16.06.2014

FAZ, Google & Sigmar Gabriels Waffenexporte

Da hatte man ein, zwei Jahre das Gefühl, das Feuilleton der
altehrwürdigen „FAZ“ würde zu einem veritablen antikapitalistischen
Diskussionsforum mutieren, und dann stellt man fest: War alles doch nicht so
gemeint. Denn letzten Endes geht es nur um den Schulterschluß mit braven und
biederen Sozialdemokraten. Da wird plötzlich munter Wahlkampf für einen Martin
Schulz gemacht, und ein leidenschaftlicher Umfaller wie Sigmar Gabriel darf an
prominenter Stelle im Feuilleton seine überflüssige und konzernfreundliche
Position zu Google darstellen. Gabriel, der aus unerfindlichen Gründen „für seine Kritik am Waffenhandel mit
umstrittenen Empfängerländern bekannt ist“ (so SPON), ist eben auch nur ein
Radieschen – wenns ernst wird, ist „Siggy Pop“ ein Partner der Bosse. Unmittelbar
nach seinem flammenden Beitrag für die Entflechtung von Google wird bekannt,
daß der SPD-Wirtschaftsminister umfangreiche Rüstungsexporte in Drittländer
genehmigt hat: Mehr als eine Milliarde Euro beträgt der Gesamtwert der von dem
angeblichen Rüstungsexport-Kritiker Gabriel genehmigten Lieferungen an
Diktaturen wie Saudi-Arabien und an Länder wie Singapur oder Algerien. Außerdem
wurde bekannt, daß die Bundesregierung den Export von Kleinwaffen im Jahr 2013
um mehr als 50 Prozent gesteigert hat – auch hier erhielten vor allem arabische
Diktaturen wie Saudi-Arabien die Lieferungen deutscher Waffen.Sigmar Gabriel machte jedenfalls einen Bückling vor der
„FAZ“ und ihrer Kampagne gegen Google, die ausgerechnet vom Chef des Axel
Springer-Konzerns, der letztes Jahr noch die Front der Kämpfer gegen ein freies
Internet und für ein nutzerfeindliches, konzernfreundliches
Leistungsschutzrecht angeführt hat, eröffnet wurde. „Aufgabe der
europäischen Politik ist es, mit der Kraft einer kristallklaren Analyse, aber auch mit der Eingriffsmacht eines
großen Wirtschaftsraums in der Lage zu sein, die demokratisch legitimierte
Rechts- und Marktordnung des digitalen Zeitalters neu zu formulieren und dann
durchzusetzen, ja durchzukämpfen, wo es sein muss." So brüllt der Löwe
Sigmar Gabriel und ist doch nur ein plüschener, zahnloser Bettvorleger des
Springer-Bosses. Hat man denn von Gabriel und seiner SPD in den letzten Jahren
auch nur einen brauchbaren Vorschlag zu wichtigen, in der Tat brennenden Fragen
der Netzpolitik gehört? Zur Vorratsdatenspeicherung? Zum Zweiklassen-Internet?
Zum Leistungsschutzrecht, zum Urheberrecht? Zum Datenschutz?Bevor sich Gabriel mit Verve an die „Zerschlagung
von Google in Europa“ macht, könnte er vielleicht mal mit der Abschaffung des Listenprivilegs anfangen, das es deutschen Zeitungen erlaubt, die Daten
ihrer Kunden zu Werbezwecken zu verkaufen. Aber nichts davon – Gabriel und
seine Partei gehören bekanntlich einer Regierung an, die es mit der Aufklärung
von Straftaten im Netz nicht so genau nimmt und dem Bundestag sein Recht, einen
Edgar Snowden zum NSA-Untersuchungsausschuß einzuladen, schlicht verweigert.
Bücklinge machen unsere Sozialdemokraten seit über hundert Jahren eben immer
nur vor Konzernen und deren Bossen. So sind sie, die Genossen...Was gerade tatsächlich läuft, hinter
verschlossenen Türen, beschreibt Patrick Breyer in der „Zeit“: „Die EU handelt mit der US-Regierung gerade
ein ‚Rahmenabkommen’ aus, das US-Sicherheitsbehörden noch mehr Informationen
über uns verschaffen dürfte: Bis zum Sommer soll ein transatlantisches
‚Datenschutz-Rahmenabkommen’ stehen, das eine ‚erleichterte Übertragung von
Daten’ zur ‚Verhinderung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von Straftaten’
möglich machen soll. Der Deal, der derzeit hinter verschlossenen Türen
geschmiedet wird, lautet: Wenn die USA Zugeständnisse beim Datenschutz machen,
öffnen die Europäer ihre Speicher künftig ganz freiwillig.“ Wie wäre es
denn, der SPD-Europa-Spitzenkandidat Martin Schulz, der sich so vehement gegen
„digitalen Totalitarismus“ wendet, würde erstmal seine Hausaufgaben machen und
sich an dieser Stelle engagieren?Man muß jedenfalls, wie Christian Meier in
„Meedia“ schreibt, aufpassen, „berechtigte
Interessen der Gesellschaft gegenüber den Treibern und Innovatoren der
digitalen Wirtschaft von Interessen zu unterscheiden, die wiederum andere Unternehmen haben.
Beispielsweise Medienunternehmen."

