Da veröffentlichen sie große Serien über den Zustand der
hiesigen Musikkritik – aber wenn es mal darum geht, brauchbare Konzertkritiken
zu schreiben, dann versagen sie auf ganzer Linie. Der bis vor kurzem
Chefredakteur der „Spex“ gewesene Autor etwa darf jetzt für die „Süddeutsche“
das tun, was er anscheinend am wenigsten kann: über Musik schreiben. In einer
Rezension über Patti Smith etwa ergeht er sich endlos in Szenen aus einer
Burroughs-Dokumentation oder aus Patti Smiths Autobiographie, ohne substantiell
auf die Musik des neuen Albums einzugehen. Der gleiche Autor schaut beim
Auftritt des HipHoppers A$AP streng auf die Uhr und stellt fest, daß der
Musiker sein Berliner Konzert „mit
sensationeller Pünktlichkeit“ begonnen hat. Ah ja, so etwas wollten wir ja
auch schon immer wissen. Der Musikkritiker als Stechuhrersatz.
Die Unzulänglichkeit hiesiger Musikkritik konnte man schön
anläßlich der Tournee von Lou Reed beobachten. Immerhin kam einer der
wichtigsten und einflußreichsten Musiker der letzten viereinhalb Jahrzehnte
nach Deutschland; man hätte erwarten können, daß die Musikjournaille sich mit
den Konzerten auseinandersetzt. Aber iwo. Im Bildzeitungsstil wird jedes
bereitliegende Klischee reproduziert und vervielfältigt. „Der alte Griesgram hält die Töne“, titelt die „taz“, deren
Redakteur mehr als die Hälfte seiner „Rezension“ damit verschwendet, sich über
den Konzertort („inmitten von Autohäusern
und Fliesenmärkten“) und die Kleidung der Konzertbesucher (von „das ganze Elend der Funktionsbekleidung“
bis „handgenähte Lederschuhe“)
auszulassen, dann über das Wetter zu berichten, um die zweite Hälfte seines
Artikels mit pseudooriginellen und im Grunde den Tatbestand der Beleidigung
erfüllenden Beschreibungen des Künstlergesichtes
(„eine Mischung aus Hellmuth Karasek und
Rita Süssmuth“) zu beginnen, nicht ohne vorher noch Unwahres über die
Ticketpreise zu verbreiten („für 56 Euro aufwärts“,
was bei einem Einheitspreis eine ziemlich sportliche Bemerkung ist, denn erstens
haben mehr als 95% der Zuschauer nur 48 Euro bezahlt, und zweitens ist der
Autor natürlich umsonst ins Konzert gekommen und hat eigens noch eine
zusätzliche Gästekarte für seine Begleitung erschnorrt). Auch sonst nimmt es
der „taz“-Autor mit der Wahrheit nicht so genau – er behauptet etwa, daß Lou
Reed seine Bandmitglieder „kürzlich in
einem Interview als Eichhörnchen bezeichnet“ habe. Eine glatte Erfindung –
im Interview der „Berliner Zeitung“ mit Robert Rotifer sagte Lou Reed, bezogen
auf die Fans (!) von Metallica (!): „Aber
manche ihrer Fans, diese Metal-Schädel, haben den Intelligenzquotienten eines
Eichhörnchens.“ Aber so geht eben „Musikkritik“ im Alternativblättchen,
dessen Genossenschaft ja nicht zufällig Bild-Chef Kai Diekmann angehört: was nicht
paßt, wird passend gemacht. Wir biegen uns unsere Realität hin, wie wir sie
brauchen. Gossenjournalismus der abstoßendsten Sorte.
Aber das ist wahrscheinlich das eigentliche Problem der
einheimischen Musikkritik: sie können es eben nicht besser. Und die, die es
besser können, sind rar gesät – Gastautoren wie Klaus Walter in der „taz“ etwa,
oder das Feuilleton der „Berliner Zeitung“ (könnten die, die’s nicht besser
können, dort nicht mal ein Praktikum absolvieren? macht doch jeder ständig
Praktika hier in Berlin heutzutage...) oder der „FAZ“, manchmal auch ein
Artikel andernorts und in zwei oder drei Musikzeitschriften oder in „konkret“ –
der Rest ist nicht selten gekauft oder schlecht geschrieben (oder gerne auch
beides). Und die, die es besser konnten, sind gestorben (einen wie Martin
Büsser bräuchten wir so dringend!), oder man räumt ihnen keinen Platz (mehr)
ein, oder sie haben sich längst anderen Themen zugewandt. Der Elfenbeinturm in
einem Meer von Scheiße, um auf das Flaubertsche Bild zurückzugreifen, ist karg
besetzt.
