21.07.2013

Rheinischer Kapitalismus

Rheinischer Kapitalismus:

„Germans don’t
work such long hours as you might think. The average German works 1.413 hours a
year – that’s almost 400 hours less than wage earners in the US.“

(in Monocle #61)

21.07.2013

ZMF Berlin

Wieder einmal stirbt ein wichtiger Veranstaltungsort in Berlins Mitte:
das legendäre ZMF („Zur Möbelfabrik“), das nicht nur ein toller Tanzclub,
sondern auch ein Raum für Kunst, Theater und Performance war. Das Kulturzentrum
muß zum 30.Juni schließen, weil der Eigentümer des Gebäudes Eigenanspruch
angemeldet hat und über dem Club sein Penthouse errichten will.

„Es geht um die
Einstellung: Wenn man immer nur das macht, was innerhalb jeder Grenze bleibt,
was legal ist, nicht zu laut, entspannt, nicht zu groß und so weiter: Wie soll
das was Besonderes werden? (...) Es ist doch bemerkenswert: Hier gibt es eine
Subkultur, die viele Menschen in der Stadt, ja sogar in der ganzen Welt
interessiert. Und trotzdem hat sie keine starke Lobby. Ich würde mir wünschen,
daß jemand mal sagt: Man kann das im Zweifelsfall auch mal laufen lassen. Ich
glaube, daß eine Stadt, die lebendig sein will, voller Widersprüche sein muß.“

ZMF-Betreiber Maarten de Jonge im Interview mit der „Berliner Zeitung“

30.05.2013

Und Ansonsten 06/2013

Und, haben Sie schon das großartige Album des Rappers Ghostface Killah
gehört? Dessen wie immer hinreißende Musik kann auch zu ganz anderen Gedanken
verleiten, etwa zu denen, die ausgerechnet die konservative „FAS“ so
formulierte: „Wenn man mit diesen samtigen
Aus-einem-Guß-Soulchören auf dem Ohr durch die Stadt läuft, dann überlegt man
sich das doch noch mal ganz genau mit dem gesetzestreuen Leben.“

Ich weiß nicht, wie gesetzestreu Sie Ihr Leben so führen, ich glaube
aber, daß Ghostface Killah sich unter einem nicht gesetzestreuen Leben etwas
anderes vorstellt als sagen wir Uli Hoeneß, der angeblich mit seinen an der
Steuer vorbeigeschleusten Millionen, die er sich irgendwie von Adidas
ausgeliehen hat, an der Börse zockte. Hoeneß macht ja ansonsten Werbung für
McDonalds, während Herr Killah eher zu Burger King geht, was ich genau weiß,
denn ich selbst war mal mit Ghostface Killah in einem Burger King essen. Und
das kam so:

Der Wu-Tang Clan war, ich würde sagen Ende der 90er Jahre, auf
Europatournee, und neben den einschlägigen Festivals wie Roskilde und den
üblichen Großstadtkonzerten war auch ein Konzert in Offenbach of all places
angesetzt, zu dem ich mit einem Kumpel ging.

Wir hatten uns das so ausgedacht: wir fahren mit dem Zug nach Offenbach,
treffen uns dort, laufen zur Halle und gehen dort in der Nähe, bis das Konzert
beginnt, etwas Essen und Trinken. Und so trafen wir uns am Offenbacher Bahnhof
und liefen zur Konzerthalle. Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal in Offenbach
waren. Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, daß Offenbach zumindest auf dem
etwa halbstündigen Weg zwischen Bahnhof und Konzerthalle eine Stimmung
verbreitet, die mit „Tristesse pur“ sozusagen euphorisch beschrieben wäre. Wir
kamen also an einem grauen Tag an der Halle an, wo Tausende junge Menschen
rumstanden und warteten. Um die Halle herum: Nichts, nur Wohnblocks. Keine
Kneipe, nirgends. Nur: eine Tankstelle (wenn ich mich richtig erinnere), und
ein Burger King. Nach einiger Zeit Rumlungern entschieden wir uns dafür,
mangels Alternativen ins Burger King zu gehen, und reihten uns in die Schlange
ein, die vom Eingang bis zur Verkaufstheke reichte. Plötzlich Gekreische und
Blitzlichtgewitter. Wir wußten, das konnte nicht uns gelten. Aber wem dann?
Ganz offensichtlich dem jungen Schwarzen, der direkt vor uns in der Schlange
stand. Und der einer der Rapper des Wu-Tang-Clans zu sein schien.

Nun weiß ich nicht, wie Ihnen das mit dem Erkennen von sogenannten
Promis geht. Ich bin da jedenfalls völlig ungeeignet. Man hat mir schon mal
Michael Stipe backstage vorgestellt, „Berthold, you know Michael?“, und mir
ging erst gefühlte fünf Minuten später auf, daß ich da mit dem REM-Sänger
plauderte. Und als in einem anderen Backstage mal direkt vor meiner Nase Bob
Dylan vorbeischlurfte, hab ich ihn auch nicht erkannt. Also... Jedenfalls waren
die einzelnen Rapper des Wu-Tang Clans jenseits von RZA, Ol’ Dirty Bastard und
Method Man damals noch nicht soo bekannt, und die Plattenfirma verteilte
deswegen draußen vor der Halle Drehscheiben, mit dem man die einzelnen
Gesichter und die dazugehörigen Namen recherchieren konnte. Und dann wußten
wir, daß es zweifelsfrei Ghostface Killah war, der in der Schlange im Burger
King direkt vor uns stand und sich mit Victory-Pose von den kreischenden
Jungmenschen fotografieren ließ, relativ gelassen wartete, bis er seinen Fraß
bestellen konnte, uns kurz anlächelte und mit einer Tüte voll Fast Food in dem
neben der Halle geparkten Tourbus verschwand.

So war das also, als ich mal mit Herrn Ghostface Killah im Burger King
zu Offenbach war.

Das Konzert war, als es dann endlich mit mehrstündiger Verspätung
losging, leider nicht besonders, wie so oft bei Rap-Gruppen, deren Alben man
liebt, live ists dann eben nicht selten eine Enttäuschung (wie unlängst in
Berlin zum Beispiel auch Kendrick Lamar – während Chance The Rapper in Austin
eine Offenbarung war btw). Aber ich hatte immerhin eine kleine Geschichte, mit
der ich meine Tochter beeindrucken konnte.

* * * 

Eine deutsche Szene im Mai 2013:

Die Musikgruppe „Rammstein“ tritt an zwei Abenden im 1939 von den Nazis
feierlich eröffneten Heizkraftwerk von Wolfsburg auf, das mittlerweile das vom
von den Nazis gegründeten Automobilkonzern „Volkswagen“ gesponserte „werkseigene“ („Welt“)
Moviementos-Festival beherbergt.

Laut „Welt“ legt vor Rammsteins Auftritt ein DJ auf, „er mischt die Rockhymnen mit schlimmer
Tanzmusik und läßt dazu Bilder aus Videos laufen – auch die Ausschnitte aus
Leni Riefenstahls Olympia-Film, mit denen Rammstein sich Mitte der Neunziger in
Stellung brachten“.

Rammstein wandeln ihren Songtext dem veranstaltenden Automobilkonzern
zuliebe ab und singen statt von einem Mercedes von einem VW: „VW Passat und Autobahn / Alleine in das
Ausland fahren / Reise, Reise, Fahrvergnügen.“

Und die Kreativdirektorin der „Autostadt“, Maria Schneider, würdigt laut
„Welt“ Rammstein für ihre „deutsche
Wertarbeit“: „Hier zeigt sich der
Gestaltungswillen in seiner furchtlosesten und furiosesten Form, irgendwo
zwischen Wagner und Wernher von Braun.“ 

* * *

Man würde ja gerne mal wissen, wer genau die alte Tante „Zeit“ liest,
dieses Vereinsblatt der deutschen Mittelschichts-Spießer. Klar, auch in der
„Zeit“ gibt es immer mal wieder einen Lichtblick, einen brauchbaren Artikel.
Aber die Grundposition der „Zeit“ gegenüber der modernen Welt, dieses ständige
Hinweisen auf die Gefährlichkeit des bösen Internet, dürfte für Menschen mit
ein bißchen Restgrips nur schwer erträglich sein. Manchmal jedoch wird diese
Grundposition einfach nur ekelerregend – wenn die „Zeit“ zum Beispiel ausgerechnet
in der Woche, in der endlich der Prozeß gegen die NSU-Terroristen beginnt,
nichts Dämlicheres zu schreiben hat wie: „Der
bevorzugte Ort des Hasses ist das Internet.“

Vielleicht sollte sich die „gutbürgerliche“ Zeit mal fragen, was
Immigranten, die einer neonazistischen Mordserie unter detaillierter
Beobachtung bundesdeutscher Geheimdienste und unter kompletter Ignoranz von
Politik und Medien ausgesetzt waren, von dieser These des „bevorzugten Ortes
des Hasses“ halten.

Wie Harald Staun in der „FAS“ beobachtet, will die „Zeit“ dagegen „ausgerechnet am Fall Hoeneß einen
‚Kipppunkt’ im ‚Umgang der Gesellschaft mit Skandalen’ erkennen, ein
‚Bewußtsein dafür, daß es so nicht weitergehen kann’.“

* * *

Ich habe die Düsseldorfer „Tannhäuser“-Inszenierung nicht gesehen, kann
also nichts zur Ästhetik dieser Inszenierung sagen. Was ich aber sagen kann,
ist, daß es ein Skandal ist, wenn eine Inszenierung nach nur einer Vorstellung
abgesetzt, also zensiert wird, wie es der Intendant der Düsseldorfer Oper, Christoph
Meyer, nun getan hat, der alle weiteren Aufführungen aufgrund von einzelnen
Zuschauerprotesten gekippt hat. Entscheidend, so Meyer, sei allein
gewesen, daß „einige Szenen, insbesondere
die sehr realistisch dargestellte Erschießungsszene, für zahlreiche Besucher
sowohl psychisch als auch physisch zu einer offenbar
so starken Belastung geführt haben, dass diese Besucher sich im Anschluss in
ärztliche Behandlung begeben mussten".

Wolfgang Höbel hat es im „Spiegel“ auf den Punkt gebracht: „Der zürnende Kulturbürger von heute (...)
ruft nach dem Sanitäter. Mindestens zehn Premierenbesucher, so wird in
Düsseldorf berichtet, hätten sich nach der Premiere in ärztliche Betreuung
begeben müssen. Das hat für die Absetzung gereicht. Die Deutschen haben in
ihrer jüngeren Geschichte sechs Millionen Juden umgebracht, aber wenn sie im
Jahr 2013 auf einer Opernbühne daran erinnert werden, rufen sie nach dem Onkel
Doktor.“

* * *

McDonalds verkauft laut Aussage von Firmenchef Don Thompson auf der
jüngst stattgefundenen Hauptversammlung des Fastfood-Konzerns „kein Junk-Food“, sondern „wir verkaufen viel Obst und Gemüse bei
McDonald's und wir wollen noch mehr verkaufen." Ah ja. Doch nicht nur Herr Thompson
verkauft uns für doof, nein, auch die sogenannten deutschen Film- und
Fernsehstars spielen mit.

