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Blog Archiv - Jahr %1
21.10.2012

SUISA-Gehälter

Wir wollen bitte nicht so tun, als seien
unsere Probleme mit der GEMA etwas einmaliges; nein, in anderen Ländern sieht
es nicht viel anders aus – etwa in der Schweiz, wie „Telepolis“ berichtet. Dort
erhalten die Funktionäre der SUISA, wie sich die Schweizer
Verwertungsgesellschaft nennt, so exorbitante Gehälter wie die hiesigen
GEMA-Funktionäre. Der SUISA-Direktor etwa erhält pro Jahr mehr als 357.000
Franken. Und der Chef von „ProLitteris“, der Schweizer VG Wort, hat 2008 laut
„Weltwoche“ über 308.000 Franken und in den Jahren darauf inklusive
Sonderzulagen noch deutlich mehr eingestrichen.

Als die Einkommenszahlen der Schweizer
Verwertungs-Funktionäre vor zwei Jahren erstmals veröffentlicht wurden,
äußerten Erfolgsautoren wie Alex Capus ihren Unmut über die Verteilung der
Einnahmen zwischen Funktionären und den Autoren, und Politiker verschiedenster
Fraktionen kündigten eine parlamentarische Initiative an, die die Gehälter der
Urheberrechtsfunktionäre auf das in der Staatsverwaltung übliche Niveau
begrenzen sollte.

Die Funktionäre jedoch sehen, dort wie hier, alles
im rechten Lot. Ernst Hefti, der Direktor von ProLitteris, dem die „Weltwoche“
neben seinem hohen Gehalt auch Spezlwirtschaft und Verschwendungssucht
vorwirft, meinte, auf das Mißverhältnis zwischen den Einkommen vieler Urheber
und dem seinigen als Urheberrechtsfunktionär angesprochen, im „Tagesanzeiger“
lapidar, daß schließlich „jeder seinen
Beruf selber wählt“.

So kann mans natürlich auch sehen. Nur sagt das so
drastisch selten ein Funktionär: „Urheber, ihr seid bescheuert! Selber Schuld,
daß ihr mich, den Urheberrechtsfunktionär, reich macht und ihr selber einigermaßen
leer ausgeht, ihr wart halt so blöd, den falschen Beruf zu wählen, ihr seid
halt nur Urheber, nicht Funktionär einer Verwertungsgesellschaft!“

Man nennt es Chuzpe.

Es ist Zeit, die Urheberrechtsfunktionäre zu
entmachten! Dort wie hier.

21.10.2012

Patente hemmen Investitionen

Patente hemmen heutzutage eher Innovationen, als
daß sie sie fördern würden:

„Patente sind staatliche
Monopole, die mit dem Argument gewährt werden, daß sie den Fortschritt fördern
würden. Inwieweit und für welche Bereiche das heute tatsächlich zutrifft, ist
allerdings seit Längerem zweifelhaft: Dem
Electronic-Frontier-Foundation-Gründer John Perry
Barlow und der New York
Times zufolge gaben im letzten Jahr sowohl Apple als auch Google
erstmals mehr Geld für Patentprozesse aus als für Forschung und Entwicklung.

Auch eine neue Studie
des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW)
kommt zu dem Ergebnis, daß das Patentsystem, so wie es aktuell besteht, durch
Rechtsunsicherheit, hohe Transaktionskosten und fehlende Transparenz
Innovationen nicht fördert, sondern stattdessen bremst. Der
Wirtschaftswissenschaftler Franz
Schwiebacher spricht
in diesem Zusammenhang von einem "Dickicht" aus schlecht
kalkulierbaren Risiken, das immer mehr als Bremse wirke. Der ZEW-Analyse
zufolge sind mittlerweile nicht mehr nur kleine, sondern auch große Unternehmen
davon beeinträchtigt. Vor allem dann, wenn "Erfindungen von vielen
verschiedenen Patenten geschützt werden".“

(aus: Peter Mühlbauer, „Monopole auf
Selbstverständlichkeiten“, in „Telepolis“)

21.10.2012

52 ways to screw an artist

In den Vorschulklassen der Musikindustrie bleuen
sie einem ein Mantra ein, das alle immerzu singen sollen: Die Plattenfirmen
sind die Guten, sie sind die einzigen, die die Karriere von Künstlern aufbauen,
Plattenfirmen sind euer Freund, deswegen müssen sie quasi unter Naturschutz
gestellt werden!

Leider wissen Künstler immer wieder eine andere
Geschichte zu erzählen. Wie jetzt James Taylor, der mit seinem Anwalt seine
Plattenfirma Warner Bos. Records verklagte. Auf „Digital Music News“ finden
sich die detaillierten „52 Ways to Screw an Artist, by Warner Bros. Records...“:
http://bit.ly/UqoEH8

Nehmen wir das erste Beispiel: James Taylor und
seine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft haben alleine für den Zeitraum von 2004
bis 2007 fehlende Royalty-Zahlungen in Höhe von 1,69 Millionen Dollar
recherchiert. James Taylor und Warner Bros. Records einigen sich nach zähen
Verhandlungen in einer Art Vergleich auf den Betrag von 764.056 Dollar. Warner
Bros. bezahlt nur 97.857 Dollar.

Und so geht das in einem fort, 52 traurige
Beispiele lang.

