen Kunstschöpfungen des
19.Jahrhunderts spielt sie immer schon auf einem Terrain des Vernutzten,
Warenförmigen, industriell Kontaminierten. Pop ist die Kultur, die nach der
Katastrophe der Weltkriege kam, eingängig, auf Effekt getrimmt, arbeitsteilig
produziert, ein Hohn auf sämtliche Versuche, der Übermacht des Hergestellten
unvergängliche Altäre entgegenzusetzen. Autonome Kunst? War einmal. Jeder Hit
beweist: Nicht das Individuum regiert, it’s the economy, stupid!“ Das ist
wohl wahr.Doch die
Schlußfolgerung Diederichsens, wie sie Gross in der „Zeit“ referiert, greift
wieder zu kurz: „Entgegen der
traditionellen Auffassung, beim ‚Starkult’ handle es sich um etwas der Musik
Äußerliches, rehabilitiert Diederichsen die Pose als zentrale Einheit des Pop:
Wer aus dem Publikum auf die Bühne hinaufschaut, will wissen: Wer ist der Typ?
Was finde ich toll an ihm? Mit Lacan gedacht: In der Pose erkennt das
jugendliche Subjekt sich selbst im Spiegel fremder Begierden. Die Stimme
wiederum steht für das Einmalige, Auratische eines konkreten Sängers, das
Punctum: Als Mal des Authentischen verkörpert es die Seele im
kulturindustriellen Produkt.“Das Problem
solcher Behauptungen ist allein schon ihre Autoreferentialität, dieses
Hauptproblem des Diskurses über Pop und Popmusik. Das hört sich so, wie es da
steht, ja alles ganz nett und belesen an, es ist nur leider wenig sachgerecht
und hat hauptsächlich damit zu tun, daß die Kritiker des Pop selten über ihren
eigenen cup of tea hinausschauen, sondern bevorzugt so tun, als ob es außer
Popmusik und vielleicht noch ein wenig Jazz keine Musik gebe. „Starkult“,
mitunter sogar „Pose“ gab es schon im Barock, gab es in der Klassik (Mozart! Beethoven!),
gab es in der Romantik erst recht (von Chopin über Liszt bis zu Paganini), gab
es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (man denke nur an Caruso), und
über all diejenigen, die den Starkult als etwas „der Musik Äußerliches“ erlebt
haben, läßt sich das oben Gesagte genau so behaupten: Das aus dem Publikum auf
die Bühne hinaufschauen. Was finde ich toll an dem Typ? Der Lacan-Gedanke, das
Sich-Erkennen im Spiegel fremder Begierden. Das ist alles richtig erkannt,
wohnt nur eben aller Musik, ja sogar aller Kultur inne, hat also mit „Pop“ eher
wenig zu tun. Und kann als Erklärung für das Phänomen „Pop“ also nicht wirklich
dienen.Ganz im
Gegenteil: Hier ausgerechnet das „Authentische“ heranzuziehen, scheint mir doch
reichlich absurd zu sein. Gerade Pop verweigert sich ja bewußt den Zumutungen
der Authentizität – Pop ist eben nicht „handgemacht“, nicht „unplugged“, nicht
schnödes Lagerfeuer. Pop ist das genaue Gegenteil davon – Pop ist Behauptung,
ist Konstruktion, und die Künstler des Pop sind ja nun meistens Kunstfiguren,
wie etwa David Bowies Ziggy Stardust, oder solche, die mit dieser künstlichen
Konstruktion spielen, wie Michael Jackson, Madonna oder Lady Gaga. Schillernde
Identitäten, die mit Authentizität, diesem dumpfen und so schwierig auszusprechenden
Au-Wort, ungefähr so viel gemeinsam haben wie Maradona mit Uli Hoeneß.