In einem neuen Werbespot für McDonalds treten u.a. Moritz Bleibtreu (der
einen, sic,  Cheeseburger
verkörpert), Alexandra Maria Lara, Christian Ulmen (die Bio-Apfeltüte), Jürgen
Vogel (der Veggieburger TS) oder Joko Winterscheidt auf und machen Werbung für
die ungesunde Ernährung, für die zuletzt auch schon der steuersündende
Wurstfabrikant Uli Hoeneß und der sogenannte Starkoch Alfons Schuhbeck auf die
Pauke hauten (was im Fall von Schuhbeck schon besonders perfide ist, wo er sich
doch sonst allüberall als Apologet gesunder, frischer Ernährung inszeniert).

Martin Nowicki, Vorstand Marketing McDonald’s Deutschland,
sagt dazu: „Mit der hochkarätig besetzten
Kampagne inszenieren wir auf charmante Art und Weise unsere Snack-Produkte. Wir
haben dafür erstklassige Schauspieler und Künstler buchstäblich auf die Bühne
geholt, die unsere Produkte spielen und in überraschenden Dialogen unser neues
Angebot vorstellen." Das ist werbechinesisch für: Wir haben wieder
paar Idioten gefunden, die sich nicht zu schade sind, für ein paar Euro den
jungen Menschen unseren Fraß andrehen.

Ach ja, und im Hintergrund steht der komische Typ mit der
Pandamaske rum – Cro macht McDonalds den Snack Wrap TS. Für Geld tun unsre
B-Promis eben wirklich alles.

* * *

Wiglaf Droste erzählt in seiner neuen Glosse „Ahlmänner, aalglatt“ von
den Herren Dehm und Niedecken – hier zu Ihrem Vergnügen der Teil über den
Kölner Volkssänger, mit herzlichem Dank an Wiglaf Droste für die
Abdruckgenehmigung:

„Auf Facebook / vulgo Fressenkladde forderte der
62jährige BAP-Sänger Niedecken seine Anhängerschaft auf, bei einem von C &
A ausgelobten Schulwettbewerb für den Abiturjahrgang seiner Tochter zu
stimmen. Gekürt werden sollte „das originellste Abi-Motto mit dem besten
Logo“, eine Vorauswahl von 25 Einsendungen wurde zur Abstimmung ins Internet
gestellt, als Preis gab es von C & A 10.000 Euro für den Abi-Ball und für
alle Beteiligten T-Shirts mit dem prämierten Logo. Der Abiturjahrgang von
Niedeckens Tochter nannte sich „Die wilde 13“, und als Parole hatten sich die
jungen Menschen ganz bescheiden „Take over the world“ ausgedacht.

„Jim Knopf und die wilde 13“ ist eins von den
erträglicheren Kinderbüchern, und Pubertierenden ist vieles erlaubt. Dennoch
könnten unverschlafene deutsche 19jährige schon mal darüber nachdenken, ob sie
mit ihrer Forderung nicht doch erschreckend den Gleichaltrigen ähneln, die ab
dem 1. September 1939 eben mal so die Welt übernehmen sollten oder wollten.

Das Engagement von Papa Niedecken war ein
Rohrkrepierer. Die angebliche Schwarmintelligenz des Internets, die Niedecken
nutzen wollte, erwies sich zuverlässig als das, was sie ist: als pure Doofheit.
Man warf Niedecken, erwartbar fade, Manipulation vor. Niedecken, dem
Legionär Taubenus aus „Streit um Asterix“ geistesverwandt, nölte allerdings
nicht minder öde zurück: „Habt ihr eigentlich nichts besseres zu tun??“ Die
Frage hätte er sich vorher selber stellen können, wenn er denn dazu fähig
gewesen wäre.

„Ahl Männer,
aalglatt“, Alte Männer, aalglatt hieß ein BAP-Album, das 1986 erschien, und 27
Jahre später hat man die überlebenden Lemuren am Hacken, die nicht einmal einen
anständigen Abgang hinkriegen. Wolfgang Niedecken, der Weltgeneralbeauftragte
für Menschenrechte auf kölsch, zeigt, was ein sich als politisch ausgebender
Musiker heute noch wählen kann: C & A. Als – gepriesen sei das Wort –
„Skoda-Kulturkopf“ steckt Niedecken ja selbst ohnehin schon bis zu den
Schultern in der Brown-Nosing-Werbebranche.“

* * *

Haben Sie schon das explosive neue Video „FIXURLIFEUP“ von Prince
gesehen?

Oh. ich vergaß, Sie leben ja im GEMA-Land, da sind Sie natürlich von
solchen kulturellen Vergnügen ausgeschlossen. In China dagegen, nur am Rande,
könnten Sie das Video ohne Probleme sehen...

* * *

Wenn Sie in einem Düsseldorfer Hotel eine Broschüre finden, in der ein
Artikel „Comeback des Neandertalers – Einer für alle“ überschrieben ist, an wen
haben Sie dann sofort gedacht? Na?!? Genau, an den Schlagersänger Andreas Frege
natürlich, der sich in seinem Bühnenleben nach einem Fruchtbonbon benennt und
der aus unerfindlichen Gründen „als ein
Vertreter der rebellischen Bewegung“ und als der „berühmteste Punk Deutschlands“ gilt. Aber in diesem unseren Land
gilt ja auch „Bild“ als Zeitung, was will man also erwarten.

* * *

Speaking of Blödzeitung – haben Sie sich auch gefragt, warum deren Boss
Kai Diekmann so herzlich mit dem deutschen Wirtschaftsminister Philipp Rösler
in der Öffentlichkeit herumgeschmust hat, als Rösler Diekmann im Silicon Valley
besucht hat?

Genau, es war der Wirtschaftsminister der FDP, der gerne damit
kokettiert, mit Internet und Emails nicht viel zu tun zu haben (um seine
„Privatsphäre zu schützen“...), und der gegen den Widerstand des
Koalitionspartners CDU/CSU und der Opposition den deutschen Pressekonzernen,
angeführt vom Axel Springer-Konzern, von Gruner+Jahr und von Burda, heftig zu
Willen war und ein Leistungsschutzrecht im Bundestag durchgesetzt hat, das sehr
einseitig die Interessen der Medienkonzerne berücksichtigt und die von Urhebern
und Konsumenten ignoriert.

Rösler auf Schmusekurs mit den Pressekonzernen, für die er Politik macht
– jetzt eben auch als Bildgeschichte...

* * * 

Der Hannoveraner Reservekorvettenkapitän Eckhard von Klaeden ist
Staatsminister im Bundeskanzleramt. Zum Ende des Jahres wird von Klaeden
Cheflobbyist beim Daimler-Benz-Konzern. Wer nun erwartet hätte, daß von Klaeden
sofort beurlaubt wird, kennt natürlich unsere Lobby-treue Regierung und
Kanzlerin Merkel schlecht - von Klaeden soll seine letzten Monate vor dem
Wechsel zu Daimler weiter im Machtzentrum der deutschen Regierung verbringen,
wo er seinem neuen Arbeitgeber natürlich besonders nützlich sein kann.

"Diese Haltung
offenbart ein Ausmaß an Dreistigkeit und an Ignoranz von Regeln guter
Regierungsführung – die Angela Merkel in anderen Ländern gern lehrmeisternd
einfordert –, daß man nur staunen kann. Andererseits folgt sie konsequent der
Linie von CDU/CSU und FDP, die noch jedes Bemühen um mehr Transparenz und
Lobbykontrolle im Bundestag blockiert hat. Anhand des Falles von Klaeden
versteht man erst jetzt so richtig, weshalb Schwarz-Gelb im vergangenen Herbst
alle Anträge der Opposition so entschieden abgelehnt hat, die auf eine
Karenzzeit für Politiker zielten, die in die Wirtschaft wechseln. Wären sie
angenommen worden, müsste der CDU-Staatsminister jetzt mindestens 18 Monate
warten, ehe er die Stelle bei Daimler antreten könnte. So lange währt die
Abkühlzeit für EU-Kommissare. Lobbykontrollorganisationen fordern sogar drei
Jahre für Regierungsmitglieder", kommentiert Holger Schmale in der
"Berliner Zeitung".

Doch die enge Verstrickung des Regierungsmitglieds von Klaeden
mit Konzernen, für die seine Regierung Politik macht, ist kein Zufall - wir
hatten bereits berichtet, daß "sein Bruder
Dietrich beim Axel-Springer-Verlag, der als Hauptinteressent an dem jüngst vom
Kabinett und Bundeestag beschlossenen neuen Monopolrecht für Presseverlage
gilt, für die Beziehungen zur deutschen Bundesregierung zuständig ist“ („Telepolis“).

An Dreistigkeit ist unsere Regierung jedenfalls kaum zu überbieten. 

* * * 

Die Blödzeitung leistet sich ansonsten die Frechheit, ausgerechnet ein
Buch von Kurt Tucholsky (nämlich „Deutschland, Deutschland über alles“) in
einer „Bild“-Mini-Bibliothek noch einmal neu aufzulegen. Und dafür zu werben,
dieses Buch sei „ein Buch wie eine frühe
‚Bild’-Zeitung“.

Tucholsky kann sich gegen derartige Unverschämtheiten und
Leichenfleddereien nicht wehren. Wir aber können Tucholsky lesen. Das hilft.
Auch gegen jedwede Blödzeitung.

* * * 

Daß die Großverlage unter „Urheberrecht“ alles andere als das, sondern
vielmehr ein Verwertungsindustrierecht
verstehen, ist eine Weisheit der Marke Binsen, das weiß mittlerweile jedes
Kind. Von einem besonders drastischen Beispiel berichtet Stefan Niggemeier auf
seinem Blog: Gruner+Jahr, die auch die Münchner Vereinszeitschrift für
Urheberrechtspropaganda in der Musikindustrie herausgeben, versucht vor Gericht
durchzusetzen, daß Zeitschriften das Recht haben sollen, „Texte ihrer Autoren auch gegen deren Willen komplett umzuschreiben,
keinen Satzbaustein auf dem anderen zu lassen, selbst wörtliche Zitate von
Gesprächspartnern zu ändern“ (Niggemeier). So nämlich argumentieren die
Anwälte des Gruner+Jahr-Blattes „Geo“ in einem Prozess gegen den altgedienten
Reporter und langjährigen „Geo“-Autor Christian Jungbluth, der „Geo“ verklagt
hatte, weil die Zeitschrift einen Artikel von ihm in einer grundlegend
veränderten und für ihn nicht akzeptablen Version unter seinem Namen
veröffentlicht hatte. Urheberrecht, wie die Großverlage und Medienkonzerne es
verstehen, die sich in der Öffentlichkeit sonst so gerne als Vertreter der
Autoren inszenieren.

