17.12.2017

Pharisäertum: Bischöfe stecken Hunderte Millionen in Private-Equity-Fonds, die sie als unmoralisch bezeichnen

Geld in die Private-Equity-Branche stecken? Geht gar nicht, sagen die Bischöfe: „Eine ethisch nachhaltige Ausrichtung von Private-Equity-Beteiligungen ist noch selten und setzt eine intensive Beschäftigung mit den eingegangenen Beteiligungen voraus“, heißt es im Leitfaden der Evangelischen Kirche in Deutschland für die Leute, die das Geld der Kirche anlegen, in vage raunender Vieldeutigkeit. Katholische Bischöfe lehnen das Beteiligungsgeschäft laut „FAZ“ ganz ab: „Das Bistum Hildesheim gibt Regeln zur Geldanlage für Gemeinden, Verbände und kirchliche Stiftungen heraus. Unter ‚Das geht nicht’ fallen unter anderem ‚Risiko-Investmentfonds wie Hedge-Fonds oder Private Equity-Fonds’. Das Erzbistum Köln sieht das genauso, ‚weil diese Formen meist auf kurzfristige Gewinnmaximierung zielen’. Das Erzbistum Paderborn will mit Private Equity nichts zu tun haben.“

Gut gebrüllt. Aber auch ernst zu nehmen? Sie ahnen sicher schon, was jetzt kommt: Denn die schärfsten Kritiker der Elche sind bekanntlich selber welche.

Denn in der Realität stecken kirchliche Pensionskassen wie die Katholische Zusatzversorgungskasse des Verbandes der Diözesen Deutschlands (KZVK) in Köln oder die Kirchliche Zusatzversorgungskasse Rheinland-Westfalen und die Versorgungskasse für Pfarrer und Kirchenbeamte, beides protestantische Institutionen, zig Milliarden in: genau, auch in Private-Equity-Fonds. Die KZVK legt 17,5 Milliarden Euro an, die beiden protestantischen Kassen gut 10 Milliarden. Bei der KVK kommen laut Geschäftsbericht in Beteiligungen an vier Private-Equity-GmbHs 260 Millionen Euro zusammen, die protestantischen Fonds investieren 346 Millionen Euro in die Private-Equity-Branche.
Letztlich stecken also die kirchlichen Pensionskassen Hunderte Millionen Euro in die Fonds, die sie in ihren Sonntagspredigten so vehement ablehnen, und zeigen sich damit als besonders versierte Pharisäer.

17.12.2017

Wie eine SPD-FDP-GRÜNE-Landesregierung eine hochdotierte öffentliche Position ohne Ausschreibung ausgekungelt hat...

Und wie funktioniert Staatsfernsehen (das man nicht so nennen darf, wenn es nach den Öffi-Bossen geht)? So: Da sucht die Landesanstalt für Medien und Kommunikation (LMK) Rheinland-Pfalz einen neuen Direktor. Obwohl, „sucht“ ist vielleicht nicht ganz das richtige Wort. Denn eigentlich würde das ja bedeuten, daß eine öffentliche Institution wie die LMK, die aus den Mitteln des Rundfunkbeitrags finanziert wird, solch eine Stelle öffentlich ausschreibt, wie es üblich ist. Solch eine Ausschreibung allerdings hat es nie gegeben.
Es gab keine Stellenausschreibung, es gab kein offenes Verfahren für diese aus Rundfunkbeiträgen finanzierte Stelle, die mit rund zweihunderttausend Euro jährlich üppig dotiert ist. Es gab aber einen Bewerber. Einen einzigen. Und der war, was ganz sicher im rot-grün-gelb regierten Rheinland-Pfalz ein absoluter Zufall war, just ein SPD-Mann, für den ein neuer Job gefunden werden mußte. Denn der Bewerber, den sich die rheinland-pfälzische Landesregierung unter Malu Dreyer (SPD) ausgeguckt hatte und der ohne Ausschreibung ins Amt, nun ja, „gewählt“ wurde (mit denkbar knapper Mehrheit übrigens), ist der SPD-Politiker Jan Eumann, bis zur Abwahl der rot-grünen Regierung in NRW Medienstaatssekretär der dortigen Regierung. Vorher war Eumann u.a. dadurch aufgefallen, daß er „bei der Kölner Spendenaffäre fingierte Quittungen angenommen hatte“, oder daß er bei einer „Selbstplagiatsaffäre für die Promotion seine Magisterarbeit mehr oder weniger neu aufgelegt hatte“ (FAZ).
Ich glaube, man nennt das, was da in Rheinland-Pfalz praktiziert wurde, verniedlichend „Klüngel“. Verfassungsrechtler nennen das Verfahren „verfassungswidrig“ und verweisen darauf, daß eine öffentliche Ausschreibung der Stelle „zwingend notwendig“ gewesen sei (so der Leipziger Staats- und Medienrechtler Hubertus Gersdorf). Und die Zwangsbeitragszahler*innen der Öffis schütteln den Kopf über dieses dreiste Postengeschachere und den Genossenfilz.
Der neue LMK-Chef Eumann dagegen findet alles prima so, wie es gelaufen ist, und blafft eine Journalistin an, die ihm eine kritische Frage stellt. Mainz, wie es singt und lacht. Jetzt neu in Endlosschleife.

