Gema vs. YouTube
Eigentlich sollte man meinen, daß ein Gerichtsurteil wie das
im Fall YouTube vs. Gema Klarheit schaffen würde. Das ist auch der Fall: Für
die, die sich in der Materie auskennen und nicht von Lobbyisten gekauft sind,
ist die Sache klar – die von der Gema erhoffte Grundsatzentscheidung zur Frage,
wie mit dem Urheberrecht beim Umgang mit Musik und Filmen im Internet künftig
zu verfahren sei, blieb aus. Ganz im Gegenteil, die Gema verlor sogar ganz
konkret: YouTube darf laut dem Hamburger Urteil weiterhin einige der zwölf in
Frage stehenden Musiktitel in seinem Angebot bereitstellen – anders, als die
Gema in ihrer Klage gefordert hatte. Und die Gema wollte, daß das Gericht
YouTube als Inhalteanbieter haftbar für von Nutzern hochgeladene Inhalte macht.
Auch diesem Teil der Klage ist das Hamburger Gericht nicht gefolgt – danach
haftet YouTube nur als „Störer“, wie es im Juristendeutsch heißt, für die von
Nutzern hochgeladenen Clips, die Rechte von Gema-Mitgliedern verletzen. „Störerhaftung bedeutet eigentlich: Die
Plattform ist erst dann verantwortlich für Rechteverletzungen der Nutzer, wenn
jemand die Plattform auf den konkreten Fall hinweist.“ Allerdings: „Das Hamburger Gericht legt YouTube nun
jedoch erheblich weiterreichende Prüfpflichten auf: Die Plattform muß alle
neuen Uploads scannen und mit Wortfiltern die Begleittexte prüfen“ (Spiegel
Online) – das ist wohl der eher kleine Teilerfolg, den die Gema vor Gericht
erstritten hat.
Auf „Spiegel Online“ weist Konrad Lischka zurecht darauf
hin, daß eine Einigung zwischen Gema und YouTube nun zumindest erleichtert
wird, denn die Gema hat sich nun vom Gericht um die Ohren hauen lassen müssen,
daß, anders als erhofft, von YouTube keine Schadensersatzzahlungen für
Urheberrechtsverletzungen der Vergangenheit geltend zu machen sind. Letztlich
geht es Gema und YouTube natürlich ums Geld – die Gema möchte, daß YouTube
einen festen Beitrag je Abruf eines Werkes bezahlen soll (die sogenannte
Mindestnutzung), und zusätzlich „einen
festen Anteil des auf die Musiknutzung zurückzuführenden Nettoumsatzes (die
sogenannte Regelvergütung). Was bei der Mindestvergütung anfällt, wird mit der
Regelvergütung verrechnet“ (SPON). Die Gema möchte 0,006 Euro pro Abruf –
hört sich wenig an; wenn man sich aber betrachtet, daß deutsche Internetnutzer
z.B. im April 2011 über 3,8 Milliarden Videos abriefen (das ist ein Jahr her,
und die YouTube-Abrufe erfreuen sich drastisch steigender Beliebtheit!), dann
weiß man, daß es da um einen deutlich zweistelligen Millionenbetrag monatlich
geht – diese Summe muß man erstmal mit Online-Werbung verdienen...
Wirklich interessant ist allerdings, wie die Medien auf das
Hamburger Gerichtsurteil reagierten: Daß der embedded journalism der
Musikindustrie keine seriöse Berichterstattung kennen würde, durfte man
erwarten: „GEMA setzt sich mit
YouTube-Klage durch“, titelte die „Musikwoche“ in einer Meldung.
Auch die „Berliner Zeitung“ titelt „Gema erringt einen Teilsieg“, stellt im Artikel dann allerdings
klar, daß das Gericht im Gegenteil in den wesentlichen Punkten „der Argumentation von YouTube folgte“: „Die Gema hatte bislang argumentiert,
YouTube sei hinsichtlich der Gebühren wie ein Inhaltsanbieter zu behandeln. Dem
widersprach nun das Gericht. Google erklärte daher, in der Hauptsache gewonnen
zu haben.“
Die „Süddeutsche“ titelt „YouTube
muß Musik-Clips löschen“ und geht, wen wundert das noch, Hand in Hand mit Springers „Welt“ („YouTube muß Videos im Internet löschen“).
