Wie CTS Eventim über 280 Millionen € Corona-Hilfen von der Bundesregierung erhielt
Erinnert sich noch wer an die Corona-Hilfen? An die sogenannten November-Hilfen? An Scholzens Bazooka? Ein kleiner Long-Read.
Zum 31.10.2023, nach Antrag auf Fristverlängerung bis spätestens 31.3.2024 bzw. 15.10.2024 mussten die Unternehmen ihre Schlussabrechnungen für die erhaltenen Corona-Hilfen einreichen, also für die Überbrückungshilfen I bis IV sowie die November- und Dezemberhilfen.
Bis wann allerdings die Schlussabrechnungen vom Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium final überprüft werden und entsprechende Schlussbescheide ausgestellt werden, steht in den Sternen. Laut Aussage der beiden Ministerien „ist mit einer mehrmonatigen Bearbeitungszeit zu rechnen“. Laut „Tagesschau“ vom 30.9.2024 wurden von den Behörden bis dahin knapp 250.000 Schlussabrechnungen überprüft – von rund 860.000 eingegangenen. Es dürfte sich also eher noch um Jahre handeln – nun, zwei der Hilfen hießen zwar „November-„ bzw. „Dezemberhilfen“, aber eine Jahreszahl wurde absichtsvoll nicht genannt…
Dass diese Verzögerung gerade für kleinere Firmen durchaus ein Cashflow-Problem darstellen kann, liegt auf der Hand. Immerhin mehr als 40 Prozent der bisher geprüften Firmen haben im Zug der Abrechnung noch Geld vom Staat bekommen, für rund ein Drittel hat sich nichts geändert; nachzahlen musste etwa ein Viertel der bisher geprüften Betriebe.
Mal ein Beispiel: Mein Steuerberater hat die beiden Schlussabrechnungen im November 2023 und im Februar 2024 eingereicht. Ich habe demzufolge noch einen niedrigen fünfstelligen Betrag an Hilfen zu bekommen. Weiter ist seitdem nichts passiert, außer ein paar kleineren Nachfragen, die umgehend beantwortet wurden. Die Pandemie hat bei meiner Firma zu Verlusten in Höhe von ca. 70.000 Euro geführt. Da wäre es natürlich schön, wenn wenigstens ein kleiner Teil davon durch die Schlussabrechnungen endlich ausgeglichen werden könnte.
Doch nicht alle Firmen müssen derart lange auf die Auszahlung der Corona-Hilfen warten.
Der CTS Eventim-Konzern hat ausweislich seiner Geschäftsberichte bis einschließlich 2023 bereits Corona-Hilfen in Höhe von insgesamt etwa 284 Millionen Euro erhalten (davon allein im Jahr 2021 bereits 193,02 Mio. €). Wir erinnern uns: Nachdem etliche Monate keine Hilfen der Bundesregierung kamen und die Kulturbranche mit dem Rücken zur Wand stand, kamen Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) und Finanzminister Scholz (SPD) in ihrer unendlichen Weisheit auf die Idee, die November- und Dezemberhilfen 2020 aufgrund der vergangenen Umsätze der Unternehmen auszuzahlen. Die Unternehmen konnten wählen, ob sie dabei vom Vorjahresumsatz in den Monaten November und Dezember 2019 Gebrauch machen wollten, oder ob sie den monatlichen Durchschnitt der 12 Monate des Jahres 2019 in Anrechnung bringen wollten. In beiden Fällen erhielten sie für die beiden Monate jeweils 75% des gewählten Vorjahresumsatzes.
Alle, die nur ein klein wenig Ahnung von Wirtschaft hatten, schüttelten damals den Kopf. Den Umsatz zur Maßzahl einer Förderung zu machen, ist so ziemlich das Absurdeste, was einem einfallen kann, und deshalb völlig unüblich. Erst recht gilt das in der Konzertbranche. Denn der Umsatz der Konzertfirmen, und das gilt von Quasi-Monopolisten wie CTS Eventim bis hinunter zu einem kleinen Konzertveranstalter, ist zum größten Teil ein durchlaufender Posten: Davon werden die beträchtlichen Künstlergagen bezahlt, die ebenfalls beträchtlichen Unkosten für Gewerke, Venue-Mieten, Personal, GEMA, Energie usw. usf. So berichtet zum Beispiel CTS Eventim von einer Bruttomarge von zwischen 6,66% (2023) und 8,11% (2022) im Konzertbereich (im Gegensatz zu satten 53,31% im Ticketing – it’s the ticketing, stupid!...).
Wenn man also die Umsatzzahl eines Konzerns wie CTS Eventim als Messzahl für die Corona-Förderung heranziehen wollte, müsste man die Förderungsempfänger eigentlich verpflichten, einen guten Teil der Förderung an diejenigen weiterzuleiten, die normalerweise an den Umsätzen beteiligt wären. Also an die Musiker:innen, an die Crews, also das Personal, ohne das kein Konzert stattfinden würde, an die Gewerke. Das ist nicht geschehen, und so konnte CTS Eventim die 75% des Konzernumsatzes in den Coronajahren fast vollständig quasi als Unternehmensgewinn vereinnahmen und zum Beispiel im Jahr 2022 einen Konzerngewinn in Höhe von € 448,217 Millionen Euro verbuchen. Während Musiker:innen und Kulturarbeiter:innen in der Coronära darbten.