17.12.2017

EsPeDe-Bimbes

Und von wem läßt sich die EsPeDe finanzieren?
Der jüngste Parteitag der Sozialdemokraten wurde gesponsert von BMW, Audi, EnBW, Amprion und etlichen anderen Großkonzernen. It’s the Bimbes, stupid!
Die Partei ist auf einem guten Weg. In die Bedeutungslosigkeit.

17.12.2017

Musiktip: Depardieu chante Barbara

In den letzten Wochen konnte man anläßlich des 20. Todestags einige interessante Artikel über die französische Chansonistin Barbara lesen. Was dort leider gar keine Erwähnung gefunden hat, ist eines der schönsten, tiefsten und wunderbarsten Alben des Jahres 2017, nämlich „Depardieu chante Barbara“. Wie skrupulös und karg und faszinierend Depardieu die Chansons der Chanson-Ikone, diesen „Gipfelpunkt der Chansonkunst“, interpretiert, sucht seinesgleichen. Wer dieses Album nicht hört, verpaßt wirklich etwas.

17.12.2017

Autoindustrie & Verbraucherschutz in den USA und in D

Jetzt lassen wir mal Trump beiseite und fragen uns: Was ist der Unterschied zwischen den USA und der BRD in Sachen Autoindustriepolitik und Verbraucherschutz?
Nicht wie Sie denken: In den USA wurden die verbrecherischen deutschen Automobilkonzerne, die ihre Käufer betrogen und Menschen und Umwelt im Dieselskandal massiv geschädigt haben, nämlich dazu verurteilt, die Autokäufer mit hohen Summen zu entschädigen. Man nennt so etwas, wir buchstabieren: V-e-r-b-r-a-u-c-h-e-r-s-c-h-u-t-z. Und der verantwortliche Konzernmanager wurde jetzt zu sieben Jahren Haft verurteilt: „Wegen Verschwörung zum Betrug und Verstoß gegen Umweltgesetze sprach Richter Sean Cox am Mittwoch in Detroit eine siebenjährige Gefängnisstrafe gegen den langjährigen VW-Angestellten Oliver Schmidt aus. Zudem muss der Manager, der laut Anklage von Februar 2012 bis März 2015 in leitender Funktion für Umweltfragen in den USA zuständig war, Geldstrafen in Höhe von 400.000 Dollar zahlen." (laut „SPON“)
Das gleiche Verbrechen der deutschen Automobilkonzerne führt hierzulande zu: nichts. Buchstäblich: nichts. Die Käufer werden nicht entschädigt. Ihnen wird irgendein nichtsnutziges Computerupdate aufgespielt, und das wars. Und Menschen und Umwelt? Sind der Politik hierzulande egal. Die Justiz sagt zwar, daß die deutschen Autos Menschen und Umwelt schädigen, und entscheidet, daß für die Dieselfahrzeuge Fahrverbote gelten müssen. Beziehungsweise müßten. Denn umgesetzt wird: nichts.

