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12.11.2016

Magazinbeilagen in Zeitungen

Ab und zu liegen den hiesigen Tageszeitungen, wir reden jetzt nur von der selbsternannten Qualitätspresse, versteht sich, Hochglanzmagazine bei – in der „Süddeutschen“ und der „Zeit“ finden sich diese Dinger wöchentlich, in der „FAZ“ alle paar Monate.
Ich habe spaßeshalber die in den letzten zwei Monaten erschienenen Mode-Ausgaben dieser Hochglanzdinger durchgeblättert und ein bißchen Statistik betrieben. Sehen Sie selbst:

Im „SZ Magazin“ vom 9.9.2016 blättert man durch 13 Seiten Werbung, bevor man auf das „Editorial“ stößt. Insgesamt sind in dem 112 Seiten starken Magazin 32 Seiten bezahlte Anzeigen sowie 44 weitere Seiten, nun, wie soll man das nennen, „Kosnumberatung“? Also Fotostrecken der Sorte „Viele Kleider erwachen erst in Bewegung richtig zum Leben. Deshalb brachten zwei Tänzerinnen des Bayerischen Staatsballetts für uns die schönsten Roben des Herbstes in Schwung“, und dann folgen einige Seiten mit Mode, die sich von den bezahlten Anzeigen nur dadurch unterscheiden, daß die Markennamen ein wenig verschämt unter den Fotos stehen: „Cremefarbenes Strickkleid mit Bustiertop, von Bottega Veneta“, oder „Langes Samtkleid mit Stehkragen, von Valentino“ – Sie wissen, was ich meine. 76 der 112 Seiten des „SZ-Magazins“ sind also direkte oder indirekte Werbung. Mehr als zwei Drittel.
Beim „Zeit-Magazin“ Nr. 38/2016 ist das Verhältnis ähnlich: 32 Seiten Anzeigen auf insgesamt 92 Seiten, dazu kommen 3 Seiten Verkaufsberatung und 13 Seiten Konsumberatung, insgesamt also 48 der 92 Seiten sind direkte oder indirekte Werbung, über 52 Prozent.

Beim großformatigen „FAZ Magazin“ gibt es nach der Titelseite sage und schreibe 21 Seiten lang Werbung, bevor man sich zum „Editorial“ durchgekämpft hat. Dann folgen neben einigen Artikeln weitere 17 1/3 Seiten bezahlte Anzeigen und 18 Seiten detaillierter Konsumberatung unter Nennung der Produktnamen, „Strickjacke und Hose von Gucci“, „Pollunder von Prada und ein Hemd aus Paul’s Boutique in Berlin“, „In einem Blouson von Louis Vuitton“. Insgesamt 56 1/3 von 100 Seiten sind direkte oder indirekte Werbung.

