08.09.2025

Social Media in der Konzertbranche

Ein paar Worte zum Thema „Social Media“ aus Sicht der Musikschaffenden.
Das sehr ehrenwerte „Tonspion“-Magazin hat sich entschlossen, seinen Facebook-Kanal zu schließen, sobald ein Großteil der Follower, nämlich 30.000, den wöchentlichen Rundbrief „Tonspion Update“ abonniert hat und so „direkt und ohne Umwege erreicht werden“ kann.
 
Das Problem an Social Media-Kanälen wie Facebook ist in der Öffentlichkeit wenig, allen Musikschaffenden jedoch wohl bekannt, Medien ebenso wie Musiker:innen, Veranstalter:innen wie Labels oder Agenturen: So gut wie niemand sieht die Beiträge, die dort veröffentlicht werden. Es sei denn, man bezahlt Facebook dafür, die Beiträge tatsächlich an die Follower:innen auszuspielen.
 
Die Grundidee von Social Media war (vielleicht?) mal, dass Leute einen bestimmten Kanal abonnieren und die dort veröffentlichen Posts eingespielt bekommen. Also eine Form von Vernetzung. Doch das ist längst ein Fake. Nur, wer seine Posts mit einer Facebook-Anzeige kombiniert, kann sicher sein, dass die Posts auch tatsächlich an die Follower:innen verschickt werden.
 
Der „Tonspion“ kommentiert:
„Wir arbeiten derzeit also dreifach für Facebook: wir alle bestücken die Plattform mit unseren Inhalten, holen unsere Nutzer auf unser Facebook-Profil und zahlen am Ende auch noch dafür Geld, um dieses ganze perfide System am Leben zu halten.“
 
Es ist ein Allgemeinplatz, dass „Social Media“ alles andere als „social“ ist.
Aber warum machen wir alle mit und sorgen dafür, dass die Herren Zuckerberg, Musk & Co. dank unserer Arbeit noch reicher werden? Und im Fall Meta/Zuckerberg kommt noch hinzu, dass die Nutzerdaten auf allen Plattformen abgesaugt werden, ob auf der Fressenkladde, auf Instagram oder auf WhatsApp – gerne auch ohne der Zustimmung der Betroffenen, denn wer sich zum Beispiel auf Insta oder WhatsApp anmeldet, wird ja aufgefordert, dem Konzern die eigenen Kontakte zur Verfügung zu stellen, was die meisten Nutzer:innen auch bereitwillig tun – natürlich, ohne diese Kontakte zu fragen, was datenschutzrechtlich notwendig wäre. Facebook sammelt, analysiert und verkauft persönliche Informationen und verdient damit pro Nutzer laut „Tonspion“ durchschnittlich 5 Euro im Monat durch personalisierte Werbung – „was für ein unglaubliches Geschäft bei 3 Milliarden Nutzern“.
 
Wie sieht es in der Praxis für Musik-Social Media aus?
In Deutschland tummeln sich meiner Erfahrung nach die meisten Fans der Musik meiner Konzerte tatsächlich auf Facebook herum. Das ist kein Zufall: Laut der offiziellen Nutzerzahlen in Deutschland hat Facebook zum Beispiel bei der Altersgruppe 30-49 Jahre einen Nutzeranteil von 51 Prozent. Zwar hat Instagram Facebook 2024/25 erstmals bei der täglichen Nutzung überholt, aber das geschieht hauptsächlich durch Jüngere: In der Altersgruppe 14-29 Jahre hat Instagram einen Nutzeranteil von 82 Prozent (und TikTok hat in dieser Altersgruppe auch doppelt so viele Nutzer:innen wie Facebook).
TikTok führt übrigens bei der monatlichen Nutzungsdauer (sage und schreibe 34 Std. 51 Min.), Facebook kommt auf 11 Std. 06 Min. monatlich, Instagram auf 10 Std. 22 Min.
 
So löblich der Exit „Tonspions“ von Facebook politisch ist – wer eine wie auch immer geartete Musikbude auf dem Markt hat und nicht hart daran arbeitet, Rundbrief-Abonnent:innen zu gewinnen, wird es sich kaum leisten können, auf Facebook (oder mit einem anderen Musikprogramm als diese Agentur: auf Insta oder auf TikTok) zu verzichten. Denn letztlich leben wir ja davon, dass möglichst viele Menschen davon erfahren, welche Konzerte wir anbieten…
 
Das ist auch der Grund, warum ich weiter meine Tourneen mit bezahlten Anzeigen auf Facebook ankündigen werde, wo ich sonst allerdings nicht aktiv bin (von Freundschaftsanfragen bitte ich abzusehen – ich will keine Facebook-Freunde haben, sondern nur echte, im richtigen Leben…).
 
Am Rand: Die Social Media-Aktivitäten sind je nach Land auch recht unterschiedlich. UK-Firmen (Labels, Agenturen) und Musiker:innen fragen mich immer wieder nach meinen Promo-Budgets für Anzeigen auf X (ehemals Twitter). Im Königreich ist X bei der Musik-Promotion wesentlich wichtiger als Facebook, also genau andersherum als hierzulande: Wenn ich eine Tour zum Beispiel von Patti Smith auf Facebook ankündige, habe ich nach drei Tagen zirka 1.200 Nutzer:innen-Reaktionen (also Likes, Kommentare, Weiterleitungen), bei Twitter vielleicht 20 – und bei Bluesky übrigens in aller Regel: null.
So sympathisch das Bluesky-Konzept anmuten mag, wonach Bluesky aufgrund seiner technischen Eigenschaften niemals von Einzelnen monopolisiert werden kann (siehe hier ein Snippet von Jay Grabers SXSW-Vortrag zum Thema „Have control over your experience“; der komplette Vortrag ist auch auf YouTube zu finden) – in der Praxis hält Bluesky den Notwendigkeiten halt einfach nicht stand.
Ich saß übrigens bei der SXSW in Austin diesen März im Publikum, als Bluesky-CEO Jay Graber mit ihrem „Mundus sine Caesaribus“-T-Shirt Meta-Chef Zuckerberg kräftig einen aufs Maul gab: „Eine Welt ohne Caesaren“…

Gut gebrüllt, Löwin! Aber in der Praxis ist Bluesky zumindest im deutschsprachigen Gebiet und erst recht für Musikfans leider komplett zu vernachlässigen.
Und solange das Auschwitz-Memorial, Lafargue, jede Menge progressiver Journalist:innen, der BoschBot, Miley Cyrus, David Grubbs, Bob Dylan, James Blake, DEVO, William Kentridge, Bernie Sanders, Gary Lineker, die Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, T.C. Boyle, The Wire, Staatsakt, Yann LeCun, Little Simz, Chuang, Music and the Holocaust, das Institut für Textkritik, Don Winslow und Philip Glass (to name just very few) auf X zu finden sind, werdet ihr dort hin und wieder auch von yours truly lesen können (@BertholdSeliger).
 
Vor allem setze ich aber auf die direkte Kommunikation mit euch, den geschätzten Leserinnen und Lesern dieses Blogs, und den Abonnentinnen und Abonnenten meines Rundbriefs. Vielen Dank dafür! Bitte bleibt mir gewogen…
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