Und woran liegt das? Vielleicht an der Verzahnung von Politik und Wirtschaft? Daran, daß hochkarätige Politiker durch die Drehtür als Manager oder Lobbyisten in die Automobilindustrie wechseln?

Und: Was ist der Unterschied zwischen einem verbrecherischen deutschen Automobilkonzern und der Mafia? Nun, die Mafia kennt neben allem verbrecherischen Tun noch so etwas wie Ehre. Der Volkswagen-Konzern dagegen, der sich des als „Dieselgate“ bekannten Vergehens gegenüber den US-Strafverfolgungsbehörden als schuldig bekannt und in dessen Auftrag sein leitender US-Angestellter die einschlägigen Betrügereien begangen hat, läßt den Manager, der auf Anweisung des Autokonzerns handelte, fallen wie eine heiße Kartoffel und verkauft das als „Pflichtverletzung von Beschäftigten“ und sogar als „Compliance-Pflicht“ des Unternehmens.

12.11.2017

Dercons Volksbühnen-Neueröffnung: ein aufgeblasenes Nichts

Und nun also, nach dem Ringelpiez-mit-Anfassen-Quatsch im Hangar des Flughafens Tempelhof vor zwei Monaten, die Wieder-Eröffnung der Berliner Volksbühne unter Dercon. Draußen steht die Polizei – wie fühlt man sich da als Schauspieler*in, als Publikum? Drinnen: „Große Gesten, wenig Gehalt“ (Dirk Pilz, „Berliner Zeitung“), „Esoterik“ und „Quälerei“ (André Murmot, DLF), „eine Beleidigung der Zuschauer“ (Simon Strauss, „FAZ“). Dercon und seine Leute sind ein wenig in der Welt rumgegondelt und haben Produktionen eingekauft, die andernorts schon liefen: Performances von Tino Sehgal, die zum Beispiel bereits an Dercons alter Wirkungsstätte, der Tate Modern in London, oder jüngst im Martin-Gropius-Bau zu sehen waren und jetzt zum „Häppchenbeiwerk, zum Hintergrundrauschen“ (Pilz) werden beziehungsweise im Nicht-Kunst-Kontext der großen Theaterbühne „zerplatzen wie Seifenblasen“, „wie eine Sektenveranstaltung“ wirken, „ein mittelgroßer Bluff“, „eher eine Late Modern als eine Tate Modern“ (Rüdiger Schaper, „Tagesspiegel“). Die Re-Inszenierung dreier Beckett-Stücke, die schon in Kopenhagen oder Sidney so gezeigt wurden: „musealisiert“ („SPON“), „ausgestellte Absurdität, museal verpacktes Reproduktionstheater“ (Pilz). „Was hier passierte, war nichts anderes als eine Veralberung des Publikums“ (Strauss).

Endlos lang haben Dercon und seine Leute Zeit gehabt, etwas auf die Beine zu stellen, Millionen haben ihnen die SPD-Kulturpolitiker seinerzeit für die Eröffnung zusätzlich zum eigentlichen Volksbühnen-Etat zugeschanzt. Der Berg kreiste ewiglich, heraus kam nicht einmal eine Maus, kein Mäuschen, sondern ein aufgeblasenes Nichts.

Wenn Dercon überhaupt etwas kann, und seine Befürworter behaupten das, dann ist es Museum. Dummerweise macht er auch das Theater zu einem Museum. Freundlich gesagt ist das ein Mißverständnis und Dercon als Intendant eine Fehlbesetzung. Man kann aber auch sagen, daß es ein riesengroßes Ärgernis ist, wie ein inkompetenter Intendant, von einem nicht minder inkompetenten SPD-Kulturstaatssekretär namens Renner ins Amt gehievt, Steuergelder mit musealen und teuer eingekauften Theaterinszenierungen verbrennt. Das hat unsere Volksbühne, das hat Berlin nicht verdient.

Hoffentlich haben die Kulturpolitiker bald ein Einsehen und bereiten dem schlechten Spiel ein Ende, bevor noch größerer Schaden entsteht. Dercon hat im Juni in einem „Zeit“-Interview gebarmt, er habe sich „noch nie so unfrei gefühlt wie in Berlin“. Liebe Berliner Kulturpolitiker*innen: Helft dem armen Mann! Entlaßt Dercon aus seinem Vertrag! Soll er woanders wieder seine Freiheit genießen. So wäre uns allen geholfen.