13.03.2014

Diederichsens Verwertungszyklus

Auch
interessant: In einem klugen Aufsatz für die „Frankfurter Allgemeine
Sonntagszeitung“ forderte Diedrich Diederichsen 2010, daß die Kritiker (der
Beitrag war mit „Plattenkritik“ überschrieben) lange Texte schreiben sollen,
die sich ausdrücklich den Verwertungszyklen der Kulturindustrie verweigern, „Texte, die nicht zum Erscheinen der Platte, des
Buches, zur Einführung des Games oder zum Kinostart des Films erscheinen,
sondern irgendwann, zu Beginn, in der Mitte oder am Ende eines Rezeptionszyklus
intervenieren. Die Verbindung zum Leben, zur Rezensentensubjektivität als
Testarena der Rezeption stellt nicht mehr Schnelligkeit her, sondern eine
qualifizierte Langsamkeit die antikapitalistische Tiefe eines ungehetzten
Lebens im Dienste ästhetischer Reflexion.“Gut gebrüllt! Doch bei seinem eigenen Buch hat sich Diederichsen für das
Gegenteil entschieden – das Buch wurde mit einer massiven Kampagne beworben,
das deutsche Feuilleton stand Gewehr bei Fuß und brachte lange Rezensionen, bevor Diederichsens Buch überhaupt
erschienen war, und es gab große Interviews allüberall – die Werbekampagne war
generalstabsmäßig eben auf das „Erscheinen des Buchs“ ausgerichtet, es ging
gerade um Schnelligkeit, gewissermaßen um kapitalistische Oberflächlichkeit,
durch die Diederichsens eigene Forderung nach „antikapitalistischer Tiefe“ der
Kritik geradezu ad absurdum geführt wurde. It’s the economy, stupid!Und Sie wissen schon, „die schärfsten Kritiker der Elche“ undsoweiter...

13.03.2014

FAS & FAZ - Artikel & Anzeigen

Auf Seite 15
der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 9.3.2014 finden wir eine
ganzseitige Anzeige der Textilkette Adler. Titel: „Das Leben ist kein Laufsteg. Es ist Zeit für eine Mode, die mehr
Freude macht. Und weniger Druck.“Der bezahlte
Artikel zu dieser Anzeige, oh, Pardon, ich meinte natürlich: Der Artikel zu
dieser bezahlten Anzeige findet sich im darauffolgenden Buch der gleichen
Zeitung, auf Seite 23: „Adler will die
alten Kunden“ ist er überschrieben und gibt dem Firmenchef ausführlich
Gelegenheit, das zu wiederholen, was ein paar Seite vorher in der Anzeige
seiner Firma bereits stand.Beträgt der Weg
von der Anzeige zum Artikel in der „FAS“ im Fall der Textilkette Adler acht
Seiten, so ist er im Fall der Automarke Opel eine Seite kürzer: Auf Seite 31
der „FAS“ vom 9.3.2014 steht die halbseitige bezahlte Anzeige des Autokonzerns („Ist Opel noch so, wie Sie denken? Schauen
Sie doch mal nach!“), während Opel-Chef Karl-Thomas Neumann eine Seite lang
(auf Seite 24) über „die letzte Hoffnung“
Auskunft geben darf: „Jeder Popel fährt
‚nen Opel. Schlimmer kann der Ruf einer Firma nicht sein. Jetzt will der
Opel-Chef aus der Schwäche eine Stärke machen.“ Denn es geht um „Umparken im Kopf“, was wiederum nicht
im „FAS“-Artikel, sondern in der Opel-Anzeige steht. Es geht eben alles Hand in
Hand. Hinter jedem FAZ-Kopf steckt ein dickes Scheckbuch, sozusagen.Zufall? Nein,
eher nicht, das Wörtchen heißt „systemisch“. Man kann das Phänomen auch im
Feuilleton der „FAZ“ beobachten. Beispielsweise in der Literaturbeilage vom
8.3.2014, wo die viertelseitige Verlagsanzeige des Buches „Vielleicht Esther“
rechts neben der viertelseitigen Besprechung des nämlichen Buches steht (auf
den Seiten L 2 und L 3).Ich muß dann daran
denken, wie mir ein Insider des Buchmarkts mal erzählt hat, daß ein deutscher
Großschriftsteller in seinem Verlagsvertrag den Passus stehen habe, daß der
Verlag ihm garantiere, daß zu jedem seiner Bücher eine große Besprechung von
einer Seite Länge in den führenden Feuilletons der Republik zu erscheinen habe. Nun
werden Sie sich fragen, wie ein Verlag so etwas denn garantieren kann. Ganz
einfach: durch das Schalten entsprechender Anzeigen.Glauben Sie
doch bitte nicht, daß nur der Musikjournalismus embedded sei...