Beim Reeperbahn-Festival in Hamburg lag im Foyer des Hotels ein „Zeit-Magazin Mann“ herum, mit Christoph Waltz auf dem Cover, „Ich bin ein anderer“. Die Titelthemen: „Neue Klassiker: Vom Mantel bis zum Messer“. Ähem. Und „Die Analyse: Wie männlich ist die Politik von heute?“
Ich bin ein wenig enttäuscht, daß nach nur 15 Seiten bezahlter Anzeigen bereits das Editorial auf mich wartet. Und außer den 15 Seiten vorne haben die Magazinmacher nur weitere 30 Seiten Anzeigen losschlagen können – dafür beherrscht in meinen Augen kein anderes dieser Magazine die hohe Kunst des Produktplacements bzw. das Freischaufeln redaktioneller Seiten für intensive großflächige Konsumberatung so perfekt wie das Zeit-Magazin Mann. Es ist richtiggehend schwierig, redaktionelle und werbliche Inhalte auseinanderzuhalten. „Die neuen Klassiker“ („die wertvollsten Dinge, die man sich zulegen kann“, „weil sie nicht auf einen Trend zugeschnitten sind, sondern auf die eigenen Bedürfnisse“...) etwa zeigen auf der einen Seite vier Produktfotos, zum Beispiel Whisky-Gläser, Krawatten, Boxen, Sneaker, Uhren oder Messer, und auf der daneben stehenden Seite werden Werbetexte inklusive aller Markennamen formuliert. „Mit schlechten Messern kann man nicht gut kochen. Diese hier sind so gut, daß am Herd kaum mehr etwas schiefgehen kann“, weiß das Zeit-Magazin Mann...
Für das Porträt über Christoph Waltz hat sich der zweifache Oscar-Preisträger auf 14 ½ Seiten in Mode von Herno, RRL Ralph Lauren, Calvin Klein, Hermès, Jil Sander, Hugo Boss und einigen anderen fotografieren lassen. Dann fährt eine Kolumnistin auf sechs Farbseiten (davon 5 ¼ Fotos des roten Porsche 911 Turbo S) ein Auto Probe –  er ist zwar „kein Auto der Vernunft“, aber: „Er gehört zu ihr“.
Insgesamt sind von den  Seiten des Zeit-Magazin Mann 45 Seiten bezahlte Anzeigen und 51 ¾ Seiten „Konsumberatung“, macht 86 ¾ Seiten direkte oder indirekte Werbung auf 180 Seiten – nicht einmal die Hälfte! Es ist klar: Das Zeit-Magazin Mann landet auf dem letzten Platz dieser kleinen Statistik.

12.11.2016

Deutsche Post, DHL und Neukölln

Die Deutsche Post und DHL lassen sich was einfallen, soviel steht schon mal fest.

Sicher, es ist einfach, über all die Zusteller zu schimpfen, die ihre Benachrichtigungen in die Briefkästen werfen, ohne je einen Zustellversuch zu unternehmen. Aber wie gesagt, sie lassen sich etwas einfallen, das konnte ich neulich in der für mein Büro zuständigen Deutschen Post-Filiale in Neukölln (Karl-Marx-Straße) feststellen: Bisher bin ich gleich wieder abgezogen, wenn ich beim Eingang ins Einkaufszentrum, in dessen Erdgeschoß sich die Filiale befindet, die Warteschlange schon bis auf den Gang hinaus sehen konnte – und das war immer der Fall, egal, ob morgens, mittags oder abends. Das waren dann ca. 30 Leute vor mir, bei 2 bis 3 Post-Angestellten ergab sich eine durchschnittliche Wartezeit von einer halben Stunde, und ich habe meine Zeit nicht im Lotto gewonnen.

Jetzt aber, Mitte Oktober, war alles anders: Keine Schlange auf dem Gang des Einkaufszentrums! Wow. Ich ging vor bis zur Filiale, und tatsächlich, die Filiale war geöffnet, und die Schlange reichte nur bis ca. zwei Meter vor die Eingangstür, so wie früher, als man meistens nur 15 bis 20 Minuten warten mußte. Ich war begeistert und stellte mich an. Und dann stellte ich fest, was passiert war: Bisher war etwa ein Drittel der Filiale von einem Postbank-Schalter belegt, sodaß sich die Schlange in der linken Hälfte der Filiale befand. Nun hat die Deutsche Post das rechte Drittel der Filiale abgebaut, um die Schlange in ebensolchen Linien quer durch ihre Filiale führen zu können. So sahen die über 30 Leute, die vor mir dran waren, gleich viel weniger aus, und die Schlange reichte nicht einmal bis draußen auf den Gang des Einkaufszentrums.

Bitte, geht doch! Flexibel muß man halt sein in der Dienstleistungsgesellschaft, und Deutsche Post und DHL machen vor, wie mans macht. Want Service? Go Japan!

12.11.2016

Schweiz & direkte Demokratie

So ist das mit den Schweizern und der direkten Demokratie: Sie stimmen mit großer Mehrheit für ein neues Schnüffelgesetz, mit dem die Geheimdienste die Bürger*innen noch besser auskundschaften können. Und gleichzeitig stimmen sie gegen höhere Renten, nach dem Motto „wir sind eh schon reich genug“. Ob das aber für alle Schweizer*innen gilt?

