03.08.2023

Fachkräftemangel, Mindestlohn, Ausbeutung

Es ist eine Weisheit der Marke Binsen: Im Konzertbereich besteht ein gigantischer Fachkräftemangel.
Und das gilt, Überraschung!, vor allem für die bisher denkbar schlecht bezahlten Arbeiter:innen, all die Stagehands, Roadies, Techs, Security- und Cateringkräfte, Aufbauhelfer:innen, also all die, die für das Gelingen eines Konzerts essentiell sind, die aber nicht im Licht stehen, sondern im Dunkel hinter den Bühnen und die man bisher kaum je wahrgenommen hat. Doch viele dieser Arbeitskräfte haben während der CoronÄra festgestellt, dass sie anderswo besser bezahlt werden, auch während Urlaubszeiten oder an Wochenenden, dass sie dort in aller Regel mehr soziale Sicherheit genießen (die Segnungen einer Festanstellung statt des „Auf Zuruf“-Geschäfts im Konzertgeschäft) und geregelte Arbeitszeiten haben. Die meisten dieser Arbeiter:innen wird nicht mehr in die Konzertwirtschaft zurückkehren, und wer wollte es ihnen verdenken.
Die Reaktion vieler Veranstalter und Dienstleistungs-Firmen lässt tief blicken: Sie wollen ihre freien Mitarbeiter:innen gerne weiterhin schlecht bezahlen. In Gremien der Veranstaltungswirtschaft war in den letzten Monaten immer wieder zu hören: Es muss Ausnahmeregelungen in Sachen Mindestlohn geben – so, als ob Konzerte nur mit Ausbeutung finanzierbar wären. Weite Teile der Branche haben den Schuss noch nicht gehört.
Es wird höchste Zeit, dass die meist soloselbständig tätigen Arbeitskräfte endlich angemessen bezahlt und fair behandelt werden! Allerdings, liebe Fans, das bedeutet auch: Die Ticketpreise müssen erhöht werden! Ich weiß, das ist unpopulär, aber ihr könnt einfach nicht erwarten, dass Konzerttickets für Clubkonzerte unter 30 Euro dafür sorgen, dass die Arbeitskräfte in den Clubs fair bezahlt werden – das funktioniert einfach nicht mehr. Genauso, wie ein Preis von 0,99 Euro für eine Tafel Schokolade nur durch Kinderarbeit und Ausbeutung in den Kakao-Plantagen möglich ist.
Was aber tut die Branche? Statt für Transparenz zu sorgen, statt offenzulegen, wie höhere Personalkosten (und, ja, auch die Inflation vielen anderen Bereichen, von Energie bis Catering) die Ticketpreise beeinflussen und wie eine seriöse Kalkulation funktioniert, kämpfen sie gegen Mindestlohn und soziale Absicherung. Um gleichzeitig bei ihren staatlich heftig subventionierten Musikkonferenzen „Recruiting Days“ oder „Job Festivals“ anzubieten, an denen sich „Unternehmen und Jobsuchende kennenlernen können“. An diesen Musikkonferenzen dürften auch tatsächlich und unbedingt vor allem Menschen teilnehmen, die bereit sind, sich für wenig Geld und zu schlechten Arbeitszeiten als Roadies, Securities oder Aufbauhelfer:innen den Popo abzuarbeiten…