In erster Instanz hat Gruner+Jahr übrigens vor dem Landgericht Hamburg
verloren, doch „Geo“ ist in Berufung gegangen, in zweiter Instanz gab es dann
einen Vergleich.

Wer wissen möchte, auf welch ekelhafte und würdelose Art und Weise die
Anwälte des Gruner+Jahr-Blatts nicht nur gegen die Rechte seiner Autoren,
sondern auch gegen die Pressefreiheit argumentieren, kann das detailliert auf
Niggemeiers Blog nachlesen:

http://www.stefan-niggemeier.de/blog/wie-geo-gegen-die-rechte-von-autore... 

* * * 

Das Feiertags-Abendprogramm am 9.Mai („Christi Himmelfahrt“) im
Staatsfernsehen, ARD/„Das Erste“: 20.15 „Helene Fischer – Für einen Tag –
live“. Eine 105minütige Show des „Schlagerstars“. Gefolgt von: 22.00 „Helene
Fischer – Allein im Licht“. Eine „Doku über Leben und Arbeit der mit Kollegen
Florian Silbereisen liierten Sängerin“ – ich würde eher sagen: eine unkritische
90minütige Werbesendung für Helene Fischer.

Und um 01.20 Uhr wird die Show von 20.15 Uhr nochmal wiederholt, damit
auch wirklich jede und jeder von Helene Fischer beglückt wurde.

Ich will Sie an dieser Stelle jetzt nicht mit dem verfassungsmäßigen
Kulturauftrag der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten langweilen – ich wäre
schon zufrieden, wenn das Staatsfernsehen auch mal zu bester Sendezeit eine
anderthalbstündige Sendung mit sagen wir klassischer Musik und ein andermal mit
HipHop und Rap oder mit Weltmusik ausstrahlen würde. Zum Beispiel. Wenn es also
irgendeine Art von kultureller Vielfalt im Programm des Staatsfernsehens gäbe,
und nicht nur quotenorientierte Promosendungen für Schlagerstars und sonstigen
Weltzustimmungs-Schwachsinn.

(Nachbemerkung: Der „Musikmarkt“ meldet zweieinhalb Wochen nach der
Ausstrahlung des Werbeabends für Helene Fischer in der ARD den Erfolg der
Promo-Maßnahme: „Keine andere Künstlerin
konnte vor ihr drei Alben gleichzeitig in den Top 10 der deutschen Charts
platzieren.“) 

* * *

„Wenn ich ein Schostakowitsch-Konzert
spiele, ist es nicht Sinn der Sache, daß sich das Publikum dabei amüsiert.“ Julia
Fischer 

* * * 

Die „Berliner Zeitung“ schafft es, in einem vierspaltigen Artikel im
Feuilleton über „Schriftsteller, die es
aus dem Westen in den Osten zog“, Ronald M. Schernikau mit keinem Wörtchen
zu erwähnen... 

* * *

„Mit Typen wie
Diepgen oder Landowsky an der Macht gäbe es die Love Parade heute noch in
Berlin. Die waren viel offener. (...) Man spart jetzt jedes Jahr vielleicht
eine Million für die Müllbeseitigung, aber dafür gibt man 20 Millionen für die
Be-Berlin-Kampagne aus.“ Westbam im Interview mit der „taz“

* * *

„Große Fische,
wenige Angler“ lautet der Titel einer Sonderseite der „Berliner Zeitung“ am 18.5.d.J.
Es geht um Steuerfahnder – „rund 1,5
Millionen Euro treibt ein Beamter im Jahr ein. Dennoch sind die
Steuerverwaltungen hoffnungslos unterbesetzt, besonders im Süden der Republik
(wo die CSU regiert und wo die meisten Reichen wohnen, BS). Warum der Staat sich jährlich bis zu 30 Milliarden
Euro entgehen läßt.“

Ja, warum wohl? Lassen Sie uns raten... 

* * * 

In den letzten
Monaten wurde in etlichen Medien, von „Süddeutscher Zeitung“ bis Bayerischer
oder Hessischer Rundfunk, immer wieder beklagt, daß die Streaming-Plattformen
Spotify und Simfy für Musikstücke bedingt bekannter Gruppen pro Abspielvorgang
lediglich 0,001312 und 0,001248 Euro (beziehungsweise 0,1312 und 0,1248 Cent)
zahlen – wir berichteten (siehe auch Berthold Seligers Artikel "Mozarts
Subscriber" im "Freitag", den Sie auf unserer Homepage unter
"Texte" finden können). Deshalb, so das Fazit der Berichte, biete das
Streaming Musikern keine wirtschaftliche Basis. Legt man diese Maßstäbe an,
dann gilt das jedoch für das herkömmliche Analogradio in noch weit stärkerem
Maße – darauf weist jetzt Peter Mühlbauer in „Telepolis“ hin.

Demnach „errechnete Christian Hufgard vom Verein
Musikpiraten, wie viel Geld die deutschen Radiosender auf einzelne Hörvorgänge
umgerechnet zahlen, indem er anhand von Zahlen der Medien-Analyse Radio und der Verwertungsgesellschaften GEMA und GVL“
nachrechnete.  Dabei kam Hufgard
auf einen Betrag von sage und schreibe 0,000193644 Euro – „nicht einmal ein Siebtel dessen, was die relativ unbekannte
Beispielsband aus der BR-Sendung on3 pro Abspielvorgang bei Spotify erhält.“

* * *

Wie der „Musikmarkt“ dieser Tage meldete, hat der EU-Mediator António
Vitorino ein Jahr lang unabhängig die verschiedenen Pauschalabgaben für
Privatkopien in der EU untersucht und ist zu dem Schluß gekommen, daß „die Pauschalabgabe eine Doppelbelastung für
die Verbraucher darstellt. Denn Urheber würden dank lizenzierter Inhalte bereits
direkt vergütet und eine Privatkopie des Verbrauchers bedeute keinen Schaden
für den Urheber. Der Käufer zahle allerdings aufgrund der Pauschalabgabe
doppelt. Insgesamt habe Vitorino Zweifel an dem bestehenden System und
empfiehlt eine intensive Debatte über Alternativmodelle.“

Ich habe ehrlich gesagt auch „Zweifel am bestehenden System“, aber
ändern wird das wenig – Sie werden auch künftig doppelt bezahlen, und das
sogenannte Urheberrecht wird weiterhin zu Ihren Lasten und zugunsten der
Verwertungsindustrie funktionieren. Da wette ich drauf. 

* * *

Lustig, wie die konservative „FAZ“ anläßlich der blamablen
Verlosungsaktion für die Presseplätze im Münchner NSU-Verfahren plötzlich zur
harten Kritikerin von großen Medienkonzernen, von Monopolen und Großindustrie
wurde. In der Gerichtslotterie hatten 
„konzernunabhängige Titel wie die
(...) taz oder diese Zeitung (die FAZ, BS) kaum eine Chance“ (man betrachte
die schöne Konstruktion der gemeinsamen Konzernunabhängigkeit!), während „große Medienhäuser sich mit Mann und Maus
an dem Losverfahren beteiligen konnten nach dem Motto: mehr Lose, mehr Chancen“.

Die FAZ also als linksradikale Kampfpresse gegen Monopolismus und
Wirtschaftskonzentration? Wir hören nicht auf zu lernen.

* * *

Und wenn Ihnen interessierte Kreise einhämmern wollen, daß in Wembley
„der deutsche Fußball“ gesiegt habe, „wir“ als „Fußballnation“ in Europa
führend und quasi schon Weltmeister seien – gemach, gemach, ich rate zur
Nachdenklichkeit. Nur im "Großkotzertum"
(Krauss/Wittich in "Jungle World") sind deutsche Fans und Medien
unerreicht.

Das Endspiel um die Championsleague war ein attraktives Stück Fußball,
keine Frage. Und der komische FC Bayern hat nicht völlig unverdient gewonnen,
auch wenn Dortmund ein mindestens ebenbürtiger Gegner war – und die Bayern
hätten sich nicht beschweren dürfen, wenn in der ersten Halbzeit Ribery vom
Platz geflogen wäre, und wenn der Schiedsrichter bei Dantes Foul Elfmeter
pfiff, mußte er ihm auch gelb-rot geben und vom Platz stellen. Aber es ist nun,
wie es ist.

Man sollte jedenfalls vorsichtig sein mit der sogenannten
„Vorherrschaft“ – die Bayern waren gegen Arsenal im Achtelfinale fast schon ausgeschieden, hatten dann im Halbfinale das Glück, auf
einen FC Barcelona in einer Krise und ohne Messi zu treffen; und Dortmund kam
gegen Malaga und Real Madrid zweimal auch nur mit viel Glück weiter (so sehr
ich mich über die glanzvolle Dortmunder Championsleague-Saison gefreut habe).

Vor allem aber – wo war er denn genau, der dominante deutsche Fußball? Die Mehrzahl der
Spieler des FC Bayern hat jedenfalls keinen deutschen Paß, und ohne die Tore
von Lewandowski und die Qualität seiner drei ausländischen Kollegen wäre
Dortmund nie ins Finale gekommen. Zehn der zweiundzwanzig
Endspiel-Protagonisten waren keine deutschen Spieler, und unter anderem genau
deswegen konnte so ein attraktives Spiel geschehen. Und wieviele Spieler kamen
aus den eigenen Nachwuchsabteilungen der beiden Vereine?

Sehen Sie, es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Im Fußball wie im Leben.

Ich halte es jedenfalls weiterhin mit dem klugen Xavi Hernández vom FC
Barcelona, der nicht nur sagt, er und seine Mitspieler wollten immer „einen sehenswerten Fußball bieten, mit dem
sich die Leute identifizieren können“, sondern auch: „Es gibt etwas Größeres als das Ergebnis, etwas Nachhaltiges, ein
Vermächtnis.“

Das hätte ich nicht besser formulieren können. Denn auch anläßlich des
25jährigen Jubiläums meiner kleinen Tourneeagentur kann ich nur immer wieder
versichern: Es gibt etwas Größeres als Einspielergebnisse, als ausverkaufte
Hallen, als kommerziellen Erfolg. Nämlich etwas Nachhaltiges – schöne,
intensive, glücklich machende Konzerte! Ich wünsche Ihnen und uns allen
möglichst viele davon – Konzerte, die in Erinnerung bleiben mögen.

02.05.2013

Und Ansonsten 05/2013

Eine journalistische Pest sind die plumpen Schubladisierungsversuche
anhand selbst festgelegter, dumpfer Normen. Etwa „der Jimi Hendrix des...“.
Also: der Jimi Hendrix der Harfe, der Jimi Hendrix des Saxophons, der Jimi
Hendrix der Drehleier, was weiß ich.

Artikel, in denen so etwas vorkommt, sollten mit einem Strafhonorar in
doppelter Höhe des Autorenhonorars belegt werden (na gut, also faktisch mit 2 x
praktisch nichts...).