08.11.2017

AfD, Pegida & Holocaust

„Deutschland ist das Land des Holocaust. Wer hierzulande für Pegida auf die Straße geht, wer AfD wählt, wer Hasskommentare in sozialen Medien schreibt, wer Unterkünfte für vertriebene Menschen anzündet, der tut das in der Nachfolge des industriellen Massenmords an den Juden. Das muß man wissen.“
So der viel zu früh verstorbene Journalist Jürgen Roth. R.I.P.!

02.11.2017

Luther-Musical im ZDF: Furchterregender Sakro-Pop auf Halloween-Niveau

So ziemlich das Deprimierendste und Schauerlichste, was die Reformationsfeierlichkeiten um den Antisemiten und Revolutionsverächter Luther hervorgebracht haben, war eine Show am Abend des Reformationstags im ZDF:
Luther – Das Projekt der 1000 Stimmen.
Furchterregend auf finsterstem Halloween-Niveau. Banalste Texte, schlimmste Sakro-Pop-„Musik“, ein erbärmliches Luther-Musical. Präsentiert von Fernseh-Knalltüte von und zu Hirschhausen. Horror pur. Wenn das „das musikalische Highlight des Reformationsjubiläums“ war, dann summen wir jetzt bitte alle mal gemeinsam zu der bekannten Melodie von John Lennon: „Imagine there’s no religion“...

02.11.2017

Erzbistum Freiburg hat Rentenbeiträge hinterzogen

Die andere christliche Kirche hierzulande treibts aber auch nicht besser: Wie in der „FAZ“ zu lesen war, hat das Erzbistum Freiburg über etliche Jahre hinweg die gesetzlichen Rentenbeiträge für geringfügig Beschäftigte nicht korrekt abgeführt. Laut „FAZ“ hat das Erzbistum nun Rückstellungen in Höhe von 160 Millionen Euro gebildet, um sich für Nachforderungen und Säumniszuschläge der Deutschen Rentenversicherung zu wappnen. Die Versäumnisse sollen „bis in das Jahr 2003 zurückgehen, womöglich sogar bis 1999“.
Ein Erzbistum, das die Gesellschaft um die Rentenbeiträge geringfügig Beschäftigter betrügt? Barmherzigkeit und Nächstenliebe sehen anders aus...

02.11.2017

Facebook-Anzeigen: The Residents-Video zensiert!

Ein permanentes Ärgernis bei Facebook, jenem Konzern, der im letzten Quartal bei 10 Milliarden Dollar Umsatz sage und schreibe 4,7 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hat, ist die Zensur von Videos oder Fotos. Wer regelmäßig bezahlte Anzeigen auf Facebook schaltet, kennt das Problem: Absurde Prüderie, gängelnde Vorschriften. Patti Smiths Video „Rock’n’Roll Nigger“ durfte nicht ausgestrahlt werden, die Anzeige wurde von Facebook abgelehnt. Ebenso die ursprüngliche Anzeige zum Erscheinen meines Buchs „Klassikkampf“ – da war es die Menge von Schrift im Verhältnis zu Bild, der Anteil der Buchstaben darf nicht über 25% liegen – the world according to Fressenkladde... Und natürlich wurde eine Anzeige zur Tournee von Alejandro Escovedo ebenfalls abgesagt. Warum? Weil ich Howe Gelb zitiert habe, der in seiner Eloge auf Escovedo das böse „f*ck“-Wort benutzt hat (wie es alltäglich allüberall in den USA und andernorts vorkommt), im Sinne von „f*cking great“...
Jüngstes Beispiel der Facebook-Zensur: Das aktuelle Video „Rushing Like A Banshee“ vom neuen Album der Residents wurde von Facebook abgelehnt. Begründung? Das Video zeige zu viel nackte Haut, das sei mit den Werberichtlinien der Firma nicht vereinbar. Auf meinen Widerspruch erhielt ich diese Mail von Facebook:

„Es scheint, dass das Bild, das in deiner Werbeanzeige verwendet wird, gegen die Werberichtlinien von Facebook verstößt. Bilder oder Videos, in denen Nacktheit angedeutet wird (z. B. durch Unscharfmachen oder Zuschneiden), sind nicht zulässig. Verwende Inhalte, bei denen dein Produkt oder deine Dienstleistung im Mittelpunkt steht und nicht die Nacktheit.
Warum ist dies bei Facebook nicht zulässig?
Bei Werbeanzeigen, in denen sexuell anzügliche Positionen zur Schau gestellt werden oder viel Haut gezeigt wird (auch wenn dies zu künstlerischen oder pädagogischen Zwecken geschieht), handelt es sich um sensible Inhalte, die auf Facebook nicht zulässig sind.“

Aha. Nun bin ich als alter Feminist ja durchaus gegen Sexismus in Werbung und überhaupt. Aber „Nacktheit“, wie die Fressenkladde argumentiert? „Sensible Inhalte, die auf Facebook nicht zulässig sind“? Awcmon.
Aber entscheiden Sie selbst. Hier ist das Video, das auf Facebook nicht gezeigt werden darf:

 

02.11.2017

Echo Jazz - wie das Fernsehen Musik zensiert...

Ich weiß, manche halten es für übertrieben, wenn man in solchen und ähnlichen Zusammenhängen von „Zensur“ spricht. Aber wie sonst will man Verhältnisse bezeichnen, in denen in den Ländern, die doch selbsterklärt für „Freiheit“ und „hier kann jede/r offen sagen, was er oder sie will“ einstehen, eben dies verunmöglicht wird? Natürlich ist die Repression in den kapitalistischen Staaten raffinierter, es ist nicht einfach eine von oben durchexerzierte Zensur. Das Kontrollsystem bürgerlicher Staaten geht feiner vor, die Fassade wird gewahrt, das Ergebnis ist allerdings ähnlich.

Auf 3sat wurde dieser Tage ein Film über die junge Jazz-Saxofonistin Anna-Lena Schnabel ausgestrahlt (man kann diesen hervorragenden und lehrreichen Film mit dem Titel „Der Preis der Anna-Lena Schnabel“ noch ein knappes Jahr als Stream in der Mediathek des Senders betrachten).
Wie Ulrich Stock in einer Rezension auf „Zeit Online“ schreibt, zeigt dieser Film unter anderem, „wie das Fernsehen Musik zensiert“. In einer Szene geht es um den Echo Jazz, eine Werbeveranstaltung des Bundesverbandes Musikindustrie (BVMI), des Lobbyverbands der deutschen Musikkonzerne.
„Der Echo Jazz ist ein Preis, den die deutsche Musikindustrie einmal im Jahr verleiht; großartige Künstler sollen prämiert werden. Im Juni 2017 inszenierte man die Gala auf einem Hamburger Werftgelände. Zwischen den Hafenkränen gibt es einen roten Teppich und viel Chichi, das an die Verleihung der Grammy Awards erinnern soll, an Möchtegerneritis und Künstlichkeit aber kaum zu überbieten ist und mit Jazz wenig zu tun hat“, schreibt Ulrich Stock. Anna-Lena Schnabel soll einen Echo Jazz als beste „Newcomerin“ erhalten. Sie darf aber kein eigenes Stück spielen – ihre Eigenkomposition, die sie gerne vortragen würde, wurde vom NDR abgelehnt, sie sei „nicht gefällig genug, da würden die Leute wegschalten“.
Und dann sieht man in dieser Dokumentation, wie verlogen Fernsehen gemacht wird: „Ein surrealer Höhepunkt ist das Interview, das eine NDR-Journalistin mit der Preisträgerin macht“, berichtet Ulrich Stock auf „Zeit Online“. „Sie fragt vor laufender Kamera für den Bericht am nächsten Tag: "Was hören wir denn von dir heute Abend?" – "Leider kein Stück von mir", antwortet Anna-Lena Schnabel, "das hat mir der NDR verboten." – "Das können wir leider nicht reinnehmen morgen", sagt die NDR-Journalistin entschuldigend. – "Das wundert mich nicht", sagt die Preisträgerin.“

