24.12.2025

Das bairische Bethlehem und das märkische Stonehenge

Nürnberg hat angeblich den schönsten Christkindlmarkt, Ludwigsburg den Barock-Weihnachtsmarkt, und Straßburg nennt sich gar die „Hauptstadt von Weihnachten“.
 
Nun gut, aber kennt ihr das „bairische Bethlehem“?
 
Es war in den 1960er Jahren, ich ging in die 3. Klasse der Grundschule Fürstenfeldbruck-West. Im „Heimatkunde“-Unterricht lernten wir Geschichtliches und Dönnekes über praktisch alle Orte des Landkreises: In Puch gabs eine Edigna-Linde; angeblich hat im 11. Jahrhundert Edigna, die Tochter des Königs von Frankreich, auf der Flucht vor einer Zwangsverheiratung 35 Jahre als Eremitin im Inneren des hohlen Baumes gelebt. In der katholischen Kirche wird sie wegen angeblicher posthumer Wundertaten als Selige verehrt. Beim Wandertag ging es zu der Edigna-Linde, anschließend saßen wir auf einem Feld um ein Feuer, auf dem wir Kartoffeln an einem Stock geraten haben. Those were the days.


In Schöngeising, so lernten wir, lebte der Komponist Orlando di Lasso, und in der Nähe gab es Hünengräber. Grafrath war nach einem Graf Rasso benannt, der im frühen Mittelalter die dortige Klosterkirche gründete und sich dort eine Grabstelle einrichten ließ. Er war ein eifriger Reliquiensammler und wurde von der katholischen Kirche heiliggesprochen.
 
Grafrath war der Name der Bahnstation, die 1873 für die vielen Wallfahrer angelegt worden war. 1972 schlossen sich die beiden Dörfer Unteralting und Wildenroth dann zur Gemeinde Grafrath zusammen. Davon wusste ich in der Grundschule zu Fürstenfeldbruck noch nichts, ebenso wenig, dass meine Familie in den 1970er Jahren in ebendieses Grafrath ziehen und ich später in der Rassokirche gefirmt werden sollte – wie etliche Jahre zuvor bereits der Dichter und „Konkret“-Kolumnist Horst Tomayer (der auch von sexuellen Übergriffen durch die Mönche im Kloster berichtete).
 
Und was hat das alles mit dem „bairischen Bethlehem“ zu tun?
Nun, wir mussten in der Volksschule einen Text mit just diesem Titel auswendig lernen. Denn Wildenroth trug den Untertitel „bairisches Bethlehem“. Und zwar einfach aufgrund der Behauptung eines örtlichen Marketingprofis im 19. Jahrhundert, nämlich, aus dem Gedächtnis zitiert: 
„Wäre der Sohn des Herrgotts nicht in Bethlehem zur Welt gekommen, hätte er sich garantiert Wildenroth als Geburtsort erkoren.“

So macht man das. Muss man auch erstmal draufkommen: Wildenroth als bairisches Bethlehem, weil es sicher so gewesen wäre, wenn nicht dummerweise zufällig…
 
Die Hannoverschen Pyramiden: Hätten die Pharaonen die Pyramiden nicht in Gizeh errichten lassen, würden sie garantiert in Hannover stehen. 
Oder das thüringische Pompeji: Wenn der Vesuv nicht im Jahr 79 Pompeji vernichtet hätte, wäre ganz gewiss Weimar unter der Asche des Vulkans begraben worden.
Oder das osthessische Golgatha: Wäre Jesus nicht in Jerusalem gekreuzigt worden, hätte der Herrgott sicher Fulda als Sterbeort von Jesus Christus erkoren.
Und last but not least Berlin als das märkische Stonehenge: Hätten die Menschen in der Jungsteinzeit ihr Megalith-Bauwerk nicht im südwestenglischen Wiltshire aufgestellt, hätten sie sich garantiert Berlin dafür ausgesucht. Und wir hätten statt des depperten Brandenburger Tores ein echt kultisches Baudenkmal mitten in der Spree-Metropole…
 
Stadtmarketingprofis, Touristikexpert:innen: Da geht noch was!
Es muss nicht beim bairischen Bethlehem bleiben…