Lieschen Müller mag sich zu Beginn ihrer
Ausbildung als Kauffrau für audiovisuelle Medien fragen, wie so etwas geht, ob
es denn nicht Verträge gebe. Klar, gibt es, doch die Zahlungen vieler Plattenfirmen sind undurchschaubar, wer keine guten Accountants und noch bessere
Rechtsanwälte hat, zieht bei den Abrechnungen meistens den Kürzeren (mal
abgesehen davon, daß viele Künstler darüber klagen, ihre Abrechnungen ständig
zu spät oder erst nach mehrfacher Aufforderung zu erhalten, von den Zahlungen
ganz zu schweigen...). Hinzu kommt: Es gibt einen großen Streit darüber, wie
die Einnahmen aus digitalen Downloads zu verrechnen sind. Wir erinnern uns:
„digital downloads“, Internet, Totengräber der Plattenfirmen, böse böse.
Allerdings: schon längst werden im Internet von den Plattenfirmen Milliarden
gescheffelt. Ohne große Investitionen, für einen Download muß man schließlich
keine CD herstellen und braucht kaum Zwischenhändler (dumm nur, daß man den
Trend erstmal verschlafen hatte und z.B. Apple deshalb hohe Anteile an den Erlösen
einräumen muß). Obwohl das so ist, stellt sich die Tonträgerindustrie auf den
Standpunkt, daß die verkauften Downloads wie CDs abzurechnen sind – vom
Verkaufspreis einer CD erhalten die Künstler in der Regel nur etwa 10%. Die
Künstler und ihre Vertreter gehen dagegen davon aus, daß digitale Downloads wie
Lizenzen abzurechnen seien, also mit wesentlich höheren Einnahmebeteiligungen
für die Künstler.

Man darf gespannt sein, ob sich James Taylor und
all die anderen Künstler, die zuletzt „ihre“ Plattenfirmen verklagt haben,
durchsetzen können.

Der amerikanische Star-Blogger Bob Lefsetz
schreibt dazu lapidar: „That's the major label business model. Theft from
the artist.“

21.10.2012

Danziger Werft 1989 & 2012

Der kürzlich verstorbene englische Historiker Eric
Hobsbawn erzählt in einem Buch, wie der damalige Bundesminister für Arbeit und
Soziales, Norbert Blüm, 1989 den Arbeitern der Danziger Werft zurief: „Marx ist
tot, Jesus lebt!“

Damals arbeiteten auf der Danziger Werft noch
20.000 Menschen. Heute, 23 Jahre nach dem Sieg des Kapitalismus, sind es wenig
mehr als 2.000, also etwa ein Zehntel. Mittlerweile gehört die Danziger Werft
zwei Oligarchen aus der Ukraine, die die Werft unter anderem mit Mitteln der EU
restrukturiert haben...

„An erster Stelle
ist es die Einsicht (der marxistischen Analyse) in die unaufhaltsame globale
Dynamik der kapitalistischen ökonomischen Entwicklung, ihre Fähigkeit, alles zu
zerstören was sie vorfindet." (Eric Hobsbawn)

15.10.2012

Und Ansonsten 10 / 2012

Speaking of „Deutscher Welt-Zustimmungspop“ – ein
Meister darin ist seit jeher der esoterische Christenpopper Xavier Naidoo. Nun
hat Naidoo ein Album mit Kool Savas („Lutsch meinen Schwanz“, „Pimplegionär“)
aufgenommen; der sinnreiche Projektname: „Xavas“, der sinnreiche Albumtitel:
„Gespaltene Persönlichkeit“ – eben das, was rauskommt, wenn ein Gottesanbeter
auf einen Pimplegionär trifft.

Naidoo singt „mit
einer Inbrunst, die das Herz rührt, aber den Verstand vernebelt“ (Harald
Peters in der „Welt“) Texte wie „Und ich
schau nicht mehr zurück / aber wenn ich zurück schau / dann seh ich nur mein
Glück / alles andere habe ich gerne zugeschüttet / und mit schöner Erinnerung
einfach überbrückt“. Schlimm. Eine fürwahr „gespaltene Persönlichkeit“
irgendwo zwischen nordkoreanischer Gehirnvernebelung und tibetanischer
Gebetsmühle, mit „einem Stück weit“ Schwanzgelutsche.

Vollends pervers wird es allerdings, wenn „Xavas“
sich ihren Gewaltfantasien ergeben. Xavier Naidoo war wohl zu lange auf
Truppenbetreuung in Afghanistan, er singt allen Ernstes Texte wie diesen: „Ich schneid euch jetzt mal die Arme und
Beine ab / und dann ficke ich euch in den Arsch / so wie ihr es mit den Kleinen
macht“, heißt es in dem wohl als Protestsong gemeinten letzten Song der
Platte. „Ihr tötet Kinder und Föten. /
Ihr habt einfach keine Größe und eure kleinen Schwänze nicht im Griff.“
Harald Peters weist in der „Welt“ darauf hin, daß Naidoo diesen Song als
„Protestsong“ versteht, in dem es laut Naidoo „um furchtbare Ritualmorde an Kindern geht, die tatsächlich ganz viel in
Europa passieren, über die aber nie jemand spricht, nie jemand berichtet.“
Kool Savas weiß Genaueres: „Okkulte
Rituale besiegeln den Pakt mit der Macht.“

Harald Peters faßt zusammen: „Schwule Kapitalisten entwickeln unter dem Eindruck der Macht eine
unbändige Lust, Kinder abzuschlachten, und schließen sich zu diesem Zweck zu
Geheimgesellschaften zusammen. Verzweifelt erhebt nur Xavier Naidoo seine
Stimme (...) dessen Homophobie mit der Sehnsucht nach einer starken Schulter
einhergeht.“ Denn das Fazit von Xavas und seinem „Protestsong“ ist der Ruf
nach einem Führer: „Wo sind unsere
starken Männer, wo sind unsere Führer, wo sind sie jetzt?“

Glauben Sie jetzt alles nicht? Ist aber alles
wahr. Wahnsinn, oder? Und so gewinnt man heutzutage den „Bundesvision Song
Contest“ und belegt Platz 1 der deutschen Album-Charts. „Wo sind unsere
Führer?“ Ich weiß wo...

* * *

Wenn unsere großartige und allseits geschätzte
Bundesregierung sowie unsere allseits beliebten und bewunderten Politiker aller
Parteien, die auch nach Jahrzehnten, die dieses merkwürdige Dingens namens
Internet bereits existiert, immer noch keine Internet-kompatible Gesetzgebung
verabschiedet haben, sich aber gleichzeitig und gern jederzeit in eine Talkshow
setzen, um darüber zu palavern, daß dieses komische Dingens namens Internet
ganz schön gefährlich ist – ich bitte neu ansetzen zu dürfen: wenn diese unsere
Politiker, wenn sie schon sonst wenig hinbekommen, wenigstens an einer Stelle,
die allen wehtut, endlich einmal das Urheberrecht der modernen Zeit anpassen
könnten und dafür sorgen würden, daß die Pest der Abmahnanwälte und ihrer
dubiosen Abmahngeschäfte beendet würde, dann wären wir schon einen Schritt
weiter.