Natürlich ist der Preis, der Echo Jazz, nicht dotiert. Aber wenn eine Preisträgerin mehr als einen Gast zur Verleihungszeremonie mitbringen will, muß sie oder der Gast 70 Euro Eintritt zahlen, und nochmal 40 Euro extra, wenn der Gast in der gleichen Reihe sitzen möchte. „Business as usual“, sagt der BVMI dazu – mag schon sein, aber es ist dann eben ein ekelhaftes Business.
Wie alle „Echos“, die der BVMI Hand in Hand mit öffentlich-rechtlichen oder privaten Fernsehgesellschaften veranstaltet und die in aller Regel von der privaten Fernsehfirma Kimmig Entertainment GmbH produziert werden (wenn Sie mehr über das Geschäftsgebaren dieser Fernseh-Monopolfirma erfahren wollen, können Sie das in meinem Buch „I Have A Stream“ nachlesen), geht es auch beim Echo Jazz um eine „hohle Veranstaltung“, um „eine Selbstfeier der Branche auf Kosten der Musiker“ (Ulrich Stock).

Anna-Lena Schnabel ist nicht nur eine hervorragende Musikerin, sondern auch eine bemerkenswert kluge Frau, die die Mechanismen der Musikindustrie und die Fernsehinszenierung von Musik durchschaut hat: Ich dachte, es ist die Aufgabe des Öffentlichen-Rechtlichen, Dinge zu zeigen, die das Private nicht zeigen kann", sagt sie. Tatsächlich werde die Kunst heute aber einer „Wirtschaftszensur" unterworfen, „da geht es nur noch um Geld, Einschaltquoten und Popularität und nicht um irgendwelche Ideale". So ist es.

Und das ist beileibe nicht nur auf den Jazz beschränkt. Wenn man vor kurzem die seelenlose Echo-Klassik-Show im ZDF gesehen hat, weiß man, was gespielt wird – nämlich nur das, was „gefällt“, und was das ist, bestimmt im Zweifelsfall die Musikindustrie – da muß natürlich „For Seasons“ des Universal-Konzerns laufen, wozu gibt es gerade ein entsprechendes neues Album, und wozu finanziert man schließlich den BVMI, den ausrichtenden Lobbyverband...
Die Geigerin Janine Jansen berichtet aus der Praxis, in der immer wieder versucht werde, auf das Programm ihrer Konzerte Einfluss zu nehmen, obwohl sie als eine der führenden Geigerinnen ihrer Generation natürlich gewisse Freiheiten genießt: Es gebe „bestimmte Orte, da muß es dann Brahms oder Beethoven sein. Ich bekomme Feedback wie ‚Ihr Programm bräuchte ein paar mehr populäre Werke’. Ich meine damit auch Fernsehsendungen oder bestimmte Groß-Events, Open-Air-Konzerte, wo ich dann immer denke: Das hier wäre doch genau der Moment, wo ihr ein Beispiel geben könnt, wo klassische Musik endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. Doch was wird bei solchen Gelegenheiten präsentiert? Eine kleine Nachtmusik. Oder der letzte Satz des Beethoven-Konzerts, gekürzt mit fünf Schnitten, weil es wieder mal nur drei Minuten lang sein darf. So etwas ärgert mich.“
In den Worten des BVMI: Am Ende muss im Medium TV eine Sendung entstehen, die die TV- Zuschauer erreicht und inhaltlich abholt und mitnimmt.“ Und wo kämen wir denn hin, wenn es die Künstler*innen selbst sein sollen, die bestimmen, was sie spielen wollen am Hofe des neofeudalen BVMI und der eingebundenen Fernsehanstalten!