Nachtrag 1: Mittlerweile wurden weitere von Wirtschaftsminister Gabriel
(SPD) genehmigte deutsche Rüstungsexporte in Krisengebiete und an Diktaturen
bekannt. Am 4.6. meldet „SPON“, daß Gabriel den Export von Ausrüstung für
Scharfschützen an den Scharia-Staat Saudi-Arabien sowie Navigationsgeräte und
Ausstattung für Schnellboote nach Ägypten genehmigt hat, wo bekanntlich ein
Militärputsch stattgefunden hat; die EU hat nach dem Putsch
Exportbeschränkungen für Ägypten erlassen – worüber sich der SPD-Politiler
schamlos hinwegsetzt. –

Nachtrag 2: Am 21.5. ist auf „SPON“ zu lesen, daß die beiden
SPD-Politiker Steiner und Luuk vom Rüstungskonzern Krauss-Maffei fünf Millionen
Euro Schmiergeld kassiert haben sollen. Die damaligen
SPD-Bundestagsabgeordneten sollen das Schmiergeld bei einem Panzergeschäft mit Griechenland
kassiert haben. Die Staatsanwaltschaft ermittelt.

16.06.2014

BKA-Herold über Informationsverarbeitung

„Die
Grenzenlosigkeit der Informationsverarbeitung wird es gestatten, das Individuum
auf seinem gesamten Lebensweg zu begleiten, von ihm laufend Momentaufnahmen, Ganzbilder und Profile seiner
Persönlichkeit zu liefern, Lebensformen und Lebensäußerungen zu registrieren,
zu beobachten, zu überwachen und die so gewonnenen Daten ohne die Gnade des Vergessens ständig
präsent zu halten. Die Gefahren des 'großen Bruders' sind nicht mehr bloß Literatur.
Sie sind real."BKA-Chef Horst Herold, 1980

16.05.2014

Conchita ist mir Wurst

Aus chinesischer Perspektive ist der sogenannte Eurovisions-Wettbewerb
noch weiter weg als auch schon, und Conchita ist mir sowas von Wurst. Aber wie
sich in den deutschen Feuilletons jetzt plötzlich alle mit ihrer aufgesetzten
Toleranz wichtig tun und den Sieg einer äußerst mediokren Trash-Künstlerin zu
einem geradezu emanzipatorischen Akt hochjazzen bzw. hochschlagern, das ist
schon reichlich bescheuert und läßt tief blicken, wie es um die Toleranz in
diesem Land in Wirklichkeit bestellt ist. Jörg Augsburg weist in einem sehr
lesenswerten Artikel im „Freitag“ jedenfalls darauf hin, daß die Drag
Queen noch vor einem Jahr zum Personal der umstrittenen Reality-Show "Wild
Girls - Auf High Heels durch Afrika" zählte: „Gerade ihr Travestie-Appeal diente dazu, vermeintliche
schwarzafrikanische Hinterwäldler - 'Wilde' - vorzuführen. Wurst gehört zum
Inventar des per se politisch und
ästhetisch reaktionären Trash-TVs,
bei dem man nie genau weiß, wer hier wen mehr benutzt, die Sender die
Protagonisten oder die mediengeilen Protagonisten die Show."So wird eben ein Turnschuh draus.„Erstaunlich
am diesjährigen Erfolg ist eigentlich nur, daß es sich 40 Jahre nach David
Bowie, 30 nach Boy George, 15 nach Marilyn Manson und fünf nach Lady Gaga für
viele immer noch irgendwie verrucht und revolutionär anzufühlen scheint, eine
androgyne Kunstfigur in aller Öffentlichkeit gut zu finden“, schreibt Jörg
Augsburg. Besser hätte ich das nicht sagen können.

16.05.2014

Berliner VOLKSentscheid

In Berlin wird dieser Tage über das Flugfeld Tempelhof abgestimmt.