Jüngstes Beispiel: Der Blog „We like that“ hat ein
Foto verwendet, das den „Lego-Künstler“ Nathan Sawaya neben einem seiner Werke
zeigt. Der Blog-Betreiber wurde von einer deutschen Rechtsanwaltskanzlei zur
Zahlung von knapp EUR 3.000 wegen einer „Nutzungsrechtsverletzung auf seiner
Internetpräsenz“ und zur Abgabe einer Unterlassungserklärung aufgefordert. Der
Haken an der Sache: Der Künstler Nathan Sawaya hat nicht nur eine, vorsichtig
gesagt, andere Auffassung von Internetkultur als Agenturen und
Rechtsanwaltskanzleien, die seinen Bildern hinterhergooglen, nein, die
Fotoagentur, die über die Rechtsanwaltskanzlei die Bilder saftig abmahnen läßt,
besitzt an diesen Bildern überhaupt keine Rechte. Nathan Sawaya laut „Perlentaucher“ in einem
Statement zu dem Vorfall: "My
fiancé took the photo. My company owns it. We have not sold the rights
to it. My lawyer is reviewing this matter. I am not represented by the German
law firm who sent the letter. I am not represented by this photo agency." 

Eine
Posse? Sicher. Solange aber dubiose Agenturen mit Hilfe von
Rechtsanwaltskanzleien durchs deutsche Urheberrecht schnelles Geld machen
können, sind derartige Possen leider Wiederholungsfälle. Ein Ärgernis, dem
durch ein modernes, der digitalen Realität des 
21.Jahrhunderts angepaßtes Urheberrecht umgehend ein Riegel vorgeschoben
werden könnte.

* * *

Diesmal ein kleines Ratespiel, bei dem es für uns
alle leider nichts zu gewinnen gibt.

Versuchen Sie doch einmal, diese drei Texte drei
jungen Buchautorinnen zuzuordnen, die dieser Tage meinten, ein Buch
veröffentlichen zu müssen:

„Mein Name ist
Julia und ich lebe im Internet. Ich bin da ziemlich glücklich, habe Freunde,
die ich nur digital kenne und abschalten kann, wann ich will. Ich kann im
Internet alles sein: Mafiaboss, Barbie, Hitler, Hotelbesitzer und ein kleines
grünes Krokodil. Am Computer bin ich Gott. Und dabei fühle ich mich großartig –
großartig böse, kalt und berechnend. Bereits in jungen Jahren, mit 13 oder 14,
war ich mir über die schier endlosen Möglichkeiten der Identitätskonstruktion
bewusst. Das Internet war der Ort, wo ich alles zum ersten Mal erlebte: Liebe,
Sex und Verrat. Aufklärung, Freiheit und Politik. Dort rede, lache, weine und
denke ich. Denn ich bin ein Kind des digitalen Zeitalters, ich bin die, die aus
dem Internet kommt. Und das ist meine Geschichte.“

Und:

„...ich will auf
keinen Fall mehr derart zum Medienereignis werden. Zu sehr haben sich die
Berichterstattungen auf mein Privatleben, aber vor allem auch auf meine Kinder
ausgewirkt. (...) und natürlich wartete er ... nicht mit dem schlechtesten
aller Bodys auf. (...) Der sieht ja gut aus (...) ich habe bei Männern kein
festes Beuteschema.“

Und:

„Nanu-Nana
spezialisiert sich auf Artikel, die man im Ehestreit wütend aus dem Fenster schmeißen
kann. (...) Was mir fehlt, ist Mut. (...) Isländisches Heavy Metal Horror
Ballett gesehen. Jetzt habe ich alles erlebt. (...) Es ist gerade in den
entscheidensten Momenten am schwierigsten, um Hilfe zu bitten. (...) Allein in
Berlin mit zwei Koffern. Obdachlose helfen mir weiter. (...) Ich finde es gut,
wenn man durch Parteiarbeit auch die entlegensten Ecken von Deutschland
kennenlernt."

Nun?

Und gesetzt den Fall, Sie wären ein Verleger – welcher der drei Damen
würden Sie 100.000 Euro Vorschuß für ihr Buch gewähren, und welcher 60.000
Euro?

Und zuletzt: was denken Sie, mit welchem der drei Texte kann man auf
eine Spitzenposition der „Spiegel“-Bestsellerliste gelangen?

* * *

Die Piratenpartei scheint Politik als Echternacher
Springprozession zu betreiben. Wobei man den Piraten mal twittern sollte, daß
die Echternacher Springprozession nicht notwendigerweise den Gang des
Weltgeistes darstellt (nach Adorno).

* * *

A propos Weltgeist: In Trier, dem Ausstellungsort
des „Heiligen Rockes“, kassiert die Pfarrei Liebfrauen laut „Telepolis“ seit
1589 bis heute jährlich etwa 360 Euro Zinsen aus dem Vermögen eines verbrannten
Hexenmeisters von der Stadtkasse, weil der Trierer Dietrich Flade vor seiner
Verbrennung auf dem Scheiterhaufen der Stadt aus seinem Privatvermögen 4.000
Gulden geliehen hat. Den Rückzahlungs- und Verzinsungsanspruch daraus erbte
nach Flades Hinrichtung der Erzbischof, der ihn an fünf Pfarreien weiterreichte,
wovon eine bis heute bei der Stadt abkassiert. Als die Stadtverwaltung vor zwei
Jahren bei der Pfarrei anfragte, ob man den alten Posten nicht endlich
streichen wolle, wurde ihr von der Pfarrei Liebfrauen beschieden, „daß der Titel im Haushalt erhalten bleiben“
müsse, weil er „an dieser Stelle eine
ständige Erinnerung an die Opfer des Hexenwahns“ sei.

