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Blog Archiv - Jahr %1
03.02.2015

Reklameverbot in Grenoble

Ganz anders macht es der
Bürgermeister von Grenoble, der jetzt ein Wahlversprechen einlöst. Eric Piolle,
so heißt der verdienstvolle Mann, gewann die Wahl mit dem Slogan „Bäume statt
Werbetafeln!“ Und nun  setzt er den Wählerauftrag
um, wie die „FAZ“ meldet – er verbannt alle Werbeschilder aus der Innenstadt
Grenobles. „Grenoble wird damit zum
europäischen Vorreiter für eine werbefreie Stadt.“ In den kommenden Monaten
sollen 326 Reklametafeln abgebaut werden, die 2051 Quadratmeter öffentlichen
Raumes einnehmen. Den Vertrag der Stadt mit dem Werbekonzern JC Decaux ließ er
kündigen (JC Decaux ist einer der beiden Weltmarktführer für Werbung im
öffentlichen Raum, neben Clear Channel, der ursprünglichen Mutterfirma des
weltgrößten Konzertveranstalters, der sich heute Live Nation nennt; die in
Deutschland weitverbreitete „Wall AG“ ist eine Tochterfirma von JC Decaux).Doch mit der Abschaffung
von Reklame in der Stadt ist es Piolle, der von einer „Befreiung des öffentlichen Raums“ spricht, nicht getan. Der
Bürgermeister kündigte gleichzeitig an, kleine Tafeln aufstellen zu lassen, die
zur Ankündigung kultureller, politischer und sozialer Veranstaltungen genutzt
werden können. Der öffentliche Raum Grenobles wird zurückerobert – chapeau! Die
von Herbert Marcuse im „Eindimensionalen Menschen“ herbeigesehnte „bloße Abwesenheit von Reklame“ (die
laut Marcuse allerdings „das Individuum
in eine traumatische Leere stürzen“ würde), hier ist sie Wirklichkeit.
Frankreich, du hast es besser!

07.01.2015

Streaming-Versteher

Ich warte drauf, daß man mich als „Streaming-Versteher“ bezeichnet...Jedenfalls meldet der Musikmarkt, was sich unsereiner sowieso gedacht
hat, nämlich:„Rund 25 Prozent der
Streaming-Hörer kaufen ein neues Lied, wenn es ihnen gefällt, bei
Radio-Konsumenten seien es nur acht Prozent. Das fand die Country Music
Association (CMA) in einer neuen Studie heraus.Streaming-Nutzer setzen sich laut der Studie auch
eher mit einem Lied auseinander als Radiohörer. 69 Prozent der Streamer suchen
nach dem Hören Liedtexte, erzählen einem Freund von dem neuen Stück oder kaufen
es physisch oder digital. Vergleichbares machen nur 17 Prozent der Radiohörer.“Also:
Streaming-Nutzer kaufen drei Mal mehr Musik als Radiohörer. Hallo, die Herren
Grönemeyer-Regner-Ärzte?!? Ach so, ihr habt wieder nicht aufgepaßt. War ja
klar.

07.01.2015

Bertelsmann zerschlagen!

Interessant ist, daß die deutschen Politiker sich mit Verve bemühen,
Google zu zerschlagen – oder zumindest vorgeben, das zu betreiben, denn mehr
als eine Willensbekundung und frommes Wunschdenken ist das angesichts
zahlreicher damit zusammenhängender Realitäten ja kaum.Während sich andrerseits in der ganzen deutschen Politik niemand findet,
der auch nur ein kleines, kritisches Wörtchen zum Bertelsmann-Konzern sagen würde.
Wo die Zerschlagung des Bertelsmann-Imperiums eigentlich die dringendere und
hierzulande notwendigere Aktion wäre. Der Bertelsmann-Konzern besitzt
jedenfalls nicht nur zahlreiche Printmedien von "Spiegel" bis
"Stern", das weltgrößte Buchverlagsimperium Random House, große
Druckereien und die RTL-Senderfamilie, sondern über den
Internet-Logistikgiganten Arvato, wie es Professor Rudolph Bauer im Interview mit
„Telepolis“ formuliert, auch „die größte
Privatdatei mit persönlichen Daten der deutschen Bevölkerung: Über die privatisierten Post- und
Bahn-Dateien kontrolliert Bertelsmann damit unsere Wohnorte und
Bewegungsprofile, über die neue privatisiert verwaltete ‚Gesundheitskarte’
dringt der Konzern noch tiefer in unsere Privatsphäre ein, pikanterweise in
Kooperation mit Ablegern der NSA-Zulieferfirma Booz Allan Hamilton, bei der
Edward Snowden seine Whistleblower-Karriere startete.“Bevor man sich über die kalifornischen Konzerne
aufregt, sollte man sich vielleicht erstmal mit dem einheimischen big brother in Gütersloh
auseinandersetzen. Die „unabhängige“ Bertelsmann-Stiftung entwickelt politische
Konzepte wie Hartz IV oder die umfassende Privatisierung über PPP, also das
„Public Private Partnership“, und die konzerneigenen Medien machen vorher und
nachher entsprechende Stimmung. Während der Internet-Logistik-Konzern Arvato
von dem good & bad cop-Spiel von Stiftung und Konzern bestens profitiert.