„In Berlin ist die
totale Mobilmachung der Bilder, die Antriebskraft der Moderne überhaupt, an ihr
Ziel gelangt. Die Stadt, die wie keine andere durch die Wirtschaftskrise der
1920er Jahre, die Machtübernahme der Nazis, die Zerstörungen des Weltkriegs,
den Einmarsch der Kommunisten und die Zweiteilung der Stadt von politischen
Kämpfen gezeichnet wurde, ist bloß noch ein imaginäres Feld, auf dem Politik
nicht mal mehr symbolisch ausgefochten wird. Die Menschen der Stadt sind keine
Pioniere mehr auf der Suche nach dem „neuen Menschen“, sie sind nur noch späte
Kolonisten, die sich auf einem bereits eroberten Terrain niederlassen wollen,
das alle Eigenheiten verloren hat, die an seine hochpolitische Geschichte
geknüpft waren“, schreibt Cord Riechelmann in der „FAS“ in einer Rezension von
Francesco Mascis neuem Buch „Die Ordnung herrscht in Berlin“. Die aufgeklärte,
gern grün-nahe, vage alternative Mittelschicht, die das öffentliche Bewußtsein
von Berlin prägt und die hinter dem Wunsch nach einer großen Leerstelle namens Tempelhof
inmitten Berlins steht, propagiert ihr wattiertes Glück. Das ist sehr
Nimby-mäßig („not in my backyard!“), sicher würde jedeR der Tempelhof-ProtagonistInnen
in seinem alternativen Stammcafé sofort dafür argumentieren, daß mehr billiger
Wohnraum gebaut werden sollte, immerhin zogen in den letzten drei Jahren
100.000 Menschen nach Berlin – nur eben bitte nicht in meiner Nachbarschaft,
da, wo ich schon wohne, da, wo ich mein kleines, wattiertes Glück lebe. Da soll
alles leer bleiben, da soll nichts bebaut werden, da muß alles bleiben, wie es
ist. Da soll der Flughafen Tempelhof, der heute ein alternativer Sehnsuchtsort
ist, wo aber auch mal eines der ersten Konzentrationslager stand und wo
Zwangsarbeiter während des Zweiten Weltkriegs die Maschinen zusammenbauen
mußten, die ganz Europa bombardierten (davon reden die Berliner eher
ungern...), eine große Leerstelle im Bewußtsein bleiben.

Der eigentliche Skandal an dem tatsächlich so genannten Volksentscheid über das Tempelhofer
Feld ist jedoch, daß ein Großteil der BerlinerInnen gar nicht abstimmen darf.
Denn beim Volksentscheid darf eben nur das Volk abstimmen, und das meint: das deutsche Volk. Die gerne so genannten
ausländischen MitbürgerInnen gehören nicht dazu, Menschen anderer
Nationalitäten, die dauerhaft in Berlin leben, sind vom Volksentscheid
ausgeschlossen. Das Tempelhofer Feld wird von den Bezirken Kreuzberg, Neukölln
und Schöneberg umschlossen, Bezirke, in denen besonders viele Menschen
türkischer Herkunft leben. „Doch von den
knapp 3 Millionen Berlinern über 18 Jahren dürfen sich 487.000 Frauen und
Männer nicht an dem Volksentscheid beteiligen. Weil sie keinen deutschen Paß
haben.“ („Berliner Zeitung“) Etwa eine halbe Million Berlinerinnen und
Berliner, die seit Jahren und Jahrzehnten in der Stadt leben, die hier Steuern
und ihre Sozialabgaben zahlen, also ihre zahllosen Pflichten erledigen, werden mithin
vom Recht, über die Geschicke der Stadt, in der sie leben, mitzuentscheiden, ausgeschlossen.
Ein außerordentlicher Skandal.Seit Jahrzehnten fordern vernünftige Menschen kommunales Wahl- und
Mitbestimmungsrecht für ausländische BürgerInnen. Ausgerechnet das angeblich so
weltoffene Berlin jedoch schließt all diejenigen, die nicht dem deutschen Volk angehören, also eine
halbe Million BürgerInnen, etwa ein Sechstel aller in der Stadt lebenden Wahlberechtigten,
von der Demokratie aus. Wie immer der Volksentscheid ausfällt – nach
demokratischen Mindeststandards legitim
ist er nicht.Manchmal kann man sich für Berlin nur schämen.