12.11.2016

Ein Stern, der deinen Namen trägt, und Clara Drechsler

Während die Berliner Pop-Elite noch auf „Atemlos durch die Nacht“ herumreitet wie irgendwelche verlorengegangenen Goldenen Reiter, ist Justus Köhncke schon weiter: Er macht ein Lied, das man eigentlich immer als Inbegriff alles Unerträglichen begriffen hat, zu einem wunderlich-schönen Popsong: Ein Stern, der deinen Namen trägt! Seit Jahren einer der erfolgreichsten Songs in allen GEMA-Statistiken. Aber eben, wie die wunderbare Clara Drechsler schreibt: „Ist das radikal genug? Wir weinen, wir singen. Allein. Menschen, die sich lieben, sind sich nah.“
Bitte lesen Sie unbedingt den Text von Clara Drechsler auf der Homepage des Labels.
Eine der vielen rätselhaften und schlechten Sachen an dieser Welt ist sowieso, daß Clara Drechsler nicht mehr regelmäßig über Musik und Popkultur schreibt wie seinerzeit zu den besten Zeiten der Spex.

12.11.2016

Sigmar Gabriel & die Rüstungsexporte

Sigmar Gabriel (SPD), Sie wissen schon, das ist der Politiker, der zu Beginn seiner Zeit als Wirtschaftsminister ein drastisches Reduzieren der Rüstungsexporte versprach und das dergestalt umsetzt, daß die bundesdeutschen Rüstungsexporte Jahr für Jahr drastisch steigen, dieser Sigmar Gabriel also hat nun neue Zahlen der Rüstungsexporte veröffentlicht. Im ersten Halbjahr 2016 hat die Bundesregierung für mehr als vier Milliarden Euro Rüstungsexporte genehmigt, das sind mehr als eine halbe Milliarde mehr als im Vorjahreszeitraum, ein Anstieg um mehr als 13%. Dabei fällt vor allem die Ausfuhr von Munition für Kleinwaffen ins Auge, deren Export sich gegenüber dem Vorjahr verzehnfacht hat. Mit dieser Munition werden in Bürgerkriegen wie in Syrien die meisten Zivilisten getötet.

Interessant sind auch die Verschiebungen in der Liste der wichtigsten Bestimmungsländer. Die Polizeistaatsdiktatur in der Türkei rückte seit Beginn der sogenannten Flüchtlingskrise von Platz 25 auf Platz 8 der wichtigsten Bestimmungsländer vor – die Politik Erdogans, der die Türkei in einen Folterstaat verwandelt, wird von der bundesdeutschen Regierung also massiv unterstützt.
Die Scharia-Diktatur von Saudi-Arabien gehört nach wie vor zu den bevorzugten Bestimmungsländern für bundesdeutsche Rüstungsgüter und befindet sich auf Platz 3 der Exportliste, der Gesamtwert der von der BRD an Saudi-Arabien gelieferten Hubschrauber, Flugzeuge und deren Teile sowie Ausrüstung für Luftbetankung erhöhte sich von 179 Millionen auf 484 Millionen Euro, hat sich also fast verdreifacht.

Saudi-Arabien führt derzeit übrigens mit Unterstützung der USA und Großbritanniens und mit seinen bundesdeutschen Waffen einen erbarmungslosen Krieg gegen den Jemen. Die Militärkoalition um Saudi-Arabien hat im Jemen bislang über 8.600 Luftangriffe geflogen, laut „Guardian“ waren ein Drittel der Ziele zivile Einrichtungen: Schulen, Krankenhäuser und Moscheen. Nach Angaben der UN wurden seit Beginn der Luftangriffe über 10.000 Menschen getötet, darunter mindestens 3.799 Zivilisten.
Merkwürdig – vom brutalen Krieg Saudi-Arabiens gegen den Jemen und von den Tausenden ziviler Opfer hört man in den bundesdeutschen Medien so gut wie nichts.