* * *

Die sozialdemokratische Troika hat gekreißt – und
heraus kam: ein Nichts. Ein Peer Steinbrück. Ein Vizekanzlerkandidat.
Steinbrück wirkt wie die Inkarnation von Tucholskys Vergleich der deutschen
Sozialdemokratie  mit einem Radieschen
(Original 1926, hier geringfügig aktualisiert): „Ja und hier - ? Die ganz verbockte liebe gute SPD. / Der Peer
Steinbrück, Nahleslieschen / blühn so harmlos, doof und leis / wie bescheidene
Radieschen: / außen rot und innen weiß.“

Steinbrück hat sich zuletzt als tapferer
Bankenbändiger geriert – die Banker seien zu gut aus der Finanzkrise gekommen,
so Steinbrück, die gesamte Bankenbranche habe „zu den Aufräumarbeiten der von mir maßgeblich verursachten
ökonomischen und sozialen Schieflage zu wenig beigetragen“ (haben Sie den
kleinen Tippfehler bemerkt?).

Wir erinnern uns: Als Finanzminister und
Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen hat Steinbrück die deutschen Landesbanken
mit Zähnen und Klauen verteidigt und dem damaligen EU-Kommissar ein Abkommen
abgenötigt, wonach die deutschen Landesbanken staatlich garantierte Schuldtitel
ausgeben durften. Die Landesbanken investierten das gewonnene Kapital zum
großen Teil in toxische Papiere, die Scheingewinne wurden von der Politik
bejubelt, in der Finanzkrise waren es später aber gerade die Landesbanken, die
für die in Deutschland besonders brisante Finanzkrise sorgten. Für die Kosten
mußten im Wesentlichen die Steuerzahler aufkommen.

Ab 2005 tanzte der nun plötzliche selbsternannte
Bankendompteur als Finanzminister im Kabinett Merkel nach der Peitsche der
Banker. Steinbrück kämpfte dafür, daß die Banken mit Steuergeldern aus der
Bankenkrise rausgehauen wurden – die Banken erpreßten den Staat, Steinbrück
sprang wie ein zahmer Zirkustiger durch alle von den Bankern gehaltenen Reifen,
der Staat, also die Steuerzahler, zahlten. „Es
war Steinbrück, der aus den ökonomischen Spekulationen, es könnte Banken geben,
die too big to fail seien, viel zu
groß, um selbst nach schlimmstem Versagen pleitegehen zu dürfen, eine
historische Gewißheit machte. Von Gläubigerhaftung war damals nicht die Rede“,
schreibt die „FAS“. Als Bundesfinanzminister arbeitete Steinbrück an führender
Position am Koalitionsvertrag mit, in dem die Stärkung des Finanzplatzes im
Vordergrund stand. „Produktinnovationen“ wie Hedgefonds müßten „unterstützt“
werden, Regulatoren müßten „mit Augenmaß“ vorgehen. Und wenige Tage vor dem
Bankencrash in Deutschland hielt Steinbrück im Bundestag eine Rede, in der er
u.a. sagte: „Die Finanzmarktkrise ist vor allem ein amerikanisches Problem“,
das deutsche Bankensystem, das die Steuerzahler wenige Wochen später
Zigmilliarden kostete, sei dagegen „äußerst stabil“. Wo immer Steinbrück
politisch zugegen war, hat er das bestehende Finanzsystem zementiert, ist er
Allianzen mit den Banken zum Nachteil der Steuerzahler eingegangen, zeigte er
sich als Banken- und Banker-Freund.

Ein echter Finanzexperte eben, dieser Peer
Steinbrück. Der Vizekanzlerkandidat Isnogood, der Kalif werden möchte anstelle
der Kalifin – nicht mal mehr ein Radieschen, er und seine EsPeDe nicht mal mehr
äußerlich rot...

* * *

„Aufgeschreckt
wie Krankenschwestern eilen die Politiker ans Bett des Kapitalismus und tun so,
als ob sie etwas täten.“ Eric
Hobsbawn, R.I.P.!

* * *

Und wie geht es, wenn ein sozialdemokratischer
Ministerpräsident Bürgerbeteiligung übt? So:

Ministerpräsident Beck gibt dem SWR ein Interview
zum Thema „Bürgerbeteiligung“; da ruft ein Passant etwas Kritisches zum von
Beck zu verantwortenden Millionendebakel am Nürburgring  dazwischen, daraufhin der SPD-Mann: „Können Sie mal das Maul halten, wenn ich
ein Interview gebe? Einfach das Maul halten.“ Auf die Antwort des Bürgers,
er sei nur ehrlich, setzt Beck noch einen drauf: „Sie sind nicht ehrlich, Sie sind dumm.“

Wie wäre es, der Sozialdemokrat wählte sich ein
neues Volk – ein braveres, ein weniger dummes, ein Volk, das einfach das Maul
hält, wenn hochwohlgeboren Beck spricht? Dann kann er dem Staatsfernsehen ja
noch viele Interviews zu Grundzügen der Demokratie und der Bürgerbeteiligung
geben...

* * *

Und was hat die „Hamas“, die Organisation, die von
der EU und den USA als „terroristische Vereinigung“ definiert wird und die
Israel mit terroristischen Mitteln beseitigen will, was also hat die „Hamas“
den deutschen Copyright-Cops voraus? Die Hamas hat nicht nur jungen Frauen das
Mopedfahren verboten und Männern das Arbeiten in Friseursalons, die von Frauen
besucht werden, nein, die Hamas hat jetzt auch das eingeführt, wovon die
deutschen Urheberrechts-Fans träumen: Netzsperren.

Die Hamas sperrt seit Anfang September diesen
Jahres den Zugang zu Webseiten, die das Hamas-Kommunikationsministerium als
„pornografisch“ ansieht. Durchgeführt wird die Sperre laut „Telepolis“ von zehn
Internetprovidern, die im Gazastreifen tätig sind. Laut Ministeriumssprecher
Kamal al-Masr würde man mit der Politik für „sicheren Content“ lediglich
„internationalen Standards“ folgen. Verstoßen Provider gegen die Anordnung der Hamas,
dann drohen ihnen nicht nur telekommunikations-, sondern auch strafrechtliche
Konsequenzen.