16.05.2014

Jungmänner und Eierwärmer

„Jungmänner, die
in ihrer Mischung aus Klumsigkeit, unfreiwilligem Drolligsein und unschöner
Lautstärkebereitschaft durch die Gegend ramentern, gibt es überall; in Berlin,
das zur aufregendsten Stadt Europas, wenn nicht der Welt ausgeschrien wird,
weil Propaganda nur Superlative und also keine Wahrheit kennt, treten die
Mützlinge in zigfacher Legionenstärke auf. Und weil ihr Bedürfnis, sich zu
Klumpen zu ballen, damit nicht befriedigt ist, verabreden sie sich per Twitter
oder Facebook vulgo Visagenkladde zur Zusammenlegung ihrer Legionen. Die
Fanmeilisierung der Menschheit ist in vollem Gange, aber überhaupt nicht
abgeschlossen. Das dicke Vermassungsgrauen steht der Welt erst noch bevor.“aus: Wiglaf Droste, „Fressen unter Eierwärmern“, in Folio (NZZ) 3/2014

16.05.2014

DFB und Antifaschismus

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft wird bei ihrer von vornherein
zur Erfolglosigkeit verurteilten Mission „Fußball-WM“ in den fränkischen
Ausbeuterschuhen antreten. Dem DFB ist das reichlich wurscht, der hat
Wichtigeres zu tun, nämlich: antifaschistische Slogans auf dem Trainingsgelände
der Nationalmannschaft entfernen zu lassen. Das Banner „Kein Fußball den
Faschisten“, das das Stadion des FC St. Pauli seit Jahren schmückt, wurde auf
Weisung des DFB verdeckt, als die deutsche Fußballnationalmannschaft in dem
Stadion ihr Abschlußtraining für das Länderspiel gegen Polen absolvierte.So ist das mit der Fußballnationalmannschaft und dem DFB: Arbeiterrechte
sind egal (siehe "Miseria e nobilta"). Aber gegen Faschisten will man dann doch lieber nicht sein.

04.05.2014

Ai Weiwei und Shanghai

Christiane Peitz (das ist die Journalistin, die vor kurzem am Hofe Ai
Weiweis vorgelassen wurde, sich dort allen möglichen Unsinn erzählen ließ und
nach Berlin zurückgekehrt eine dreiteilige Serie produzierte, ohne auch nur ein
Faktum recherchiert oder gegengechecked und ohne auch nur eine andere der
zahlreichen Kunstausstellungen in Beijing eines Wortes gewürdigt zu haben –
reine Hofberichterstattung eben) schreibt im Berliner „Tagesspiegel“ (das ist
die Zeitung, deren Redaktion unlängst einen vierseitigen „redaktionellen“
Promotion-Beitrag über Easyjet inklusive eines fetten Titelbildes produziert
hat und dabei den von Easyjet erfundenen Werbeslogan „Generation Easyjet“
freudig nachplappert – man kann den ganzen für den „Tagesspiegel“ sehr
peinlichen Fall ausführlich im lesenswerten Blog von Stefan Niggemeier
nachlesen, der zu dem Schluß kommt: „Entweder
die Zeitung hat sich von dem Unternehmen kaufen lassen. Oder eine komplette
Redaktion hat versehentlich eine Werbesonderausgabe für Easyjet produziert“
- http://www.stefan-niggemeier.de/blog/der-tagesspiegel-fliegt-auf-easyjet-2/
) aufgeregt: „Ai Weiweis Kunst in Shanghai verboten.“

