Es wirkte wie eine ganz große Heldengeschichte, wie eine moderne David gegen Goliath-Geschichte gar: „Rapper überlisten Eventim“ titelten Branchen- und Musikmagazine, „Rapper überlegten sich einen Coup“ – sollten denn wirklich die beiden deutschen Vorzeigerapper Casper und Marteria den deutschen Konzert- und Ticketing-Monopolisten CTS Eventim in die Knie gezwungen haben?
Es hörte sich aber auch allzu schön an: CTS Eventim hat bekanntlich seit Jahren vom Land Berlin die Waldbühne gepachtet, die größte Berliner Open Air-Bühne. Wer auch immer dort spielt, seien es Neil Young, Nick Cave, Udo Lindenberg, Mario Barth, Casper & Martiria oder die Berliner Philharmoniker – CTS Eventim verdient daran, ob als örtlicher Veranstalter oder eben als Vermieter des begehrten, von den Nationalsozialisten erbauten Spielorts an andere Konzertveranstalter.
CTS Eventim verlangt neben der Miete von allen Bands, die auf der Waldbühne auftreten, eine prozentuale Umsatzbeteiligung an den Merchandise-Einnahmen der Bands. Das wollten Casper und Marteria bei ihrem Waldbühnen-Konzert in diesem Sommer jedoch nicht einsehen. Und damit CTS Eventim nicht an den Merchandise-Einnahmen mitverdient, die Fans aber dennoch Merch-Produkte kaufen konnten, verzichteten die Künstler auf Verkaufsstände auf dem Gelände der Waldbühne und boten ihren Fans statt dessen „Pre-Merch“ an: Online-Bestellungen zu „fairen Preisen“; die Fans konnten die vorab erworbenen Merchandise-Produkte dann an Pick-Up-Ständen in der Waldbühne abholen.
Auf Instagram schrieb Casper: „Der Betreiber der Waldbühne, Eventim, fordert erhebliche Konzessionen und macht es uns unmöglich unsere Shirts etc zu einem fairen Preis zu verkaufen. ich finde nicht dass ein T-shirt bei einem Konzert 40€ oder mehr kosten sollte. das steht einfach in keinem Verhältnis und das Machtspiel möchte ich auch nicht mitspielen."
Die Waldbühne hat dieses Geschäftsmodell akzeptiert: „Selbstverständlich respektieren wir den Wunsch des Künstlers, Fan-Artikel über eine 'Pre-Merch'-Aktion und nicht während des Konzerts in der Waldbühne zu verkaufen", teilte eine Eventim-Sprecherin laut „Musikwoche“ mit. Sie beharrte allerdings darauf, daß das teuerste Casper-T-Shirt am Konzerttag für 30 statt der von Casper behaupteten 40 Euro über die Merchtheke hätte gehen können.
Was ist dran an der Geschichte?
- Zunächst ist festzuhalten, daß eine prozentuale Umsatzbeteiligung an Merch-Einnahmen der Bands keine Erfindung von CTS Eventim, sondern deutschlandweit eine unerfreuliche Regel ist. Auf fast allen großen Festivals und auf praktisch allen großen Open-Air-Konzerten halten die jeweiligen Veranstalter bzw. Betreiber entsprechend die Hand auf. Die Regel sind 20 Prozent des Bruttoumsatzes, häufig verbunden mit einem Mindestbetrag (z.B. € 250.-). Bei einigen seriöseren Veranstaltern kann man die prozentuale Umsatzbeteiligung zugunsten eines geringeren Festbetrags wegverhandeln bzw. zumindest reduzieren.
In fast allen größeren Clubs und in praktisch allen Hallen mit vierstelliger Kapazität sind mindestens feste „Mietgebühren“ für den Merchandise-Stand die Regel, und häufig versuchen Veranstalter, auch hier prozentuale Beteiligungen zu erhalten.
- Bei größeren Festivals dürfen Bands grundsätzlich kein eigenes Merchandise betreiben, es gibt einen zentralen Merchandise-Stand (die großen Festivalveranstalter haben die Merch-Rechte häufig exklusiv an Firmen verkauft: In Deutschland ist das meistens die Universal-Tochter „Bravado Merchandise“, die für das Merch u.a. auf den Festivals Rock am Ring, Rock im Park, Hurricane, Southside, Mera Luna oder ParookaVille zuständig ist). In der Regel erhalten Merch-Firmen auf den Festivals satte 25 Prozent des Bruttoumsatzes; der Betrag wird auf 15 Prozent „ermäßigt“, wenn die jeweilige Band die Erlaubnis gibt, ihren Namen auf das Festival-T-Shirt drucken zu lassen (ausführliche Infos dazu in „Vom Imperiengeschäft“, S. 87-93).
Es wäre interessant zu erfahren, ob Casper oder Marteria bei den genannten Festivals ebenso hart gegen diese Merch-Regeln vorgehen, oder ob es ihnen nur um eine einmalige coole symbolische Aktion bei der Waldbühne ankam. Und wie haben sie das mit dem Merch beim Berliner Lollapalooza-Festival Anfang September geregelt?
- Schön wäre es natürlich gewesen, wenn Casper und Marteria für echte Transparenz gesorgt hätten, statt unbewiesene Behauptungen in den Raum zu stellen: Wie hoch ist der Prozentsatz genau, den CTS Eventim als Betreiber der Waldbühne am Merch-Umsatz verlangt? Nach den Äußerungen der Rapper wie auch der Eventim-Sprecherin gehe ich von 25 Prozent aus, es können aber auch 20 Prozent sein. Natürlich ist das eine Sauerei, keine Frage, aber wie gesagt: leider üblich...
