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Blog Archiv - Jahr %1
01.12.2013

Judith Holofernes im Spiegel

Apropos Qualitätsjournalismus: Was denken Sie, wo stand dieser Text, und über wen ist er geschrieben?„Sie will ein Album vorlegen, auf dem endlich ‚alles genau so klingt, wie ich es will’, sagt sie, das Visier aus Filz und Wolle für einen Moment geöffnet, das Gesicht gerötet von der Last des falschen Pferdes. Sie hat, auf den ersten Blick, noch immer die anrührend klaren Augen des Mädchens, das sie vor 15 Jahren war, in der Zeit vor dem Ruhm, vor der Heirat, vor den Kindern. Die blauen Augen der entschlossenen jungen Frau, die damals auch schon 22 war und die bei ihren allerersten Auftritten in vergammelten Kneipen ihren Traum besang, ein Popstar zu werden, auf der ganz großen Bühne (...)Sie konnte nicht wissen, wie es sich anfühlen würde ‚da oben’, im Licht, auf Platz eins der Charts, auf Festivals vor 80.000 zahlenden Zuschauern, wie es sich sitzt in den Fernsehstudios bei Maybrit Illner, bei Harald Schmidt, als er noch groß war, wie es ist, dem Dalai Lama die Hand zu schütteln. (...) Sie wußte nicht, wie erbarmungslos der Rummel um den Ruhm sein kann, wie tief Müdigkeit geht, wie schnell sich alles anfühlt, ‚als würde man sich nicht mehr selbst gehören’. Sie ahnte nicht, daß Popstar werden leichter ist als Popstar sein.Ihre Augen spiegeln diese Erfahrung heute, auf den zweiten Blick, eine Spur von Zweifel liegt manchmal in ihnen, eine kleine kichernde Angst, wenn sie sich die Reaktionen auf ihre neue Platte ausmalt, die Gemeinheiten, mit denen sie rechnen muß. (...) Dünn ist ihre Haut geblieben, ihr Panzer nur aus Wolle und Filz. (...) In den Liedern steht sie da, offen, verletzlich, erschütternd, den Kopf geneigt zum Nackenbiß.“Na? „Das neue Blatt“? „Gala“? Ein Lore-Roman? Susanne Messmer in der „Zeit“ über eine tibetanische Sängerin?Nein, das altherrenhafte Gesülze stand im „Spiegel“, und der Artikel ging über Judith Holofernes. Vor einiger Zeit hat sich die Künstlerin selbstbewußt gegen die Vereinnahmung der Blöd-Zeitung gewehrt. Daß leitende Redakteure der Blödzeitung jetzt leitende Redakteure beim „Spiegel“ sind und dort längst Artikel geschrieben werden, die so auch in der „Bunten“ stehen könnten – wer konnte so etwas ahnen. Ein derartiges Geschreibsel hat Judith Holofernes jedenfalls nicht verdient.

01.12.2013

Lahm & Käßmann

Aber es geht immer noch schlimmer. Oder können Sie sich ein Gespräch von Philipp Lahm und Margot Käßmann vorstellen? Wollen Sie das gar lesen müssen? „Chrismon“, das evangelische Umsonstblättchen, hat die beiden zusammen kommen lassen, „was uns stark macht“.Mir hat am besten Philipp Lahm gefallen, der ganz Fußballer-like (Abitur zu haben bedeutet heutzutage bekanntlich auch nichts mehr) plappert: „Ich denke, die Zeit, in der wir leben, ist sehr ungewiß. Und die Themen sind sehr kompliziert. Also brauchen wir Helden, zu denen man aufschauen kann, weil sie Mut bewiesen haben und ihre Erfolge Mut machen.“Die Zeiten? Sehr ungewiß, fürwahr.Die Themen? Sehr kompliziert.Erst hat man kein Glück, dann kommt auch noch Pech hinzu.