07.03.2014

Townes Van Zandt zum Siebzigsten

Townes Van Zandt wäre am 7.März 2014 70 Jahre alt geworden.So ist
das mit Townes - vor drei Tagen, im Bonnie 'Prince' Billy-Konzert in
Berlin, dachte ich fast den ganzen Abend an meine Zeit mit Townes, und
was für ein großes Geschenk es war, die letzten Jahre seines Lebens als
Europaagent für Townes arbeiten zu dürfen. Und daß die Mischung aus
Melancholie, Humor, Skurillität, wegen mir auch "Wahnsinn" ("Wahnsinn
hat seine Annehmlichkeiten" war der Titel der Konzertkritik in der
"Berliner Zeitung", und auf Facebook fand jemand heraus, daß das wohl
von Diedrich Diederichsens Rezension der Spacemen 3 aus Spex 11/87
geliehen ist...), aber auf jeden Fall auch "Entertainment" der beiden
Künstler Will Oldham und Townes Van Zandt sehr viel miteinander zu tun
haben. Und am zweiten Berliner Abend drückt mir dann jemand, den ich
nicht kannte, zwei Alben namens "Songs of Townes Van Zandt" in die Hand.
Zufall? Und heute im Büro und jetzt eben abends denke ich, wann wurde
Townes eigentlich geboren? Ich muß sagen, daß mir Jahrestage wenig
bedeuten, wer Jahrestage braucht, um sich an Musiker zu erinnern, ist
Lohnschreiber im Feuilleton. Aber ich war doch neugierig und google
spätabends Townes und sehe: ah ja, also genau vor siebzig Jahren... So
ist das also.Townes hätte das gefallen, denn er war abergläubisch.
Sehr. Zum Beispiel verlangte er immer von seinem Tourmanager, vor jedem
Tunnel, den sie durchfuhren, groß zu hupen, um die bösen Geister zu
vertreiben. Wenn Townes aber auf dem Beifahrersitz eingeschlafen war,
passierte es, daß sein Tourmanager nicht hupen wollte, um Townes nicht
aufzuwecken - der aber wachte bei der Tunneleinfahrt von selber auf und
fragte, warum der Fahrer vergessen habe zu hupen. Word.Was soll ich
sagen. Ich habe heute noch Tränen in den Augen, wenn ich manche Songs
von Townes höre. Er war nicht nur einer der größten Songwriter aller
Zeiten, er war auch ein kind-hearted man, ein wundervoller Mensch.
Unvergessen. Das, was Rilke so schön schrieb über die Kraft wirklich
großer Kunstwerke ("...denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht.
Du mußt dein Leben ändern."), gilt in besonderem Maße für viele der
Songs von Townes Van Zandt. Vergeßt bitte mal, für ein paar Minuten
wenigstens, das alltägliche Gewese der Welt. Besinnt euch. Hört ein paar
Songs von Townes Van Zandt.Auf Youtube kann man wunderbare
Ausschnitte von Townes sehen, etwa aus dem Dokfilm "Heartworn Highways" -
"Nothin'" oder "Waitin' Around To Die", dem ersten Song, den er je
geschrieben hat... und Chrigel Fisch hat eine sehr schöne Liste mit
Townes-Songs zusammengestellt, auch auf Facebook zu finden. Ich habe
lange überlegt, welches Video ich zu dieser Nachricht packe, und es ist
aus vielerlei Gründen, die zu erläutern hier zu weit führen würde,
"Tecumseh Valley" in einer Liveaufnahme von 1993 geworden - auch wenn
die Aufnahme leider eiert, zeigt sie doch sehr schön, wer Townes war,
und warum man ihn so sehr liebt und verehrt. Townes, we'll send you
dead flowers by the mail, and we won't forget to put roses on your grave
(es gibt eine traumhafte Version von "Dead Flowers" von Townes...).Call me sentimentalist, stupid, but I mean it.

01.03.2014

Musikindustrie Ergebnisse 2013

Nur damit wir nicht vergessen, womit wir es hier
generell zu tun haben, nämlich mit der Kulturindustrie, mit der Musikindustrie
– dieser Tage haben die großen Konzerne der Bewußtseinsindustrie ihre
Jahreszahlen veröffentlicht:

Live Nation
Entertainment, der weltgrößte Konzertveranstalter und gleichzeitig
weltgrößter Tickethändler, erzielte „beim
Jahresumsatz, dem Free Cash Flow sowie dem angepaßten Betriebsergebnis
Rekordwerte“ („Musikmarkt“). Im Jahr 2013 setzte Live Nation demnach 6,5
Milliarden US-Dollar um, elf Prozent mehr als 2012. Das angepaßte
Betriebsergebnis lag Ende 2013 bei 505 Millionen Dollar, was einem Zuwachs um
zehn Prozent im Vergleich zu 2012 entspricht. Weltweit haben im vergangenen
Jahr fast 60 Millionen Menschen Live-Nation-Konzerte besucht, 19 Prozent mehr
als noch 2012. Live Nation war laut Eigenaussage „an 21 der 25 umsatzstärksten Tourneen in Nordamerika beteiligt“
gewesen. –