In der Reihe derartiger Einfallslosigkeiten und journalistischer
Offenbarungseide ist auch die Zuschreibung „ist Pop“ bzw. „ist Rock“ zu sehen.
Leute, die offensichtlich in ihrem Leben nur wenige Einsichten gewonnen und
sich nur wenige Differenzierungsmöglichkeiten erarbeitet haben, sortieren
kräftig in Pelikan und Geha, in Adidas und Puma, in Yin und Yang. Mercedes? Ist
Rock. Porsche? Ist Pop.

So auch in einem taz-Interview mit Lars Rudolph. Schon die Titelzeile
schreit: „Kleist war ein Rocker“.
Aha. Doch wie kommt das?

Es liegt, natürlich, an einer selten dämlichen Journalistenfrage, und an
der situativen Überforderung des Befragten, angemessen auf eine derart dämliche
Frage zu reagieren (nämlich zum Beispiel den Raum zu verlassen).

Also, Frage taz: „Nun haben Sie
eine Novelle von Kleist vertont. Ist Kleist eher Pop oder Rock?“

Antwort Lars Rudolph: „Rock.“

Wenn es nicht so hoffnungs- und sinnlos wäre, könnte man dem
taz-Redakteur empfehlen, sich Kleists „Lehrbuch der französischen Journalistik“
von 1809 zu besorgen, da könnte er ne Menge lernen. Oder auch nicht. (Kleist
sprach sich übrigens sogar gegen „Freibillets“ für Kulturveranstaltungen aus,
mit denen Berliner Theaterkritiker „bestochen“ würden. Erklären Sie das heute
mal den Zuständigen am Gästeliste-Schalter eines angesagten Popkonzerts...)

Aber daß Lars Rudolph dem taz-Redakteur ein absolut ebenbürtiger
Gesprächspartner ist, zeigt sich später: „Im
16. Jahrhundert hatte Musik ganz andere Kraft auf Leute, da gab es keine
Massenmedien. Da wurde zu Hause Musik gemacht oder in der Kirche.“

Im 16.Jahrhundert waren also alle glückliche Hausmusiker? Schöne
Vorstellung. Dumm nur, daß das Musikmachen (wie das Lesen) im 16.Jahrhundert
auf einige wenige tausend Menschen beschränkt blieb, während weit über 90% der
Menschen weder schreiben noch lesen, noch auch nur im entferntesten daran
denken konnten, selber Musik zu machen. Aber Leute, die Sätze sagen wie „Kleist
war ein Rocker“, haben halt auch sonst wenig Ahnung vom Leben und der Welt.

Das taz-Interview endet übrigens so:

taz: „Mögen Sie den
Showbusiness-Effekt von Religion?“

Lars Rudolph: „(...) Gute
Predigten sind Gold wert. Wenn es gute Pastoren gäbe (...), ist das wie Pop.
Wie Iggy Pop, wenn er sich malträtiert.“

Es wird so getan, als ob das Problem des deutschen Journalismus die
Bezahlmodelle seien. Ich würde dagegen sagen, daß das eigentliche Problem die
Qualität des Geschriebenen ist. Warum soll man Zeitungen kaufen, die von Leuten
vollgeschrieben werden, deren geistiger und kultureller Horizont nur von einer
Schubladenwand namens Rock zur anderen Schubladenwand namens Pop reicht?
Trostlos.

* * *

Aber nichts ist heute zu dämlich, als daß es nicht unbedingt irgendwo
abgedruckt werden müßte. Und wenn es nur in der „FAZ“ ist. Dort darf ein Felix
Johannes Enzian (Namenswitze sind verboten) über das Berlin-Konzert von Lana
del Rey drei Spalten mit Promo-Prosa vollsülzen, die so bescheuert und
inkompetent sind, daß man konstatieren muß: Das Feuilleton, der sogenannte
„Qualitätsjournalismus“ wird die Popkritik auch nicht mehr retten.

Nun kann man nicht von jedem erwarten, daß er ein derartiges Konzert so
souverän, arrogant  und originell
rezensieren kann wie unser „Kreuzberger Medienpreis“-Gewinner Jens Balzer in
der „Berliner Zeitung“ (von „Frauen, wie
sie von Lana Del Rey in idealtypischer Weise verkörpert werden, haben keinen
Motorradführerschein. Sie haben auch keinen Beruf und kein eigenes Konto“
bis zum Schlußsatz: „Nachdem sie zu Beginn des Abends noch einen
distanzierten und angestrengten Eindruck erweckt, fällt die Anspannung im
letzten Drittel sichtlich von ihr. Selten sieht man Künstlerinnen, die sich so
sehr auf das Ende ihres Konzerts freuen wie Lana Del Rey.“).

Daß Herr Enzian aber in jedes Stereotyp der Hilflosigkeit
verfällt, mit dem schlechte Schreiberlinge Konzerte zu fassen suchen („Morbide Mädchenhymnen“, „Pop in
Perfektion“, die Stimme ist „hypnotisch“,
das Seufzen ist „wimmernd“ und „schraubt sich zart-kunstvoll in die Höhe“,
die Lippen sind, natürlich, „üppig“,
die Verse sind „perfekt verknappt“
und „in Stein gemeißelt“, die Diva
ist „entrückt“, der „Star freut sich ganz ungekünstelt über die
Begeisterung, die ihm entgegenschlägt.“) – sorry, liebes FAZ-Feuilleton, so
haben wir nicht gewettet, für so einen blöden Schmarrn zahl ich keine EUR 46,90
Abogebühr monatlich, das können Sie für die Hälfte vielleicht den Erstsemestern
als Studentenabo andrehen, ich dagegen verlange Schmerzensgeld von Ihnen, wenn
ich morgens so etwas lesen muß! Damit das ein für alle mal geklärt ist.

Und Herr Enzian hat nicht nur von Sprache und Musik,
sondern auch vom Konzertwesen keine Ahnung, wahrscheinlich hat ihn seine kleine
Schwester das erste Mal auf ein Konzert mitgenommen: „Alle Songs haben Hitqualität. Daher kann die Newcomerin es sich
leisten, ihre Singles erst am Ende des Abends zu spielen...“ Gut, Herr
Enzian, diese Lektion in der Ersten Stunde der ersten Klasse der Popgrundschule
gebe ich Ihnen kostenlos: Es ist guter Brauch, daß Künstler auf ihren Konzerten
ihre Hits erst gegen Ende spielen. Jetzt denken Sie mal ein Grundschulhalbjahr
lang darüber nach, warum das so ist. Vielleicht bekommen Sie’s selbst raus.
Wahrscheinlich aber nicht.

* * *

„Seliger, wo bleibt das Positive?!?“ Ich weiß ich weiß. Aber Sie haben
ja sicher auch gelesen, was ich eben über Jens Balzer gesagt habe, ja? Und in
der FAZ schreibt ja auch regelmäßig Eric Pfeil Konzertrezensionen, zum
Beispiel, und das ist dann ein Vergnügen und verhilft dem FAZ-Feuilleton zu
mildernden Umständen vorm apokalyptischen Musikgericht, sozusagen.

Und dann lese ich ausgerechnet in der „Zeit“ den Artikel „Leben wie im
Countrysong“ von Franz Dobler, und ich bin hingerissen und würde Ihnen am
liebsten von A bis Z aus diesem Artikel über den Film „The Broken Circle“
vorlesen.

Nun ist es kein Geheimnis, daß Franz Dobler einer der besten deutschen
Schriftsteller ist, und ich schau fast täglich auf seinen Blog, wo’s immer
interessant zugeht. Und er kann natürlich schreiben, da will unsereiner gleich
aufhören, selbst zu bloggen...

Wie auch der Film einige gute Lektionen bereithält, etwa über Bluegrass:
„Arme Glücksritter aus der ganzen Welt
lebten in den Appalachen und arbeiteten hart in den Minen. Um Hunger und Elend
zu ertragen, sangen sie Lieder über ihre Angst vor dem Tod, die Hoffnung auf
ein besseres Leben im Jenseits und ihr hartes Schicksal.“ Sagt der
Banjospieler Didier. Sagt Dobler.

Bluegrass, das ist schon eine andere Welt. Hören Sie zum Beispiel Roscoe
Holcomb (ich habe auch einen Track von ihm auf unsere Spotify-Playlist im Mai
gepackt), „I Am A Man of Constant Sorrow“
zum Beispiel, da wissen Sie, was los ist. Die großen Bad Livers haben es leider
nie nach Deutschland geschafft in den 90ern, die hätten Sie sehen sollen!

„Unberechenbar
krachen Gegenwart/Unglück und Vergangenheit/Glück permanent gegeneinander (...)
Was nicht heißt, komische Elemente würden hier die Wucht rausnehmen. Wie auch
die Band nicht Erholung, sondern vierter Hauptdarsteller ist, auch Teil des
Schlachtfelds (...) Als sei die Botschaft: Musik ist das, was uns in größter
Not am Leben hält, sonst nichts“, schreibt Dobler und berichtet abschließend
(immer wieder Townes...):

„Aus dem The Broken
Circle-Soundtrack ist es ausgerechnet die ungeschönte Version von Townes Van
Zandts If I Needed You, die in
Belgien ein Hit ist. Ist das Belgien? Der ultimative Reterotrend? Sollte man
nicht wieder anfangen, an das Gute im Menschen zu glauben?“

* * *

Was Herr Bushido so treibt, wenn er nicht gerade den Integrations-Bambi
des Burda-Verlages entgegennimmt oder ein Praktikum bei
CDU-Bundestagsabgeordneten absolviert, das wissen Sie als LeserInnen dieses
Rundbriefs natürlich längst. Jetzt haben es auch „Stern“, „Spiegel“ und die
Tagespresse entdeckt: Bushido singt also homophobe und frauenfeindliche Texte,
und seinen Songtext „Wir vergasen jede Tunte“ hat Bushido brav in „Wir
verarschen jede Tunte“ geändert, was natürlich jeden Integrationsbambi
rechtfertigt. Und nun fanden die Investigationsjournalisten von „Stern“ bis
„Spiegel“ heraus, was Herr Bushida selbst seit Jahren sagt, nämlich: der
Berliner Rapper steht einem „berüchtigten Mafia-Clan“ nahe.

Uiuiui.

Ein Künstler erzählt (vor mehr als einem Jahr bereits), daß er Politik
nach dem Prinzip „Der Pate“ machen wolle; und auf die Frage nach seiner
Verbindung zur Mafia sagt der Künstler, das sei bei Berlusconi nicht anders:
„Wir sind, was wir sind.“

Und was fällt Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) zu diesem Thema
ein? Henkel fordert laut „Berliner Zeitung“ allen Ernstes, dem „Rap-Barden den Bambi abzuerkennen, den er
2011 erhielt“. Sie merken, der CDU-Politiker fährt allerschwerste Geschütze
auf...

Die Aberkennung des „Bambi“. Was für eine Kühnheit!