07.01.2015

Xavier Naidoo hat nicht alle am Christbaum III

Wenn man sich vor Augen führt, welch reaktionären und zum Teil
rechtsextremen und unverhohlen antisemitischen Songtexte Xavier Naidoo veröffentlicht
hat, muß man sich doch sehr wundern, daß jahrelang weder die „Musikstadt
Mannheim“, deren Botschafter Naidoo war, noch all die Fernseh- und
Radiostationen, die die Ergüsse des Sakro-Poppers rauf und runter gespielt
haben, etwas gemerkt haben wollen. Und, nochmal sei’s geklagt, die Europäischen
Indies dem Antisemiten gerade einen Preis verliehen haben.Etwa das Lied „Aus dem Reichstag“, in dem die antisemitische Legende von
den Rothschilds, die auch die Nazis gerne benutzten, in nur vier Liedzeilen auf
den historischen Antisemitismus des 19. Jahrhunderts trifft, eben auf Gustav
Freytags „Schmock“, mit dem der einen gesinnungslosen jüdischen Journalisten
bezeichnet, den er auch sonst „mit
allerlei antisemitisch-biologistischen Klischees auflädt“ (Silvio Duwe):„Wie die
Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken.Ihr wart
sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken.Baron
Tothschild gibt den Ton an und er scheißt auf euch Gockel.Der Schmock
is’n Fuchs und ihr seid nur Trottel.“

07.01.2015

Gabriel trifft Inkontinenz-Allianz

„So wenig
Zustimmung hatte Gabriel noch nie: Nur noch elf Prozent der Deutschen wünschen
sich laut einer Umfrage den SPD-Chef als Bundeskanzler“, erfahren wir auf
SPON. Nur die deutsche Inkontinenz-Allianz kann nicht an sich halten: Gorny
& seine Mitstreiter der „Deutschen Content Allianz“ trafen sich dieser Tage
mit Gabriel, „um
über die Inhalte und Umsetzung der Digitalen Agenda zu sprechen“, wie der „Musikmarkt“ berichtete. Und
Gabriel hat „versichert, die von der Deutschen Content
Allianz vertretenen Branchen bei der Umsetzung der Digitalen Agenda
einzubinden“. Na dann.

07.01.2015

Die SPD läßt wochenlang wählen

Die EsPeDe schlägt vor, künftig wochenlang wählen zu lassen statt nur
noch einen Tag zwölf Stunden lang. Wahrscheinlich denken die Sozialdemokraten,
wenn man nur lange genug wählen lasse, werde sich schon noch irgendjemand
erbarmen und EsPeDe wählen. Sie wollen es einfach nicht kapieren, daß einfach
niemand mehr ihre Partei wählen will. Und wenn sie vier Jahre lang wählen
lassen würden, es würden doch nicht mehr als 25 Prozent. Und warum? Es hat
etwas mit Politik zu tun. Aber auch das werden sie nicht verstehen (und das
soll jetzt nicht heißen, daß unsereiner und die WählerInnen mit irgendeiner
anderen der zur Wahl stehenden Parteien irgendwie zufriedener sein würde, nur
schweigen die anderen Parteien eben still und versuchen, nicht weiter
aufzufallen...).