02.11.2017

Keine Experimente! Mit dem WDR zurück in die Adenauerzeit

WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn hat nun mitgeteilt, daß es beim ARD-„Tatort“ künftig weniger experimentelle Filme geben soll. Man wolle auch künftig „Filme, die besonders sind und das Publikum überraschen“, teilte Schönenborn mit. Aber nur noch höchstens zweimal im Jahr: „Darüber hinaus können wir uns zweimal im Jahr auch 'experimentelle' Krimis vorstellen."
Denn laut „Tatort“-Redaktionen sollen Zuschauer „Sturm laufen, wenn ein Sonntagskrimi das Genre sprengt und die Erwartungen an einen klassischen, realitätstreuen Film mit Auflösung am Schluß nicht erfüllt“, berichtet „SPON“.
Keine Experimente! Kehren Sie mit der ARD zurück in die Adenauer-Zeit, zum Wohlfühl-Fernsehen, das Sie nicht fordert, sondern nur unterhält! Sehen Sie Filme, wie Sie sie auch bei RTLSAT1PRO7VOX zu sehen bekommen. Und zahlen Sie dafür gerne weiterhin Ihre Zwangsgebühren – Sie haben es nicht besser verdient!

02.11.2017

Ligetis "Le Grand Macabre" - nach der Bundestagswahl

Und nun, nach der Bundestagswahl?
Haben Sie auch das Gefühl, daß es beim Wählen „eher um eine zynische taktische Geste“ geht, wie es Geoffrey de Lagasnerie formuliert hat?

Es wird ja nun gerne und häufig behauptet, es würden „zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg Vertreter einer rechten Partei“ beziehungsweise gar „Neonazis“ im Bundestag sitzen. Echt jetzt? Offensichtlich wird gerne vergessen, daß (ehemalige?) Nationalsozialisten den Deutschen Bundestag bis weit in die 1980er Jahre bevölkert haben, ja, sie sogar Regierungsgeschäfte wahrnehmen durften, und es eher eine biologische Frage war, daß es dann für kurze Zeit keine Rechtsradikale mehr im Parlament gab.
Das Problem ist doch auch heute eher, daß ein nicht gerade kleiner Teil der hiesigen Bevölkerung ein geschlossenes rechtsradikales Weltbild hat. Daß sich so etwas auch mal in einem Wahlergebnis niederschlagen kann, und zumal, wenn die Medien alles dafür tun, die Vertreter der rechtsradikalen Partei bekannt zu machen, nimmt doch eigentlich kaum Wunder.
Der wahre Erfolg der AfD bei den Wahlen besteht darin, daß ihre Thesen längst jede andere Partei, die es in den Bundestag geschafft hat, direkt oder indirekt übernommen hat. Die Seehofer-CSU sowieso, die Schulz-SPD, Lindners FDP, die Grünen, die Afghanistan munter als sicheren Abschiebestaat deklarieren, und nicht zuletzt auch die Wagenknecht-Linke: Auf jede drängende gesellschaftliche Frage wurde, wie Karl-Markus Gauss in der „SZ“ schrieb, „eine ethnische Antwort gegeben“. Gauss schreibt über den Wahlerfolg der FPÖ in Österreich, aber es liest sich wie ein Kommentar zur Bundestagswahl: „Das ist der wahre Triumph der FPÖ, daß sie mit der von ihr betriebenen Ethnisierung jedweden gesellschaftlichen Problems die konservative wie die sozialdemokratische Partei (und FDP, Grüne und die „Linken“...) vor sich her treibt.“

Das Theater, das jetzt in den Berliner Sondierungsgesprächen aufgeführt wird, erinnert an Ligetis „Le Grand Macabre“: Wie die beiden zerstrittenen schwarzen und weißen Minister des Fürsten Gogo sich mit einem Alphabet an Schimpfwörtern eindecken; wie die Geheimpolizei-Chefin Gepopo Angst vor einem Volksauflauf hat; wie Nekrotzar die baldige Vernichtung der Welt deklariert und die Protagonisten für sich instrumentalisiert, und wie in der Schlußszene alle Protagonisten intonieren: „Fürchtet euch nicht!“ – das hat eine ungeheure Kraft und Tiefe, und man will es nie mehr anders sehen als in der großartigen Inszenierung von Herbert Fritsch am Theater Luzern. „Das Absurde als das auf den Kopf gestellte Normale“ (Peter Hagmann).
Ein Vorschlag zur Güte: Erspart uns, liebe ARD, liebes ZDF, eure braven Rapporte von all den Berliner Sondierungsgesprächen, all die versammelten Nichtigkeiten, in denen das Berliner Laientheater Politik spielt, und zeigt ein paar Wochen lang in euren Tagesschauen und Heute-Sendungen stattdessen Ausschnitte aus der Herbert Fritsch-Inszenierung von Ligetis „Le Grand Macabre“. Wir können alle viel daraus lernen. Und es wäre ein großes Vergnügen noch dazu!