Bereits der Eingangssatz des Artikels läßt tief blicken: „In den Berliner Gropius-Bau zieht Ai Weiwei
die Massen. In China verhindert das die staatliche Zensur: Bei einer
Ausstellung in Schanghai mußten seine Werke beseitigt werden.“ Sonst wären
die Massen auch in Shanghai zu Ai Weiwei geströmt? Ach geh. Natürlich nicht die
Bohne. Ai Weiwei interessiert in China kaum einen Menschen, und ob Ai Weiwei
eines seiner Werke in Shanghai ausstellt, ist ungefähr so bedeutsam, wie wenn
in Berlin eines der von Ai produzierten Porzellan-Reiskörner umfällt. Was
übrigens nicht nur für China gilt, sondern so ziemlich für den gesamten Rest
der Welt, mit Ausnahme der Länder, wo der Schweizer Kunstsammler Uli Sigg
(Ex-China-Botschafter der Schweiz, ist heute laut eigener Aussage mit
China-Projekten des Schweizer Verlags Ringier betraut und laut eigener Aussage „in Bereichen wie
Finanzdienstleistung und Automobillogistik
investiert und bin im Advisory Board der China
Development Bank, welche die großen Infrastrukturvorhaben wie
Dreischluchtendamm und Autobahnen finanziert“; Uli Sigg verfolgt den Rechtsrutsch in der
Schweiz hoffnungsvoll und bewundert den berüchtigten Schweizer Rechtspopulisten
Christoph Blocher) sein Netzwerk spinnt.Wenn Frau Peitz sich nun ins Zeug legt für den „Chinese Contemporary Art
Award“, dann hört sich das so an, als ob es sich dabei fast um einen Nobelpreis
für Kunst handeln würde, oder doch zumindest um einen renommierten, anerkannten
Kunstpreis. Das ist aber nicht der Fall. Der Preis wurde von Uli Sigg ausgelobt
– wahrscheinlich mit dem Ziel, sein Netzwerk zu perfektionieren und die
Künstler, deren Kunst er besitzt, mit einem wie auch immer zustande gekommenen
Preis zu adeln, was letztlich auch den Wert der Kunstwerke steigern dürfte.Wie das alles passiert, wer in der Jury von Uli Siggs Kunstpreis sitzt
(neben Ai Weiwei quasi das gesamte hauptsächlich Schweizer Netzwerk des
Kunstsammlers), und daß das alles eben ein Geschäft
ist („it’s the economy, stupid!“), das können Sie natürlich nicht bei Frau
Peitz und ihrem „Tagesspiegel“, wohl aber in der langen Version meines im Juni
2011 in kürzerer Form in „Konkret“ erschienenen Artikels „Die Legende vom
Heiligen Ai“ nachlesen.Und ansonsten kümmert sich in Shanghai, wo ich mich gerade aufhalte, niemand
um diese Ausstellung, die dem „Tagesspiegel“ einen großen Artikel wert ist.
Nicht einmal in den Kunst-Spalten von „Time Out Shanghai“ ist die Ausstellung
erwähnt. Bedeutungslosigkeit pur. Nur in Deutschland, wo Ai Weiwei längst der
staatliche Lieblings-, Haus- und Hofkünstler ist, fällt in der Redaktion des „Tagesspiegel“ gerade
besagtes Porzellan-Reiskorn um.Die Medien sind heutzutage jedenfalls für das Kunstgeschäft, vor allem
aber auch für die herrschende Propaganda oft nur noch nützliche Idioten.

04.05.2014

Waldbühne Berlin

Die Berliner „Waldbühne“ ist einer der schönsten Spielorte der Republik.
Seit 2008 wird die Waldbühne vom deutschen Konzertmonopolisten CTS Eventim
gepachtet und bespielt, der die Ausschreibung des Berliner Senats seinerzeit
gewonnen hat.Nun soll, wie der „Berliner Morgenpost“ zu entnehmen war, der Vertrag
neu aufgesetzt werden. Allerdings unter Ausschluß der Öffentlichkeit, und unter
Ausschluß des üblichen Procederes, wenn öffentliches Eigentum verpachtet wird,
nämlich ohne eine öffentliche Ausschreibung.Die DEAG hat jedenfalls beim Landgericht Berlin eine einstweilige
Verfügung erwirkt, die es der Berliner Sportverwaltung untersagt, ohne
Ausschreibung einen neuen Pachtvertrag mit CTS Eventim abzuschließen. DEAG-Vorstandsvorsitzender
Schwenkow betonte gegenüber der „Berliner Morgenpost“, er wolle eine „faire
Chance bekommen“, und forderte eine „transparente, diskriminierungsfreie Ausschreibung“
– was eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Nicht so für den
Berliner Senat, und der Senior Vice President von CTS Eventim, Rainer Appel,
verweist bedeutungsschwanger auf die „hervorragende Zusammenarbeit“ mit dem
Senat. Und CTS Eventim-Vorstandsvorsitzender Schulenberg barmt, ihm liege die
Arena sehr am Herzen. Wie schön. Um Profit geht es dem CTS Eventim-Boß
natürlich nicht.Normalerweise würde man jetzt sagen, das wäre doch ein schöner Fall für
den neuen Kulturstaatssekretär Tim Renner, der für Transparenz beim
Ausschreibungsverfahren sorgen und vielleicht gar besondere Pachtkriterien
definieren könnte (faire Ticketpreise zum Beispiel?). Aber natürlich: Tim
Renner ist ja nur das neue Aushängeschild Wowereits, er hat ja in Wirklichkeit nichts
zu sagen. Kultursenator ist Wowereit. Das und der ist das Problem.