01.12.2013

Lou Reed Nachrufe

Klar, unsereiner macht sich über den Zustand des hiesigen „Qualitätsjournalismus“ in der Regel wenig Illusionen (was nicht heißt, daß es immer noch eine gewisse Anzahl seriöser und guter JournalistInnen gibt – aber das wissen Sie ja selbst, daß man aus dem Allgemeinzustand einer Branche nicht auf jeden einzelnen dort Arbeitenden schließen darf). Wenn es einem aber gerade wieder einmal passieret, dann... Reden wir vom Tod Lou Reeds. Kaum ein deutscher Artikel, der ohne die Beschreibung Lou Reeds als „schwierig“, als „Feind von Journalisten“, als „Todeszwerg“ gar (in der „Welt“, als Titelzeile Lester Bangs zitierend) auskam – im interessanten Gegensatz übrigens zur französischen Musikpresse („Les Inrockuptibles“ brachte ein lesenswertes, mehrseitiges Interview mit Lou Reed) oder zu US-Medien, wo gerade die Freundlichkeit und Kollegialität des Künstlers hervorgehoben wurde.Besondere Erwähnung verdienen jedoch zwei hiesige Medien. In der „taz“ findet deren Pop-Chef, der die letzten Konzerte von Lou Reed 2012 noch als „Flop des Jahres“ bezeichnet hatte und in seiner Rezension damals von Lou Reeds Musik offenkundig überfordert war und es deswegen vorzog, ausführlich über die Regenjacken seiner Fans zu berichten, daß „seine Songs mit zum Größten gehören, was die Popmusik je hervorgebracht hat“.Auch toll der Nachruf von Thomas Groß auf der Titelseite (!) der „Zeit“, dieses altjungfernhaften Hamburger Mediums, das bevorzugt zu spät kommt, dann aber mit großem Getöse. Thomas Groß jedenfalls hat eine Fantasie: „Zu schade, daß er es nicht mehr auf Tour geschafft hat“, beginnt er seinen Artikel. Und schwurbelt dann, daß eine Tour doch prächtig „gepaßt“ hätte „zu einem Jahr, in dem sie alle noch einmal vorbeigezogen kamen, der heilige Neil, der olympische Leonard, der sakrosante Bob“, doch allein, „auf seine Weise aber war es folgerichtig, daß er fehlte: An Verabredungen gleich welcher Art hat Lou Reed sich nie gehalten“, nicht einmal an Verabredungen mit einem „Zeit“-Schreiberling, die nur in dessen Fantasie stattfinden.Aber das ist eben das Dilemma weiter Teile des deutschen Musikjournalismus: weiter als bis zum eigenen Bauchnabel reicht der Horizont in aller Regel nicht. Und wenn der Herr Zeit-Autor und sein Bauchnabel bei der letzten Lou Reed-Tour 2012, zu der ja gut 16.000 Menschen kamen, nicht dabei waren, dann kann diese Tournee natürlich einfach nicht stattgefunden haben. Und im besten deutschen Bauchnabeljournalismus-Stil darf man dann auf der Titelseite der „Zeit“ beklagen, daß es Lou Reed „nicht mehr auf Tour geschafft hat“.Wie armselig.(was jetzt nicht heißen soll, daß es nicht auch hierzulande angemessene Lou Reed-Nachrufe gegeben hätte, z.B. von Dietmar Dath in der „FAZ“, von Jens Balzer in der „Berliner Zeitung“, von Andrian Kreye in der „SZ“ oder von Karl Bruckmaier in der „taz“).

01.12.2013

Lou Reed Radioshow

Lou Reed hat während der letzten zwei Jahre zusammen mit Hal Wilner an manchen Samstagen um Mitternacht eine Radio-Show auf XM Channel 30 betrieben: „Lou Reeds New York Shuffle with Hal Wilner“, man kann die Playlists im Netz finden. Und in der letzten dieser Shows begann Lou Reed mit „Cadillac Desert“ von William Tyler (mit Lambchop Künstler dieser Agentur), und als zweites spielte er den wunderbaren „Heavenly Household Blues“ eines gewissen Townes Van Zandt, aber auch einen Track des großen Wadada Leo Smith, einen Ausschnitt der „Freedom Democratic Party 1964“, „Love Is The Drug“ von Bryan Ferry und „Golden Phone“ von Micachu und Musik von Johnny Cash, James Brown oder Scott Walker.So ist das alles.