P.S.: Und bitte bitte, gebt dem Özdemir von der grünen Partei kein Ministeramt! Er ist nicht nur sowieso und grundsätzlich nicht ganz bei Trost, sondern er ist auch zu gebrechlich. Er fährt in Berlin, das ja bekanntlich reichlich flach ist, als mittelalter Mann mit einem E-Bike herum! Er braucht also selbst im Flachen einen Elektromotor, da, wo sein Parteifreund Ströbele noch in hohem Alter einzig mit Muskelkraft durchs Geschehen düst...

02.11.2017

James Last und andere Original-Tourneen

Gut gefallen hat mir diese Meldung: „DEAG bucht Tournee für Original James Last Orchester“.
Also „original“, was der Duden als „im Hinblick auf Beschaffenheit, Ursprung oder Herkunft echt oder unverfälscht“ und „im Hinblick auf die Umstände ursprünglich, unmittelbar“ bezeichnet.
Nun sind die Umstände leider so, daß James Last im Juni 2015 gestorben ist, er wird also nach menschlichem Ermessen nicht mit auf Tournee gehen. Was aber ist dann noch „original“, noch „echt“ an einem „Original James Last Orchester“?
Und vor allem: was wird die DEAG als nächstes noch auf Tournee bringen? Die „Original Doors“? Die „Original Jimi Hendrix Experience“? Wir warten gespannt, was noch alles möglich ist im Land der Original Oberkrainer, Original Egerländer und sonstiger originaler Originale.

02.11.2017

Moderne Zeiten: Berliner Studentenwohnungen mit Plus

Moderne Zeiten, Berlin 2017:
Auf einer Website namens „Youniq – Studentenwohnung mit +“ (was haben wir uns gefreut über die Marketing-Kombination von jung und einmalig in einem Wort!) werden in Berlin, Müllerstr. 34 Studentenwohnungen angeboten: 1-Zimmer-Appartments mit einer Wohnfläche von 18 m bis 45 m für Mietpreise von 514 € bis 1.119 €.
Für Quadratmeterpreise von nur 24,87 bis 28,56 Euro bekommt die Brut derjenigen, die sich so etwas leisten können und wollen, etwas ganz Besonderes: ein „stylisches“ Bad nämlich mit so unüblichen und raren Dingen wie „Dusche, WC, großem Waschbecken und“, man höre und staune, „Spiegel“,  sowie eine „hochwertige Einbauküche komplett mit Cerankochfeld, Kühlschrank, Mikrowelle und Spüle“. Es gibt zudem einige Gemeinschaftsräume, nämlich eine „Learning Lounge“, eine „Cooking Lounge“ und sogar eine „Washing Lounge mit Waschmaschinen und Trocknern“.
Und die Student*innen dürfen sich über einen „8-h-Service durch einen YOUNIQ Scout vor Ort“ freuen, was sie sicher sehr goutieren werden, wo doch Hotel Mama weit ist.
Man kann sich förmlich diese Student*innen vorstellen, wie sie zwischen Hotel Mama und einer blendenden Zukunft in den gated communities der schicken Stadtviertel, in denen sie nach erfolgreichem Studium hausen werden, in den Youniq-Studentenwohnungen zwischenwohnen – von einer noblen Disziplinareinheit zur nächsten. Und wie sie gerne „von diversen Extras profitieren, die den Alltag angenehmer machen“, wie etwa Waschmaschinen und dem „Scout-Vor-Ort-Service“, „Deiner guten Fee“, die „immer ein offenes Ohr bei Fragen und Problemen hat“. Ach ja: zusätzlich zu dem supergünstigen Quadratmeterpreis von zwischen knapp 25 und gut 28 Euro und zusätzlich zur Kaution wird eine einmalige „Aufnahmegebühr“ von 480 Euro fällig.
Und jetzt erkläre mir bitte noch mal jemand, warum Student*innen, die solcherart Luxus-gepampert ihr Studium absolvieren, keine Studiengebühren zahlen sollen...

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