Und gleichzeitig sieht man, wie verblödet und wie lächerlich die Politik
heutzutage ist – da wird so getan, als ob irgendein „Bambi“ irgendeine
gesellschaftliche Relevanz habe, quasi eine Art Verdienstkreuz oder Doktortitel
oder Nobelpreis, den man dringend aberkennen müsse, wenn sich einer nicht
ordentlich verhält. Wahnsinn. Vielleicht sollte man dem Herren Innensenator mal
erklären, welche Möglichkeiten die Gesetze hergeben, um gegen homophobe und
frauenfeindliche Aussagen, vor allem aber gegen mafiöse Strukturen vorzugehen.
Wenn da vom Innensenator alle Mittel und Möglichkeiten ausgeschöpft wurden,
kann Bushido wegen mir seinen Bambi gerne behalten. Ob der dann im Regal seiner
Villa oder in einer Gefängniszelle steht, mögen die zuständigen Stellen
entscheiden.

* * *

Verändern Sie die Welt mit einem Klick!

Sie können zuhause auf dem Sofa sitzen bleiben, ist ganz einfach! Gehen
Sie einfach auf die Website von „Change.Org“, und schon werden Sie gefragt „Was
wollen Sie verändern?“

Und wenn es nur der Kampf für eine bessere, irgendwie „faire“ Nutella
ist:

„Sind Sie auch für
Nutella, aber fair? Dann unterschreiben Sie jetzt die Petition von Heike
Heider“, flötet die Website. „Nutella ist
beliebt, aber wird nicht fair produziert. Deswegen fordert Heike Heider
gemeinsam mit anderen – Fairtrade-Siegel aufs Glas!“

Und wenn dann erst das Fairtrade-Siegel auf jedem Nutella-Glas klebt,
ist die Welt quasi gerettet, und Sie können sich als Gutmensch fühlen und sich
wieder bequem auf Ihrem Sofa zurücklehnen. Das Gute auf der Welt ist nur einen
Klick entfernt. Oder, wie Change.org selbst sagt: „Menschen bekommen eine Stimme, die nicht glaubten, daß sie eine
hatten.“

Stand so in der „Berliner Zeitung“. Vielleicht kann man bei Change.org
eine Petition für die korrekte Verwendung der deutschen Sprache einreichen.
Wäre auch irgendwie einen Klick wert, oder?

* * *

Sie wissen ja, der Berlin-Flughafen ist das Ding, das es nicht gibt und
nie geben wird, das die Steuerzahler aber zig Milliarden kostet. Das Geld ist
da, hurra!

Im Gegensatz zum Flughafen, den Berlin irgendwie nicht hinkriegt, gibt
es in Berlin aber Radwege. Ganz konkret, die Dinger gibt’s wirklich. Nur: für
Radwege ist kein Geld mehr da! Der Berliner Finanzsenator Nußbaum hat jetzt die
Ausgaben für den Fahrrad- und Fußgängerverkehr in Berlin drastisch gekürzt. „Die ohnehin schon relativ geringen
Investitionen in Radwege und in Radfahr- und Zebrastreifen sollen um zwei
Millionen Euro sinken“ (Berliner Zeitung). Tschah, wer Milliarden für einen
nicht vorhandenen Flughafen zum Fenster raus schmeißt, muß natürlich unbedingst
schnell zwei Millionen bei den Fahrradwegen einsparen, ist schließlich kein
Geld mehr da. So sieht Verkehrspolitik von SPD und CDU im 21. Jahrhundert aus.

* * *

„Berlin war eine
Zeit lang besonders. Heute sind da zu viele Künstler, zu viele Leute mit
Karottenjeans. Idioten.“ (Iggy
Pop)

* * *

Die schönste Schlagzeile des vergangenen Monats las ich allerdings auf
Musikmarkt.de: „Helene Fischer wird
Werbegesicht für Meggle.“ Die Kräuterbutter, Sie wissen schon (also Meggle,
nicht Frau Fischer...). Toll, oder?

Man redet heutzutage natürlich geschwollen daher, also sagt man nicht
einfach, „Helene Fischer ist unsre neue Kräuterbutter-Schnute“, sondern: „Die Molkerei Meggle hat Helene Fischer als
neues Testimonial gewonnen.“

„Meggle ist in den
Köpfen der Verbraucher nicht mit Bildern hinterlegt“, barmt ein Ralph
Biermann, seines Zeichens „Group Product
Manager von Meggle“. Wo er Recht hat, hat er Recht. Ob sich das nun ändern
wird, wenn Helene Fischer „ich bin das Kräuterbutter-Gourmeggle“ haucht, kann
ich nicht beurteilen. Unseren Spaß werden wir aber alle haben.

* * *

Nicht nett fand ich dagegen die Schlagzeile „Deutsche Wähler immer noch
dumm“ auf Telepolis. Wobei, nun ja, ganz falsch liegen sie nicht: Denn weniger
als die Hälfte der wahlberechtigten Deutschen weiß laut einer Infratest
dimap-Umfrage, daß die Zweitstimme bei der Bundestagswahl über die
Mandatsverteilung entscheidet.

Bedenklich, oder?

Noch bedenklicher allerdings ist nur, daß man, egal ob für Erst- oder
für Zweitstimme, praktisch keine Auswahl hat. Was immer Sie als WählerInnen
tun, es kommt immer eine Mitte-Regierung heraus. Was nun wirklich irgendwie
dumm ist.

* * *

Der Lieblingsfeind der deutschen Content-Industrie, die Firma Google,
forciert laut einer Meldung auf „Musikmarkt.de“ in den USA „den Ausbau
schneller Glasfaserleitungen mit der Bandbreite von einem Gigabit“.

Während „die Telekom in Deutschland den umgekehrten Weg geht und
Internetverträge mit Volumenbegrenzung einführt“. Und die sogenannten
„Internet-Flatrates“ deutscher Provenienz ja sowieso schon bisher dubiose Mogelpackungen
darstellen, in denen alles andere als eine „Flatrate“ drin ist...

Google bietet in den USA jedenfalls für circa 32 Euro pro Jahr (!) „fünf
Megabit ohne Datenbegrenzung und ohne weitere Gebühren für sieben Jahre
garantiert“ – das ist „der Preis, den der Nutzer in Deutschland für 6.000
Kilobit pro Sekunde Download durchschnittlich im Monat zahlen muß.“

Amerika, Du hast es besser! Oder Frankreich. Sascha Lobo erklärt uns auf
"SPON":

"Anfang 2013
dekretierte die französische
Regierung, 20 Milliarden Euro in Glasfasernetze zu stecken, um 'Schluss zu
machen mit Kupfer'. Das Bundeswirtschaftsministerium schreibt dagegen zum Thema
Breitbandausbau: 'In einigen Fällen kann
auch der Einsatz von Fördermitteln erforderlich sein, wenn andernfalls
eine Erschließung auf mittlere Sicht nicht darstellbar ist.' Noch lascher lässt
sich kaum erklären, dass man kein Geld
in die Hand nehmen möchte."

Und Sascha Lobos Forderung können wir uns nur entschieden
anschließen: "Es führt kein Weg an
massiven staatlichen Investitionen in eine netzneutrale Glasfaserinfrastruktur vorbei."

* * * 

Und keine sogenannte Initiative ist natürlich zu popelig, als daß die
Münchner Vereinspostille  für den
deutschen Urheberrechtsfan nicht groß über sie berichten würde. Laut
„Musikwoche.de“ hat also eine Initiative „Don’t Fuck With Music“ in Berlin ein
„Guerilla-Konzert“ veranstaltet. „Vor dem Reichstag wurde während der Aktion
ein Transparent (...) ausgerollt. Lautstark begleitet wurde die Aktion von der
Berliner Band The Toten Crackhuren im Kofferraum.“

Was aber sah man auf dem Foto, das zur Meldung in der Vereinspostille
abgedruckt wurde?

Keine Massen, keine Demonstration at all, keine Protestaktion von zig
Künstlern, sondern vier oder fünf armselige Hanseln und Greteln, wahrscheinlich
die Toten Crackhuren selbst, ich kenn die nicht, aber wer sich schon so nennen
muß...

Und unter einem „Protesttruck“, wie die Musikwoche das nannte, stell ich
mir auch irgendwie was anderes und vor allem was Größeres vor als einen
Kleintransporter.

Echt Guerilla, diese Freunde des Urheberrechts mit ihrem Manifest!

* * * 

Und, gähn, die GEMA? Hat eine ganz schöne Bauchlandung fabriziert.

Selbst das der Gema traditionell sehr gewogene Patentamt hat der „Gema-Tarifreform eine weitgehende Absage
erteilt“ (FAZ). „Die Schiedsstelle
schlägt vor, die elf Tarife beizubehalten, die die Gema ursprünglich auf zwei
reduzieren wollte. Eine Abschaffung der Vielzahl an Tarifen würde gegen das
Gleichbehandlungsgebot verstoßen“, mußte sich die Gema ins Stammbuch
schreiben lassen. Den absurden „Mondtarife“ mit durchschnittlich 500 Prozent
höheren Gema-Tarifen für Diskotheken und bis zu 2000 Prozent höheren Tarifen
für Musikkneipen hat das Patentamt eine völlige Abfuhr erteilt. Diese
Auswüchse, die die Gema-Oberen seit geraumer Zeit vorangetrieben haben, sind
nun endgültig vom Tisch.

Es gibt jedoch immer noch Klärungsbedarf hinsichtlich einiger erhöhter
Tarife. Wobei man vielleicht jetzt doch erwarten darf, daß die Arroganz der
Gema-Funktionäre ein wenig kleiner wird, nachdem sie nicht nur in der
Öffentlichkeit, sondern jetzt sogar vor der Schiedsstelle mit ihren maßlosen
Forderungen Schiffbruch erlitten haben. 

* * * 

Nun mal ehrlich: Daß Uli Hoeneß, dieser selbsterklärte Saubermann und
CSU-Amigo, der gerne in Talkshows mit erhobenem Wurstfinger rechte Moral lehrt,
auch nur ein dumpfer Steuerhinterzieher ist – das wundert uns nicht, oder? Das
hatten wir uns eh längst gedacht. Allerdings verfolgt unsereiner mit einer
gewissen klammheimlichen Freude, wie dem Hoeneß Uli seine Sprüche wie man müsse
„die Reichen“ im Lande behalten, „damit
sie hier gemolken werden können“ (FAZ) nun auf die Adidas-beschuhten Füße
fallen. Fair enough. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Noch bescheuerter und dumpfer ist eigentlich nur Herr Rummenigge, der sich
aus Katar kommend mit zwei Rolex-Uhren, die er nicht ordnungsgemäß angemeldet
hat, beim Zoll erwischen läßt. Aber so sind sie halt, die Reichen, die ihr
langweiliges Leben nur mit dem Kauf von Rolex-Uhren aufpeppen können...

* * *

Was also ist mit den Reichen los?

