12.06.2016

Plattenfirmen sind Faxgeräte. Und Chance the Rapper

Plattenfirmen sind wie Faxgeräte. Ein Relikt vergangener Zeiten. Der eine oder die andere verwenden solche altmodischen Geräte noch, in dem einen oder anderen Büro stehen sie im Hinterzimmer noch mehr oder minder unbenutzt herum, aber im Grunde sind sie überflüssig, weil sich die Welt eben weiterentwickelt hat. Die Produktionsbedingungen haben sich drastisch zugunsten der Künstler verändert (viele haben das allerdings noch nicht mitbekommen, oder wollen davon nichts wissen...), die Vertriebsmöglichkeiten unabhängig hergestellter Musik sind vielfältig und effektiv: Streaming, das Netz, Verkauf über Homepage usw. Im Grunde gibt es für Künstler keine Notwendigkeit mehr, auf Faxgeräte, Verzeihung: auf Plattenfirmen zurückzugreifen – es sei denn, diese früheren Plattenfirmen sind modern aufgestellt, wie es zum Beispiel immer mehr Indie-Plattenfirmen sind, aber auch größere Firmen wie Kobalt oder BMG: Diese Firmen bieten einen umfassenden Service für die Künstler zu fairen Bedingungen, ohne die Künstler zu Knebelverträgen zu drängen, ohne endlose Rechte an deren Werken zu erwerben, und ohne ihnen den Großteil der Einkünfte vorzuenthalten. Traditionelle Plattenfirmen, also z.B. sämtliche Großkonzerne der Tonträgerindustrie, behalten immer noch 70 Prozent und mehr von allen Einnahmen für sich und sitzen auf Rechten an den Stücken ihrer Künstler.

Natürlich sind es vor allem die amerikanischen Hiphop-Künstler*innen, die sich den traditionellen Deals mit Mittelsmännern verweigern; gerade bei den afroamerikanischen Musiker*innen gibt es aus naheliegenden Gründen ein feines Gespür für Ausbeutung, und naturgemäß nutzen sie die Chance, sich diesem Geschäftsmodell zu verweigern (während es die langweiligen weißen Sängerinnen sind, die bei den großen Faxgeräten 116 Millionen für einen Faxgeräte-Vertrag alter Ordnung absahnen...).

Jüngstes Beispiel: Chance the Rapper, einer der wichtigsten Künstler unserer Tage. Der verschenkt sein neues Album (das er „Mixtape“ nennt) „Coloring Book“ wie schon seine bisherigen Alben. „Coloring Book“ ist kostenlos auf Soundcloud und den einschlägigen Streamingdiensten von Spotify bis Apple Music zu hören. „Coloring Book“ ist dabei das erste Album, das es ausschließlich durch seine Abrufe bei Streamingdiensten in die US-Charts geschafft hat, auf Platz 8! So einen erfolgreichen Künstler wollen die Faxgeräte natürlich gerne unter Vertrag nehmen. Doch Chance the Rapper bleibt der Prototyp des modernen Musikers und verweigert sich den Verträgen mit den Faxgeräten. „I don’t make songs for free, I make them for freedom“, erklärt der Rapper und verdient sein Geld weiterhin ausschließlich durch Konzerte und durch den Verkauf von Merchandising-Artikeln. Und wenn die Bosse der Plattenfirmen ihm weiterhin auf den Keks gehen, ihn weiter bedrängen sollten, droht er ihnen (im zweiten Song seines tollen Albums, „No problem“) auch schon mal an, ein paar Freunde vorbeizuschicken. Und mit diesen Freunden sind sicher nicht all diejenigen gemeint, die auf seinem neuen Album mitwirken: Von Kanye West über Lil Wayne, Future, Christina Love, Lil Yachty bis hin zu, ja, Justin Bieber...

Große Kunst. Großer Künstler. Ade, ihr Faxgeräte, you’re a thing of the past!