12.11.2016

Goebbels und der WDR machen Unterhaltung

„Gerade in politisch aufregenden Zeiten ist es wichtig, Unterhaltung zu machen.“
Sagt wer?

„Auch die Unterhaltung ist heute staatspolitisch wichtig“, „das Schaffen des kleinsten Amüsements, des Tagesbedarfs für die Langeweile darf nicht vernachlässigt werden.“
Sagt wer?

Das eine Zitat ist von Joseph Goebbels, das andere von Siegmund Grewenig, dem Unterhaltungschef des WDR, der mehr Gesang, Tanz und Comedy im Fernsehprogramm seines Senders ankündigt.

12.11.2016

Kate Tempest & BS

Ich weiß nicht, ob Sie das jetzt wirklich interessiert, jedenfalls schlafe ich in aller Regel ziemlich gut, oder zumindest ohne größere Probleme. Aber in der Nacht vom 6. auf den 7.Oktober war irgendwie der Wurm drin, ich weiß nicht, ob es an einigen (wenigen!) alkoholischen Getränken lag, die ich am Abend zu mir genommen hatte, ob Vollmond war oder was, jedenfalls wachte ich ständig auf, und als ich auf die Uhr sah, um rauszubekommen, ob es endlich Zeit zum Aufstehen sei, zeigte der Funk-Wecker genau 4:18 Uhr an. Boah, ich mußte mich irgendwie zum Weiterschlafen bringen, und nach langem Hin- und Herwälzen ist es auch mehr schlecht als recht gelungen.

Am Frühstückstisch las ich dann in der Zeitung, daß an dem Tag das neue (und übrigens ziemlich tolle) Album von Kate Tempest erschienen sei, und daß sieben Fremde im Mittelpunkt des Albums stehen, die alle eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind morgens um 4:18 Uhr wach.
Ich weiß, das glaubt mir jetzt keiner, aber ich schwöre: Das alles ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.

12.11.2016

Die Menschen

„Die Menschen sind nicht immer, was sie scheinen, aber selten etwas Besseres.“
Franz Dobler (in seinem neuen und wärmstens empfohlenen Roman „Ein Schlag ins Gesicht“)

12.11.2016

Berliner Qualitätspresse verkauft ihre Titelseiten an Anzeigenkunden

Die Titelseite einer Zeitung ist eine Art Vertrag mit den Leser*innen. Dort befindet sich für gewöhnlich die wichtigste Nachricht des (vergangenen) Tages, das beherrschende Thema, das, was wirklich wichtig war und ist.
Am Samstag, 12.11.2016, könnte solch ein Thema immer noch Trump und die US-Wahl sein, oder der Tod von Leonard Cohen, oder wie Erdogan in der Türkei eine Diktatur errichtet - beispielsweise. In schönster gleichgeschalteter Einigkeit allerdings machen die beiden führenden Berliner Tageszeitungen, der „Tagesspiegel" und die „Berliner Zeitung", heute mit dem Thema „KaDeWe - Come and See!" auf, auf ihrer kompletten Titelseite.
Der Niedergang der Qualitätspresse ist unaufhaltbar...

02.09.2016

Neues vom und Grundsätzliches zum Streaming: Frank Ocean, Apple & Tidal

Soso, jetzt hat also Frank Ocean zwei Alben gleichzeitig veröffentlicht, nach vier Jahren.

Können Sie sich noch an die Zeiten erinnern, als die Musikindustrie Napster als eine Art Gottseibeiuns bekämpfte, als die großen Plattenkonzerne das Internet und die Digitalisierung als solche eifrig beschimpften und das Schlagwort von der „Internet-Piraterie“ zum geflügelten Wort der Copyright-Cops jeglicher Couleur wurde und Firmen wie Sony auf die moderne Welt mit ausgefeilten Kopierschutztechniken reagierten, die das Abhören neu gekaufter CDs auf bestimmten Playern (etwa im Auto) verunmöglichten? Those were the days.