01.12.2014

Streaming: Spotify, Umsonstkultur, Künstler

Streaming, Spotify – die unendliche Geschichte. Da kann
sich unsereiner noch so sehr den Mund fusselig reden bzw. die Finger klamm
schreiben, alle paar Wochen taucht in den Medien ein Musiker auf, der barmt,
daß er bei Spotify kein Geld verdiene, und die Damen und Herren Journalisten
verbreiten die Mär, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, ein wenig die Fakten
zu recherchieren.

Also noch einmal, ganz langsam für die in den hinteren
Reihen, die nicht so schnell mitkommen: Nein, Spotify ist nicht, wie immer
wieder gern behauptet wird, „kostenlos“ – Streaming kostet Geld, und zwar
entweder eine Gebühr von etwa 10 Euro monatlich, wenn man sein Spotify-Konto
auf verschiedenen Geräten nutzen will, oder 5 Euro (ein Gerät), oder man
bezahlt nichts und wird mit Werbung zugemüllt – womit man eben auch bezahlt.

Zweite Mär, die abzunudeln sich anscheinend kein
Qualitätsjournalist zu blöd ist: Die Künstler bekommen beim Streaming kein
Geld. „Für die Künstler gibt es quasi
nichts“, so Sven Regener, ausgewiesener Gema- und Universal-Fan;
„Ärzte“-Sänger Farin Urlaub sagt im „Stern“, das „Abgespeistwerden mit Kleinbeträgen sei schlicht Verarschung“, während
Herbert Grönemeyer fordert, „wir müssen
Musik wieder einen Wert geben und nicht umsonst als Geschenk verteilen (...)
die Künstler bekommen beim Streaming kaum etwas dafür“ – aber immerhin
bekannte Grönemeyer im gleichen Atemzug entwaffnend ehrlich: „Vielleicht muß ich über etwas sprechen, von
dem ich keine Ahnung habe“...Wohl
wahr. Ein merkwürdiges Phänomen, daß sich Musiker bemüßigt fühlen, über
Geschäftsmodelle zu reden, das erinnert stark an Fußballer, die die Weltlage
kommentieren. Da lob ich mir Bryan Ferry, der freimütig bekannte: „Streaming? Ich weiß nicht mal, wie das
geht!“

Tatsache
bleibt: Spotify und andere neue Streamingdienste verteilen etwa 70% aller
Einnahmen an die Rechteinhaber (wohlgemerkt: an die Rechteinhaber! nicht an die
Künstler...). Das ist mehr, als in anderen Geschäftsmodellen bezahlt wird (und
übrigens auch mehr, als der weltgrößte Streamingdienst, YouTube, auszahlt. Spotify
jedenfalls hat in den wenigen Jahren seiner Existenz bereits zwei Milliarden
Dollar an die Rechteinhaber ausgeschüttet. Wenn davon wenig bei den Künstlern
ankommt, sollten diese ihre Verträge mit den Plattenfirmen überprüfen.
Grönemeyer jedenfalls hat auf seiner Keynote beim Reeperbahn-Festival auf die
Rolle der großen Plattenkonzerne hingewiesen: „...er
verurteilte auch das profitorientierte Verhalten von Musikunternehmen. Als die
CD in Anfang der 80er Jahre auf den Markt kam, hätten Plattenfirmen ihre
Künstler betrogen und sie erst sehr viel später an den Einnahmen aus
CD-Verkäufen beteiligt. Heute besteht das gleiche Problem beim Streaming; große
Musikunternehmen seien an Streaming-Diensten beteiligt...“ („Musikmarkt“).

In der Tat, die
großen Plattenkonzerne haben sich Beteiligungen an den Streamingdiensten
sozusagen erpreßt – sind Streamingdienste wie Spotify oder Deezer also
erfolgreich, werden die Plattenfirmen immer Profit machen...Neue Firmen wie
Kobalt, ein Verlag, der auch Leistungsschutzrechte und andere Label-Services
für seine Mitglieder wahrnimmt und auf faire Teilung mit den Künstlern achtet,
schüttete im ersten Quartal 2014 bereits 13 Prozent mehr Spotify-gerierte
Tantiemen an Autoren und Komponisten aus, als aus iTunes erwachsen sind.