01.12.2013

Tonträgerindustrie

Liebe Tonträgerindustrie! Von Gatekeepern meines Vertrauens wurden mir die neuen Alben von u.a. Troy Ave, Kelela oder Zebra Katz empfohlen. Alben, die ich mir zwar auf Spotify anhören, nicht aber z.B. als LP kaufen konnte, weil hierzulande nicht erhältlich. Hört ihr, liebe Plattenfirmen?!? Ich würde diese Alben gerne KAUFEN!!! Euer manchmal sehr altmodischer Kunde BS.

18.10.2013

Heino geht in die Hamburger Schule

Seit dem 18.Oktober geht Heino in die Hamburger
Schule. Auf der heute erschienenen, erweiterten Version seines Cover-Albums „Mit
freundlichen Grüßen“ namens „Jetzt erst recht“ singt Heino u.a. den Song „Kapitulation“
von Tocotronic.

Wäre doch auch ein prima Song für CDU- und
SPD-Granden bei ihrer nächsten Wahlparty. Oder doch eher für die Grünen? Anything goes!

15.10.2013

Autokanzlerin und BMW-Lobbyisten

Und wie wird hierzulande Politik gemacht?

Zum Beispiel so:

Am 9.Oktober 2013 haben die BMW-Anteilseigner
Johanna Quandt und ihre Kinder Stefan Quandt und Susanne Klatten der CDU laut
SPON je 230.000 Euro gespendet. Insgesamt erhielt die Partei der „Autokanzlerin“ also von der
BMW-Anteilseigner-Familie eben mal 690.000 Euro. Stefan Quandt hält laut SPON 17,4 Prozent der BMW-Anteile, Mutter
Johanna 16,7 Prozent und Susanne Klatten 12,6 Prozent.

Nur fünf Tage später, am 14.Oktober 2013, verhindert die CDU-geführte
deutsche Bundesregierung beim Treffen der EU-Umweltminister eine Einigung auf
strengere Abgasnormen für Autos in Europa. „Ziel
der Bundesregierung ist es, die Einführung neuer Richtlinien über einen
längeren Zeitraum zu strecken, wovon vor allem Oberklasse-Hersteller wie
Daimler und BMW profitieren würden. Der EU-Kompromiss sah vor, dass ab 2020
Neuwagen nur noch 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen dürften.“

„Umwelt“minister Peter Altmaier (CDU) plädierte für mehr "Flexibilität". Konkret will die
Bundesregierung erreichen, daß Elektroautos und Hybride, wie auch BMW sie baut,
mehrfach gegen den CO2-Ausstoß von Spritfahrzeugen aufgerechnet werden können.
Zudem soll die schärfere CO2-Grenze nur für einen Teil der Pkw nach dem Jahr
2020 gelten. –

Parteispende der BMW-Anteilseigner erhalten und verbucht. Mission
erfüllt. Umwelt geschadet.

Im „Handelsblatt Morning Briefing“ schreibt Herausgeber Gabor Steingart
am 15.Oktober 2013:

„Auf
Angela Merkel kann sich die Autoindustrie verlassen. Im Streit um
strengere EU-Abgaswerte setzt
sie jetzt eine Verschiebung durch.
Eine bisher unveröffentlichte Besucherliste des Kanzleramts, die unserer
Zeitung vorliegt, zeigt: Die Vorstände der Autoindustrie sitzen deutlich
häufiger auf dem grauen Stoffsofa in Merkels Amtszimmer als andere
Industrievertreter.“ Was uns nicht wundert, sondern was
wir genau so auch erwartet hatten...