Und was war das Ergebnis? Die Tonträgerindustrie, die die Musikhörer*innen bevorzugt als Feinde begriff, verlor knapp zwei Drittel ihres Umsatzes und, fast noch schlimmer, jegliche Sympathie.

Warum ich hier aus alten Zeiten erzähle? Weil es nötig ist. Denn die alten Zeiten sind die neuen Zeiten, nur daß heutzutage die Großkünstler alle Fehler zu wiederholen scheinen, die seinerzeit die Plattenfirmen viel Geld und noch mehr Sympathie gekostet haben.

Die Grundregel der Veröffentlichungspolitik in digitalen Zeiten lautet:
1. großartige Inhalte schaffen.
2. den Kauf so einfach wie möglich machen.
3. Weltweite Veröffentlichung am gleichen Tag, auf allen verfügbaren Plattformen.
4. Fairer Preis.
5. auf jedem Gerät abspielbar.

Daß diese Grundregel, von mir nur marginal ergänzt, von Kim Dotkom stammt, macht sie nicht weniger richtig.

Doch was etablieren einige Großkünstler in diesen Tagen? Ein Zurück in die gated community einiger Großkonzerne – nur, daß diese Großkonzerne heute nicht mehr Universal oder Sony heißen, sondern Apple (oder kleinere Firmen wie Tidal). Aller Erfahrung, aller digitaler Logik zum Trotz veröffentlichen immer wieder Künstler ihre neuen Alben auf den gated communities, die ihnen die meiste Kohle zahlen.

Kanye Wests neues Album Pablo erschien am 14.Februar 2016 exklusiv als Stream auf der albernen Plattform Tidal, die ihm und anderen Musik-Multimillionären gehört, sowie als Download auf Wests eigener Website (wo in der dritten Verkaufswoche gerade einmal noch 78 – kein Druckfehler! achtundsiebzig! – Alben verkauft wurden).  Erst am 10.Juni, also knapp vier Monate nach Erscheinen, stand das Album auch auf Spotify zur Verfügung. Und welchen Sinn hatte diese merkwürdige Veröffentlichungspolitik? Klar, es sollte dem dramatisch schwächelnden Streamingdienst Tidal mit exklusivem Inhalt Nutzer zuführen. Mit dem Ergebnis, daß das Album bereits am ersten Veröffentlichungstag mehr als 500.000 mal illegal heruntergeladen wurde und Kanye West wohl mehr als 10 Millionen Dollar verloren haben dürfte, wie amerikanische Branchenmagazine schätzten.

Beyonce veröffentlichte ihr neues Album ebenfalls exklusiv auf Tidal, wo es wenige Stunden später sogar als Bundle mit dem HBO-Video für 17,99$ zu kaufen war (bis heute ist Lemonade nicht auf Spotify zu hören, es soll dem Vernehmen nach exklusiv bei Tidal bleiben; anders als bei Kanye West ist mittlerweile allerdings eine CD erschienen). Bei Tidal erschien auch das neue Rihanna-Album exklusiv, und man verfügt ebenfalls exklusiv über den 300 Songs umfassenden Backkatalog von Prince.

Das alles ist natürlich schon ein Pfund. Andrerseits bedeutet exklusiver Inhalt bei Tidal eben auch, daß diese Inhalte nirgends sonst zur Verfügung stehen. Und Tidal ist als Player langfristig eher zu vernachlässigen. Trotz aller exklusiver Inhalte hat Tidal bis heute gerade einmal etwas mehr als 4 Millionen Nutzer weltweit – im Gegensatz zu 35 Millionen zahlenden Nutzern bei Spotify (das insgesamt von über 100 Millionen Menschen genutzt wird, wenn man die nichtzahlenden Nutzer hinzuzählt) und geschätzten 15 Millionen Nutzern von Apple Music, dem Streamingdienst des Großkonzerns aus Cupertino.