Die „Welt“ sieht in einem Leitkommentar gar die abendländische Welt gerettet: „Geist gegen Google“, tönt es da wenig
geistreich.
Die „taz“, zu deren Gesellschaftern bekanntlich „Bild“-Chefredakteur
Kai Diekmann gehört, hat wieder einmal nichts verstanden und stößt ins gleiche
Horn wie Springer auf der anderen Straßenseite: In der „taz“ heißt es „YouTube verliert Prozeß“, und sie
berichtet von einem angeblichen „Etappensieg
für die Gema“.
Ist schon drollig, wenn man betrachtet, wie ein und derselbe
Beitrag je nach Kompetenz und Seriösität der Autoren unterschiedlich gewertet
wird – die „FAZ“ berichtet von einem Beitrag von Thomas Hoeren, Professor für
Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht an der Universität Münster,
im Deutschlandradio, wonach dem Fachmann die Forderung „unmöglich erscheint, Urheberrechtsverletzungen von YouTube vorab
prüfen zu lassen“: „Ich kann eben im
Internet nicht filtern, ich kann einem Bit nicht ansehen, was es beinhaltet,
ich kann nicht die Millionen von YouTube-Videos, die da sind, auf urheberrechtliche
Lagen hin durchprüfen. Deshalb hatte der Gesetzgeber ausdrücklich ins Gesetz
hineingeschrieben, daß es solche Prüfungspflichten nicht geben soll.“
Und was macht René Martens in der „taz“ daraus, gepaart mit
etwas Mitleid für die arme Gema, die „in der
Öffentlichkeit als bürokratisches Monster wahrgenommen wird“? Das hier: „Der Münsteraner Medienrechtler Thomas
Hoeren hatte schon vor dem Urteil im Deutschlandfunk prophezeit, die Causa
werde bis zum Bundesgerichtshof gehen“. So kann man Leser, die mit wenig
zufrieden sind, natürlich auch desinformieren.
Auf der ersten Seite des Feuilletons der aller
linksradikalen und antikapitalistischen Propaganda unverdächtigen „FAZ“ steht
das, was wirklich in Hamburg passiert ist: „YouTube
erzielt gegen die Gema einen Punktsieg“, titelt die „FAZ“ und berichtet: „Die von der Gema erhoffte Grundsatzentscheidung
zur strittigen Frage, wie mit dem Urheberrecht beim Umgang mit Musik und Filmen
im Internet künftig zu verfahren sei, blieb aus. Im konkreten Fall ging die
Gema sogar als Verliererin vom Platz.(...) Mit dem Urteil hat YouTube einen
weiteren Zwischenerfolg im Rechtsstreit mit der Gema erzielt.“
Ach ja, übrigens: Die Band „Die Ärzte“ stellte gerade ihr
komplettes neues Album kostenfrei ins Netz, und zwar, man höre und staune, bei
YouTube – dort kann man zu den 16 Songs des aktuellen Ärzte-Albums „Auch“ 16
eigens produzierte Videos sehen. Das neue Album wird kommende Woche wohl
dennoch (oder auch deswegen) auf Platz 1 der deutschen Album-Charts einsteigen.
Das Internet funktioniert vielleicht doch anders, als es sich einheimische
Kleinkunstdarsteller und Wutbürger wie Sven Regener ("Weder YouTube noch Google haben selbst
irgendetwas zu bieten, außer
dem, was andere geschaffen haben", „Wir
sehen nicht ein, daß mit Werbung Milliardengeschäfte
gemacht werden, und wir davon nichts abkriegen“, „ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, daß diejenigen,
die den Inhalt liefern,
nichts bekommen, ist kein Geschäftsmodell") vorstellen
können...
Und was Verwertungsgesellschaften wie die Gema in Wirklichkeit sind,
kann man beim amerikanischen Komponisten Frederic Rzewski nachlesen, dessen monumentales
Klavierwerk „The People United Will Never Be Defeated“ als Legende und eine der
wichtigsten Kompositionen des 20. Jahrhunderts gilt; Rzewski sagte:
„Alle
Verwertungsgesellschaften sind Diebe.“