(und wie ein glänzend geschriebenes Musikfeuilleton aussehen
kann, zeigt z.B. der von der „FAS“ zur „SZ“ gewechselte Peter Richter anläßlich
des Berliner Madonna-Konzerts – da wird die dumpfe Neureichen-Gated-Community
namens "Soho House" mal eben im Vorbeigehen karikiert und die stumpfe
Mehrzweckhalle am Ostbahnhof mit dem Telefongesellschaftsnamen vernichtet, man
bekommt en passant Interessantes zu Italien und zu Fußball serviert und hat
sogar noch was über Madonna und ihr Konzert erfahren – kann man im Internet
finden, kann ich empfehlen!)
* * *
In einem Facebook-Eintrag heult uns die US-Popsängerin Aimee
Mann ihre angebliche Tourneerealität ins Ohr: „Oft stellt sich die Frage, ob ich mir überhaupt einen Schlagzeuger
leisten kann.“
Ich weiß nicht, wofür Frau Mann ihre fünfstelligen Gagen
verwendet, aber ein paar Dollar sollten da doch auch für einen Schlagzeuger
abfallen, oder?
Ist schon „ein einförmiges Ding um das
(Popmusiker-)Geschlecht“, wenn ausgerechnet die, die ganz ordentlich verdienen,
plötzlich so tun, als ob sie Teil des Musiker-Prekariats wären...
* * *
In der „Süddeutschen Zeitung“ stellt Reinhard Brembeck
erstaunt fest, daß man heutzutage „neue
Klassiktalente (und verloren geglaubte Preziosen) schneller bei Youtube findet,
als in den neuen Veröffentlichungen der einschlägigen Plattenlabels“.
Und ich kann Reinhard Brembeck und Ihnen auch verraten,
woran das unter anderem liegt – der Chef von „Universal Music Classic &
Jazz“ nämlich hat vor allem damit zu tun, eine Koalition mit
Bundesfinanzminister Schäuble zu pflegen. „Liebe
Kultur-, Musik- und Finanzfreunde“ (sic!) flötet der Universal-Classic-Chef
also und lädt zu einer Veranstaltung mit dem schönen Titel „Musik.Zeit.Geschehen. Digitalisierung – Risiko oder Chance für Werte
in Kultur und Finanzen“ im Bundesfinanzministerium ein.
„Die Räume und das
Programm sind spektakulär“, heißt es in der Einladung – nun, die ersteren
wurden von den Nazis gebaut, denn das Bundesfinanzministerium sitzt im Gebäude
des 1935 erbauten Reichsluftfahrtministeriums – das zweite wird u.a. auch von
der Plattenfirma „Universal“ zugetanen Künstlern bestritten, von Till Brönner
etwa. Und den 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker (anno 1935 noch das
„Reichsorchester“...). Und Vorträge und Diskussionsrunden u.a. mit Wolfgang
Schäuble.
Wer solcherart im Reichsluftfahrtministeriumsbau auf dem
Schoß des Bundesfinanzministers sitzt und über „Digitalisierung – Risiko oder
Chance für Werte in Kultur und Finanzen“ nachsinnt, der hat in seinem Alltagsjob
natürlich in aller Regel wenig Zeit, relevante Klassik-Künstler aufzubauen oder
spannende Musik zu veröffentlichen oder gar adäquate moderne (nämlich:
digitale!) Vertriebswege zu entwickeln.
Warum Igor Levit etwa, den Eleonore Büning in der „FAZ“
kürzlich als „einen der großen Pianisten
dieses Jahrhunderts“ bezeichnet hat und der zum Beispiel Frederic Rzewskis
an dieser Stelle bereits mehrfach gepriesenes Monumentalwerk „The People United
Will Never Be Defeated“ einzigartig interpretiert, bis heute keine Platte
veröffentlicht hat, ist schwer zu verstehen. Sie werden Igor Levits
Interpretationen allerdings kostenlos auf Youtube finden – willkommen in der
modernen Welt!