Nun versucht Apple, mit exklusiven Veröffentlichungen seinen Fuß ins von Spotify dominierte Streaminggeschäft zu bekommen. Man kauft mit viel Geld exklusive Inhalte ein wie dieser Tage Frank Oceans neues Album „Blonde“, das weltweit ausschließlich auf Apple Music im Stream und bei iTunes als Download-Kauf erhältlich ist. Das hat Frank Ocean, der sich dem Vernehmen nach mit der Apple-Kohle aus seinem Vertrag mit der Universal-Tochter Def Jam herausgekauft und „Blonde“ auf seinem eigenen Label veröffentlicht hat, eine Stange Geld eingebracht.

Mit diesen Fan-feindlichen und nur am Gewinn orientierten Strategien wird die Logik der Streamingdienste von einer unheiligen Allianz aus profitgierigen Großkünstlern auf der einen und Apple und Tidal auf der anderen Seite auf den Kopf gestellt. Der Charme von Streaming besteht ja darin, daß alle Musik gleichzeitig zur Verfügung steht, nur den berühmten einen Fingerklick entfernt. Die Musikhörer*innen können jederzeit selbst entscheiden, was sie hören wollen, und wo und wie sie es hören wollen. Ein Instrument der Veröffentlichung von Musik, das das erste Mal in der Geschichte reproduzierter Musik fanfreundlich und in gewisser Weise sogar demokratisch ist. Alle Musikhörer*innen sind gleich, alle können weltweit (fast) jedes Musikstück hören, und wenn tolle Künstler*innen wie Jamila Woods oder Chance The Rapper ihre neuen Werke ausschließlich kostenlos (!) auf gängigen Streamingplattformen (inklusive oder ausschließlich auf dem kostenlosen Soundcloud) veröffentlichen, ist das nicht zuletzt auch eine Revolte gegenüber der Musikindustrie, eine Allianz von Musiker*innen und Musikhörer*innen gegen die Großkonzerne, ob sie nun Universal oder Apple heißen (und ja, ich habe nicht vergessen, daß die Musikindustrie an Spotify oder Vevo ebenso beteiligt ist wie Banken und Investmentfonds aus Feudalstaaten wie Abu Dhabi...).

02.09.2016

Apple spart Steuern, und Söder gefällts

Apple muß (wenigstens nach einem vorläufigen Bescheid der EU-Kommission, gegen den der Konzern Widerspruch eingelegt hat, mal sehen, was da am Ende rauskommt) bis zu 13 Milliarden Euro Steuern nachzahlen. Apple hat von der irischen Regierung entsprechende unrechtmäßige Steuererleichterungen erhalten und mußte zuletzt nur noch 0,005 Prozent Steuern zahlen – 50 Euro Steuern auf eine Million Gewinn.

Was ich in der Diskussion dazu einigermaßen drollig finde, ist, wie immer wieder behauptet wird, daß der Apple-Konzern irgendwelche Steuertricks tätigen würde. Als ob man ausgerechnet von einem der größten und reichsten Konzerne der Welt ein moralisches Verhalten erwarten könne, als ob ein Konzern des kalifornischen Kapitalismus irgendeine Art von moralischer Besserungsanstalt darstellen würde. Nein, Apple (und Starbucks, und McDonalds, und Fiat, und U2, und all die anderen...) nutzen legale Steuersparmöglichkeiten aus, die ihnen die jeweiligen Regierungen zur Verfügung stellen, allen voran in den EU-eigenen Steueroasen Irland, Holland und Luxemburg. Im Kapitalismus wird ein Konzern immer nach allen Möglichkeiten suchen, Steuern zu sparen. Nicht daß ein Konzern das tut, ist der Skandal, sondern daß Regierungen den Konzernen diese Steuertricks ermöglichen, ach was: sie ihnen zu Füßen legen.

