Die Idee stammt aus Frankreich (mit einer Vorgängerin in Italien) und ist nicht völlig schlecht: In Frankreich steht allen jungen Menschen mit ihrem 18. Geburtstag ein Kultur-Guthaben in Höhe von 500 Euro zur Verfügung, über das sie relativ frei verfügen können. Auf reinen Verkaufsplattformen wie Amazon oder bei Streamingdiensten wie Spotify oder Netflix darf njr begrenzt Bonusguthaben ausgegeben werden. Die sogenannte „private Wirtschaft“ trägt, darunter Firmen wie Apple, Facebook oder Google, trägt etwa 80 Prozent der Kosten.
Die von der grünen Staatsministerin für Kultur stolz präsentierte Kopie des französischen „pass Culture“ dagegen hat viele Schwächen. Mal abgesehen davon, dass nur 100 Millionen Euro zur Verfügung stehen, im ersten Jahr (ab dem 2. Quartal 2023) aber 750.000 Bürger:innen 18 Jahre alt werden, die den deutschen „Kulturpass“ von jeweils 200 Euro erhalten sollen – wer im Matheunterricht nicht aufgepasst hat, kann seinen Taschenrechner rauskramen und wird feststellen, dass 750.000 mal 200 nicht 100 Millionen, sondern 150 Millionen Euro ergibt – das wäre der Betrag, den die Regierung im Haushalt veranschlagen müsste, wenn sie wirklich alles dafür tun wollte, dass tatsächlich alle 18-Jährigen eines Jahrgangs von den Segnungen des Kulturpasses profitieren.
Noch problematischer aber sind die Einschränkungen in dem Konzept, dass von Claudia Roth (Grüne) und Christian Lindner (FDP) präsentiert wurde: Auf keinen Fall sollen die Gelder dort ankommen, wo junge Menschen gemeinhin kulturell aktiv sind, nämlich bei Streaming-Plattformen. Toll, wie gut sich die grüne „Kulturbevormundungsministerin“ (Martin Hufner in der „nmz“) in die digitale Lebensrealität junger Menschen einfühlt! Kultur ist, so wollen es die Kulturnation Deutschland und ihre oberste Vertreterin, nur dann Kultur, wenn sie in regionalen Kultureinrichtungen wie „Kinos, Theatern, Konzerthäusern, Museen, Gedenkstätten, Kulturzentren, Parks und Schlössern oder Clubs“ genossen wird (wie schön, dass sie am Ende ihrer Aufzählung noch die Kurve gekriegt hat, nach all den Theatern und Schlössern…). Soi wie hierzulande bis vor kurzem Literatur nur als Kulturgut galt, wenn sie ordentlich in gedruckten Büchern daherkam statt in digitalen E-Books – die ersteren wurden als Kulturgüter mit dem ermäßigten Umsatzsteuersatz von 7%, die letzteren – weil Goethe oder Thomas Mann digital nun mal kein Kulturgut darstellt – mit 19%.
Und alles soll, so will es Frau Roth, unbedingt „bio“, ach nein, Quatsch, nicht bio, sondern „regional“ daherkommen. Die jungen Menschen auf dem Land wird’s freuen – sie bekommen 200 Euro geschenkt, die sie aber nur in Kinos, Theater, Konzerthäusern, Schlössern oder Clubs ausgeben dürfen, die es aber auf dem Land dummerweise häufig gar nicht gibt – während digitaler Musik- oder Filmgenuss, der allüberall abzurufen wäre, verpönt bleibt, da sei grüne Kulturpolitik vor. Pro forma sagt man den jungen Menschen, dass sie frei wählen können, welche Kulturangebote sie mit dem neuen Kulturpass nutzen wollen. In der Praxis sind es aber die Ministerin, Ministerialbeamte und Kulturbürokraten, die in der grünen Kontrollgesellschaft entscheiden, welche Angebote überhaupt zum Kulturpass gehören: Streaming: nein, Vinyl (das ausdrücklich erwähnt wird) oder Kino: ja. Teure Konzertkarten: nein, die Tickets werden mit einer Preisobergrenze versehen (adieu Beyoncé…). Und welche Buchhandlung, welches Multiplexkino, welcher Konzertveranstalter darf denn nun als „regional“ gelten? Wer bekommt letztlich das Claudia Roth-Gängelungs-Siegel „lokale Kulturanbieter“ verliehen?
Wie gesagt, die Idee ist grundsätzlich gut. Und man könnte ja auch dafür sorgen, dass die 200 Euro auf verschiedene Kulturformen aufgeteilt werden müssen, damit die jungen Bürger:innen auch die Vielfalt der Kultur kennenlernen können. Etwa, indem sie jeweils sagen wir mindestens 20 Euro für Konzerte, Theater/Opern, Museumsbesuche, Bücher/Comics/Graphic Novels und Filme ausgeben müssen – der Rest steht zur freien Verfügung, und alle Beträge sind ohne irgendwelche Einschränkungen, können also auch für Streaming oder zum Beispiel für die Konzerte bundes- oder weltweit agierender Konzertveranstalter ausgegeben werden. Oder für Musikunterricht…
(und dass die Bundesregierung erst eine App konstruieren will, die ihr Kultur-Bevormundungssystem in die digitale Praxis umsetzen soll, macht zusätzlich Sorge: man weiß ja leider nur zu gut, wieviel hierzulande die Programmierung einer brauchbaren App kostet – die „Corona-Warn-App“ hat bislang mehr als 220 Millionen Euro gekostet…)