* * *
Was haben Stasi, Atomwirtschaft und Musikindustrie
gemeinsam? Sie haben ihre Leute in der Regierung plaziert. Schaffte die Stasi
das mit ihrem OibE Guillaume nur mit einem persönlichen Referenten des
Bundeskanzlers, so war Wirtschaftsminister Müller (SPD) als ehemaliger
VEBA-Manager natürlich eine Glanzbesetzung, um mit der Industrie den
sogenannten „Kernenergiekompromiß“ zu verhandeln. Nebenbei, wir erinnern uns,
wollte Müller das vom Bundeskartellamt ausgesprochene Verbot der Übernahme der
„Ruhrgas“ durch die Nachfolgegesellschaft seines ehemaligen Arbeitgebers VEBA,
der E.ON AG, aus „Gründen des
überragenden Interesses der Allgemeinheit“ nicht hinnehmen und wies deshalb
seinen Staatssekretär Tacke an, die Fusion durch Erteilung einer
Ministererlaubnis zu ermöglichen. Müller wurde nach dem Ende seiner
Ministerzeit 2003 Chef der Ruhrkohle AG (RAG), an der E.ON bis 2007 mit rund
40% beteiligt war. Tacke wiederum wurde 2004 Vorstandsvorsitzender beim
Stromversorgungsunternehmen STEAG, die wiederum eine 100%ige Tochter der von
Müller, seinem ehemaligen Chef, geleiteten RAG war – läuft eben alles wie
geschmiert...
Und die Musikindustrie? Die hat ihren Cheflobbyisten im
Ministerrang, den „Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien“,
Kulturstaatsminister Bernd Otto Neumann (CDU), dessen öffentliche
Stellungnahmen von Gorny oder Döpfner nicht besser formuliert werden könnten.
Für Neumann, der eigentlich für Kultur und Medien, nicht aber ausschließlich
für Kulturindustrie und Medienkonzerne zuständig ist, ist „der Schutz des geistigen Eigentums in der digitalen Welt die größte
kulturpolitische Herausforderung unserer Zeit“. Neumann ist Fan der
Lobbyorganisation der Kulturindustrie namens „Deutsche Content Allianz“ („In einer Zeit, in der Politik,
Wirtschaft und Gesellschaft angesichts der Verletzlichkeit der Inhalte vor
großen Herausforderungen stehen, ist es auch notwendig, daß die Deutsche
Content Allianz ihre Stimme laut erhebt“) und Fan der GEMA, dem „Club
der oberen 3.400“ (Guido Möbius) – und wurde für seine Verdienste gerade
von der GEMA mit deren „Richard-Strauss-Medaille“ geehrt. Wohlgemerkt, in einer
Zeit, in der die GEMA mit ihren extremen Gebührensteigerungen von oft 400 bis
600 Prozent zum Totengräber für die Clubkultur wird und mit den
Kostensteigerungen die Clubs entweder zur Schließung oder zu einer zunehmenden
Kommerzialisierung der Programme zwingt, in einer Zeit, in der Clubbesitzer und
Hunderttausende Fans um die weitere Existenz der von ihnen bevorzugten
Musikclubs fürchten, in so einer Zeit macht der angeblich für Kultur zuständige
Bundesstaatsminister den Bückling vor der GEMA und läßt sich von der
GEMA-Bossen mit einer Medaille dekorieren. Kein Wort hat man vom Kulturminister
bisher zum von der GEMA verursachten Clubsterben gehört, wohl aber diese artige
Dankesadresse an die Herren der GEMA: „Ohne eine durchsetzungsstarke
Verwertungsgesellschaft stünden die Urheber auf verlorenem Posten.“ Aha.
In der „FAZ“ hat GEMA-Chef und
Spitzenverdiener Heker (EUR 484.000 jährlich; zum Vergleich: die
Bundeskanzlerin bekommt 260.000 Euro...) dieser Tage gesagt:
„Schauen Sie: Es gibt ein böses Monopol und ein gutes. Und letzteres
ist im Fall der Verwertungsgesellschaften, von denen die Gema ja nur eine ist,
vom Gesetzgeber ausdrücklich so gewollt“. Was eine glatte Lüge ist, denn
„ausdrücklich gewollt“ wurde das Monopol der Verwertungsgesellschaften nicht
"vom Gesetzgeber" der Bundesrepublik Deutschland, wohl aber von
Goebbels und der NSDAP: „Joseph Goebbels,
der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, dekretierte 1933 die
Umwandlung der freiwilligen Kooperation (mehrerer konkurrierender
Verwertungsgesellschaften, BS) in ein
staatlich sanktioniertes und kontrolliertes Musikverwertungsmonopol, die
STAGMA“ (Hans G Helms). Das im Juli 1933 erlassene STAGMA-Gesetz wie auch
eine im Februar 1934 erlassene Verordnung sind bis heute die Rechtsgrundlage
der STAGMA-Nachfolgeorganisation GEMA – „die
in den Jahren 1933/34 verfügte monopolistische Ausschließlichkeit der
Wahrnehmung der Musikverwertungsrechte ist erhalten geblieben“ (Helms), bis
heute, was natürlich ein interessantes Licht auf die faktischen
Monopolstrukturen der Gema wirft – aber daß ein GEMA-Chef sich im Jahr 2012 auf
Joseph Goebbels als „Gesetzgeber“ beruft, ist schon sehr besonders.