15.10.2013

Kretschmanns Politikverständnis

Auch „Grünen“-Ministerpräsident Kretschmann macht auf seine ganz eigene
Art Politik: Er erklärt das von der Partei in jahrelanger Kleinarbeit
zusammengestellte und einmütig verabschiedete Wahlprogramm seiner Partei im
„Spiegel“ kurzerhand für obsolet:

„Das Wahlprogramm
ist erledigt, es ist vom Wähler abgestraft.“

So ist das heutzutage: Man macht nicht mehr Politik, man betreibt
Populismus. Man kämpft nicht mehr für Ideen und Konzepte, von denen man die
WählerInnen zu überzeugen sucht, sondern man hängt sein Fähnlein in den Wind
und orientiert sich an Umfrageergebnissen.

Und beweist nebenher noch ein eher drolliges Demokratieverständnis: Daß
nämlich immerhin 8,4 Prozent der abgegebenen Stimmen für genau das Wahlprogramm
der Grünen mit allen Steuererhöhungen für Vermögende abgegeben wurden, wird kurzerhand
vom Tisch gewischt. Die Stimmen von 3.694.057 WählerInnen sind dem
Grünen-Politiker Kretschmann völlig schnurz, diese Stimmen sind für ihn „erledigt“.

12.10.2013

Luxus-Bischof

Während der Limburger Bischof Tebartz-van Elst sich aufführt
wie ein barocker Fürstbischof.

„Ich brauche keinen
pompösen Lebensstil“, sagte der Herr Bischof nun laut SPON. Natürlich
nicht. Nur eben einen First Class-Flug, wenn er mal die Ärmsten der Armen in
Indien besucht, eine freistehende Badewanne für 15.000 Euro und diverse
Kunstwerke für 450.000 Euro in seinem Bischofssitz. Die ursprünglich auf
200.000 Euro veranschlagte Privatwohnung des Herrn Bischofs kostete laut SPON
am Ende 2,98 Millionen Euro, ohne Einrichtung wohlgemerkt. 2,98 Millionen für eine
Privatwohnung? Find ich jetzt alles andere als pompös, sondern eher gewöhnlich,
oder? Ich halte jede Wette, daß die meisten Abonnenten dieses Rundbriefs in
Gemächern hausen, die mehr als 2,98 Millionen gekostet haben.

12.10.2013

Armut in Europa lt. Rotem Kreuz

Ein Bericht des Internationalen Roten
Kreuzes malt laut „Telepolis“ ein düsteres Bild von der sich verschlechternden
Situation in Europa und fordert eine Abkehr vom Sparen. „Das IFRC (Internationale Rotkreuz- und Rothalbmond-Bewegung)
kritisiert in einem Bericht, der eben veröffentlicht wurde, die
Austeritätspolitik in Europa. Obwohl der Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise
schon fünf Jahre zurückliegt, würden immer noch Millionen Menschen in die Armut
rutschen. Europa sei mit der ‚schwersten humanitären Krise seit 60 Jahrzehnten’
konfrontiert, sagt IFRC-Generalsekretär Bekele Geleta. Es gebe eine graduelle
Verschlechterung: Millionen leben von Tag zu Tag, haben keine Ersparnisse und
keinen Puffer, um unvorhergesehene Ausgaben leisten zu können".

Zwischen 2009 und 2012 ist die Zahl
der Menschen in den 22 untersuchten europäischen Ländern, die auf
Lebensmittelversorgung durch den IFRC angewiesen sind, um 75 Prozent
angestiegen. In vielen Ländern gibt es eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, die
bis zu 60 Prozent beträgt. Die Kluft zwischen Arm und Reich hat zugenommen, in
vielen Ländern wurden sozialstaatliche Programme gekürzt. 18 Millionen Menschen
erhalten von der EU finanzierte Lebensmittelhilfen, 43 Millionen in der EU
haben nicht jeden Tag genug zu essen, 120 Millionen stehen an der Schwelle zur
Armut.

"Während andere Länder die Armut reduzieren, verstärkt Europa sie."