04.05.2014

Auflagen Musikmagazine

Dieser Tage wurden die aktuelle 
IVW-Quartalszahlen veröffentlicht, die genauen Aufschluß geben auf die
Auflagen der hierzulande erscheinenden Periodika. Besonders interessant ist
dabei wie immer die „harte Auflage“, die das Medienmagazin DWDL.de
veröffentlicht – harte Auflage, das sind die tatsächlich verkauften Exemplare
der Zeitungen und Zeitschriften, also im Einzelverkauf (zum Großteil am Kiosk)
und per Abonnements.Die Zahlen zu den gängigen Musikzeitschriften sind deprimierend:

Rolling Stone: 36.343 (eine der wenigen Zeitschriften mit Zuwächsen
gegenüber I/2013: +9,3%)Musikexpress: 19.146 (-17%)Visions: 15.030 (-26,5%)Spex: 10.843 (-32,3%)

Das sind die Zahlen – manche Musikmagazine nähern sich dabei wieder Verkaufszahlen
ihres Ursprungs als Fanzines an...Man kann jetzt lange lamentieren und über die hausgemachte Krise des
Musikjournalismus philosophieren, was sicher zum nicht geringen Teil richtig
ist. Nichtsdestotrotz: die Zahlen sind alarmierend, denn Popkultur und Popmusik
benötigen die Musikkritik. Und die Flaute bei den Verkaufszahlen der
Musikmagazine ist erschreckend - die oben genannten führenden Musikmagazine kommen gerade einmal
noch auf etwa 80.000 verkaufte Exemplare! das ist weniger als ein Promille der
Bevölkerung, die es noch wichtig findet, sich in solchen Magazinen über Pop-
und Rockmusik zu informieren. Deprimierend.Was tun?

27.04.2014

Deutsche Jazzunion: Künstler bei Jazzahead bezahlen!

Die Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) wirft der Messe „Jazzahead“ einen
in finanzieller Sicht völlig unangemessenen Umgang mit seinen wichtigsten
Protagonisten vor, nämlich den Musikern: Bei den Showcases im Rahmen der „German
Jazz Expo“ auf der Bremer „Jazzahead“ werden den MusikerInnen demnach weder
Hotel- und Reisekosten erstattet, noch erhalten sie eine Gage, noch erhalten
sie eine Vergütung für den Rundfunkmitschnitt der öffentlich-rechtlichen
Sendeanstalten (die also wieder einmal ihr gebührenfinanziertes Programm ohne
Entlohnung der Musiker bestreiten, was ja mittlerweile die Regel ist – wozu
zahlen wir eigentlich unsere GEZ-Gebühren?!?) Ein Skandal, keine Frage. Aber leider bei Musikmessen nicht die
Ausnahme, sondern die unerquickliche Regel. Auch bei der Womex zum Beispiel
erhalten Musiker kein Honorar und nur sehr marginale Reise- und
Hotelkostenanteile, was dort besonders ins Gewicht fällt, weil dort ja nicht
einheimische, sondern internationale Weltmusik-Künstler auftreten, die meisten aus nicht gerade reichen Ländern...Es wird höchste Zeit, auch im Musikgeschäft endlich die in anderen
Ländern (z.B. Frankreich oder Holland) längst üblichen Mindestgagen zu
diskutieren. Gerade bei den Musikmessen, die ja zum Teil beträchtliche
Teilnahmegebühren aufrufen (bei der Womex kostet die billigste Rate z.B. EUR
255 Euro), sollte doch eine wenigstens geringfügige Bezahlung derjenigen, die
das Musikgeschäft letztlich ausmachen, selbstverständlich sein – der
Musikerinnen und Musiker nämlich!