              

* * *

Nachdem Tausende von Schulkindern Opfer einer
Brech-Durchfall-Epidemie wurden, fragt der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir
scheinheilig, warum unsere Schulkinder chinesische Erdbeeren auf den Teller
bekommen und nicht frische deutsche Äpfel oder Rhabarberkompott. Ja, warum
wohl? Die Beantwortung dieser Frage können sich Grüne und deren Wähler, die
ihre Kinder bevorzugt auf Privatschulen und Waldorfschulen schicken, wohl nicht
vorstellen. Vielleicht sollte der Grünen-Vorsitzende mal seinen Parteifreund,
den grünen Bezirksbürgermeister von Berlin-Kreuzberg, fragen. Denn it’s the
economy, stupid! Für ein Schulessen werden je nach Bundesland zwischen 2 und
3,50 Euro ausgegeben – für alle anfallenden Kosten, also inklusive
Essensausgabe und Geschirreinigung. Der von den Grünen regierte Berliner Bezirk
Friedrichshain-Kreuzberg etwa hatte im Frühjahr 2012 in einer Ausschreibung von
Schulessen maximale Kosten von 2,10 Euro festgelegt. Seriöse Anbieter haben
daraufhin die Ausschreibung boykottiert, wovon sich wiederum der
SPD-Schulstadtrat „enttäuscht“ zeigte, denn der Bezirk habe doch extra noch
einmal gut 10 Cent „draufgelegt“.

Laut der Deutschen Gesellschaft für Ernährung
kostet ein „gesundes, sicheres Schulessen
mindestens 4,50 Euro“. „Wer weder bereit ist, eine ausreichende Finanzierung
bereitzustellen, noch für eine einheitliche, praktikable und kostengünstige
Organisation zu sorgen, muß sich hingegen nicht über Kantinen und Zulieferer
wundern, die den Anforderungen an eine gesunde Verpflegung nicht entsprechen“
(„Berliner Zeitung“).

Die Politiker, die weiter Dumping-Preise fürs
Schulessen festlegen, spielen also auch in Zukunft mit der Gesundheit der
Schulkinder. Bis zur nächsten Epidemie.

Übrigens: seit 2009 wird auf Schulessen der volle
Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent erhoben. Die Fast-Food-Ketten dagegen zahlen
weiterhin nur den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von 7 Prozent. Haben Sie noch
weitere Fragen?

* * *

Wo aber ist Bradley Manning?

21.09.2012

Big Harp & Lady Gaga

Donnerstag, 21.9.2012, in Berlin, beiderseits der Spree.

In der Mehrzweckhalle auf der falschen Seite des
Flusses, die mit dem Charme eines Provinzparkhauses, gastiert die fantastische
Comic-Revue des durchgeknallten Burgfräuleins Lady Gaga. Popkultur, wie sie
schöner kaum sein kann – bunt, warm, verrückt, künstlich, Synthie-Gewummere und
Licht und eine Show, bei der man nicht aufhören kann zu lächeln. Dabei auch
beeindruckend, wie warmherzig der Superstar seine Fans behandelt, sie auf die
Bühne holt, mit ihnen spricht, singt, sie umarmt. Eine Lektion im ehrlichen
Verhältnis zu den Fans. Toll!

Und auf der anderen, der richtigen Seite der
Spree, im kleinen Club die Roots-Leute von Big Harp auf ihrer ersten
Europa-Tournee. Akustisch. Nach vorne. The real thing, no show. Weiter
auseinander kann etwas kaum sein als diese beiden Shows am gleichen Abend auf
beiden Seiten der Spree – und dennoch bezeichnen sie unseren Kosmos, das, was
wir wollen und lieben und präsentieren möchten. Nur das Mittelmaß zwischen
diesen beiden Polen, das Gewöhnliche, das Unengagierte, das Banale zwischendrin
– das verachten wir. Das haben wir satt! Immer.

(übrigens: in der Mehrzweckhalle waren vielleicht
13.000 Menschen oder noch ein paar mehr. Im kleinen Comet-Club waren 13
Ticketkäufer. Aber wie erzählte Lady Gaga bei ihrem Konzert? Bei ihrer ersten Show
waren 3 Ticketkäufer. Drei! Dann 13. Dann 50. Es war mühsam. Sie hat sich ihr
Publikum erspielt. „I’m working damn hard.“ Und heute hat sie bei Twitter mehr
Follower als Barack Obama und jeder andere Mensch auf der Welt.

Von Big Harp bis Lady Gaga. Ein lehrreicher Abend
in Berlin, beiderseits der Spree...)

20.09.2012

Bandfoto vs. Song

So beginnt auf „Spiegel Online“ ein Bandporträt:

„Das
Bandfoto war schon fertig, als der erste Song noch geschrieben werden mußte.“

So ist das wohl heutzutage bei der
Selbstoptimierer-Generation: Das Image wird als erstes kreiert, dann erst
schreibt man Musik und nimmt sie auf. Nur: wer erinnert sich noch an all diese
jungen Bands, die vor zwei, vor vier oder vor sechs Jahren ihre Bandfotos
aufnehmen ließen? Was bleibt, wenn es gut läuft, ist: ein Song. Die Musik.
Nicht irgendein Bandfoto.

Glaubt ernsthaft irgend jemand, daß Justin Bieber
bleiben wird? Klar, er macht ne Menge Geld, und er ist ständig in der Yellow
Press. Aber kann irgendwer einen seiner Songs nachpfeifen?

It’s the music, stupid! Nicht das Bandfoto. You
get in early and you get out quick.

(es geht in der SPON-Geschichte übrigens um „Die
Heiterkeit“, und diese Band ist nicht einmal schlecht)

20.09.2012

Welt-Zustimmungs-Pop 2012 und Angela Merkel

Was ist nur mit den jungen Leuten los?

