16.08.2018

Neo-Klassik beim Berliner Pop-Kultur-Festival - alter Wein in mittelneuen Schläuchen

16.August 2018

Liebes Berliner Pop-Kultur-Festival,

gestern Abend habe ich dein „Commissioned Work“ von Henrik Schwarz & Alma Quartet namens „Plunderphonia“ gehört und gesehen. Im Programmbuch hast du versucht klarzustellen, daß diese Auftragsarbeit keine „Neo-Klassik“ sei, weil das für dich „einer der schlimmsten Ausdrücke der jüngeren Musikgeschichte“ sei. Nun ja, ich finde ja ehrlich gesagt, daß nicht der Ausdruck „Neo-Klassik“ das schlimmste ist, sondern die Musik, die sich dahinter verbirgt, aber wollen wir mal nicht kleinlich sein, vielleicht hast du einfach nicht sagen können, was du sagen wolltest.

Angeblich soll „Plunderphonia“ das „Ergebnis einer intensiven Beschäftigung mit einigen der aufwühlendsten und mitreißendsten Streichquartette der letzten Jahrhunderte“ sein. Die „interessantesten Stellen“ hat Henrik Schwarz „geplündert“, also „gesampelt, um sie dann wieder in Notenform zu überführen“. Mal abgesehen davon, daß dieser Halbsatz ausgesprochener Bullshit ist – aber zu hören waren gestern: ein paar Stellen aus Streichquartetten unter anderem von Bartók, Glass, Part, Barber (die Streichquartette der drei letztgenannten als „mitreißend“ zu bezeichnen, ist schon eine besondere Form von Inkompetenz, ihre Qualität liegt ganz woanders... auf einem meiner Berlin-Konzerte vor ein paar Jahren hat das Kronos Quartet Werke von Philip Glass zusammen mit dem Komponisten aufgeführt, hättet ihr euch mal ansehen sollen, vielleicht hättet ihr was verstanden, vielleicht auch nicht...), Schubert, Schostakowitsch und anderen – leider nur ein paar Stellen, und nicht das, worauf es in der Musik eigentlich ankommt, nämlich wie die Musik zu diesen Stellen gelangt ist, die Entwicklung dahin. Und wann immer es pathetisch wurde, kamen von den Keyboards dräuende Bass-Sounds hinzu, ganz wie im schlechten Kino, wenn die Wirkung, der man nicht traut, noch künstlich verstärkt werden muß – der erhobene musikalische Zeigefinger gewissermaßen. Und im Hintergrund waren vier Leuchtreklamen zu sehen, auf denen hin und wieder, man möchte allem Anschein doch Hochkultur sein, die Namen der geplünderten Komponisten aufschien.

Es war „Neo-Klassik“ der übelsten Sorte. Eine plumpe Vereinfachung raffinierter Kompositionen. Ehrlich gesagt hatte ich gehofft, daß Henrik Schwarz wirklich Stücke aus den Streichquartetten sampeln würde, in der Art, wie im US-Hip-Hop zum Beispiel klassische Soulmusik gesampelt wird. Daraus hätte in Verbindung mit Schwarz’ House- und DJ-Erfahrung etwas ganz Eigenes entstehen können – ob das was getaugt oder ob es mir gefallen hätte? Keine Ahnung. Es wäre aber wirklich ein interessanter Versuch gewesen. So bliebs bei einem plumpen, nichtssagenden Versuch der Aneignung klassischer Appetithäppchen um des kleinen Distinktionsvorteils willen. Traurig. „Neu ist, wenn es unerhört ist, und das im wahrsten Sinne des Wortes“, begründet ihr eure „Commissioned Works“. „Plunderphonia“ war das Gegenteil davon – alter Wein in mittelneuen Schläuchen, abgestanden und alles andere als „genuin neue Musik“.

Wie schön wäre es gewesen, statt dieses aufgequirlten Schmarrns ein komplettes Streichquartett von Bartók oder Schostakowitsch oder Glass zu hören. Ohne jedes Beiwerk, vielleicht mit zwei, drei Sätzen zur Einführung, warum derartige Musik zwar nicht Teil von „Popkultur“ ist, aber dennoch sehr wichtig, sehr einzigartig und, ja, sehr schön. Das wäre dann wirklich ein Beitrag zur Überwindung von E- und U-Musik gewesen, die ihr euch doch auf die Fahnen geschrieben habt, wenn ich die Reden zur Eröffnungsveranstaltung richtig verstanden habe. So habt ihr nur bewiesen, daß ihr die sogenannte „klassische“ Musik nur akzeptiert, wenn sie popistisch angeeignet und verbrämt wird. Daß dafür Staatskohle ausgegeben wird, ist einfach nur ärgerlich.