Wie Sie vermutlich gehört oder gelesen haben dürften, haben die Gerichte nach den Autoren nun auch den Musikern gegenüber den Verwertungsgesellschaften (hier Gema, dort VG Wort) den Rücken gestärkt und die gängige Praxis, daß die Verwertungsindustrie automatisch einen gehörigen Anteil an den Einnahmen der Verwertungsgesellschaften erhält, die eigentlich für die Urheber bestimmt sind, damit illegal ist.
Wie schon im Verlagswesen gab es auch in der Musikindustrie großes Geschrei, das zunächst einmal darauf hinweist, daß die Musikverleger ein zumindest gestörtes Verhältnis zum Rechtsstaat zu haben scheinen. Klar, ein höchst profitables Geschäftsmodell stellt sich als illegal heraus, das ist natürlich ärgerlich. Aber würde man es korrekt finden, wenn die Mafia, wenn ihre Handlungen denn mal vor Gericht kommen, heulsusig nach Änderung der Gesetze verlangt, nach denen sie verurteilt wird? Das aber geschieht bei den Urheberrechten – und die große Koalition von CDUSPDCSU hat im Hauruckverfahren und ohne jeden Diskurs, ohne jede öffentliche Diskussion soeben eilig eine Gesetzesänderung durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht, die zwar dem europäischen Recht, das in dieser Sache verbindlich ist, bewußt widerspricht, das aber den Verlegern weiterhin ihre Profite sichert und die Künstler weiterhin benachteiligt – jedenfalls solange, bis wieder ein Künstler gegen das Unrecht klagt, und die Verfahren bis zur höchstrichterlichen Entscheidung dauern bekanntlich Jahre.
Dennoch ist der Fall der Musikverlage ein anderer als der der Buchverlage (der wieder anders ist als der der Zeitungsverlage). Denn die Musikverlage haben ja im Gegensatz zu den Buchverlagen kaum Kosten – während Letztere Bücher mitunter immer noch lektorieren, dann drucken und kostspielig in den Vertrieb bringen, also bis zur ersten Einnahme durch den Bücherverkauf beträchtliche Kosten haben, gilt dies nicht für die Musikverleger. Es werden keine Noten mehr hergestellt, und die Musikstücke gelangen nicht in einen aufwendigen physischen Vertrieb. Vereinfacht gesagt ist das Musikverlagswesen die Lizenz zum Gelddrucken. Und zwar auf Kosten der Urheber.
Jeder in der Musikbranche weiß das. Kaum einer sagt es. Das hat zweierlei Gründe: Zum einen das der Musikindustrie eigene omertahafte Gesetz des Schweigens. Zum anderen hat eben fast jeder Musiker einen Verlagsvertrag, und fast jedes Label hat entweder einen eigenen Musikverlag oder arbeitet mit solchen zusammen.
Ich kann mich noch gut erinnern, wie das in meinen ersten Jahren in der Musikbranche, also Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre war – im „learning by doing“-Verfahren hat man Einblick in die Musikbranche erlangt. Und dann kamen die ersten Indielabels, die einem gesagt haben, „weißt du, wo das wirkliche Geld verdient wird? Im Musikverlag. Kein Risiko, kaum Kosten, lebenslange Gewinne.“ Man hat gestaunt, wie so ein System funktioniert, und andere haben nicht nur gestaunt, sondern gegründet, nämlich ihren eigenen Musikverlag. Heute hat praktisch jedes Indielabel auch einen eigenen Musikverlag...
Daß das heute noch genauso läuft, kann man beim geschätzten Maurice Summen vom renommierten Staatsakt-Label nachlesen, der in seinem November-Newsletter schreibt:
„Hast Du schon mal überlegt einen Verlag zu gründen?“, wurde ich vor ca. 7 Jahren von einem der größten Musikverlage der Welt gefragt. „Wir schließen dann einen Co-Verlagsvertrag mit Dir, das bedeutet Du nimmst nach Gusto die Künstler und Künstlerinnen unter Vertrag, wir geben das Geld und machen für alle die Administration“. Das Konzept klang simpel und schlüssig. Ich nippte genüsslich an meiner Pfeife sagte zu. Und natürlich bekam ich für die Zusage auf dieses Angebot noch einen Check obendrauf.
So sichern sich die großen Musikverlagshäuser seit Jahrzehnten den Zugang zu den Szenen und erweitern so nicht nur ihr Repertoire, sondern setzen vor allem auf den potenziell nächsten Westernhagen, Grönemeyer oder Lindenberg. Es gibt nie einen Hitgaranten, aber immer eine Chance auf den nächsten großen Hit! Oder jemanden, der einen solchen schreiben kann...