VUT-Chef Mark Chung bezeichnet die GEMA
übrigens als „unseren Laden“...
* * *
Der Rapper Bushido, der, wir berichteten, in die Politik
gehen und eine Partei gründen will, macht im Moment bei einem
CDU-Bundestagsabgeordneten ein Praktikum. In der „FAS“ hat Bushido schon mal
programmatisch Stellung genommen:
„Weg mit dem Euro! Ich
bin Kind der Deutschen Mark und war immer stolz auf meine Deutsche Mark. Wir
müssen aufpassen, daß wir uns für andere Länder nicht so sehr aufopfern.“
Oder: „Ich bin für
Steuersenkungen. Ich zahle jetzt über 52 Prozent Steuern, das ist legales
Schutzgeld und fuckt mich ab. (...) Mich stört, daß ich immer im Stau stehe.
Dann die Schlaglöcher. Dann muß Berlin sauberer werden. Wir müssen die Adern
unserer Stadt – die Straßen – sauber kriegen, damit das Blut in die Kapillaren
kommt.“
Den politischen Gegner kritisiert Bushido bereits sehr
kompetent: „...das gilt jetzt auch für
den Herrn Özdemir, den Alibi-Türken, oder Claudia Roth. Warum muß Politik so
häßlich machen? Auch Angela Merkel ist überhaupt nicht attraktiv. Aber ich
würde mich auf jeden Fall mit ihr einlassen.“ Frage: Wie jetzt? „Sexuell. Dann könnte ich sagen, ich habe
mit der Bundeskanzlerin geschlafen.“
* * *
„Der Deutsche“ ist nicht selten ein eher merkwürdiger
Zeitgenosse. Da jammert er gern (oder läßt seine Blödzeitung jammern), daß das
Benzin zu teuer sei. Aber „kompakte
Geländewagen sind das absolut am schnellsten wachsende Fahrzeugsegment in einem
gesättigten Markt“, so der „Autopapst“ Ferdinand Dudenhöffer. Fast sechzig
Prozent aller neu zugelassenen PKW sind übrigens sogenannte „Dienstwagen“, und
achtzig Prozent der Porsches – „Kaufpreis
und Betriebskosten werden von der Steuer abgesetzt (...) der Fiskus finanziert
unter engagierter Mitwirkung der FDP den Männertraum aus allen Töpfen“
(Gremliza).
Was machen aber die Menschen mit all den teuren und
spritfressenden Fahrzeugen? Mit diesen sogenannten SUVs, den „sport utility
vehicles“ also mit ihrer erhöhten Geländegängigkeit und der von Geländewagen
abgekupferten Karosserie, oft mit Viehgittern vor der Kühlerhaube? Ich schau
mir das quasi jeden Morgen, wenn ich mit dem Fahrrad ins Büro fahre, staunend
vor demselben an, denn da stehen immer lauter Geländewagen mit dem etwas
merkwürdigen Aufdruck „relentless energy“ herum, sie gehören einem anderen
Mieter in unserem Bürogebäude. Und bevor Sie jetzt anfangen zu belächeln, daß
Leute mitten in Berlin mit Kuhgittern und Geländewagen herumdüsen, bitte ich
Sie sehr zu bedenken: gar nicht selten werden vorne auf der Urbanstraße in
Kreuzberg ganze Viehherden wildwestmäßig über die Straße getrieben, und weltweit
bekannt ist der herbstliche Kreuzberger Almabtrieb, das weiß schließlich jedes
Kind – you better be prepared! Und wie
oft kommt man im sibirischen Berliner Winter förmlich nicht mehr voran, wird
eingeschneit, müßte im Büro übernachten, wenn man nicht erhöht in seinem SUV
mit Allradantrieb sitzen könnte und durch die Wildnis nach Hause brettern. Sie
müssen sich das so vorstellen: im strengen Berliner Winter geht praktisch
niemand mehr vor die Tür. Der öffentliche Verkehr bricht zusammen. Zehntausende
Kältetote. Auf den Straßen Schneewehen und Eisberge, der einzig mögliche Weg
führt über die vereiste Spree, wo sich nur noch die mit allen Eiswassern und
Energydrinks gewaschenen SUV-Piloten vorankämpfen. Gelt, da vergeht Ihnen das
Lächeln? Und da sehen Sie, wozu SUVs gut sind. Sollen die fetten Karren doch
von uns Steuerzahlern subventioniert werden, wer wollte das angesichts der
Berliner Realitäten kritisieren...