Und ergänzen wir ruhig, was deutsche Politiker zur Nachforderung an Apple sagen: Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) winkt ab und will keine Nachforderungen stellen. Und Bayerns Finanzminister Söder (CSU) fällt vor Apple geradezu auf die Knie und hat laut „SPON“ Apple gegen die Entscheidung der EU-Kommission verteidigt – er findet die Nachforderung „überzogen“...

02.09.2016

Pop-Up-Shops, Kanye West-Klamotten und junge Kapitalisten

Groß im Kommen sind sogenannte Pop-Up-Shops. Also Läden, die nur ein paar Tage lang aufmachen, bevorzugt natürlich in den Hipster-Gegenden der beliebtesten Großstädte.

Frank Ocean beispielsweise hat sein neues Album, noch bevor es in Apples Gated Community herauskam, in einem eigenen Magazin mit dem Titel „Boys Don’t Cry“ veröffentlicht, dem die neue CD beilag und das kostenlos in Frank Ocean-Pop-Up-Shops in New York, Los Angeles, Chicago und London verteilt wurde (ein Exemplar pro Kunden, die Schlangen waren „crazy long“, klar, und aktueller Ebay-Preis $ 202 aufwärts).

Kayne West hat an einem Freitag im August weltweit 21 Pop-Up-Stores eröffnet, in denen man zwei Tage lang „limitierte“ Pullover, T-Shirts und Caps aus seiner Modelinie erwerben konnte. Einen dieser 21 Shops hat Kanye West in Berlin-Kreuzberg aufgemacht, sinnigerweise in der Kunstgalerie „032c“, was ein schönes Bild ist für die gängige Verschränkung von Kunst und Kommerz.

Kaum war die Meldung tags zuvor über Twitter rausgegangen, stürmten die Kids nach Kreuzberg und lagerten einen halben Tag und eine Nacht lang vor der Galerie, äh, also vor dem Kanye West-Shop. Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, haben die hauptsächlich Jungs abwechselnd Schlange gestanden oder im Auto oder in Zelten geschlafen; andere haben Campingstühle mitgebracht. Dann öffnet mittags um 12 Uhr der Laden, von Sicherheitspersonal großflächig abgeschirmt, es kommen immer nur fünf Kunden gleichzeitig rein, die dann Minuten später glücklich und mit gefüllten Plastiktüten herauskommen.

Und was machen die Kids mit den Klamotten? Zu besonderen Gelegenheiten tragen? Beim nächsten Clubbing beispielsweise mit seltenen Klamotten aus der Kanye West-Kollektion auffallen? Iwo. Man dealt mit dem Zeugs. „Das ist ganz einfach nur eine Wertanlage“, erklären die Sprößlinge des Kapitalismus dem „Tagesspiegel“-Reporter, „man kaufe die Klamotten und könne sie im Internet für ein Vielfaches verkaufen“. Ein Fünfzehnjähriger hat 600 Euro mitgebracht (ich erinnere mich kurz an die Zeit, als ich fünfzehn war, und daß ich damals vielleicht mal 15 DM zur Verfügung hatte... aber wir legten damals auch Wert darauf, die ältesten Jeans und Pullover zu tragen) und investiert die Kohle, um sie später auf Ebay zu vervielfachen.

So ist das nach drei Jahrzehnten Neoliberalismus: Herausgekommen ist eine Generation, die schon als Jugendliche nur ans Geld denkt und daran, wie aus dem Geld mehr Geld werden kann. Eine Generation von Dealern und Konsumisten, die auch Freundschaft ganz neu definiert: Ein Felix Müller hat seinen gerade für 105 Euro erworbenen Pullover jemandem, der weiter hinten in der Schlange steht, für 180 Euro verkauft (also knappe 80 Prozent Gewinn, steuerfrei). Er erklärt das zur großzügigen Geste: „Im Internet hätte ich noch mehr bekommen können, aber das ist ein Freund von mir.“ Hätten wir unseren Freunden in den 1970er Jahren solche Klamotten noch zum Selbstkostenpreis mitgebracht, so bedeutet „Freundschaft“ heute ganz offensichtlich, eine Ware mit nur 80 Prozent Gewinn weiterzuverkaufen.