Als unsereiner jung war, sympathisierte die große
Mehrheit der unter 30jährigen mit den progressiven Parteien. Über 25 Prozent der
unter 30jährigen wählte Grün (die waren damals eine progressive Partei, those
were the days...). Nur bei den Älteren hatten die Konservativen eine Mehrheit.

Und heute? Spiegel Online meldet am 19.9.2012: „Angela Merkel liegt zurzeit unschlagbar in
der Wählergunst vorne. (...) Vor allem die Jungen und Erstwähler sehen zu
Merkel demnach keine Alternative: Die Zustimmung reicht bis hin zu 69 Prozent.“

Sehen ganz schön alt aus, diese jungen Leute. Soll
ich Ihnen erzählen, was für eine Musik sie hören? Zum Beispiel den
Charts-Stürmer Cro, den mit der Panda-Maske: „Die Welt ist geil / Denn ich habe alles was ich brauch / Ich will hier
nie wieder raus / Solang ich hier bin mach ich das Beste draus“. Die taz
schrieb zu Cros Auftritt auf dem Berlin Festival: „Ein Animateur auf einem Kreuzfahrtschiff ist nichts gegen den
Stuttgarter, der sein Publikum zwischen jedem Song bekniet, in die Hände zu
klatschen.“

Deutscher Welt-Zustimmungs-Pop des Jahres 2012. 

20.09.2012

Reichster Franzose

Der reichste Franzose und viertreichste Mann der
Welt (wie schon Bert Brecht wußte: sie haben alle einen Namen, ein Gesicht und
eine Adresse – der hier heißt Bernard Arnault und ist Eigentümer des
weltgrößten Luxuskonzerns LVMH mit einer Markenpalette von Louis Vuitton über
Dior bis Moet & Chandon) hat die belgische Staatsangehörigkeit beantragt,
wahrscheinlich, um sich der Besteuerung in Frankreich zu entziehen. Bekanntlich
will der neue französische Präsident Hollande künftig Einkommen ab einer
Million Euro mit 75 Prozent besteuern, plant eine höhere Besteuerung der
Zinseinkünfte und hat bereits die Erbschaftssteuer erhöht...

20.09.2012

Schweiz

Doch wollen wir nicht hochnäsig sein. Mehrere
Tausend Deutsche haben zum Beispiel das zwielichtige Angebot der zwielichtigen
Schweizer Bank „Credit Suisse“ angenommen, Sparkonten als Versicherungen zu
deklarieren. Dieses unmoralische Angebot der dubiosen Schweizer Bank ist in
unserem Nachbarstaat gewissermaßen systemisch. Seit jeher gründet der Reichtum
der Schweiz, die gemessen am Pro-Kopf-Einkommen das zweitreichste Land der Welt
(hinter Kuwait...) ist, auf Hehlerei. „Unser
einziger Rohstoff ist das fremde Geld“, sagt der Schweizer Politiker und
Autor Jean Ziegler. „Es kommt als
Mafiakapital aus dem Osten, als Blutgeld aus der südlichen Welt – und es sind
die Steuerfluchtmilliarden aus den umliegenden Demokratien. Allein aus
Deutschland gibt es viele hundert Milliarden Euro Schwarzgeld. Ein Drittel
aller Offshore-Vermögen der Welt werden in der Schweiz verwaltet“, so
Ziegler im Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“.

Jetzt allerdings fürchten die Schweizer Banken den
Abzug von Hunderten Milliarden Euro. Der Chef der UBS-Vermögensverwaltung geht
von „800 Milliarden unversteuertem Geld“ aus, bei insgesamt rund 2.800
Milliarden (!) Franken, die Schweizer Banken für ihre ausländischen Kunden
verwalten. Doch seit der internationale Druck auf Steuerflüchtlinge erhöht
wurde, hat eine Massenflucht der Reichen aus Schweizer Banken begonnen.

Soll man Mitleid haben? Mit wem, und warum?

20.09.2012

Telekom & Spotify

Die Deutsche Telekom hat mit dem
Musik-Plattformanbieter Spotify eine exklusive Marketing-Kooperation
geschlossen. Wer einen bestimmten Telekom-Tarif kauft, bekommt Spotify Premium
für denselben Preis kostenlos dazu.

An dieser Stelle soll nicht über Streaming-Dienste
an sich verhandelt werden. Man kann dazu unterschiedlicher Ansicht sein. Man
kann, wie der britische Indie-Musikvertrieb STHoldings, sagen, „die Streaming-Dienste liefern schlechte
Umsätze und haben eine schädliche Wirkung auf Verkäufe“, und seinen Katalog
vom Streaming abziehen. Oder man kann, wie der Gründer von „Beggars“, Martin
Mills, das Gegenteil feststellen: „Einige
unserer Künstler – gerade die, die wir im Katalog führen – stellen bei der
Honorarabrechnung fest, daß sie bei einigen Tracks via Streaming mehr verdienen
als durch andere Quellen. Für Beggars zahlt sich das um ein vielfaches mehr aus
als Radio-Airplay. Deshalb sind wir große Streaming-Unterstützer.“

Interessant an der Kooperation von Telekom und
Spotify ist aus meiner Sicht eher zweierlei:

Erstens
findet die Telekom, wie ihr Chef mehrfach gesagt hat, die Netzneutralität
„überflüssig“. In dem neuen Tarif werden die Musik-Daten von Spotify
interessanterweise nicht auf die Datenmenge des gebuchten Tarifs aufgeschlagen.
Während der deutsche Netz-Konsument sich in der Regel eine extrem beschränkte
Datenqualität (je nach Vertrag von 300 MB bis 2 GB) als „Datenflatrate“
andrehen läßt, besteht das Ziel der Deutschen Telekom darin, unterschiedliche
Datenarten zu schaffen, die unterschiedlich abgerechnet werden können. Konsens
im Internet ist eigentlich, daß es die Provider nichts angeht, welche Daten
über das Netz transportiert werden – der Begriff „Netzneutralität“ meint ja
ausdrücklich, daß es die Sache des Nutzers ist, ob er Texte, Musik oder Videos
mit einer Plattform oder mit Freunden austauscht. Eben: die „diskriminierungsfreie Übertragung aller
Datenpakete, unabhängig von Herkunft oder Ziel, Form oder Inhalt“ (Jens
Best, auf dessen lesenswertem Artikel in „Carta“ dieser Teil des Textes beruht).
„Man kann eben im Internet nicht filtern,
ich kann einem Bit nicht ansehen, was es beinhaltet“, erklärt der
Rechtswissenschaftler Thomas Hoeren.