27.04.2014

Einige Gedanken zu der Deutschen Lieblingskünstler Ai Weiwei

„Propaganda und
Aufklärung“ – das ist der Titel des aktuellen Newsletters des Palace in St.
Gallen, und in der Tat, in Zeiten, da Werbespots auf der Fressenkladde eine
ganz besonders coole Hipness erzeugen können, in Zeiten, da die Schlammflut
parfümierter digitaler Kommerzpropaganda einem Augen und Ohren wegbläst, sollte
man auf dieses schöne, altmodische Wort zurückkommen, nämlich, eben:
Propaganda!Nehmen wir das
Bohei, das die deutschen Medien und die deutsche Politik dieser Tage erneut um Ai Weiwei
veranstalten. Was in dem Zusammenhang an falschen Behauptungen aufgestellt und
veröffentlicht wird, an eindeutigen Unwahrheiten und Vermutungen, die als
Wahrheiten hingestellt werden, ist schier unglaublich – dagegen ist, wie
Christian Y. Schmidt gesagt hat, die chinesische Propaganda geradezu ein
Kindergeburtstag.Nehmen wir den
Grund, warum Ai Weiwei von den chinesischen Behörden verhaftet worden war und
bis heute nicht ausreisen darf – bei Steuerhinterziehung im Millionenbereich
auch in Deutschland durchaus gängige Praxis. Die deutschen Medien wie die
sogenannte „linksliberale“ Frankfurter Rundschau haben Ai ja bereits vor Jahren
heilig gesprochen – im Wortsinn: dort wurde Ai Weiwei 2012 allen Ernstes als
der „Heilige Ai“ bezeichnet, als ein Idealchinese, eine Art „Ersatz-Dalai Lama“
(daß die Journalisten nicht einmal wissen, was im Chinesischen Vor- und was
Nachname ist, läßt in die kulturelle Ernsthaftigkeit, mit der sich mit dem Thema
beschäftigt wird, tief blicken...). Demzufolge kann an dem Vorwurf der
Steuerhinterziehung natürlich nichts dran sein. Ein Heiliger hinterzieht ja wohl keine Steuern.Insofern liest
man in deutschen Medien immer von Ai Weiwei als nahezu selbstlosem Mann,
der z.B. für die Kinder kämpft, die Opfer eines Erdbebens wurden. Nirgendwo
liest man jedoch, daß Ai Weiwei etwa als Projektkurator für das Projekt „Ordos
100“ gearbeitet hat, die Idee des Multimillionärs Cai Jiang, der u.a. als
Großzulieferer für den innermongolischen Molkereigiganten Meng Niu fungierte –
diese Firma war übrigens 2008 in den Melamin-Milchskandal verwickelt, der
mehreren Kleinkindern das Leben kostete. Der in China lebende Autor Christian
Y. Schmidt beschreibt, wie Cai Jiang plante, mitten in der mongolischen Steppe
ein Kunstmuseum und um das Museum herum hundert Villen anlegen zu lassen,
inklusive Indoorpools und Dienstbotenquartiere – eine fette „gated community“
für neureiche Chinesen. Cai Jiang hat zu diesem Zweck das, natürlich, Schweizer
Architekturbüro Herzog & de Meuron verpflichtet, und eben Ai Weiwei als
Projektkurator, der selbst den Masterplan für die neue Luxussiedlung entwarf.
Die Architekturzeitschrift „Urbane“ titelte über dieses Projekt „Rebuilding
Xanadu“.Oder: niemand fragt sich, wie Ai Weiwei als
Künstler in einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen eines
Städters im Jahr 2013 bei 3.556,94 Euro lag (und in der Gruppe der hohen
Einkommen standen jeder Person auch nur durchschnittlich 6.788,24 Euro im Jahr zur Verfügung),
mal eben den Betrag von 600.000 Euro zuzüglich Zinsen und Strafgebühren bei den
Behörden seines Heimatlandes hinterlegen kann. Oder in bester Berliner Lage für
einen Millionenbetrag ein Atelier erwerben kann. Ist es denn tatsächlich
auszuschließen, daß ein Künstler, der auch als Teilzeit-Architekt (siehe das
Beijinger Olympiastadion) oder als Projektkurator (siehe oben) tätig ist und
dessen Werke im Westen für Millionenbeträge verkauft werden, Steuerschulden
hat? Wie können sich alle Berichterstatter in dieser Sache so sicher sein?

Am besten hat mir der Berliner Rechtsanwalt und
Kulturmann Peter Raue gefallen. Ach was, falsch: nicht Peter Raue hat mir am
besten gefallen, sondern die deutsche Journaille, die ihre (Rest-...)Intelligenz,
ihr Kombinationsvermögen und ihre kritische Haltung vor der Pressekonferenz
Raues an der Garderobe abgegeben hat. Raue jedenfalls hat, wie er auf dieser
Pressekonferenz im Berliner Martin-Gropius-Bau erzählte, in Beijing die
Unterlagen studiert, die „Akten und Fakten“, wie er es nannte. Kann Herr Raue
etwa Chinesisch? Kann er nicht, wie er in einem Interview bekannte. Ist er
Experte im chinesischen Steuerrecht? Kein bißchen. Hat er Kontakt mit den
Behörden aufgenommen und zumindest versucht, sich von ihnen den Sachstand
erklären zu lassen, also auch die andere Seite anzuhören? Mitnichten.Man muß sich das so vorstellen: Raue düst nach
Beijing, wo ihn Ai Weiwei erwartet. Der und seine Anwälte zeigen Raue die
„Akten und Fakten“, wie der „Tagesspiegel“ das in hinterhereilendem Gehorsam
nannte. Akten, die Raue nicht versteht und nicht lesen kann, weil er eben das
Chinesische nicht beherrscht. Akten aber, nach deren Durchsicht, die die Presse
dann „Rercherche“ nennt, feststeht: „Nichts,
gar nichts liegt gegen Ai Weiwei vor.“ (so der Tagesspiegel und in
Variationen alle anderen deutschen Medien). „Haltlose, abstruse Vorwürfe: (...) Steuervergehen.“„Der dann
doch schriftlich erhobene Steuervorwurf“ (einen Absatz zuvor wurde noch
behauptet, es gebe „lediglich mündliche“
Mitteilungen der chinesischen Behörden, BS) „bezieht
sich ausschließlich auf die Firma ‚Fake’ – an der Ai Weiwei jedoch nie Anteile
hatte. Geschäftsführerin ist seine Ehefrau“ („Tagesspiegel“) – nun, das
sollen auch deutsche Steuerhinterzieher schon praktiziert haben, daß ihre
Ehefrauen plötzlich Firmen besaßen und die Ehemänner nichts, aber auch rein gar
nichts damit zu tun hatten...