Eine besonders
drollige Rechnung macht Sven Regener in Sachen Betriebswirtschaft auf: „Mit Spotify haben wir zum ersten Mal in der
Musikindustrie einen Akteur, der ein finanzielles Interesse daran hat, daß
möglichst wenig Musik gehört wird“, behauptet Regener. Wie bitte? Das
könnten ihm wohl sogar Grundschüler vorrechnen: wenn eine Firma 70 Prozent
ihrer Einnahmen an Rechteinhaber ausschüttet, verdient sie dann tatsächlich
weniger, wenn diese 70 Prozent sich auf weniger Stücke verteilen? Wenn man eine
Torte hat und 70 Prozent der Torte in mehr oder weniger große Stücke aufgeteilt
wird, ändern sich dadurch die anderen 30 Prozent? So eine Rechnung sollten auch
Bremer Gesamtschüler lösen können. Oder Edelfedern, die so etwas unhinterfragt
abdrucken, nämlich im, ähem, Wirtschaftsteil der „FAZ“. Und im Übrigen ist es
natürlich genau andersherum: Ein Streamingdienst muß ein starkes Interesse
daran haben, daß mehr Kunden
hinzukommen (vulgo: mehr Stücke angehört werden), denn erstens generieren mehr
Kunden auch mehr Gebühreneinnahmen, und zweitens generieren mehr Kunden höhere
Werbeeinnahmen, der gesamte Kuchen wird also größer. Es ist so einfach zu
verstehen. Eigentlich.

Aber was hat es
denn nun mit Taylor Swift auf sich? Überall war doch zu lesen, daß die
US-Country-Pop-Sängerin mit CD-Verkäufen und iTunes-Downloads so viel mehr Geld
verdient hat als per Streaming. Und die Ärzte! Und Grönemeyer!Ja, genau, das ist
richtig: Künstler, die viele Alben verkaufen, ob als CD oder als Download,
verdienen damit zunächst mal mehr Geld, und vor allem: schneller mehr Geld als beim Streaming. Denn hier zählt nur, daß
Musik gekauft, nicht, ob sie auch
angehört wird. Wohl gemerkt: das gilt für Künstler, die viele Alben verkaufen. Sehr viele Alben. Millionen Alben und
Downloads. Es gilt also einzig und allein für die wenigen, an zwei Händen
abzählbaren internationalen und nationalen Superstars. Wir erinnern uns: Die
Menschen kaufen keine Alben mehr. Wenige Tage, bevor die neue Welle der Streaming-Artikel
durch die Qualitätsmedien schwappte, wurden an nämlicher Stelle noch
Krokodilstränen vergossen: „Den Prognosen
nach wird 2014 vermutlich keine einzige Platin-Auszeichnung an ein Album gehen.
Das wäre das erste Mal seit der Einführung 1976“, hieß es noch am 21.10. in
der „FAZ“, und wir haben alle still in uns hineingeheult und die Manager der
Tonträgerkonzerne wahlweise im Geist an unser Herz gedrückt oder sie in unser
Abendgebet eingeschlossen. Am 5.11., also nur zwei Wochen später, meldete die
„FAZ“, daß das neue Album von Taylor Swift „auf
dem Weg ist, den höchsten Absatz zu erreichen, den seit 2002 ein neues Album
einer weiblichen Künstlerin in der ersten Woche nach seiner Veröffentlichung
geschafft hat. Vielleicht werden sogar noch ein paar weitere Rekorde geknackt“...
Mit Prognosen ist das halt so eine Sache, gelt? Oder: was kümmert mich mein
Geschwätz von vor zwei Wochen, behaupten wir eben mal rasch das Gegenteil. Ha!

Nur: Künstler wie
Taylor Swift und ihre Verkaufserfolge sind eben die rar werdende Ausnahme. Der
Trend ist klar: im Jahr 2011 wurde in den USA von sage und schreibe 870.000
Alben mindestens ein Exemplar verkauft. Allerdings haben nur 13 dieser Alben
mehr als eine Million Stück verkauft (und wie gesagt, der Trend geht nach
unten, in 2014 wird es wohl nur noch ein Album mit mehr als einer Million
Verkäufen sein...). Während nur 1.000 Alben etwa die Hälfte aller Verkäufe und
nur 10.000 der 870.000 Alben etwa 80 Prozent aller Verkäufe generiert haben,
haben 513.000 Titel (also 60 Prozent aller Alben) weniger als 10 Exemplare
verkauft. In Worten: zehn. Noch drastischer ist es übrigens bei den Downloads:
von den 8 Millionen verschiedenen Tracks, die 2011 in den USA als Downloads
verkauft wurden (größtenteils bei iTunes), haben 94 Prozent weniger als 100
Einheiten verkauft. Und übrigens: 32 Prozent aller 8 Millionen Tracks haben nur
eine einzige Kopie verkauft, also nur einen Download geschafft (also: Mami hat
den Track runtergeladen, der große Bruder oder die kleine Schwester oder deine
College-Kumpel schon nicht mehr...). Man kann das alles in dem großartigen
„Blockbusters“-Buch von Anita Elberse nachlesen.