World gone wrong.

02.09.2016

Maxim Gorki über Menschen

„Nach manchen Gesprächen mit Menschen hat man den Wunsch, einen Hund zu streicheln, einem Affen zuzulächeln und vor einem Elefanten den Hut zu ziehen.“ (Maxim Gorki)

02.09.2016

Grönlandhaie

Allerdings darf man trotz der Scheißigkeit unserer Zeit nicht vergessen, daß wir nur Vorläufige sind. Nicht nur angesichts der paar Millisekunden, die die Menschheit diesen kleinen Planeten bevölkert, wenn man zur Relation die etwa 13,8 Milliarden Jahre heranzieht, die das Universum alt ist (oder angesichts der einigen hundert Milliarden Sterne, die es alleine in der Milchstraße gibt).
Schon ein Blick auf die Grönlandhaie läßt einen in andere Dimensionen schauen: Geschätzt 400 Jahre alt können diese Meeresbewohner werden (jedenfalls haben Forscher zuletzt ein Weibchen gefangen, das 392 Jahre alt sein soll). Geschlechtsreif werden die Grönlandhaie, die jetzt als langlebigste Wirbeltiere überhaupt gelten, erst mit zirka 150 Jahren.

Stellen Sie sich das mal vor! Sie dümpeln die ersten 150 Ihrer 400 Jahre so im Dunkeln rum, pubertieren ein bißchen, sagen wir im Alter von 90 bis 140, also 50 Jahre lang. Sie werfen mal einen Blick auf diesen attraktiven Grönlandhai, mal auf jenen. Sie sind während des Dreißigjährigen Kriegs zur Welt ge- und haben die Aufklärung mitbekommen (oder das, was man im Polarmeer dümpelnd eben davon mitbekommen hat), die Französische Revolution, Napoleon, Metternich, die Industrialisierung, den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, und aktuell denken Sie, nun ja, der Neoliberalismus nervt zwar gewaltig, aber den bekommen wir auch noch rum, wir haben ja schließlich schon ganz andere Sachen ausgesessen beziehungsweise ausgeschwommen. Als Sie zur Welt gekommen sind, war die gängige Tanzmusik noch Courante oder Sarabande, Sie haben den Swing erlebt, den Rock’n’Roll und den Hip-Hop (oder das, was man in den Schallwellen im Polarmeer davon eben so hört) und haben die Wellen empfangen, die die Uraufführung von Beethovens Eroica erzeugt hat. Sie haben also wirklich schon so manches erlebt.

Deswegen steht eines mal fest: Grönlandhaien ist eine ziemliche Gelassenheit zueigen. Nicht zuletzt, weil sie wissen, daß zwar alles, was wir tun, für immer ist, aber die Verhältnisse keineswegs. Was für ein beruhigendes Gefühl.

02.09.2016

Burkinis & Oktoberfest-Tracht

Unsere aktuell größten Probleme sind also Burka und Burkinis. Hm.
Jedenfalls scheint es mir wichtigere Bekleidungsvarianten zu geben, die zunächst verboten werden sollten, bevor man Burkini-Cops ins Getümmel schickt. Wie ist es beispielsweise mit all den ach so lustigen Dirndln und Lederhosen, mit denen sich jetzt landesweit vornehmlich junge, feierwillige und mit allem einverstandene Menschen ver- bzw. enthüllen, um sich in klar vorgegebenen Konsumuniformen am Kampftrinken bei sogenannten Oktoberfesten zu beteiligen? De Maiziere, übernehmen Sie!

Bayern 3Bayern 3

(Und wir schauen derweil heimlich den wunderbaren „Bierkampf“ vom wunderbaren Herbert Achternbusch.)

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