Der in den letzten Jahren zurecht häufig angeführte Personalnotstand – fehlende Crews, Stagehands, Security- oder Cateringleute, Ton- und Lichttechniker:innen usw. – hat wesentlich damit zu tun, dass diese meist Soloselbständigen während der Pandemie von der Branche nicht weiter finanziert wurden – obwohl diejenigen Firmen und Konzerne, die üppige Coronahilfen basierend auf ihren Umsatzzahlen erhalten haben, das ja ohne Weiteres hätten tun können. Dass damals die meisten der soloselbständig tätigen Kulturarbeiter:innen in andere Wirtschaftsbereiche abgewandert sind, in denen Festanstellungen, verbindliche Arbeitszeiten und Urlaubsregelungen gelten, ist ein hausgemachtes Problem. Und wenn die Kultur- und Finanzpolitiker:innen egal welcher Couleur auch nur ein klein wenig Ahnung von der Realität der Konzertbranche hätten, hätten sie ihre Corona-Hilfen entsprechend an Bedingungen knüpfen können, die weniger den Großkonzernen und mehr den Musiker:innen und Kulturarbeiter:innen geholfen hätten.
(Randbemerkung: Der weltgrößte Konzertkonzern Live Nation hat während der Pandemie freiwillig ein 10 Millionen Dollar schweres Hilfsprogramm zugunsten der Kulturarbeiter:innen aufgelegt, das sogenannte „Crew Nation“; weitere 10 Mio. $ wurden von Künstler:innen, Fans und Mitarbeiter:innen durch Spenden aufgebracht. Von den deutschen Live-Großkonzernen ist kein derartiges Hilfsprogramm bekannt, obwohl sie im Gegensatz zu den USA Hunderte von Millionen Euro als Hilfen erhalten haben.)
Die spannende Frage ist natürlich: Wie kam es zu diesen Umsatz-basierten Corona-Hilfen?
Jeder, der oder die während der Pandemie in einem oder mehreren der zahlreichen Gremien mitgearbeitet hat, die seinerzeit versucht haben, Politik und Öffentlichkeit über die Nöte der Musiker:innen und der Konzertbranche aufzuklären, weiß, wie schwierig das in der Realität war. Es gab nur wenige Politiker:innen, denen die Situation nach dem Lockdown sofort klar war, allen voran der damalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer. Wenig später kamen auch Hamburg und NRW hinzu, danach weitere Bundesländer. Aber die meisten Politiker:innen musste man zum Jagen tragen, und monatelang passierte im Grunde nichts.
Dann kamen jedoch im Oktober Gerüchte auf, gestreut vornehmlich von Branchenmenschen, von denen man wusste, dass sie mit der SPD gut vernetzt waren. Da werde bald etwas passieren, hieß es, man solle nur abwarten, bald werde es eine große und veritable Rettungsaktion geben. Und so kam es dann ja auch, siehe oben, die Bazooka, die November- und Dezemberhilfen. Im Grunde wirtschaftlich idiotische Maßnahmen, aber da vorher so gut wie nichts passiert war, konnten diese Hilfen die Branche quasi im letzten Moment retten (und auch meine Firma profitierte davon).
Blieb aber das Rätsel, wie der Stimmungsumbruch in der Bundespolitik zustande gekommen war. Das Rätsel dürfte aber nun dank Folkert Koopmans, CEO von FKP Scorpio, gelüftet worden sein: Es war Stephan Thanscheidt (mittlerweile ebenfalls CEO von FKP Scorpio), der in engem Austausch mit führenden SPD-Politikern für diese Hilfsprogramme gesorgt hat. So berichtet Koopmans jedenfalls im Branchenmagazin „iq-mag“ im Rahmen eines großen Thanscheidt-Porträts.
(Quelle: IQ Magazine 3.10.2023)
Danach ist eine der „großen Stärken“ Thanscheidts, dass er sehr gut mit Regierungen und Verwaltungen („authorities“) und Politikern umgehen kann.
„Stephan knows people like Wolfgang Schmidt who is like the right-hand man to Olaf Scholz.” Und so habe Thanscheidt während der Pandemie „eng mit der deutschen Regierung zusammengearbeitet und ihr geholfen, viele der Gesundheitsprogramme zu entwickeln, und Ratschläge gegeben, wie es zu machen war“ („gave them advice on how to do it“). „Er war sehr daran beteiligt, und ich weiß, dass er der gesamten Konzertbranche Deutschlands geholfen hat“, so Koopmans über Thanscheidt.
Und Thanscheidt ergänzt: „I was part of all the health programmes, money-wise, which were rolled out to different parts of the [music] industry in Germany. It is my responsibility to fight on behalf of our industry for better support or whatever we need, on the local level in the different federal states and with the federal government in Berlin.”
(Folkert Koopmans über Stephan Thanscheidt, IQ Magazine, 3.10.2023)
Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Nach allem, was ich weiß, ist Stephan Thanscheidt ein sehr okayer Typ und zudem ein ausgewiesener Musik-Aficionado (was in der Konzertbranche auf dem Level beileibe nicht mehr selbstverständlich ist). Und dass er seinen Einfluss und sein Netzwerk bis hin zu Olaf Scholz nutzt, um für die Konzertbranche Verbesserungen zu erreichen, ist absolut anerkennenswert.
Aber wenn Folkert Koopmans erklärt, dass sein CEO-Kollege „der gesamten Konzertbranche Deutschlands geholfen hat“, dann darf doch darauf hingewiesen werden, dass keine deutsche Konzertfirma von diesen Hilfen so sehr profitiert hat wie der CTS Eventim-Konzern. Zu dem mittels einer Mehrheitsbeteiligung auch die FKP Scorpio Konzertproduktion GmbH gehört.
Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…