Was lernen wir aus
all dem? CD-Verkäufe und Downloads bescheren einigen Großkünstlern und ihren
Plattenfirmen große und schnelle Profite. Für das Gros der Musiker, die keine
Top-Superstars sind, wird durch CD-Verkäufe und Downloads immer weniger
Einkommen generiert. Während Musiker mit Streaming immer mehr Geld verdienen,
und zwar mit steigender Tendenz. Und: beim Streaming haben die Musiker die
Garantie, daß ihre Musik tatsächlich angehört
wurde, denn nur, wenn ein Stück mindestens 30 Sekunden gestreamt wird, fließt
Geld. Künstler wie Regener machen ihre Milchmädchenrechnung auf: „Um das einzunehmen, was man mit einer CD
verdient, müßten bei Spotify sämtliche Songs 150 mal gehört werden“, sagt
Regener der „FAZ“. Interessant, daß Regener die Musik seiner Band als so
unerheblich und so uninteressant einschätzt, daß deren Songs nicht 150 mal gespielt
werden... Und hier sind wir, mal jenseits der Tatsache, daß auch in diesem Fall
Regeners Zahlen nicht stimmen, bei einem interessanten Punkt: Wie gesagt, CDs
werden gekauft. Ob sie auch angehört werden, weiß niemand. Das
Interesse von Musikern sollte aber doch eigentlich darin bestehen, daß ihre
Musik tatsächlich gehört wird – oder
habe ich da etwas falsch verstanden? Die interessanten Stücke auf etlichen
meiner liebsten Alben habe ich weit mehr als 150 mal angehört – beim Streaming
würden die Musiker, die diese Stücke komponiert und eingespielt haben, immer
weiter Geld damit verdienen, beim Album nicht. (und jenseits dessen stimmt
natürlich keine einzige der in die Umlaufbahn geschossenen Zahlen, denn man
kann den „pro Stream“-Preis bei Spotify nicht berechnen, er ändert sich quasi
täglich, je nachdem, wieviele Nutzer Gebühren bezahlen, wie viel Werbung
verkauft wird, wie viele Nutzer Stücke streamen... die ca. 70 Prozent bleiben
gleich, nicht die pro-Stream-Ausschüttung, klar).

Bob Lefsetz hat
dieser Tage in seinem Blog darauf hingewiesen, daß es interessant ist, daß
YouTube, wo ja wesentlich weniger an die Rechteinhaber ausgeschüttet wird,
deutlich weniger in der Kritik der Künstler und Medien steht als das wesentlich
besser bezahlende Spotify. Tatsache ist jedenfalls, daß Streaming heute die
Zukunft der Musikindustrie darstellt (was übermorgen schon wieder anders sein
kann). Selbst Taylor Swift hat ja beträchtliche Spotify-Einnahmen generiert: in
den 30 Tagen bis zum 5.11.d.J. wurden ihre Stücke bei Spotify über 16 Millionen
mal angehört. Bis Taylor Swift ihren Katalog von Spotify abgezogen hat, war sie
laut Spotify-Chef Daniel Ek „auf dem
besten Weg, die Marke von mehr als sechs Millionen Dollar an Auszahlungen zu
erreichen – angesichts der Wachstumsraten bei Spotify hätte es im kommenden
Jahr auch die doppelte Summe sein können“ („Musikmarkt“) – sechs bzw. gar
zwölf Millionen Dollar sind ja auch für einen US-Superstar, die sich die
Markteinführungskampagne ihres neuen Albums von einer Cola-Firma sponsern läßt,
keine Peanuts (auf dem dazugehörigen Spot nimmt Frau Swift einen Schluck Cola
und spielt mit, genau, zwei kleinen Kätzchen...).