Wer nicht genau weiß, wie das Musikverlagswesen funktioniert, dem sei das an dieser Stelle kurz erklärt: Der Urheber schließt einen Vertrag mit einem Verlag ab, dem er die Administration seiner Werke auf Basis seiner Rechte übergibt. Der Verlag bekommt dann auf Lebenszeit 40% der Einnahmen, die über die GEMA eingesammelt werden. Für gewöhnlich lockt der Verleger den ewig klammen Musikus und Musikussinnen mit einer saftigen Vorschusszahlung, die der Künstler oder die Künstlerin normalerweise in voller Gänze an den Verlag zurückzahlen muss.
Ein ziemlich teurer Kredit, wenn man dabei an die 40% Anteil auf Lebenszeit nach Rückzahlung der Vorschussleistung denkt.“
Ein ziemlich teurer Kredit fürwahr, mit 40% Zinsen. Im normalen Geschäftsleben nennt man so etwas glaube ich Wucher. In der Musikindustrie, die zu einem großen Teil auf dem unausgesprochenen Einverständnis darüber beruht, die Musiker*innen um einen möglichst großen Anteil ihrer Einnahmen zu bringen, gilt das als seriös und alternativlos. Nur mal so zum Vergleich: Als Tourneeveranstalter bekommt man zwischen 10 und 20 Prozent des Gewinns (!) eines Konzerts, als örtlicher Konzertveranstalter meistens deutlich weniger. Für Künstleragenten sind 10 Prozent der weltweite Standard. Und eines kann ich Ihnen sagen: Die Veranstalter und Agenten haben einen durchaus harten Job, sie gehen ständig ins Risiko, sie investieren beträchtlich in die Künstler, und dennoch reicht es in aller Regel nur bei geschätzt einem guten Drittel der Konzerte zum Gewinn (das gilt natürlich nicht für die Kolleg*innen, die nur noch Konzerte von gewinnträchtigen Mainstreamkünstlern veranstalten, und das werden immer mehr – also nicht die Künstler, sondern die Kollegen...). 40 Prozent Anteil? Total unseriös.
In der heutigen „taz“ hat der Musiker Frank Spilker in einem Interview mit Dirk Schneider sehr anschaulich und gleichzeitig kritisch das Musikverlagswesen unter die Lupe genommen (ich würde sagen: Pflichtlektüre für alle Musiker*innen!). Er kommt zu dem Resümee:
„Einen Verlagsvertrag bietet dir sofort jeder an. Das sind die besten Rechte, die man haben kann, weil man als Verleger nichts dafür tun muß. Er verpflichtet zu keinerlei Ausgaben, sichert aber dauerhafte Beteiligung an Einnahmen der Autoren. (...) In der gängigen Praxis steckt so eine Geste der Entmündigung der Autoren. (...) Das Verlagsrecht, zumindest in der Popbranche, ist nicht mehr zeitgemäß und verleitet Manager dazu, Künstler auszunutzen, die das nicht sofort verstehen. Junge Musiker kümmern sich meist nicht um rechtliche Sachen, und das begünstigt das Arschlochverhalten. Verlage sagen immer: ‚Ich baue dich auf!’ Aber sowohl bei Labels als auch bei Verlagen wird nur in Sachen investiert, die vielversprechend sind, in die auch andere Leute investieren würden.“
Das Problem ist wie so häufig in der Musikbranche, daß ein veraltetes, aber für die Verwerter höchst profitables Geschäftsmodell wirklich bis zum Gehtnichtmehr weiter verfolgt wird – eben, weil es so profitabel ist. Und „die Politik“ verlängert diese Geschäftsmodelle, weil es eben die Kulturindustrie ist, die sich kostspieligen Lobbyismus leisten kann, während die Künstler*innen keine Lobby haben. Und so passiert es, daß das Urheberrecht im Eilverfahren geändert wird, damit die Verwerter auch künftig ihre Profite zulasten der Urheber einstreichen können. Während eigentlich eine Gesetzesänderung zugunsten der Urheber vonnöten wäre – etwa dergestalt, daß der auf 40 Prozent festgeschriebene Verlagsanteil an den Gema-Zahlungen auf ein realistisches Maß reduziert wird und die Künstler nicht gezwungen sind, durch Tricks und Umwege (etwa durch Gründung von Subverlagen, die noch einmal 20 Prozent erhalten, womit die Künstler dann auf 80 Prozent Anteil an den Gema-Zahlungen gelangen) zu einem fairen Anteil an ihren (wir betonen: an IHREN!) Geldern zu gelangen.
(Wir wollen nicht verschweigen, daß es auch seriöse Musikverlage gibt, die ihre Künstler fair an den Einnahmen beteiligen. Und vor allem gibt es auch Musikverlage, die längst die Zeichen der Zeit erkannt haben und zusätzlichen Service für ihre Künstler anbieten, etwa Künstlermanagement.)