07.10.2013

Katholische Kirche gewährt Wiederverheirateten Sakramente

Es gibt nichts mehr auf der Welt, worauf man sich verlassen könnte.
Nicht einmal auf die katholische Kirche.

„Katholische
Kirche gewährt Wiederverheirateten Sakramente“, lese ich auf SPON. „Die Erzdiözese Freiburg lässt Geschiedene, die wieder
heiraten, zur Kommunion zu - knüpft das aber an Bedingungen.“

Bedingungen hin oder her – wie radikal! Da sind wir aber wirklich froh...

Und warten Sie ab, in noch nicht einmal 300 Jahren lassen sie dann auch
noch ihre Pfaffen heiraten, Sie werden sehen, die Katholiken schrecken einfach
vor gar nichts mehr zurück.

04.10.2013

Blog September-Rundbrief

Und wer ist Deutschlands bedeutendster Indie? Klar, das ist „Indie-Neumann“,
der Kulturminister. So sehen das zumindest die Funktionäre des VUT, des
Dachverbands der deutschen Indie-Plattenfirmen, die dem Kulturstaatsminister
soeben den „Sonderpreis“ der „VUT Indie Awards“ überreicht haben.

Doch wofür steht der CDU-Minister? Seit Jahren profiliert sich Neumann
als „Anwalt der Kreativen“, womit er jedoch
nicht etwa gesetzlich festgelegte Mindestgagen für Künstler oder Mindestlöhne
für die oft geringfügig Beschäftigten in der Kulturindustrie meint, sondern „ein Urheberrecht, das (...) den
wirtschaftlichen Erfolg absichert“ – den wirtschaftlichen Erfolg der
Verwertungsindustrie wohlgemerkt. Laut Neumann gibt es „kein Recht auf Privatkopie“ und „keinen kostenlosen Zugang zu Kulturgütern“ – Sprüche, die nur
verdeutlichen, daß er sich weniger als Staatsminister für „Kultur und Medien“,
wie sein Amt korrekt betitelt ist, denn als Minister „für Kulturindustrie und
Medienkonzerne“ versteht. Daß der VUT nun der zweite Verband nach der GEMA ist,
der dem CDU-Staatsminister einen Preis verleiht, ist eine beeindruckende Bankrotterklärung
der deutschen Indie-Musikfirmen. Die CDU-Granden grölen auf ihrer Wahlparty ein
Lied der Schlagerrockband „Tote Hosen“, und die Funktionäre der Indies kriechen
CDU-Ministern in den Hintern. Über den moralischen und politischen Zustand der deutschen
Musik-Szene sollte man sich keine Illusionen machen. World gone terribly wrong.

* * *

Sie haben es vielleicht gelesen: Auf dem Reeperbahn-Festival in Hamburg
wurde letzte Woche der "Spielstättenprogrammpreis" der Bundesregierung
und der "Initiative Musik" verteilt. Sie werden sich erinnern: Ich
fordere seit etlichen Jahren eine flächendeckende bundesweite
Spielstättenförderung für soziokulturelle Zentren und qualitätsorientierte
Konzertveranstalter. Der Betrag, ab dem so eine flächendeckende
Spielstättenförderung, wie sie Frankreich in den 80er und 90er Jahren des
letzten Jahrhunderts erfolgreich vorgemacht hat, Sinn macht, beträgt ca. 100
Millionen Euro - die man sicher über fünf oder sechs Jahre strecken könnte. Es
geht darum, die Spielstätten für Zeitkultur strukturell abzusichern statt
Almosen zu verteilen.