Die Telekom hat jedoch ein massives Interesse
daran, bei der Datenübertragung eine Unterscheidung in Qualitätsklassen zu
erzielen, um langfristig die unterschiedlichen Datenübertragungsklassen
unterschiedlich abrechnen zu können. Die Telekom verletzt mit ihrem
Spotify-Deal die „vertikale Netzneutralität“, weil „nun Musik-Daten anders behandelt und abgerechnet werden als der
restliche Internet-Verkehr“ (Best).

Zweitens: Ein
anderer interessanter Aspekt ist natürlich die Rolle von Spotify. Im Grunde
verletzt Spotify die „horizontale Netzneutralität“, weil die Firma durch die
Kooperation mit der Deutschen Telekom, einem der hiesigen Marktführer, eine
wettbewerbsschädigende Bevorzugung erhält, denn „die Ungleichbehandlung der Musikdateien anderer Musik-Plattformen,
monetär wie technisch, ist ein Bruch der innovationsschützenden
Netzneutralität“ (Best). Es lohnt sich, an dieser Stelle Spotify genauer
unter die Lupe zu nehmen. An dem schwedischen Streaming-Dienstleister sind
mittlerweile ja auch die großen Musikkonzerne beteiligt, die nach dem
Niedergang ihrer Plattenverkäufe verzweifelt daran arbeiten, wieder die
Vertriebswege unter ihre Kontrolle zu bringen. Und die Dominatoren des
Weltmusikmarkts haben natürlich wenig Interesse an Netzneutralität, aber extrem
starkes Interesse daran, daß die Musikdateien im Internet bevorzugt vertrieben
werden können, damit daß Monopol der Musikkonzerne nicht Schaden nimmt – zur
Erinnerung: die drei größten Musikkonzerne bestimmen etwa 80 Prozent des
Weltmusikmarkts. Außerdem freuen sich die Musikkonzerne, die Beteiligungen an
Spotify halten, aus naheliegenden Gründen über jede Möglichkeit, den Austausch
von Musikdateien auf allen Ebenen kontrollieren zu können.

Die exklusive Marketing-Kooperation von Deutscher
Telekom und Spotify ist ein vielfacher Angriff aus die Netzneutralität und auf
die kurz- wie langfristigen Interessen der Verbraucher.

20.09.2012

Pfisterbrot & Urheberrecht

Immer wieder absonderliche Volten schlägt das
Urheber- und das Patentrecht. Laut „Spiegel“ hat sich die Münchner Großbäckerei
„Hofpfisterei“ 1977 beim Deutschen Patentamt das Recht eintragen lassen, ihr
rundes Brot als „Sonne“ bezeichnen zu dürfen. Und nun verklagt die Münchner
Bio-Bäckerei bundesweit andere Bäckereien, die ihre Brote als „Öko-Sonne“,
„Vollkornsonne“, „Klostersonne“, „Frisch-Korn-Sonne“ oder „Partysonne“ anpreisen.

Die Geschäftsführerin der Hofpfisterei, Nicole
Stocker, verteidigt das rüde Vorgehen gegen andere Bäckereien mittels
Patentrechtsklagen laut „Spiegel“ damit, daß „die Sonne unsere Marke mit
dem höchsten Umsatz“ sei; es gehe um die „Unverwechselbarkeit“ ihrer „Sonne“ und darum, die Marke vor „Verwässerung“ zu schützen.

Bescheuert, sagen Sie? Aber geltendes Recht
hierzulande. Erstaunlich, was die Patentwächter, die bekanntlich auch die
Aufsicht über die GEMA führen, alles mitmachen.

So, jetzt muß ich aber los, ich geh mal eben zum
Deutschen Patentamt und lasse mir die Begriffe „Musik“ und „Konzert“
patentrechtlich schützen. Soviel Marke, so viel Patent muß sein.

11.09.2012

Frau Wulff & Herr Google

Nicht undrollig, wie Frau Bettina Wulff, die laut
„Spiegel Online“ vom 8.9.2012 mal „erste
Frau im Staat war“, obwohl sie doch nie gewählt worden und nur Ehefrau des
damaligen Bundespräsidenten war, nun die Firma Google verklagt, damit endlich
das aufhört, auf das ihr Herr Gemahl in einem ARD-Interview mit seinen Worten
neugierig gemacht hat, nämlich: was im Internet „da über meine Frau alles verbreitet wird an Phantasien“.

Drollig deswegen, weil Frau Wulff so tut, als ob
es neben Herrn Jauch auch einen Herrn Google gebe, der Dinge behauptet, die
nicht wahr sind. Während eine Suchmaschine ja nun einmal, ob man das will oder
nicht, nur ein Algorithmus ist und als solcher ein Spiegelbild bisheriger
Suchanfragen. Aktuell (9.9.) schlägt Google jedenfalls, wenn man „Bettina Wulff b“
eingibt, der Reihe nach „Buch“ (Frau Wulff veröffentlicht im Herbst eine
Autobiographie), „Bordell“, „Beruf“ und „Bock“ vor. Tschah, das Internet. Ich
glaube, das Internet ist an allem Schuld, oder? Ich kann Sie nur eindringlich
davor warnen, das Internet zu benutzen.

09.09.2012

Deutsche Telekom kooperiert mit Spotify

Die Deutsche Telekom hat mit dem
Musik-Plattformanbieter Spotify eine exklusive Marketing-Kooperation
geschlossen. Wer einen bestimmten Telekom-Tarif kauft, bekommt Spotify Premium
für denselben Preis kostenlos dazu.

