Popjournalisten, Spotify und Kriegsgerät
Die meisten deutschen Popjournalisten (hier kann man möglicherweise aufs Gendern verzichten) sind ausgewiesene Streaming-Hasser. Möglicherweise, weil die Demokratisierung von Musik durch die Streamingdienste (bei Spotify sind zum Beispiel über 80 Millionen Songs und Musikstücke einen Fingertipp entfernt und stehen jederzeit zur Verfügung – deutsche Popjournalist:innen nennen so etwas gerne „Monokultur“…) ihnen ihre geliebte Rolle als Gatekeeper zerstört hat.
Im letzten Winter waren die Pop-Enthüllungsjournalisten dann etwas ganz Großem auf der Spur: Ihr Lieblingsgegner Spotify als Teil der Rüstungsindustrie! Firmengründer Daniel Ek soll, so meldete der Popchef der „taz“, „100 Millionen Euro in die Münchner Deeptech-Firma Helsing stecken“, deren „drei Gründer es sich zum Ziel gemacht haben, militärische KI voranzubringen“. Und in seiner Verzweiflung ruft der Popmann von der „taz“ nach – Friedrich Kittler! Den er leider auch nicht verstanden hat: Der Philosoph, so behauptet der „taz“-Mann, „legte vor langer Zeit dar, dass in der Popmusik gebräuchliche Instrumente wie Synthesizer und Vocoder ‚Missbrauch von Heeresgerät‘“ seien.
Nun, Kittler sagte etwas anderes, nämlich: „Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Mißbrauch von Heeresgerät.“ (GFT 149) Ein bemerkenswerter und viel weitergehender Satz.
Jens Balzer, im Gegensatz zum „taz“-Pop-Mann einer der besten und wichtigsten Pop-Journalist:innen hierzulande, kommt in der „Zeit“ ohne Kittler aus, stößt aber ins nämliche Horn: „Immerhin weiß man, wohin das Geld geht, das der Konzerngründer Daniel Ek verdient: Er hat gerade erst über 100 Millionen Dollar in ein Start-up investiert, das künstliche Intelligenz für Militärtechnik entwickelt.“
Interessant ist dabei, dass Jens Balzer ja regelmäßig in Axel Springers „Rolling Stone“ schreibt, wo er auch eine feste Kolumne hat – und die Mehrheit am Axel Springer SE-Konzern hat im Jahr 2020 die Investmentgesellschaft KKR übernommen, ein über 4,2 Milliarden US-$ schwerer Private Equity-Konzern, der Vermögenswerte in Höhe von mehr als 230 Milliarden US-$ verwaltet und etwa in Medien investiert. In Deutschland zum Beispiel in das Marktforschungsinstitut GfK, in Günter Jauchs Produktionsgesellschaft i&u TV oder eben in Axel Springer SE. Außerdem ist KKR 2021 eine Allianz mit BMG zum Erwerb von Musikrechten eingegangen (wie praktisch, dass KKR sozusagen die ganze Verwertungskette bespielt: Man erwirbt Musikrechte, besitzt Medien, die diese Musik verbreiten, und man hat auch noch das Marktforschungsinstitut im Portfolio, das nicht nur die Einschaltquoten, sondern auch die „Offiziellen Deutschen Charts“ ermittelt).
Und: KKR ist natürlich auch im Rüstungsgeschäft tätig, zum Portfolio gehört Hensoldt, die Verteidigungselektronik-Sparte der Airbus Group.
Wenn man böswillig wäre oder so vereinfachen wollte, wie „taz“ und „Zeit“ das in Sachen Spotify tun, könnte man behaupten: Jens Balzer schreibt für einen Rüstungskonzern!
Jedenfalls: Die subkutane Botschaft, die in „taz“ und „Zeit“ verbreitet wird, lautet: Wer Spotify hört, hilft dem Militär, sorgt für Investitionen in Militärtechnik – an jedem auf Spotify gehörten Song klebt Blut!
Allerdings fragt man sich, ob diese Message nicht irgendwie schlecht gealtert ist – gerade die „taz“ tut sich ja in den letzten Monaten als Bellizismus-Blatt hervor, wie überhaupt weite Teile des deutschen Kriegs-Feuilletons. Plötzlich ist Militärtechnik wieder gefragt und etwas Gutes…