- Und dann gibt es ja noch eine ganz andere Frage, nämlich: Warum wollten die beiden Saubermann-Rapper die Umsatzbeteiligung von Eventim auf die T-Shirt-Preise aufschlagen? Wie kommt Casper auf die Behauptung, daß durch die geforderte Umsatzbeteiligung die T-Shirt-Preise teurer werden würden? Mir scheint, daß der Rapper da im Denken gar nicht allzu weit vom Denken des Eventim-Konzerns entfernt ist: offensichtlich kann man sich nur Kosten vorstellen, die auf ein Produkt draufgeschlagen und von den Fans bezahlt werden...
- Schauen wir uns mal eine normale Merchandising-Rechnung anhand handelsüblicher Merch-T-Shirts an. Ich verwende die Preise eines großen deutschen Merch-Zulieferers, der für zig Bands T-Shirts bedruckt, die dann über den Merch-Tisch gehen. Da kostet ein Fruit of the Loom-T-Shirt „Valueweight“ (der Merch-Bestseller) € 1,82 netto und ein FOTL „Heavycotton“ € 2,05. Hinzu kommt der Siebdruck: bis zu 2.000 T-Shirts 0,49 pro Stück, bei 3.000-5.000 St. € 0,34, ab 5.000 St. € 0,30. Insgesamt kostet also bedrucktes ein FOTL-T-Shirt € 2,16 netto (wenn wir mal von 3.000 St. ausgehen, was bei Casper oder Marteria ziemlich realistisch sein dürfte) oder € 2,39 netto (gleiche Stückzahl, aber „Heavycotton“; noch billiger wird’s jeweils bei höheren Stückzahlen).
Dazu kommen natürlich noch Layout-Kosten, die anteilig auf jedes verkaufte T-Shirt umgelegt werden, und etwaige andere Nebenkosten – sind wir mal großzügig und beziffern diese Kosten auf insgesamt 50 Cent pro T-Shirt. Wenn ein T-Shirt also für € 25.- (netto € 21,01) verkauft wird, bleiben für die Band etwa € 18,35 oder mehr übrig, wenn das T-Shirt für € 30.- (netto € 25,21) verkauft wird, sind es € 22,55. Klar, da gehen noch paar kleinere Unkosten ab (Versand, Merchandising-Personal), aber man sieht: Der Gewinn für die Bands ist beträchtlich. Kein Zufall, denn insbesondere kleinere Bands leben zum Großteil von den Merch-Verkäufen, ihre Gagen decken, wenn es gut läuft, gerade einmal die Unkosten. Bei Bands der Star-Kategorie wie Casper und Marteria allerdings sind die Merch-Einnahmen reiner Profit. „Faire Preise“? Kann man sehen, wie man will.
Was wäre nun passiert, wenn Casper und Marteria die von CTS Eventim geforderte Umsatzbeteiligung akzeptiert hätten? Gehen wir mal von einer 20%igen Eventim-Beteiligung und T-Shirt-Preisen von € 25.- aus. Bleiben € 20.- (netto € 16,81) als Einnahme für die Künstler. Davon gehen die Herstellungskosten ab, macht € 14,15 netto. Ist immer noch ein schöner Batzen Geld, oder?
(und klar, es ist wahrscheinlich, daß die T-Shirts von Casper und Marteria bei einer anderen Firma hergestellt wurden, und die genannten Preise können unterschiedlich sein – der Unterschied ist aber sicher geringfügig, und die Dimensionen bleiben gleich!)
Zusätzlicher Nebeneffekt: Durch ihre Pre-Merch-Aktion verfügen Capser und Marteria über die kompletten Kundendaten aller Fans, die ihr Merch-Produkt bei den Künstlern bestellt haben: Über die Adressen wie die Bezahldetails, also Kontoverbindungen oder Kreditkarten. Wie wir von den Imperiengeschäften wissen, kommt es im Konzertgeschäft auf Big Data an – insofern ein smarter Move der Rapper, sich mit einem coolen Image zu versehen und dennoch all die Daten ihrer Fans zu sammeln...
Klar, es ist eine Sauerei, daß die Mitesser vom Schlage der CTS Eventim-Firmen einfach 20 oder 25 Prozent vom Merchandising verlangen, obwohl sie ja bereits eine beträchtliche Miete für den Veranstaltungsort kassieren und sonst nichts weiter leisten. Dies gilt übrigens grundsätzlich für alle Veranstaltungsorte und Festivals, die prozentuale Beteiligungen am Merch verlangen.
Allerdings: für eine David vs. Goliath-Geschichte taugt das alles wenig, und schon gar nicht dafür, daß sich Künstler Fan-freundlich darstellen. Selbst wenn sich die Künstler auf den üblichen Eventim-Deal eingelassen hätten, hätten sie an jedem T-Shirt noch ordentlich verdient. Wesentlich mehr jedenfalls als die Näherinnen (laut FEMNET nämlich gerade mal 0,18 €...).
Die Forderung ist: Schafft Transparenz! Bei euren Kosten wie bei euren Einnahmen! Und das gilt für alle Veranstaltungsorte, aber eben auch für die Künstler...