An dieser Stelle soll nicht über Streaming-Dienste
an sich verhandelt werden. Man kann dazu unterschiedlicher Ansicht sein. Man
kann, wie der britische Indie-Musikvertrieb STHoldings, sagen, „die Streaming-Dienste liefern schlechte
Umsätze und haben eine schädliche Wirkung auf Verkäufe“, und seinen Katalog
vom Streaming abziehen. Oder man kann, wie der Gründer von „Beggars“, Martin
Mills, das Gegenteil feststellen: „Einige
unserer Künstler – gerade die, die wir im Katalog führen – stellen bei der
Honorarabrechnung fest, daß sie bei einigen Tracks via Streaming mehr verdienen
als durch andere Quellen. Für Beggars zahlt sich das um ein vielfaches mehr aus
als Radio-Airplay. Deshalb sind wir große Streaming-Unterstützer.“

Interessant an der Kooperation von Telekom und
Spotify ist aus meiner Sicht eher zweierlei:

Erstens
findet die Telekom, wie ihr Chef mehrfach gesagt hat, die Netzneutralität
„überflüssig“. In dem neuen Tarif werden die Musik-Daten von Spotify
interessanterweise nicht auf die Datenmenge des gebuchten Tarifs aufgeschlagen.
Während der deutsche Netz-Konsument sich in der Regel eine extrem beschränkte
Datenqualität (je nach Vertrag von 300 MB bis 2 GB) als „Datenflatrate“
andrehen läßt, besteht das Ziel der Deutschen Telekom darin, unterschiedliche
Datenarten zu schaffen, die unterschiedlich abgerechnet werden können. Konsens
im Internet ist eigentlich, daß es die Provider nichts angeht, welche Daten
über das Netz transportiert werden – der Begriff „Netzneutralität“ meint ja
ausdrücklich, daß es die Sache des Nutzers ist, ob er Texte, Musik oder Videos
mit einer Plattform oder mit Freunden austauscht. Eben: die „diskriminierungsfreie Übertragung aller
Datenpakete, unabhängig von Herkunft oder Ziel, Form oder Inhalt“ (Jens
Best, auf dessen lesenswertem Artikel in „Carta“ dieser Teil des Textes beruht).
„Man kann eben im Internet nicht filtern,
ich kann einem Bit nicht ansehen, was es beinhaltet“, erklärt der
Rechtswissenschaftler Thomas Hoeren.

Die Telekom hat jedoch ein massives Interesse
daran, bei der Datenübertragung eine Unterscheidung in Qualitätsklassen zu
erzielen, um langfristig die unterschiedlichen Datenübertragungsklassen
unterschiedlich abrechnen zu können. Die Telekom verletzt mit ihrem
Spotify-Deal die „vertikale Netzneutralität“, weil „nun Musik-Daten anders behandelt und abgerechnet werden als der
restliche Internet-Verkehr“ (Best).

Zweitens: Ein
anderer interessanter Aspekt ist natürlich die Rolle von Spotify. Im Grunde
verletzt Spotify die „horizontale Netzneutralität“, weil die Firma durch die
Kooperation mit der Deutschen Telekom, einem der hiesigen Marktführer, eine
wettbewerbsschädigende Bevorzugung erhält, denn „die Ungleichbehandlung der Musikdateien anderer Musik-Plattformen,
monetär wie technisch, ist ein Bruch der innovationsschützenden
Netzneutralität“ (Best). Es lohnt sich, an dieser Stelle Spotify genauer
unter die Lupe zu nehmen. An dem schwedischen Streaming-Dienstleister sind
mittlerweile ja auch die großen Musikkonzerne beteiligt, die nach dem
Niedergang ihrer Plattenverkäufe verzweifelt daran arbeiten, wieder die
Vertriebswege unter ihre Kontrolle zu bringen. Und die Dominatoren des
Weltmusikmarkts haben natürlich wenig Interesse an Netzneutralität, aber extrem
starkes Interesse daran, daß die Musikdateien im Internet bevorzugt vertrieben
werden können, damit daß Monopol der Musikkonzerne nicht Schaden nimmt – zur
Erinnerung: die drei größten Musikkonzerne bestimmen etwa 80 Prozent des
Weltmusikmarkts. Außerdem freuen sich die Musikkonzerne, die Beteiligungen an
Spotify halten, aus naheliegenden Gründen über jede Möglichkeit, den Austausch
von Musikdateien auf allen Ebenen kontrollieren zu können.

Die exklusive Marketing-Kooperation von Deutscher
Telekom und Spotify ist ein vielfacher Angriff aus die Netzneutralität und auf
die kurz- wie langfristigen Interessen der Verbraucher.

09.09.2012

Hofpfisterei & Patentrecht

Immer wieder absonderliche Volten schlägt das
Urheber- und das Patentrecht. Laut „Spiegel“ hat sich die Münchner Großbäckerei
„Hofpfisterei“ 1977 beim Deutschen Patentamt das Recht eintragen lassen, ihr
rundes Brot als „Sonne“ bezeichnen zu dürfen. Und nun verklagt die Münchner
Bio-Bäckerei bundesweit andere Bäckereien, die ihre Brote als „Öko-Sonne“,
„Vollkornsonne“, „Klostersonne“, „Frisch-Korn-Sonne“ oder „Partysonne“
anpreisen.

Die Geschäftsführerin der Hofpfisterei, Nicole
Stocker, verteidigt das rüde Vorgehen gegen andere Bäckereien mittels
Patentrechtsklagen laut „Spiegel“ damit, daß „die Sonne unsere Marke mit
dem höchsten Umsatz“ sei; es gehe um die „Unverwechselbarkeit“ ihrer „Sonne“ und darum, die Marke vor „Verwässerung“ zu schützen.

Bescheuert, sagen Sie? Aber geltendes Recht
hierzulande. Erstaunlich, was die Patentwächter, die bekanntlich auch die
Aufsicht über die GEMA führen, alles mitmachen.

So, jetzt muß ich aber los, ich geh mal eben zum
Deutschen Patentamt und lasse mir die Begriffe „Musik“ und „Konzert“
patentrechtlich schützen. Soviel Marke, so viel Patent muß sein.

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