Eine Frau mit dem sinnigen Namen Denise Rich hat für Céline Dion, Patti LaBelle, Diana Ross oder Aretha
Franklin Hits wie „Love Is A Crime“, „Frankie“ oder „Candy“ geschrieben und
damit offensichtlich eine ganze Menge Geld verdient. So viel Geld, daß sie es
anscheinend in sonnigen Steueroasen verstecken mußte – ihr Name ist laut „FAZ“
in der „Datenlawine  aufgetaucht, durch die sich im Auftrag des
Washingtoner Center for Public Integrity seit mehr als 15 Monaten 86
Journalisten wühlen.“

Ganze 144 Millionen Dollar wurden unter dem Namen von Frau Rich auf den
Cook-Inseln, einem beliebten Offshore-Gebiet, entdeckt – und die Frau Rich dort
wohl „nicht ganz nach international
gültigen Geldverkehrsvorschriften geparkt hat“.

Die „FAZ“ weiß auch, daß Frau Rich für ihr Penthouse auf der New Yorker
Fifth Avenue eigentlich 65 Millionen Dollar haben wollte, es dann vor einem
halben Jahr aber für nur 54 Millionen Dollar an den Medienmogul David Geffen
verkauft hat – ein Schnäppchen, ein 
Freundschaftspreis sozusagen!

Ihr einstiger Ehemann, Herr Rich also, wurde vor Jahren in den USA wegen
Steuerbetrugs verurteilt und ging ins, genau, Schweizer „Exil“, weil er lieber
nicht im Knast sitzen wollte. Laut „FAZ“ hat Frau Rich der Demokratischen
Partei „Schecks“ zukommen lassen, die „üppig
genug waren, um als ‚FOB’, als ‚Friends of Bill’ bei dem damaligen Präsidenten
eine Sonderstellung zu genießen.“ Und Bill Clinton hat dann tatschlich an
seinem letzten Amtstag noch schnell den verurteilten Steuerbetrüger Herrn Rich
begnadigt.

Frau Rich dagegen hat 2011 ihren US-Paß zurückgegeben und verwaltet
seither ihren Reichtum „lieber und
vorteilhafter“ in Österreich. Oder eben auf den Cook-Inseln.

Geschichten, die das Leben schreibt. Geschichten, wie Sie und ich sie
tagtäglich erleben.

12.04.2013

Und Ansonsten 04/2013

Die Sparauflagen, die Griechenland von der deutschen Regierung
aufgezwungen wurden, verlangen von Griechenland, die öffentlichen
Gesundheitsausgaben bei 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu halten oder noch
weiter zu senken. In Deutschland beträgt der Anteil  der Gesundheitsausgaben dagegen 9 Prozent.
Ist die Gesundheit der Griechen weniger wert? Sind die Griechen Europäer
zweiter Klasse?

Offiziell sind 30 Prozent der griechischen Bevölkerung nicht mehr
krankenversichert, vermutlich ist aber bereits jeder Zweite aus der Absicherung
herausgefallen, wie Kirsten Schubert in einem erschütternden Bericht für medico
international schreibt. Es mangelt an Arzneimitteln, selbst Verbandsmaterial
ist knapp geworden, und Medikamente bekommt man in den leergeräumten Apotheken
nur noch gegen Barzahlung. Seit die Troika durchgesetzt hat, daß alle
sozialstaatlichen Leistungen (inklusive der Krankenversicherung!) zwölf Monate
nach Verlust des Arbeitsplatzes einzustellen sind, ist die steigende Zahl
Arbeitsloser ein sicheres Indiz für die zu erwartenden gesundheitlichen
Belastungen der Bevölkerung – aktuell ist jeder vierte Grieche arbeitslos, bei
jungen Menschen unter 24 Jahren sind es mehr als die Hälfte.

Wohlgemerkt, dies alles geschieht in Ihrem Namen! Daß das von Deutschland
dominierte Europa systematisch eine solche die Menschenwürde verletzende
Ungleichheit zuläßt, ist empörend.

* * *

„Wie kommt es, daß
die Leute die Gesetze befolgen und nicht vielmehr auf sie pfeifen? Diese Frage,
nein, eher die Verblüffung über diesen weitverbreiteten Gesetzesgehorsam
verleitet zum Thesenbilden. Doch lassen wir die Soziologenmär von der Akzeptanz
als Erklärung aus dem Spiel. Auch der Hinweis auf die Vernunft der Gesetze
verfängt wohl kaum. Bleibt, wie so oft, Max Weber. Von allen
Erklärungsversuchen scheint der Webersche schon deswegen bedenkenswert, weil er
die Frage umstellt. Nicht: wieso folgen die Leute den Gesetzen, sondern: wie
stellen es die jeweils Herrschenden an, daß es sich so verhält?" (Cornelia Vismann)

* * *

Auch dieses Jahr konnte sich die HBO-Serie „Game of Thrones“ laut SPON
den ersten Platz im illegalen Download-Ranking sichern. Kaum hatte HBO die erste
Folge ausgestrahlt, wurde die Videodatei als Torrent angeboten. In der Spitze
wurde der Clip von mehr als 160.000 Nutzern gleichzeitig geteilt, sämtliche
angebotenen Versionen der Startfolge kamen laut SPON auf über eine Million
Downloads.

Die Startfolge wurde auch von 4,4 Millionen HBO-Abonnenten betrachtet.
HBO jedenfalls scheint sich am nicht ganz rechtskonformen Interesse an „Game of
Thrones“ nicht weiter zu stören. Der Autor der Buchreihe, George R.R. Martin,
hatte die Urheberrechtsverstöße bereits als „Kompliment“ für sein Werk
gewertet, und nun zog HBO-Programmdirektor Michael Lombardo nach: „Ich sollte
das vielleicht nicht sagen, aber das ist gewissermaßen ein Kompliment. Die
Nachfrage ist vorhanden. Und es (also die illegalen Downloads, BS) hat sich
sicher nicht negativ auf den DVD-Absatz ausgewirkt“, sagte Lombardo in
„Entertainment Weekly“ und machte sich hauptsächlich Sorgen über die Qualität
der Dateikopien. Illegale Downloader will der HBO-Chef jedenfalls nicht
verfolgen lassen.

* * *

Ist das, was man anbietet, gut genug, dann macht man in der Regel damit
Geschäfte im Internet, und auch die sogenannte Piraterie ist kein Problem, wie
wir sehen.

Ein etwas anderes Geschäftsmodell verfolgt der Axel-Springer-Konzern
hierzulande, auf dessen umfangreiche Lobbybemühungen das vom Bundestag
verabschiedete „Anti-Google-Gesetz“ zurückgeht.

Am 22.3. lese ich in der FAZ, wie der Vorstandsvorsitzende der Axel
Springer AG, Mathias Döpfner, vor dem Ausschuß für Kultur und Medien des
Bundestages jammert: Ein „tragfähiges
Geschäftsmodell für den Vertrieb von Zeitungsinhalten ist nicht in Sicht“,
sagte Döpfner. Und: „ohne ein
Leistungsschutzrecht, das die Produkte der Verlage vor der Inbesitznahme durch
kommerzielle Anbieter im Internet schützt, wird die freie Presse verschwinden.“

Merkwürdig nur, daß gut zwei Wochen vorher, am 7.3., in der Berliner
Zeitung zu lesen war, daß der Medienkonzern Axel Springer 2012 seinen Umsatz „vor allem durch den Ausbau digitaler Medien
gesteigert“ hat, ausgerechnet. Mathias Döpfner sagte dort, daß Springer „erstmals über eine Milliarde Euro Umsatz
mit digitalen Medien erzielt“ habe, „mehr
als mit jedem anderen Geschäftsbereich“. Der Bereich "Digitale
Medien" löste demzufolge mit einem Umsatz von 1,2 Milliarden Euro (plus 22
Prozent!) erstmals die inländischen Zeitungen als umsatzstärksten
Geschäftsbereich des Axel Springer-Konzerns ab.

Ganz ohne Leistungsschutzgesetz, ganz ohne Mithilfe des Gesetzgebers.

Und wie gehen die beiden Statements nun zusammen? Tun sie nicht. Döpfner
hat einfach die Politiker im Deutschen Bundestag und die Öffentlichkeit
verarscht. Sie können Döpfner übrigens an seiner langen Pinocchio-Nase
erkennen...

* * *

Und wen besucht SPD-Steinbrück, wenn er in Berlin auf Wahlkampfreise
ist?

Klar, der selbsternannte Kämpfer für die Sozialschwachen, für die Mieter
und die Geringverdiener kumpelt mit den Großkonzernen und deren Bossen herum.
Peer Steinbrück war zu Gast bei Universal Music, dem weltgrößten Musikkonzern,
und traf sich mit dessen Chef Frank Briegmann. Dabei warf sich Steinbrück in
den Staub und sandte eine Unterwürfigkeitsadresse, indem er auf das
SPD-Wahlprogramm verwies, in dem es heißt:

„Das geistige
Eigentum ist der Rohstoff der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die
unverbrüchliche Verbindung zwischen Urheber und Werk darf nicht relativiert
werden. Der Schutz des geistigen Eigentums ist für die SPD deshalb essentiell.“

09.04.2013

Margaret Thatcher

Margaret Thatcher war die europäische Politikerin, die der hemmungslosen neoliberalen Politik die Türen öffnete. Legendär ihre Aussage, in der sie eine gesellschaftliche Verantwortung und Verpflichtung rundheraus verweigerte: "There is no such thing as society."Thatcher sorgte dafür, daß der Londoner Finanzmarkt ungehemmt am Profit arbeiten konnte und zum größten Finanzplatz Europas wurde - ein großer Teil der Bankenkrise, mit der sich Europa heute rumschlagen muß, ist Thatchers Politik zu verundanken.Hemmungslose Privatisierung und Deregulierung, massiver Abbau des Sozialstaats - kein Wunder, daß sich britische Popmusiker ständig mit der Kapital-freundlichen Politik von Margaret Thatcher auseinandersetzten. "De mortuis nil nisi bene" - aber eben auch die Wahrheit: 21 verärgerte Songs über Margaret Thatcher, u.a. von den Specials, Pink FLoyd, Klaus Nomi, Morrissey, Elvis Costello und Billy Bragg, finden Sie hier:http://www.buzzfeed.com/angelameiquan/21-incredibly-angry-songs-about-ma...

25.03.2013

Steinbrück und LSG

Vor wenigen Wochen, als der Deutsche Bundestag mit einer Mehrheit, die
vornehmlich dem Fehlen prominenter OppositionspolitikerInnen von SPD, Grünen
und „Linken“ zu verundanken war, das von Springer forcierte
Leistungsschutzrecht beschlossen hatte, kündigten SPD und Grüne vollmundig
Widerstand gegen dieses Gesetz an. Jetzt hat der Bundesrat, wo SPD-geführte
Bundesländer eine deutliche Mehrheit haben, mit der sie das Gesetz einstweilen
hätten stoppen können, jedoch mit den Stimmen der beiden SPD- bzw.
SPD-Grünen-Länderregierungen Hamburg und Nordrhein-Westfalen das unsinnige
Gesetz durchgewunken. Interessanterweise zwei Bundesländer, in denen starke
Presseverlage ihren Sitz haben.