Den brauchbarsten
Kommentar zu all diesen Geschäftsmodellen hat jedenfalls Dave Grohl von den
„Foo Fighters“ abgegeben; laut „Digital Spy“ sagte Dave Grohl (Hervorhebungen
BS):"Me personally? I don't f**king care. That's
just me, because I'm playing two nights at Wembley next summer (...) I want people to hear our music, I don't
care if you pay $1 or f**king $20 for it, just listen to the f**king song.“Grohl meinte, die
Leute seien zu sehr auf „Delivery“ und „Technologie“ fokussiert, während es den
Musikern doch um die Wichtigkeit ihrer Konzerte gehen sollte... denn dort
spielt die Musik, im wahrsten Sinne des Wortes: Live is king!

01.12.2014

Chicks on Speed, H&M und die Biobaumwolle

Mal ein Beispiel für den Unterschied zwischen den frühen
90er Jahren des vergangenen und den 10er Jahren des gegenwärtigen Jahrhunderts
gefällig?

Der Berliner Künstler Wolfgang Müller erzählt in einem
auch sonst lesenswerten Interview mit der „Berliner Zeitung“, wie Karl
Lagerfeld 1991 für ein Fotoshooting das legendäre Berliner „Kumpelnest 3000“
anmieten wollte:„Karl
Lagerfeld wollte den Laden mieten. Aber Mark Ernestus lehnte das ab.“Ja, es gab mal Zeiten, in denen Club- und Barbesitzer für
Geld nicht alles machten.

Heute dagegen – die „Chicks On Speed“ im Interview mit
„Zitty“:„Auch
wir sind ein Teil dessen. Aber das kann man auch nutzen, wie zum Beispiel bei
einer Kooperation mit H&M, für die wir und andere Künstler T-Shirts designt
haben. Einige Künstler wollten ihre Designs nur auf biologische Baumwolle
drucken. H&M hatte aber Probleme damit. So plötzlich kann nicht so viel
Biobaumwolle hergestellt werden, das erfordere jahrelange Planung und
Vorarbeit. Aber wir haben nicht aufgegeben, und H&M arbeitet nun
mittlerweile daran, daß bis 2020 zumindest ein gewisser Prozentanteil
biologisch produziert wird. Das war eine Zusammenarbeit mit dem System, aber
auch ein guter Anfang.“

Ach ja?Ob H&M daran arbeitet, daß bis 2020 zumindest einem
gewissen Prozentanteil der Textilarbeiterinnen, die den Krempel zum Beispiel in
Kambodscha oder Bangladesch unter in aller Regel menschenfeindlichen,
ausbeuterischen Bedingungen herstellen, mehr als die 1,18 Euro Tageslohn
erhalten, die H&M nach Recherchen von Wolfgang Uchatius 2010 zahlte, ist
nicht bekannt.Irgendjemand muß halt dafür bezahlen, daß sich
irgendwelche „Chicks on Speed“ darüber freuen können, daß alles etwas mehr
„bio“ wird. Durchgeknallt.

01.12.2014

Grönemeyer & Universal laden ins Grill Royal

Herbert Grönemeyer bzw. seine Plattenfirma, der
Weltmarktführer Universal, hatten die führenden Musikjournalisten der Republik
in eine für gewöhnlich von reichen Kunstsammlern und sonstigen Wichtigtuern
frequentierte Berliner Luxuskaschemme zu kostenlosem Champagner, Rinderfilet,
Garnelen, karamellisierten Ziegenkäsebällchen auf Spinatbett und anderen
wohlfeilen Gaumenfreuden eingeladen. Das Manko: die Musikjournalisten mußten
sich eine Ansprache des Universal-Chefs und danach das neue Album von
Grönemeyer anhören. Coram publico.

Wenn
Sie jetzt denken, daß kein Mensch von Würde, Intelligenz und Geschmack sich auf
so etwas einläßt, dann kennen Sie den deutschen Musikjournalismus schlecht.
Klar würde es sich gehören, auf so eine Einladung zum Dasein als Marketingtool
mit einer kühlen Mail zu antworten, etwa in der Art „Danke für Ihre Einladung.
An Ihrer Werbeveranstaltung werde ich als unabhängiger Journalist natürlich
nicht teilnehmen. Bitte senden Sie den Tonträger an die Ihnen bekannte
Anschrift“.

