29.06.2017

Und erneut: Zerschlagung der Volksbühne. Zukunft des Ensembletheaters. Und Klein-Pupsendorf.

Es mag für Menschen außerhalb Berlins so wirken, als ob wir nichts Anderes zu tun hätten, als über die Zerschlagung von Berlins möglicherweise bestem (Schaubühne hin, Maxim Gorki und Deutsches Theater her), auf jeden Fall aber wichtigstem Theater, also der Volksbühne, durch sozialdemokratische Provinzpolitiker zu debattieren.
Aber es geht eben beim Fall der Volksbühne um etliches mehr: Es geht um das, was Theater, was die Künste in unserer Gesellschaft bedeuten sollen (und wollen). Heiner Müller hat zu Beginn von Castorffs Volksbühnen-Intendanz geschrieben: „Theater, denen es nicht mehr gelingt, die Frage ‚Was soll das?’ zu provozieren, werden mit Recht geschlossen.“ Und in diesem Sinn würden einem viele Theater landauf landab einfallen, die mit Recht geschlossen werden könnten, aber die Volksbühne sicher zuletzt. Und ja, ich höre schon den Einwand: Aber sie wird doch gar nicht geschlossen! Dercon und sein Team machen doch weiter... Aber das ist eben falsch, Dercon macht nicht weiter. Die Volksbühne „wurde aus politischen Gründen zerschlagen, aber letztlich auch aus sozialen Gründen, weil wir es nicht akzeptiert haben, daß es arme und reiche Leute gibt“ (Frank Castorff). Und zerschlagen wurde mit der Volksbühne, und das ist doppelt bitter, ja ein Theater, das „seit seinem Entstehen aus dem Arbeitergroschen ein politisches Theater, ein Arbeitertheater, ein Entwurf gegen das bürgerliche Theater“ war (Jürgen Kuttner). „Seit 127 Jahren – mit Ausnahme der Nazizeit – war die Volksbühne ein Theater mit Ensemble und Repertoire, das heißt, sie hatte ein klares inhaltliches und strukturelles Programm, feste Verträge mit Schauspielern, Technikern und so weiter. Die Volksbühne hat sich mit den Positionen der Gegenwart kompetent auseinandergesetzt. Ein Programm, das ein gewisses Pflichtbewusstsein hatte, zudem immer erkundend und revolutionär war und wo auch Mischformen ausprobiert werden konnten. Aber eben ohne die Form des Theaters aufzulösen.“ (Kuttner)

Das, was Dercon, Piekenbrock und Konsorten da jetzt spielen werden, ist ein falsches Spiel, mit drei Millionen Sonderbudget haben sie ein erbärmliches postmodernes Potpourri aus Performance, Popmusik, Youtube-Filmchen und dem Ankauf von Fremdproduktionen zusammengestellt, das an Belanglosigkeit und Pupsigkeit kaum zu unterbieten sein dürfte und selbst im Stadttheater von Kleinpupsendorf durchfallen würde.
Aber das ist genau das, worum es geht: Um die Zukunft des Sprechtheaters hierzulande (Dercon dazu, 2016: „Sprechen kann ich selber.“ Theater spielen allem Anschein nach auch...). Soll es weiterhin ein Ensemble- und Repertoire-Theater in Berlin und in dieser Republik geben? Ein Theater, das mit all seinen Mitteln (und ja, dazu gehören auch Filme, dazu gehört auch Musik usw., das muß man an der Volksbühne, wo Brecht vor zig Jahrzehnten als erster überhaupt am Theater Filme eingesetzt hat, wirklich niemanden erklären) die Konflikte öffentlich austrägt, die in der Gesellschaft vorhanden sind. „Ich glaube, es ist wichtig, wieder zu wissen, daß es einen Unterschied zwischen arm und reich gibt, und daß Arme und Reiche nicht die gleichen Interessen haben“, stellt Frank Castorff in einem großen und sehr lesenswerten „Tip“-Interview mit Peter Laudenbach fest. Kaum vorstellbar, daß Dercon dieses Thema überhaupt registriert hat...
Und signifikant, daß dank Dercon ausgerechnet der „Tagesspiegel“, von Berliner*innen gerne „Tagesspitzel“ genannt und von Jürgen Kuttner als „Spandauer Volksblatt“ bezeichnet, neuer „Medienpartner“ der Volksbühne wird. Also die einzige Berliner Tageszeitung, die massiv hinter der Berufung Dercons an die Volksbühne steht und jedes denkbare publizistische Geleitgeschütz zu Dercons Übernahme der Volksbühne aufgefahren hat...

(Ergänzung, 20.9.2017:
Die Volksbühne betont jetzt, daß der "Tagesspiegel" nicht "Medienpartner" der Volksbühne sei (im Gegensatz zu "Monopol", "taz", "Zitty" oder "RBB").
Bei der Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus am 26. Juni 2017 hat Herr Dercon allerdings noch höchstselbst verkündet: "Wir haben auch Medienpartner gewonnen wie den „Tagesspiegel“, RBB, „Zitty“, „Exberliner“, „Siegessäule“, und wie gesagt, wir haben Ko- produzenten wie ARTE.")

Aber gut, vielleicht sollten wir einfach optimistisch bleiben. „Mal sehen, ob Dercon mit seinen eingekauften Gastspielen länger als zwei Spielzeiten durchhält und wie lange es sich Kultursenator Lederer leisten kann, tatenlos zuzusehen, wie unter Dercon für sehr viel Geld sehr wenig Theater produziert werden wird.“ (Peter Laudenbach) Geben wir dem neuen König Oberpups von Pupsendorf ein Jahr, vielleicht auch zwei. Dann wird sich das erledigt haben. Und dann beginnt eine dringend nötige inhaltlich Diskussion, welches Theater diese Stadt benötigt. Und welche Konflikte dort auf die Bühne kommen, und wie.