Man hat sich der Macht der Presseverleger gebeugt und „einer kleinen Schar Begünstigter ein großes
Geschenk gemacht“ (Till Kreutzer).

Marcel Weiß kommentiert auf „Neunetz“ die Grundsituation der Netzpolitik
in diesem unseren Lande, das in Denken und Handeln so sehr dem 20.Jahrhundert
verhaftet bleibt: „Wir haben eine akademische Welt, die
zur Selbstorganisation abseits der traditionellen Presse kaum in der Lage
scheint. Wir haben eine Industrie, im Internet wie abseits des
Internets, die zur Selbstorganisation branchenübergreifend abseits der
traditionellen Presse nicht in der Lage ist. Wir haben eine journalistische
Branche, die mit Lügen kein Problem hat. Und wir haben opportunistische
Politiker an der Macht und in der Opposition, die mehrheitlich weder das
Netz fürchten noch lieben, sondern das Papier fürchten und lieben."

SPD-Spitzenkandidat Peer Steinbrück, dieser Person gewordene Wunsch der
Sozialdemokraten, bloß nicht den nächsten Kanzler stellen zu wollen, erklärt
dazu gerade auf der SPD-Website, „das
schwarz-gelbe Leistungsschutzrecht muß weg“ – wie bitte? Das Gesetz also,
das seine Parteigenossen aus NRW und Hamburg soeben erst möglich gemacht haben?
Dieser Eiertanz erinnert an die geniale Aussage der damaligen
Grünen-Abgeordneten Antje Vollmer zum Kriegseinsatz der Bundeswehr auf dem
Balkan: „Mein Ja war eigentlich ein
Nein.“

Und wir können nolens volens eine neue Strophe des ewigen Gassenhauers
anstimmen, wie bei Salamanders Lurchi klingt es im ganzen Walde: „Wer hat uns
verraten? Sozialdemokraten!“

25.03.2013

Sklaverei, Milliardäre und Textilindustrie

Jaja, ich weiß, Amazon zahlt Minilöhne für Leiharbeiter. Und auf dem
SPD-Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern bedienten KellnerInnen, die nur
6,62 Euro pro Stunde verdienten, obwohl die Sozialdemokraten doch einen
Mindestlohn von 8,50 Euro fordern. Und wenn sich die Parteitagsdelegierten
gleich welcher Coleur in den 4- und 5-Sterne-Hotels zur Ruhe betten, wurden
zuvor Zimmermädchen ausgebeutet, die die Zimmer auf Vordermann gebracht haben.
In Berlin etwa „schuften Zimmermädchen“
in den Luxushotels laut einer Recherche des RBB „für drei bis vier Euro Stundenlohn. Angestellt sind sie bei
Fremdfirmen, die den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn für
Reinigungskräfte trickreich umgehen“.

Jeder kann sich jederzeit empören, Anlässe gibt es zu genüge, und man
fühlt sich so viel besser, wenn man Elche beim Elchsein ertappt hat.

Nur, das Ganze ist systemisch. Nichts, was uns (und damit meine ich im
Wortsinn: uns alle!) irgendwo ein Vorteil dünkt, kommt ohne Nachteil daher. Wo
es Gewinner gibt, gibt es Verlierer. Es gibt keine Gewinne, ohne daß irgendwer
irgendwo den Preis dafür bezahlen würde.

Wenn ich im März in die USA zur SXSW fliege und vorher in wechselnde
Städte, wo meine Künstler und ihre Vertreter wohnen, kaufe ich mir stets die
„Billionaires“-Ausgabe von „Forbes“. Immer im März erscheint in den USA „the
definitive Guide to the richest People on Earth“, der alle (in diesem Jahr:
1.426) Milliardäre der Welt verzeichnet. Auf dem Titel der 2013er Ausgabe:
Mikhail Prokhorov, ein russischer Oligarch, Geschäftspartner eines gewissen
Jay-Z in Brooklyn (ihnen gehört gemeinsam eine riesige neue Mehrzweckhalle
sowie der Basketballverein Brooklyn Nets, und jetzt raten Sie mal, wer den
jeweils größeren Anteil daran hält...).

Auch hübsch: ein doppelseitiges Foto von einem Strand in Malibu/Kalifornien,
an dem nebeneinander u.a. Joel Silver (Filmproduzent, u.a. Matrix), Paul Allen
(Microsoft), Haim Saban (Saban Capital Group), Jeffrey Katzenberg (DreamWorks),
Larry Ellison (Oracle), Peter Morton (Hard Rock Cafe), Gerald Schwartz (Onex),
David Geffen (DreamWorks) und Eli Broad (SunAmerica) ihre Multimillionen-Villen
besitzen (die auf dem Foto genau bezeichnet sind). Die Milliardäre zahlen bis
zu über 600.000 Dollar pro Meter (!) Meerblick – und der Strand dort ist,
anders als in Potsdam, wo die Neu-Junker die Bevölkerung nicht ans Ufer lassen,
öffentlich. Da muß man sich schon wundern, warum die Occupy-Leute bei Wind und
Wetter in New York kampierten statt vor den Villen der Milliardäre in Malibu.
Doch ich schweife ab.

Was ich Ihnen eigentlich erzählen wollte, sind ein paar der
Top-Milliardäre der „Forbes“-Liste. Auf Platz 1 steht seit vier Jahren der
mexikanische Telekom-Mogul Carlos Slim Helu, ihm und seiner Familie gehören 73
Milliarden US$. Auf Platz 2 Bill Gates mit 67 Milliarden Dollar. Doch dann,
bereits auf Platz 3, finden wir einen spanischen Superreichen namens Amancio
Ortega, der über ein Vermögen in Höhe von 57 Milliarden Dollar verfügt. Kennen
Sie nicht? Ihm gehören 60% einer Firma namens Inditex (deren Chef er bis 2011
war). Zu Inditex gehört ein Konzern namens Zara. Klingelt etwas bei Ihnen?
Unter anderem mit seiner Textilienkette Zara machte Amancio Ortega im Jahr 2012
derartig hohe Profite, daß ihm selbst unter den wahrlich nicht unvermögenden
Superreichen der Forbes-Liste der größte Sprung nach vorne gelang: sein
Vermögen vergrößerte sich 2012 um sage und schreibe 19,5 Milliarden Dollar. Und,
am Rande: Ortega lebt in einem Land, in dem mehr als die Hälfte aller
Unter-30jährigen arbeitslos sind und zuletzt eine sechsstellige Zahl von Häusern
zwangsgeräumt wurden, weil die Menschen ihre Kredite nicht mehr bedienen
konnten. Es gibt eben allüberall und jederzeit ein Oben und ein Unten.

Auf Platz 9 der Liste der Schwerreichen: Liliane Bettencourt (L’Oréal).
Platz 10: Bernard Arnault (LVMH, u.a. Louis Vuitton und Bulgari). Auf Platz 18
der reichste Deutsche, Karl Albrecht (Aldi), mit 26 Milliarden Dollar.

Platz 12: ein gewisser Stefan Persson, 65 Jahre alt, Vermögen 28
Milliarden Dollar. Kennen Sie wieder nicht? Er ist Vorstandsvorsitzender von
H&M (und hat sein Vermögen zuletzt dadurch vermehrt, daß er in Paris gleich
einen ganzen Häuserblock in bester Lage kaufte). Stefan Persson gehören 38% von
H&M, die Textilkette wurde von seinem Vater gegründet.

Und nun fragen wir uns mal kurz, wie die Herren Ortega aus Spanien und
Persson aus Schweden so superreich werden konnten. Die Waren, die sie in ihren
Textilketten verkaufen, sind eher billig. Wenn Sie ein schickes Oberteil bei
Zara oder ein T-Shirt für wenig Geld bei H&M kaufen, werden Sie sich wegen
des günstigen Artikels eher als Gewinner fühlen. Und es ist anzunehmen, daß
sich auch die Herren Ortega und Persson nicht als Verlierer im globalen Spiel
bezeichnen werden. Wer aber sind die Verlierer, auf deren Kosten die Herren
Ortega und Persson ihre Gewinne machen?

„Terre des hommes“ hat gerade die Arbeitsbedingungen in der weltweiten
Textilindustrie in scharfer Form kritisiert. Danach leben mindestens 12
Millionen Menschen in Sklaverei-ähnlichen Verhältnissen, darunter zahlreiche
Kinder. Gerade die moderne Textilindustrie brauche massiv billige
Arbeitskräfte, weil sie günstig produzieren müsse.

„Es gibt heute
mehr Sklaven als zu Zeiten des transatlantischen Sklavenhandels“, sagte die
Sprecherin von „Terre des hommes“.

Wir schreiben das Jahr 2013. Und wir sind alle Profiteure einer
globalisierten Welt. Und jemand anderes zahlt den Preis. Und wir sind
vielleicht weiter entfernt von jenem „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach
seinen Bedürfnissen“ denn je zuvor.

25.03.2013

Echo 2013

Nun haben wir also auch den Echo 2013 überlebt. Ich hatte Grippe und
habe mir in meiner Verzweiflung einen Teil der Fernsehübertrag angetan, worauf
sich mein Gesundheitszustand spürbar verschlechtert hat.

Daß diese erbärmliche, dumpfe, selbstreferentielle Veranstaltung der
deutschen Musikindustrie live im Staatsfernsehen übertragen wird, ist traurig
genug. Sie vermissen Herz und Seele? Die Musikindustrie hat so etwas nicht, da,
wo gewöhnliche Menschen ein Herz haben, haben die Manager der Musikindustrie
einen Zähler für verkaufte Alben eingebaut.

Das alberne Vorspiel mit dem Gezerre um die Gruppe Frei.Wild war dabei
so banal wie die eigentliche Veranstaltung. Daß sich ausgerechnet eine Band wie
Mia, die vor Jahren in der Deutschlandfahne geposed hat und mit ihren
deutschnationalen Gesängen bekannt wurde, sich nun als Gegner einer Band wie
Frei.Wild geriert, ist einfach nur lächerlich. Wobei den Neo-Nationalismus ja
nicht eine Band wie Frei.Wild hervorgebracht hat, sondern die Deutsche
Phono-Akademie selbst, die den Echo ausrichtet. Bis zur Deutschen
Phono-Akademie haben sich die Grenzen Deutschlands nach 1945 anscheinend noch
nicht herumgesprochen – die Südtiroler Band Frei.Wild wurde von den Vertretern
der deutschen Musikindustrie nämlich in der Kategorie „Rock/Alternative National“ nominiert. Wann aber war
Südtirol zuletzt „deutsch“, also national? Nach dem Abkommen von Mussolini und
Hitler 1939, gewissermaßen. In dieser Zeit  also ist die Deutsche Phono-Akademie gedanklich
stehengeblieben, was ja auch wieder interessant ist.