Doch die Mühlen bundesdeutscher Politik mahlen langsam, und wenn sie
denn nach Jahren mal zu mahlen beginnen, mahlen sie falsch. Denn statt einer
sinnvollen flächendeckenden Spielstättenförderung haben
"Indie-Neumann", also der Staatsminister für Kultur, und der
Cheflobbyist der deutschen Musikindustrie, Dieter Gorny, einen Alibi-Preis
ausgeheckt: es gibt keine wirkliche substantielle und flächendeckende
Förderung, sondern man kann einen "Preis" gewinnen - es gibt also
eine Jury, die entscheidet, an wen die Almosen verteilt werden. Und so haben
insgesamt 55 Clubs und Veranstalter nun insgesamt 870.000 Euro aus den Händen
der Initiative Musik erhalten, in drei Kategorien, 30.000, 15.000 oder 5.000
Euro - wirklich nur Almosen und wenig mehr als ein paar Tropfen auf den heißen
Stein. Aber man erwartet sich natürlich Dankbarkeit von den Almosenempfängern,
die mußten unterwürfige Dankesadressen an die edlen Almosenverteiler verfassen,
man kann das alles auf der Homepage der Initiative Musik unter
"Spielstättenprogrammpreis" nachlesen.

Das besonders Interessante ist allerdings, daß der Deutsche Bundestag ja
eine Million Euro für den Spielstättenprogrammpreis der Initiative Musik zur
Verfügung gestellt hat. Verteilt wurden aber nur 870.000 Euro. Was ist mit den
restlichen 130.000 Euro passiert, mag man sich fragen, wenn man rechnen kann
und zu recherchieren gelernt hat. Ja, was ist mit den restlichen 130.000 Euro
passiert?!? Man kann es etwas verschämt und versteckt zum Beispiel auf der
Website von "Jazz Thing" finden: "die Differenz von 130.000 Euro wurde
gebraucht, um unter anderem die Preisverleihung am 25. September im
Hamburger
Übel & Gefährlich zu finanzieren", heißt es
da.Man muß sich das auf der Zunge zergehen lassen. Da
stellt das Parlament aus unseren Steuergeldern 1 Million Euro für die
Spielstättenförderung zur Verfügung. Die Feudalherren verteilen mit großer
Geste Almosen in der Höhe von 30.000, 15.000 und 5.000 Euro an 55 ausgewählte
Clubs - aber selber schmeißen Gorny und Indie-Neumann u.a. eine Party für ein
Vielfaches dieser Summen, nämlich für 130.000 Euro, um sich selbst zu feiern
und um hübsche Fotos von sich in den Hofberichterstattungs-Postillen der
Musikindustrie zu sehen. Was für eine Bagage...

* * *

Am 30.September hatte in den USA die erste Fernsehserie Premiere, die
Live Nation Entertainment, der weltweit größte Konzertveranstalter und
Dominator des weltweiten Live-Business, produziert hat – in „Partnerschaft mit der Ford Motor Company“,
wie es im Bericht des „Wall Street Journal“ heißt – „powered by Ford Fiesta“ also.

Die Sendung „The Rider Challenge“ hat ein einfaches Prinzip. Es geht um
die Rider von Bands – man müßte präzise sagen um die „hospitality rider“ (denn
es gibt auch technical rider), also um die mitunter recht ausgefeilten und
anspruchsvollen Wünsche der Bands, was ihr Essen, ihre Getränke und ihre, ähem,
Drogenwünsche („white socks“ zum Beispiel) hinter der Bühne angeht.

Fünf eher mediokre Bands. Und sechs Teams in, genau, Ford Fiestas sind
am Start, um diese Wünsche in die Realität umzusetzen, und man darf ihnen dabei
zusehen.

Eine Fernsehsendung über die Rider von Bands wie Kid Cudi, Fitz &
The Tantrums oder The Lumineers zu sehen, dürfte allerdings ungefähr so
interessant sein, wie ausführlich die Backline der Rolling Stones zu
betrachten. Für Fans des Ford Fiesta mag das ein ausreichendes
Freizeitvergnügen darstellen, der Rest der Welt hält die neue Erfindung von
Live Nation wohl eher für eine, nun, man könnte sagen „Schnapsidee“, wenn das
nicht eine beleidigende Herabwürdigung dieses Getränkes wäre.