Der deutsche Monopolist („Marktführer“ heißt das
heutzutage verniedlichend), die CTS
Eventim AG also, deren Chef Klaus-Peter Schulenberg im Juni 2013 vom
amerikanischen Wirtschaftsinformationsdienst „Bloomberg“ das erste Mal zu den
„Dollar-Milliardären“ gezählt wurde, schrieb ebenfalls Rekordzahlen: Der
Konzernumsatz stieg laut vorläufigem Geschäftsbericht des Konzerns in 2013 um
20,8 Prozent auf 628,3 Millionen Euro. Das „normalisierte EBITDA“ (also der operative
Gewinn) der CTS Eventim AG stieg um 13,7 Prozent auf 136,3 Millionen Euro.Im Segment
Ticketing verzeichnete CTS Eventim einen um 16,5 Prozent auf 269,7 Millionen
Euro gestiegenen Umsatz. 2013 verkaufte CTS Eventim allein 23,8 Millionen
Tickets über das Internet, was eine Steigerung von rund 16 Prozent gegenüber 2012
bedeutet. Der Ticketverkauf über das Internet ist für die Ticketingkonzerne
bekanntlich besonders profitabel, laut Schulenberg „ist die Wertschöpfung im
Online-Ticketing pro Karte sechsmal höher als beim herkömmlichen Verkauf“. –

Der weltgrößte
Tonträgerkonzern, die Universal Music
Group, hat den Umsatz 2013 um 13 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro
gesteigert. Dabei überstiegen die Online-Verkäufe laut „FAZ“ erstmals den
Umsatz mit Tonträgern. Die Erlöse mit Abonnements und Streaming sind demnach um
75 Prozent gewachsen. Der Betriebsgewinn der Universal Music Group ist jedoch
durch die Integration von EMI um 3 Prozent gesungen auf "nur" noch 511 Millionen
Euro.Der Mutterkonzern
von Universal, Vivendi, hat 2013
einen Umsatz von 22,1 Milliarden Euro gemacht; der Nettogewinn betrug fast 2
Milliarden Euro. –

In all unseren
Überlegungen über die kulturelle Selbstbestimmung, über das Grundrecht auf
Teilhabe am kulturellen Leben sollten wir diese Zahlen stets einbeziehen.