Aber
Pustekuchen, hier wollte noch jeder dabei sein, und so konnte man dann großformatigste
Artikel z.B. in „FAZ“, „Spiegel Online“ oder „Berliner Zeitung“ über das neue
Grönemeyer-Album lesen, und da konnten die Edelfedern sich noch so sehr in
Ironie oder pseudoironischer Distanz üben („der
meiner Ansicht nach etwas zu cremig geratene Knoblauchdip“... „Herbert
Grönemeyer, du hast mein Leben zerstört (...) Wer nicht mitsingt, ist selbst
schuld“... „der deutsche Seelensänger (...) Es
bringe nichts, immer nur über die Politiker zu schimpfen. Irgendwann müssten
wir doch mal anpacken und Verantwortung übernehmen“), klar war, daß
der Universal-Konzern sein Ziel mit der Journalistenspeisung aufs Trefflichste
erreicht hatte: Hofberichterstattung allüberall. Und billiger als entsprechend
großformatige Anzeigen zu schalten dürfte das Anmieten des Berliner
Schnöselladens auch gewesen sein.

01.12.2014

Musikpresse unserer Tage (Jan Wigger)

Ach ja, die Musikkritik unserer Tage:

„Immer dann, wenn
sich Songs zu Lieblingsliedern "mausern", wenn der Künstler endlich
"zu sich selbst gefunden" hat (das Todesurteil für jede
ernstzunehmende Karriere) oder "ganz schön kauzig" ist, sich die
"Spannungsbögen aufbauen", die "Gitarrenwände" Türme
stapeln und das "Kopfkino" nur noch Peter Maffays "Der
Joker" zeigt, haben wir es wieder mit Musikkritik im Jahr 2014 zu tun.Das Internet hat
so viel kaputt gemacht, doch jetzt versinken und ertrinken die guten Autoren
auch noch im Datenmüll der Handlanger, Hobbypoeten, Studentenköpfe und
Vielschreiber...“

Sagt nicht yours truly, sondern Jan Wigger auf „Spiegel Online“. Wo er
Recht hat...

01.12.2014

Drogenhandel und Militärkeynisianismus

Der Drogenhandel und das Militär bewahren Deutschland vor der Rezession.

Das Statistische Bundesamt führt seine Berechnungen und
Wirtschaftsprognosen seit August/September 2014 auf der Grundlage des „Europäischen
Systems der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung“ (ESVG) durch. Beim ESVG
werden auch Prostitution, Schmuggel und Drogenhandel in die
volkswirtschaftliche Gesamtrechnung mit einbezogen. Und mit dem neuen
ESVG-Standard gelten plötzlich auch Militärausgaben nicht mehr als Kosten,
sondern werden wie Investitionen gewertet. Und so sind die Theorien der
Ökosozialisten der 80er Jahre, die vom „Militärkeynesianismus“ sprachen und das
Problem aufwarfen, daß Militärausgaben eine Wirtschaft letztlich nur dann ankurbeln,
wenn die Rüstungsgüter auch „konsumiert“ (also Kriege geführt) werden, jetzt
sogar beim Statistischen Bundesamt angekommen.

Doch die Rechentricks helfen nichts – trotz der neuen Einbeziehung von
Drogenhandel, Militär und Prostitution gab es in Deutschland im dritten Quartal
nur ein Wachstum von 0,1 Prozent...

01.12.2014

Telekom sucht Bands - Tribute von Panem

Eine ganz besonders eklige Art von Sponsoring hat die Deutsche Telekom
AG entwickelt, wie im “Musikmarkt“ zu lesen war:

„Mit dem neuen
Förderprogramm Telekom Music Talent Space will der Konzern individuellen
All-Round-Support für Künstler bieten und erhofft sich im Gegenzug exklusiven
hochwertigen Content, dauerhafte Künstlerbeziehungen und Zugang zu innovativer
Musik für die Telekom- Kampagnen.“

