03.08.2023

Einige Anmerkungen zur deutschen Festivallandschaft im Sommer 2023

Was ist los im Festival-Business?
Es hagelt Absagen, manche Festivals greifen zu Verzweiflungstaten und bieten ihre Tickets mit bis zu 30% Rabatt an, andere gehen pleite, und von vielen Festivals hört man atemberaubend schlechte Zuschauer:innen-Zahlen.
Beispiel Tempelhof Festival in Berlin, das FKP Scorpio im Jahr 2022 gewissermaßen als das Gegenstück zum Berliner Lollapalooza (mittlerweile zu Live Nation gehörend) gegründet hatte und das mit 30.000 Zuschauer:innen pro Tag durchaus erfolgreich war.
Für 2023 mussten die Veranstalter das Festival jedoch absagen, weil der Flughafen für Notunterkünfte im Zuge des Krieges in der Ukraine benötigt wurde. Stattdessen hatten die Veranstalter eine kleinere Ersatzveranstaltung in der Waldbühne steigen: „Tempelhof Sounds Presents“, mit Bon Iver, Fever Ray und Holly Humberstone. Doch dieses Konzert wurde etwa sechs Wochen vorher ebenfalls abgesagt – aus „produktionstechnischen Gründen“, wie die Veranstalter bekanntgaben.
„Produktionstechnische Gründe“, really?!? Awcmon. Wollt ihr uns wirklich verklickern (bzw. vergackeiern), dass der vermutlich größte Festivalveranstalter Europas erst wenige Wochen vor dem Event feststellt, dass er eine seit Monaten intensiv beworbene Konzert-Produktion in Wahrheit gar nicht wuppen kann?
„Lange haben wir überlegt und alles in unserer Macht Stehende versucht“, lassen FKP Scorpio und der lokale Partner Loft Concerts wissen.
Oder lag es eher an schlechtem Ticketverkauf, dass „Tempelhof Sounds Presents“ so kurzfristig abgesagt werden musste…?
 
Oder nehmen wir das Doppelfestival Rock am Ring/Rock im Park, das vermutlich größte kommerzielle Rock-Festival in Deutschland. Deren Veranstalter, eine „eventimpresents GmbH & Co. KG“ (laut Impressum der Website) bzw. die Firma „Dreamhaus“, beide Töchter des CTS Eventim-Konzerns, bot in der zweiten Mai-Woche, also knapp drei Wochen vor dem Festival, in einem „Deal der Woche“ Karten mit „bis zu 30% Rabatt“ an – also wie beim billigen Jakob. Some call it „Verzweiflungstat“ – und die vielen tausend Fans, die bis dahin den vollen Preis für ihre Tickets bezahlt haben, werden sich, genau, vergackeiert fühlen. So baut man ein Vertrauensverhältnis zu seinen Kunden auf.

Aber klar, die beiden Festivals blieben deutlich unter den Erwartungen: Laut „Spiegel“ kamen bei Rock am Ring 20.000 und bei Rock im Park 15.000 weniger Besuicher:innen als im Vorjahr. Macht einen Verlust in Höhe von 35.000 mal 300 Euro – puh…
 
Live Nation hat das Download Germany Festival, das am 23./24. Juni auf dem Hockenheimring geplant war, gleich ganz abgesagt – dreieinhalb Wochen, bevor es stattfinden sollte! Angeblich, siehe oben, wegen „produktionstechnischer Hindernisse“. Also, der weltgrößte Live-Konzern stellt dreieinhalb Wochen vorher fest, dass man ein Festival doch nicht produzieren kann? Schlechter Scherz. Aber es ist natürlich interessant, wenn man sich vor Augen hält, dass es für Live Nation wohl „günstiger“ oder jedenfalls weniger teuer war, das Festival, zu dem bei seiner Premiere 2022 noch 70.000 Fans gekommen waren, ganz abzusagen, als es mit geringerer Zuschauerzahl durchzuziehen. Denn im Fall einer Absage kommen auf Festival-Veranstalter ja beträchtliche Kosten zu – die Künstlergagen sind trotzdem zu zahlen, die Dienstleister etc. pp.
 
Wie es mit dem Berliner Lollapalooza Festival im September aussieht, kann man derzeit noch nicht abschätzen. Die Veranstalter veröffentlichen keine Zahlen, nur soviel: man habe derzeit einen besseren Vorverkauf als im Vorjahr. Nur: es ist ein offenes Geheimnis in der Branche, dass das Berliner Lollapalooza 2022 ziemlich gefloppt ist, ein besserer Vorverkauf als letztes Jahr bedeutet also nicht allzuviel. Und das diesjährige LineUp ist, nun ja, sagen wir mal: etwas merkwürdig und lässt Festival-Profis wenig an einen Erfolg glauben.
 
Und weniger als vier Wochen vor dem Festival musste die DEAG mitteilen, dass ihr Münchner Rock Antenne Open Air abgesagt werden muss. Wenigstens ist die DEAG ehrlich: „Weil zu wenig Tickets verkauft wurden“ („Musikwoche“)…
 
Die LiveKomm hat dieser Tage eine Blitzumfrage unter deutschen Festival-Veranstaltern gestartet, an der 57 Festivals teilnahmen. Ergebnis: „Ein Drittel betrachtet ihre Festivals als gefährdet“ („Musikwoche“), 48 Prozent können dies für 2024 noch nicht sagen – bedeutet, dass vor allem viele kleinere und mittlere Festivals, die häufig von gemeinnützigen Vereinen organisiert werden, ihre Zukunft gefährdet sehen. Und das sind häufig gerade die interessanten Festivals, bei denen auch mal Newcomer-Acts auftreten und spannende, kleinere Bands, Festivals, bei denen es eine intensive Fan-Anbindung gibt – Festivals, die wichtig für die kulturelle Vielfalt in unserer Gesellschaft sind.
 
Solche Sorgen hat Folkert Koopmans, der CEO der zum Eventim-Konzern gehörenden FKP Scorpio, jedenfalls nicht, wenn es um die von ihm veranstalteten Hurricane und Southside geht. Beide Festivals waren dieses Jahr praktisch ausverkauft, und gerade erleben sie einen „Vorverkaufsstartrekord“ mit einem „Rekordabsatz“ in der ersten Vorverkaufswoche.