* * *

In der „Berliner Zeitung“ lese ich die Überschrift: „Künftig Altersgrenze bei
Wagner-Festspielen“. Schreckt man vor gar nichts mehr zurück? Erst sollen
die älteren MitbürgerInnen ihren Führerschein abgeben, und dann dürfen Sie
nicht mal mehr in Bayreuth ihren Wagner goutieren? Und dann stelle ich mir
sofort die zweite Frage: Mutige Entscheidung, wie will die Festspielleitung
denn dann künftig ihre heiligen Hallen füllen, wenn die Alten nicht mehr kommen
dürfen?

Doch gemach – die Meldung klärt auf: Bei den Bayreuther Festspielen
haben 20 Mitarbeiter in den vergangenen Jahren ihre Stelle verloren, weil sie
65 Jahre oder älter sind. Es geht also nur um die „konsequente Umsetzung der gesetzlichen Altersregelung“...

* * *

„Interpol und Deutsche
Bank,

FBI und Scotland Yard,

Flensburg und das BKA

haben unsere Daten
da.“

Kraftwerk, Computerwelt (1981)

* * *

Interessant ist übrigens, daß Angela Merkel und ihre
Minister und die 4.000 bundesdeutschen Top-Regierungsbeamten abhörsichere
Smartphones nutzen, die zwischen EUR 1.700 und EUR 2.500 pro Stück kosten, was
natürlich wir alle bezahlen. Und das, obwohl Minister Friedrich doch immer
behauptet, daß nur diejenigen Angst vor NSA- und BND-Überwachung haben müssen,
die etwas zu verbergen haben...

Aber auch bei der Abhörsicherheit gibt es eben eine
Zwei-Klassen-Gesellschaft: Diejenigen, die es sich leisten können, abhörsichere
Smartphones zu nutzen (oder die es sich von ihren Untertanen bezahlen lassen),
und diejenigen, deren mobiler Telefon- und Datenverkehr für alle, die an die
Daten wollen, offen bereit liegt.

21.09.2013

Sven Regener und PRISM

Gefunden auf „Digitale Notizen“, dem Blog von Dirk von Gehlen:

„Sven Regener war
am Samstag in der Sendung "Neugier genügt" bei WDR5 zu Besuch, um
über sein neues Buch "Magical Mystery" zu sprechen. Sabine Brandi
stellte ihn darin als “Gott des Urheberrechts”.

Sie fragte ihn
darin:

   Wie geht es Ihnen eigentlich jetzt, wo die
ganze Freiheit des Netzes vor allem die Freiheit der Geheimdienste ist?

Regener antwortet
darauf in einer Form, aus der sich auch ableiten lässt, warum die
Überwachungsmeldungen der vergangenen Wochen eigentlich kaum Folgen zeigen.
Sven Regener erklärt nämlich, dass man sich doch nicht so haben soll. Wörtlich:

   Ich würde sagen: Alle sollen sich ein
bisschen entspannen. E-Mail schreiben ist wie eine Postkarte schreiben, da kann halt der
Briefträger mitlesen. Und man    wäre ja auch enttäuscht, wenn die Geheimdienste immer
noch Briefe über Wasserdampf öffnen würden. Würde man ja auch nicht einsehen,
warum die noch   im Geschäft sind.

Vermutlich ist das
eine besonders versteckte Kritik an der Arbeit der Geheimdienste. Vielleicht
ist es aber auch nur ein trauriger Niedergang: Sven Regener, der Erfinder von
Herrn Lehmann, der Textdichter wunderbarer Element-of-Crime-Lieder hat sich
offenbar aus der Gegenwart, aus Rock’n'Roll und allem Widerständigen
verabschiedet. "Sven Regener ist ein Arschloch" schreibt 'korrupt',
bei dem ich den Link gefunden habe.“

21.09.2013

Leander Haußmann und die CDU

Und was macht Sven Regeners Kumpel Leander
Haußmann? CDU wählen:

„Ich wähle
die CDU, allein schon, um die SPD zu bestrafen. Ich zahle über die Hälfte
meines Gehalts Steuern und habe immer am Ende des Jahres ein Problem, auf
höherem Niveau. (...) Und ich muß auch sagen, daß die Kultur in CDU-regierten
Ländern gut aufgestellt ist, in SPD-regierten Ländern eben nicht. Da ich von
der Kultur komme, habe ich mich dem Christlich-Demokratischen zugewandt, zumal
ich auch kirchlich organisiert bin.“

Interessant dabei ist, daß der arme Leander
Haußmann der einzige Deutsche sein dürfte, der „über die Hälfte seines Gehalts Steuern zahlt“ (wenn wir mal davon
ausgehen, daß Haußmann sagen wollte, daß mehr als die Hälfte seines Gehalts für
Steuern drauf geht...). Denn der aktuelle Spitzensteuersatz für Jahreseinkommen
ab 250.731 Euro beträgt ja nun einmal nur 45 Prozent, und selbst wenn man den
Soli hinzurechnet, kommt man nur auf 47,5%. Für Jahreseinkommen zwischen 52.882
und 250.731 Euro beträgt der Satz 42%. Und 250.731 Euro sind jenseits dessen
schon ein beträchtliches Sümmchen Geld, und bei Selbständigen wie Leander
Haußmann gibt es ja durchaus Möglichkeiten, seine Ausgaben steuermindernd in
Abzug zu bringen, bevor er auf ein „Jahresgehalt“ von einer Viertelmillion Euro
kommt...

Und dann: wenn man schon Leander Haußmanns
wahrscheinlich bei seiner „kirchlichen Organisation“ erworbene „moralische“
Grundhaltung, daß einem der eigene Geldbeutel immer noch näher steht als die
Lage des Nächsten, des „lieben Nachbarn“, als gegeben voraussetzt – dann stellt
sich immer noch die Frage, warum Haußmann, der sich so über seine „über die
Hälfte Steuern“ erbost, die er angeblich zahlt, dann ausgerechnet „dem Christlich-Demokratischen
zuwendet“, also der Regierung, die ja seit acht Jahren für die
Regierungsgeschäfte und mithin auch für den aktuellen Steuersatz verantwortlich
zeichnet.

Logik ist also auch nicht Haußmanns Stärke.

21.09.2013

Tengelmann, KiK und Angela Merkel

Doch für die CDU ist nicht nur Leander Haußmann, sondern auch die
Familie Haub, der Tengelmann gehört: Mit einer großen Zeitungsanzeige machte
die Unternehmensgruppe Tengelmann in den letzten Tagen vor der Bundestagswahl
Stimmung für Angela Merkel.

„Im Zweifel für
die Raute. Treffen Sie Ihre Wahl!“ hieß es in der Anzeige.

Laut „SPON“ steckt
„hinter der ungewöhnlichen Aktion eine
Familiendynastie, zu der die Kaiser's-Supermärkte ebenso gehören wie die
Baumarktkette Obi und der umstrittene Textildiscounter Kik. Außerdem ist
Tengelmann an Netto, Tedi und Woolworth beteiligt.“

Die
Tengelmann-Holding gehört laut „SPON“ der Familie Haub, die allen Grund hat,
sich vor einem Regierungswechsel hin zu den Oppositionsparteien, die höhere
Steuern für Reiche fordern, zu fürchten: „Mit
einem Vermögen von 3,5 Milliarden Euro gehörte die Familie im vergangenen Jahr
laut manager magazin zu den 30 reichsten in Deutschland.“

Ein Reichtum, der
wie jeder Reichtum auf Kosten anderer erworben wurde. Die Opfer der Brandkatastrophe
in der pakistanischen Textilfabrik etwa, die für den Discounter KiK unter
hanebüchen Bedingungen Billigklamotten produziert hat, warten ein Jahr nach dem
Brand immer noch auf die von KiK zugesagte Langzeitentschädigung, wie medico
international gerade mitteilte: http://www.medico.de/presse/pressemitteilungen/opfer-warten-noch-immer-a...

Das Geld wurde
halt dazu benötigt, die Pro-Merkel-Kampagne zur Bundestagswahl zu
finanzieren...

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