Und (Grammatik so
im Original): „Die Telekom sieht sein
Förderprogramm daher als eine Art Investition. Lülsdorf führt aus: "Wir
begreifen die Künstler als Start-ups, die man mit unterschiedlichen Mitteln
individuell und zielgerichtet entwickelt und fördert, um ein Return on Invest
zu erzielen. Wie auch in der Wirtschaft, müssen die Künstler die Investoren bei
TMTS mit ihren Ideen, Konzepten und nicht zuletzt als Person überzeugen. Und
wie in der Wirtschaft geht es auch hier darum eine Win-Win-Situation zu
erzielen."Daß die
Win-Win-Situationen beim Telekom-Sponsoring in einer mehrteiligen Show in der
Art von „Tribute von Panem“ erzeugt wird, nimmt da kaum noch Wunder. Den
Gewinnern des Förderprogramms wird jedenfalls gedroht:„Denkbar ist zudem, dass der oder die Gewinner zu
anderen Telekom-Formaten geladen werden, etwa dem Festival ‚Electronic Beats’
oder einem ‚Telekom Street Gig’.“

01.12.2014

Deutsche Konzertindustrie und Imperienkämpfe

Wenn ich mir die Konzentrationsprozesse und die ganzen Imperienkämpfe
der Konzertindustrie in diesem Jahr so betrachte, das ganze CTS vs. DEAG zum Beispiel,
dann freue ich mich im Nachhinein umso mehr, letztes Jahr dem „größeren“
Geschäft adieu gesagt und meine Bude in ein kleines Büro umgewandelt zu haben.

Jetzt hat die DEAG, der andere einheimische Oligopol-Konzern, ebenfalls
eine Ticketingfirma gegründet, um das so profitable Ticketgeschäft in eigener
Hand durchführen zu können – Sie wissen schon, die Konzertkonzerne berechnen
Ihnen allerlei absurde Zusatzgebühren, mit denen Ihnen das Geld aus der Tasche
gezogen wird, während sich die Konzerne daran bereichern. Gerade in der Fritz
Lang-Biografie gelesen, wie der amerikanische Supreme Court den großen
Hollywood-Studios 1948 den Besitz eigener Kinoketten verboten hat, sie durften
seither nur noch produzieren und verleihen – es ging darum, ihre vertikale und
horizontale marktbeherrschende Stellung einzudämmen.

Wie wäre es denn, wenn unsere Kartellbehörde sich mal um die Konzerne
der Konzertindustrie und ihre Verflechtung mit den Ticketkonzernen kümmern
würde? Im Interesse der Verbraucher? Damit die Vielfalt der Kultur gewahrt
bleibt und letztlich die Tickets günstiger werden? Ist ja Advent, man wird ja
noch träumen und naive Wünsche vortragen dürfen...

01.12.2014

Manager und Transparenz

Ich freue mich ja wirklich immer sehr, wenn Menschen „absolute
Transparenz“ fordern. Klingt gut und toll, und wer wollte da widersprechen.Jetzt hat das IMMF, das „International Music Manager Forum“, „absolute Transparenz“ gefordert, und
zwar von „sämtlichen Playern auf dem
Musikmarkt, die von Künstlern abhängig sind“. Wow.„Zwar begrüße das
IMMF digitale Geschäftsmodelle wie Videodienste à la Vevo, jedoch herrsche
nicht immer Klarheit darüber, wie diese Dienste die Künstler vergüteten“, kann man im
„Musikmarkt“ lesen. Merkwürdig nur, daß sich die IMMF-Manager nicht anschicken,
selbst einen Teil zur „absoluten Transparenz“ beizutragen und sämtliche
Verträge und Deals, die sie mit ihren Künstlern und die von ihnen vertretenen
Künstler mit Plattenfirmen, Verlagen usw. abgeschlossen haben, komplett
offenzulegen. Sollte das alles nur eine nette Schlagzeile gewesen sein?

01.12.2014

Avery Fisher Hall

Verkehrte Welt:Die „Berliner Zeitung“ meldet, daß die Konzerthalle, die unter dem Namen
„Avery Fisher Hall“ die Heimat der New Yorker Philharmoniker ist, sich von
diesem Namen freikauft. Man bezahlt an die Familie des 1994 verstorbenen Avery
Fisher (ein Radiotechnikunternehmer, der in den 60er Jahren die Akustik des
Konzertsaals verbessert und für das Orchester später 10,5 Millionen Dollar
gespendet hatte, weswegen 1973 die Halle nach ihm benannt wurde) 15 Millionen
Dollar für den Verzicht auf das Namensrecht.

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