02.09.2016

Angry old men

Warum immer so negativ, Seliger? Warum immer alles kritisieren?

Gemach, Messieurs Dames, gemach. Ich vertrete im Grunde ausschließlich das Positive. Den Glauben daran, daß eine bessere Welt möglich ist beispielsweise, und daß sich der Kampf dafür lohnt, weil die Welt nicht so bleiben darf, wie sie ist.
Daß unsereiner aber immer wieder mal gezwungen ist, die Welt und die Gesellschaft zu kritisieren, hat weniger mit unsereinem zu tun, sondern ausschließlich mit der Welt und der Gesellschaft. Mit den Verhältnissen also.
Und da heutzutage die Allesmitmacher, die „angepaßten Mehrheitsmenschen“ (Dath) allüberall vorherrschen, andrerseits aber einer den dreckigen Job tun muß, gibt es innerhalb des Schönen, Wahren und Guten eben immer mal wieder die Notwendigkeit, das eine oder andere negative Wörtchen fallen zu lassen. Es wäre weniger nötig, wären die Verhältnisse andere, glauben Sie mir. Und es wäre auch weniger nötig, wenn es mehr Menschen gebe, die gegen die Verhältnisse agieren würden.

Nach einem Vortrag zum „Geschäft mit der Musik“ in Wien hat mich mal ein Journalist des dortigen Stadtmagazins beim Interview gefragt, ob ich ein „angry old man“ sei; ihm hatte es nicht gefallen, daß ich die Verhältnisse so unerbittlich (aber ich fand: auch sehr vergnügt und vergnüglich...) kritisiert hatte.
So ist der Zustand der Welt – die angepaßten Mehrheitsmenschen, die Allesmitmacher organisieren die „alternativlose“ Zustimmung zur Welt. Was bleibt einem übrig, als dagegen zu sein.

Wie zum Beispiel der 104jährige ehemalige Vorstandschef der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Gehag, Karl-Heinz Peters, der jetzt ein Buch über (besser: gegen) die Privatisierung der ehemals landeseigenen Gehag geschrieben hat. Es ist eine Abrechnung mit der Wohnungspolitik der vergangenen Jahre und ein Plädoyer für mehr soziale Gerechtigkeit. „Der Ärger ist die Basis meines Buches“, sagte Peters der „Berliner Zeitung“, die Wohnungspolitik sei „völlig falsch“, es gehe nur noch um „Profit, Profit, Profit“. Und Peters hat sich mit seinen 104 Jahren dafür entschieden, „einzugreifen und meine Ansicht kundzutun, damit es nicht so weitergeht“.

In Ermangelung von angry young men müssen es eben die Alten tun...