Die Diskussion um Frei.Wild jedenfalls ist eine sehr typisch deutsche,
eben: eine Alibi-Debatte.  Über das
reaktionäre Weltbild von Figuren wie Bushido oder Heino, die ebenfalls
nominiert waren, wurde nicht einmal debattiert. Und Jens Balzer weist in der
„Berliner Zeitung“ darauf hin, daß ein Produzent wie Henning Verlage nicht nur
„Unheilig“ produziert hat (und zusammen mit dem „Graf“ den Echo für den besten
Rock/Alternative National“-Act entgegennahm), sondern eben auch, ja, Frei.Wild.
„Ein Umstand, der an diesem Abend aber
lieber verschwiegen wird“ (Balzer). Und abgemischt wurde das
Frei.Wild-Album vom Berliner Ton-Ingenieur Sascha „Busy“ Büren, der außerdem auch
die Alben von Peter Fox oder Lena Meyer-Landrut abmischt. So hängt immer alles
mit allem zusammen. Der Echo zeichnet sich eben „generell gerade durch seine Vielfalt, die kreativen Kollaborationen
und die einzigartigen emotionalen Momente aus“, so der BVMI-Funktionär
Florian Drücke.

Der TV-Marktanteil der Echo-Übertragung: Müde 13,3 Prozent. Sogar die
parallel im ZDF laufende Quizshow mit Rügenwalder Wurst-Botschafter Jörg Pilawa
fand mehr Zuschauer. Und der Marktanteil in der Zielgruppe der 14- bis
49-jährigen lag bei nur 11,4 Prozent und war die zweitschwächste Echo-Quote
aller Zeiten. Sowas nennt man dann wohl einen Flop.

25.03.2013

Spareinlagen werden enteignet

Und, trauen Sie den Beteuerungen von Frau Merkel und Herrn Steinbrück
noch, die Einlagen der Sparer seien sicher? Den Sparern in Zypern dürfte die
Garantie von Merkel und Steinbrück 2008, niemand müsse befürchten, „einen Euro seiner Anlagen zu verlieren“,
zynisch vorkommen. Galt aber ja auch nur, von wegen vereintes Europa, für die
deutschen Sparer, versteht sich.

Doch aktuell drängen Merkel und Schäuble darauf, erstmals Sparer an der
Sanierung insolventer Banken zu beteiligen, bevor
Aktionäre und Besitzer von Anleihen zur Kasse gebeten werden. Ein Tabubruch.
Eine Enteignung, die vor allem die sogenannten „kleinen Leute“ trifft, denn vor
allem diejenigen, die wenig Vermögen haben, legen dieses wenige Geld in sehr
niedrig verzinsten Anlageformen an.

Doch faktisch werden die Kleinsparer nicht erst jetzt, sondern schon
seit Jahren enteignet. Wie der „NZZ“ zu entnehmen ist, betrug die Rendite von
fünfjährigen Staatsanleihen in Deutschland zuletzt 0,8 Prozent, ähnlich tief
liegen die Zinsen für Fest- und Tagesgelder. Bei einer Inflationsrate von 1,9
Prozent liegen die Zinsen also real bei -1,1 Prozent. Wohl gemerkt: minus 1,1 Prozent. „Jedes Jahr schrumpft die reale Kaufkraft deutscher Sparguthaben also
um 1,1 Prozent.“ Eine schleichende Enteignung, von den Finanzexperten auch
„finanzielle Repression“ genannt.

Der Kapitalbedarf von Zypern beträgt 15,8 Milliarden Euro. Allein bei
der Verstaatlichung des Verlustes einer einzigen deutschen Bank, der Hypo Real
Estate, übernahm Deutschland seinerzeit Garantien in Höhe von 124 Milliarden
Euro.

Wie die Bundesbank übrigens gerade bekanntgab, gehören den reichsten
zehn Prozent der deutschen Haushalte 59,2 Prozent des gesamten deutschen Nettovermögens.
Wir können jedoch davon ausgehen, daß die reichsten zehn Prozent unserer
Gesellschaft ihr Vermögen eher nicht auf Sparkonten horten, wo es kalt
enteignet werden würde; doch immerhin 78 Prozent der deutschen Haushalte haben
Sparguthaben und können zuschauen, wie dies jedes Jahr ohne ihr Zutun weniger
wird.

Ach ja, eine Garantie kann ich Ihnen geben: Bis zur Bundestagswahl im
September 2013 sind Ihre Sparvermögen ganz sicher sicher! Wetten?

25.03.2013

Musikexpress und Berichterstattung

Im aktuellen Heft des „Musikexpress“ klagt der sehr geschätzte Albert
Koch über die „Geheimhaltungsstrategien“
der Musikindustrie, in diesem Fall eines bestimmten Großkonzerns, der den
Journalisten keine Besprechungsexemplare der neuen Veröffentlichungen zur
Verfügung stellt, sondern schlecht funktionierende Streaming-Links oder nur das
Anhören neuer Alben bei sogenannten „Listening Sessions“ unter Bewachung von
Mitarbeitern der Plattenfirmen erlaubt.

All dies ist längst nicht mehr Ausnahme, sondern die Regel. Was mich
jedoch immer wieder wundert: warum lassen die Musikjournalisten denn all dies
mit sich machen? Wie wäre es denn, wenn sie sich den Gebaren der Musikindustrie
einfach verweigerten? Wenn sie sagen würden, daß sie nicht bereit sind, Alben
zu besprechen, die sie nur bei Listening Sessions oder per Stream erhalten? Daß
für eine sinnvolle Rezension eine ausführliche Beschäftigung mit einem Album
notwendig ist? Mir scheint, daß da beim embedded music journalism doch ein
wenig zu viel vorauseilender Gehorsam und etwas zu wenig Selbstbewußtsein
vorhanden ist. Und wer hätte denn letztlich mehr zu verlieren, wenn das neue
Album der Strokes oder von David Bowie einen Monat später besprochen würde –
die Musikzeitschrift oder die Plattenfirma?

25.03.2013

Hofberichterstattung Initiative Musik

Eine ganz andere, dem eigentlichen Begriff noch näher kommende Spielart
des „embedded journalism“ betreibt die staatliche „Initiative Musik“, die drei
deutschen Musikjournalisten gleich den Besuch der Musikmesse SXSW inklusive
Reise und Hotels finanzierte. Journalisten, die auf Staatskosten die Maßnahmen
der staatlichen Popexportförderung journalistisch „begleiten“ – klassische Hofberichterstattung.
Und genau so kam es, in den entsprechenden Berichten der staatlich
eingebundenen Journalisten ist kein kritisches Wort zur Arbeit der staatlichen
Popinstitutionen zu finden, und es fehlt auch jeder Hinweis darauf, daß die
entsprechenden Artikel nur dank staatlicher Finanzierung zustandegekommen sind.

So verstehen staatliche Institutionen und Journalisten in einer
„postdemokratischen“ Gesellschaft die Rolle der „freien“ Presse...

25.03.2013

Grüne Plastiktüten

Zahnlose Grüne.

Die Ökopartei hat jetzt eine Steuer in Höhe von 22 Cent auf Plastiktüten
vorgeschlagen. Nicht einmal eine Abgabe, die zweckgebunden einzusetzen wäre,
sondern eine Steuer. Zu mehr hat es bei den alternden Grünen, deren
Plastiktüten-Konzept merkwürdig „zahnluckert“ daher kommt, wie man in
Oberbayern sagt, anscheinend nicht gereicht.

Wie wäre es, wenn man Plastiktüten einfach verbieten würde, statt sie zu
besteuern?

Vor der spanischen Küste verendete unlängst ein Pottwal, der obduziert
wurde. Laut „Berliner Zeitung“ wurden in dem 4,5-Tonnen-Leichnam 17 Kilogramm
Plastikmüll gefunden. Der Darm war komplett mit Plastikmüll verstopft und
„förmlich explodiert“. Im Magen des Pottwals wurden u.a. 30 Quadratmeter
Plastikfolie, 59 verschiedene Teile aus den Treibhausanlagen vor Andalusiens
Küste und jede Menge weiterer Plastikmüll gefunden.

In Frankreich und Italien sind Plastiktüten längst verboten, ebenso wie
beispielsweise in Indien oder Kenia, in Teilen Australiens und in einzelnen
US-amerikanischen Städten, wie Austin/Texas oder Los Angeles. Warum die Grünen
hierzulande nicht ebenfalls ein Verbot von Plastiktüten fordern und stattdessen
eine Besteuerung der Tüten vorschlagen, bleibt ihr Geheimnis.

25.03.2013

Brooklyn Frozen Zone

Aus den Nachrichten (auf Telepolis):

„Wegen der
anhaltenden Proteste und Unruhen hat die Polizei den Stadtteil East Flatbush zu
einer "eingefrorenen Zone" ("Frozen Zone") erklärt, was de
facto heißt, dass der Ausnahmezustand verhängt wurde. (...) Konkret bedeutet
der Ausnahmezustand derzeit, dass es Reportern und Journalisten nicht möglich
ist, sich in der Zone frei zu bewegen und zu recherchieren oder zu berichten.
Außerdem ist es den Beamten gestattet, die Anwohner und Passanten daran zu
hindern, frei auf den Straßen umherzulaufen.“

Und wo passiert so etwas? Nicht in China, sondern in New York, im
Stadtteil Brooklyn. In der Nacht vom 9. auf den 10.März haben dort zwei
Polizisten einen 16jährigen Jugendlichen erschossen. Sie feuerten elf Schüsse
ab, sieben davon trafen einen schwarzen Jugendlichen  tödlich. In den Tagen darauf kam es zu
Andachten, Kundgebungen und zu massiven Protesten in dem New Yorker Stadtteil,
allein am 13. März kam es zu 46 Verhaftungen. Die Mutter des niedergeschossenen
Jugendlichen fordert „Gerechtigkeit für
zwei Polizisten, die von der Straße verschwinden sollten, bevor sie ein anderes
Kind töten.“

In den Zeiten von Internet schafft es die NYPD, daß keine gesicherten
Informationen über die aktuelle Lage in dem Stadtteil von Brooklyn an die Öffentlichkeit
geraten – niemand weiß, was sich in der „frozen zone“ abspielt.

11.03.2013

Mehdorn BER

Mehdorn wird Chef des Berlin-Brandenburger Flughafens.

Sänk you for not travelling Pannenflughafen BER, sozusagen.

Und Verkehrsminister Ramsauer bekommt feuchte Höschen und behauptet laut
„Welt“, Mehdorn folge „auch ein Stück weit einer patriotischen Berufung“,
eine solche „Herausforderung von
nationaler Tragweite anzupacken“. Patriotische Berufung? Drunter tun sie’s nicht. Ein Stück weit.

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