01.03.2014

Whatsapp

Nun hat die Fressenkladde also die Klitsche „What’s App“ gekauft. Für
ein paar Dollar mehr.Ich erinnere mich an eine Szene der späten 80er Jahre. Einer meiner
Freunde erklärte sein Mißtrauen gegenüber der digitalen Vernetzung. Er war
Professor an der Fuldaer Fachhochschule und mit mir in den 80er Jahren im
Stadtparlament der Bischofsstadt, gemeinsam hatten wir gegen die staatliche
Volkszählung 1987 gekämpft. Es ging schon damals um das Grundrecht auf
informationelle Selbstbestimmung, das 1983 vor dem Bundesverfassungsgericht
erst erstritten werden mußte, und um den immer stärkeren Datenaustausch
von Polizei und Geheimdiensten ebenso wie die Datensammlungen der Wirtschaft in
Zeiten des Fortschreitens der Computerisierung. Internet, die Jüngeren werden
sich das nicht vorstellen können, gab es im Privatleben seinerzeit noch nicht.Ich erinnere jedenfalls, wie mein Freund in seiner
unnachahmlichen Art, den gesunden Menschenverstand in einfache Bilder zu
gießen, bemerkte, er fände es unheimlich, daß mit einem aus der Wand kommenden
Kabel sein Computer verbunden werde, also jemand von außen auf sein privates
Gerät zugreifen könne. Als mich dieser Freund und seine Frau letzten Sommer in
Berlin besuchten, erzählte seine Frau, daß sie ständig What’s App verwende... Die Frage, ob ein
relativ junges, vor wenigen Jahren gegründetes Unternehmen wie Whatsapp mit nur
55 Mitarbeitern mehr wert sein kann als sagen wir ein traditionsreicher
Stahlkonzern wie Thyssen-Krupp mit mehr als 150.000 Mitarbeitern, ist nicht nur
sehr „analog“, sondern wahrscheinlich auch falsch gestellt. Whatsapp wird
derzeit von 450 Millionen Menschen genutzt und gilt als Datenkrake, als ein Unternehmen, das eine Art „Super-Wanze“
in den Mobiltelefonen seiner Nutzer installiert. What’s App ist ein Jahr lang
„kostenlos“, aber bezahlt wird natürlich in einer anderen Währung, nämlich mit
den Daten der Nutzer, mit der kompletten Preisgabe aller persönlichen
Vorlieben. „Die App kann Gespräche und
Telefongespräche mitschneiden, sie kann Fotos einsehen, mit dem aktuellen
Standort versehen und hochladen. Diese Daten werden, wie niederländische
Behörden nachgewiesen haben, auf amerikanische Server übertragen, ohne dass man
es merkt. Wenn der Nutzer „WhatsApp“ verwenden will, muss er dies zulassen.
Dies geschieht auch, wenn die App im Hintergrund läuft.“ (EDV-Experte
Steffan Löffelbein laut „Der Westen“). „Es ist ein
Vermögen wert zu wissen, welche Menschen auf welchen Umlaufbahnen aneinander vorbeischweben,
um miteinander Kontakt aufzunehmen“ (Frank Schirrmacher). „Kostenlos“ ist in
der digitalen Welt gar nichts. Wir bezahlen immer – mit unseren Daten, mit
unseren Gewohnheiten, mit unserer Privatheit. „Wer immer einem ein kostenloses Angebot macht, ist verdächtig“
(Hans Magnus Enzensberger).Jürgen Habermas hat 1968 unter dem Titel „Technik und Wissenschaft als
‚Ideologie’“ eine Festschrift für Herbert Marcuse veröffentlicht. Darin
beschreibt Habermas „eine große Zahl von
Techniken der Verhaltenskontrolle und der Persönlichkeitsveränderung: neue und
alles durchdringende Techniken zur Überwachung, ständiger Beobachtung und der
Kontrolle von Individuen und Organisationen; neue und zuverlässige
erzieherische und werbemäßige Techniken um menschliches Verhalten zu
beeinflussen – privat und öffentlich; praktische Anwendung unmittelbarer
elektronischer Kommunikation, die mit den Gehirnen operiert; neue und relativ
effiziente Techniken zur Widerstands-Bekämpfung.“ Es geht um die „manipulativen Zwänge eines
technisch-operativen Staates“ – Zwänge, die, wie wir heute wissen, nicht
nur von einem technisch-operativen Staat, sondern vor allem auch von
Großkonzernen ausgeübt werden, die gerne Hand in Hand mit den Staaten und
seinen Geheimdiensten operieren. Wir sind in der Welt von Apple, Amazon,
Facebook und Google – einer Welt, in der die Daten von 450 Millionen Menschen
eben auch mal 19 Milliarden Dollar wert sind.

01.03.2014

Facebook Zensur Patti Smith

Was die kalifornische Ideologie in der Praxis bedeutet, konnte ich
dieser Tage erleben, als ich ein Facebook-Posting über die Sommer-Tournee von
Patti Smith and her band mit einem Live-Video ihres „Rock’n’Roll Nigger“
versehen wollte.Das „Facebook-Werbeteam“ teilte mir mit: „Dein hervorgehobener Beitrag wurde nicht genehmigt.“Konkret teilte mir Facebook mit: „Ein
Beitrag, den Du hervorgehoben hast, verstößt gegen unsere Richtlinien und wurde
deshalb abgelehnt. (...) Die Gestaltung deiner Werbeanzeige verstößt gegen
unsere Werberichtlinien. Wir gestatten die Verwendung von profaner, vulgärer
und bedrohlicher Sprache nicht. Facebook akzeptiert keine Werbeanzeigen, die
Nutzer beleidigen, belästigen oder erniedrigen. Inhalte, die sich auf Alter,
Geschlecht, rassische Attribute, physische Zustände oder sexuelle Vorlieben von
Nutzern beziehen und starkes negatives Feedback hervorrufen, sind nicht
gestattet.“Nun heißt Patti Smith’s Song aber nun einmal Rock’n’Roll Nigger, was alles andere als
rassistisch ist. Doch darum geht es den kalifornischen Ideologen bei Facebook
letztlich auch gar nicht – sie haben sich eine von Teilen der Hippie-Bewegung,
der kulturellen Boheme aus San Francisco, entwickelte „political correctness“
geborgt, mit der sie ihre Produkte der Informationstechnologie ideologisch
verbrämen. Rebellische Musik oder dialektisches Denken sind natürlich
ausdrücklich nicht Teil der Geschäftspraxis von Facebook & Co.

