13.04.2018

Kontrollgesellschaft: Bands machen Fans glücklich, indem sie ihnen während der Konzerte die Smartphones sperren

Der Schlaf der Vernunft gebiert bekanntlich Ungeheuer. Was aber würde Goya zum Thema machen, lebte er heute? Jedenfalls, die Existenz sogenannter Smartphones gebiert neue Geschäftsmodelle, auch im Konzertgeschäft: Nämlich das Wegsperren von Smartphones während Konzerten.

Yours truly hat im April 2012 geschrieben:
„Eigentlich bin ich kein Kulturpessimist, aber ich denke, man kann festhalten, daß die Kulturtechnik ‚mal eine Stunde seine Klappe halten und einem Künstler zuhören, der auf der Bühne ein Konzert gibt’, im Aussterben begriffen ist. Heutzutage sind die Konzerte voll von Menschen, die wohl unter von Smartphones und Facebooks vage übertünchten Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störungen leiden – man besucht leise Singer-Songwriter- oder Indiefolk-Konzerte, kann aber nicht zuhören und auch weder stillstehen noch stillsitzen, alles, was man gerade denkt, muß dahergeplappert und auf Facebook gepostet werden. Rätselhaft, warum Leute 15 Euro Eintritt bezahlen, um doch nur zu quatschen oder zu telefonieren oder zu fotografieren. Wo ist hier der „I don’t like“-Button?!?
(...und übrigens: wenn ihr dann alle mal ausgeplappert und all eure banalen Gedanken auf Facebook gepostet habt, werdet ihr feststellen, daß man soziale Netzwerke nicht essen und Facebook-Freunde nicht in den Arm nehmen kann...)“

Vor zwei Jahren hat Jack White versucht, das unsägliche Fotografiere und Gepos(t)e mit Smartphones während seiner Konzerte einzudämmen, indem er seine Fans aufforderte, die Telefone in die Tasche zu stecken und sich auf das Konzertergebnis zu konzentrieren, statt schlechte Mitschnitte zu posten. Gleichzeitig stellte er auf seiner Homepage kostenlos Konzertfotos sehr guter Qualität zur Verfügung. Bei dem Berlin-Konzert, das ich sah, klappte das eigentlich ganz gut, und fast alle Fans ließen ihre Smartphones Smartphones sein.
Aber offensichtlich funktionierte das Ganze nicht wirklich verläßlich und dauerhaft, die Sogwirkung des Smartphones in der Tasche scheint einfach zu groß. Denn jetzt bedient sich auch Jack White, neben Künstlern wie Alicia Keys, Guns N Roses, The Lumineers oder Dave Chappelle, eines neuen Geschäftsmodells: Den Fans wird nicht mehr erlaubt, ihre Smartphones im Konzertsaal zu nutzen. Und das funktioniert so: beim Eintritt müssen alle Besucher*innen ihre Telefone in einen abschließbaren Beutel packen, der von den Veranstaltern in drei Größen angeboten wird und an eine Laptop-Hülle erinnert. Diese Hülle verunmöglicht die Nutzung des Telefons, man kann weder telefonieren, noch Fotos machen, noch Songs mitschneiden oder sonst etwas. Außerhalb des Konzertsaals gibt es Zonen, in denen die Smartphones freigeschaltet, also wieder genutzt werden können.
Das Geschäftsmodell wurde vom Startup Yondr aus San Francisco entwickelt und wird in den USA bereits von etlichen Musiker*innen und Bands genutzt, ist neuerdings aber auch in Europa auf dem Vormarsch und wird in aller Regel von den Merchandise-Firmen gehändelt, die sowieso mit den Bands auf Tour sind und die sich über ein Zusatzgeschäft freuen können.

Ach ja, und interessant ist, was mir einige der Leute, die den Fans die Smartphone-Pouches verpassen, berichtet haben: Von den meisten Fans wird das alles zunächst etwas widerwillig mitgemacht, aber nach dem Konzert gibt es nicht wenige, die sich bedanken, wenn sie ihr Telefon wieder entsperren lassen: „So habe ich ein Konzert noch gar nicht erlebt, so intensiv und ohne Smartphone! Toll!“, sagen die Leute dem Vernehmen nach.

Was das alles philosophisch und soziologisch bedeutet, können Sie bei Deleuze und Foucault nachlesen, unter dem Stichwort „Kontrollgesellschaft“: Kontrolle ist der Name, den Burroughs vorschlägt, um das neue Monster zu bezeichnen, in dem Foucault unsere nahe Zukunft erkennt“, schreibt Deleuze und benennt „die ultra-schnellen Kontrollformen mit freiheitlichem Aussehen, die die alten – noch innerhalb der Dauer eines geschlossenen Systems operierenden – Disziplinierungen ersetzen.“