01.03.2014

Sarrazin beleidigt

Thilo „wird man doch wohl noch sagen dürfen“ Sarrazin ist beleidigt und
hat ein neues Buch geschrieben. Wenn ich den Feuilletons, die ich so lese,
trauen darf, ist das Buch genauso furchtbar wie sein Buch davor, nur mit einer zusätzlichen
Portion Weinerlichkeit und Selbstmitleid. Aber das Buch muß dennoch im großen
Stil allüberall besprochen werden.So ist das mit den bürgerlichen Medien – kaum hat jemand einen Köttel
auf den Weg gelegt (und im Fall Sarrazin ist dies, was Konsistenz und Farbe
angeht, wohl ein geeignetes Bild), schon versammeln sie sich alle um diesen
Köttel und müssen ewig darüber reden (sie nennen es „debattieren“...). Ein
blödes Buch eines blöden Ex-Politikers einfach zu ignorieren, scheint keine
Option zu sein. Selbst in der „Jungle World“ fand man es nötig, zwei Seiten
über Sarrazin vollzuschreiben – als Abonnent der Zeitschrift kann ich versichern,
daß ich dort derartige überflüssige Artikel nicht lesen zu müssen wünsche.Wie wäre es im Gegenteil, wenn man statt der Rezensionen eines wohl eher
armseligen Buches mal ausführlich darüber berichten würde, daß der Aufsichtsrat
der BVG, also der Berliner Verkehrsbetriebe, 2007 unter seinem Vorsitzenden
Sarrazin einem komplizierten Geschäft mit der US-Bank JP Morgan nach nur
vierminütiger Beratung zugestimmt hat, ein Geschäft, das er laut Eigenaussage
„nicht verstanden“ hat?Die BVG-Verantwortlichen haben seinerzeit ein extrem riskantes
Finanzierungsgeschäft abgeschlossen, das die BürgerInnen Berlins möglicherweise
bis zu 150 Millionen Euro kosten wird. „Daß die BVG-Verantwortlichen Anfang des 21.
Jahrhunderts bei diesem Vertrag unwissend oder gar dumm gehandelt haben sollen,
geht nach Informationen der ‚tageszeitung’ aus Prozessunterlagen hervor, die
für eine Klage vor dem High Court in London eingereicht worden sind. Mit der
Klage will die BVG verhindern, zur Kasse gebeten zu werden“, berichtet der
„Tagesspiegel“.Sarrazin und sein Aufsichtsrat hatten also „nichts verstanden“, haben „unwissend“ oder gar „dumm“, auf jedem Fall aber zum Nachteil
der Berliner BürgerInnen gehandelt – das ist ein Thema, das mich interessiert!
Darüber sollte ausführlich berichterstattet werden, finde ich.

28.02.2014

Seehofer überwacht Gabriel

Im „Spiegel“ beklagt CSU-Chef und Bayern Ministerpräsident Seehofer die
„Geschwätzigkeit“ des SPD-Chefs und Vizekanzlers Gabriel. Der SPD-Mann habe
jede Menge Vertrauen verspielt, nun müsse er „genau beobachtet werden“.Wie darf man sich das vorstellen? Hat das bayerische Landeskriminalamt
die Überwachungssoftware „Optic Nerve“ vom britischen Geheimdienst bezogen, mit
der die Briten die gesamte Webcam-Kommunikation über Yahoo erfaßt haben?
Obacht, Sigmar Gabriel, beim Videochat mit den Lieben daheim – Big Brother
Seehofer might be watching you!

28.02.2014

Frei.Wild, Echo und Ethik-Beirat

„Nach den
Erfahrungen mit dem Fall Frei.Wild aus dem vergangenen Jahr hatten die
Echo-Organisatoren kürzlich einen Ethikbeirat ins Leben gerufen. Als erstes
beschäftigte sich das neue Gremium nun mit Frei.Wild und dem Album ‚Still’ und
sah keinen Grund für einen Echo-Ausschluß“, berichtet die „Musikwoche“. Großartig.Wie gut, daß Gornys Verband einen Ethikbeirat ins Leben gerufen hat, der
der rechts-nationalistischen Band prompt einen Persilschein für weitere
Echo-Teilnahmen ausstellt. Lang lebe die Ethik, wie sie der Bundesverband der
Deutschen Musikindustrie interpretiert! Und prompt wurden Frei.Wild aus
Südtirol, reingewaschen vom Ethikbeirat der deutschen Musikindustrie, wieder für
den Echo nominiert.

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