Stellen wir uns das ganze Bohei mal andersherum
vor. Stellen wir uns einen Moment lang vor, ein nicht des Deutschen noch des
Englischen, ja nicht einmal der in Deutschland verwendeten Schriftzeichen
mächtiger chinesischer Fußballfunktionär würde nach Bayern reisen. Er ließe
sich in den Monaten vor Hoeneß’ Prozeß – falls Sie das vergessen haben sollten:
das war die Zeit, als Hoeneß noch nicht der reuige Steuersünder war, sondern
derjenige, der es als Skandal bezeichnete, daß gegen ihn, den „Vater Teresa vom Tegernsee“ (so
Karl-Heinz Rummenigge, selbst einschlägig vorbestrafter Uhrenschmuggler),
Ermittlungen liefen und er in den Medien „vorverurteilt“ werde... – von dessen
Anwälten die Aktenordner zeigen, die er natürlich nicht lesen könnte. Dann
würde dieser chinesische Fußballfunktionär nach China zurückfliegen und in
Beijing eine große Pressekonferenz geben, auf der er behauptet: „Nichts, gar
nichts liegt gegen Uli Hoeneß vor.“ Und: „Die angeblichen Steuervergehen von
Uli Hoeneß sind komplett haltlose Vorwürfe.“ Und: „Daß Uli Hoeneß der Prozeß
gemacht wird, ist ein Skandal des bundesdeutschen Regimes.“ Und flugs würde
dieser chinesische Fußballfunktionär auch noch ein Solidaritätskomitee gründen
mit dem Ziel, daß Hoeneß nicht ins Gefängnis müsse, sondern zu einem
Fußballspiel des FC Bayern bei Beijing Guoan frei reisen dürfe.Sagen Sie selbst: Sie würden sich doch an den Kopf
tippen, oder? Und Sie würden den Kopf schütteln, wenn irgendein Journalist unkritisch
über diese Pressekonferenz berichten würde.Das ist aber genau das, was die deutschen Medien
im Fall des „Heiligen Ai“ produzieren.Daß die hiesigen Medien dabei permanent mit Lügen oder unwahren
Behauptungen arbeiten, ist perfide. Der angebliche „Dissident“ Ai Weiwei hat
jahrelang mit den staatlichen Behörden Chinas prächtig zusammengearbeitet, etwa
beim Jinhua Architecture Park, den Ai Weiwei im Auftrag der lokalen Regierung
in der Nähe von Shanghai errichten ließ. Ein Foto in der Zeitschrift „Urbane“
zeigt Ai Weiwei bester Laune bei der Eröffnungsfeier zusammen mit
Regierungsvertretern. Oder die immer wieder gerne verbreitete Behauptung, daß
Ai Weiwei noch nie in China habe ausstellen dürfen – während man im Internet
ohne Probleme Fotos z.B. von der Ausstellungseröffnung einer Ai Weiwei-Schau in
der Pekinger Galerie Faurschou betrachten kann, die dort 2009 monatelang lief.
Und Ai Weiwei, der sich angeblich in China nicht äußern darf, postet und
blogged munter auf Google+ und in anderen Medien – es interessiert nur eben in
China nicht viele Leute. Und Ai Weiwei, der doch angeblich zensiert wird, darf
Kunstwerke für eine Berliner Großschau herstellen und sie ohne Probleme und
offiziell via Shanghai nach Deutschland senden, ohne daß ihn die chinesische
Regierung daran hindern würde. Zensur stelle ich mir anders vor... (und es gibt Zensur, in China wie andernorts,
und das ist unangenehm und nicht zu rechtfertigen, damit wir uns da nicht
mißverstehen).

„Seit Wochen strömen deutsche Journalisten, Kuratoren
und Anwälte wie Zugvögel nach Peking, um den Künstler in seinem Studio zu
treffen und ein paar Informationen aufzupicken über ihn und seine Ausstellung.
Man ließ sich hübsch mit dem Künstler fotografieren und filmen und schrieb
emphatisch über seine Geschichte: über das Unrecht, das er dokumentiert, die
Meinung, die er sagt, die Freiheit, für die er kämpft.“ (Antje Stahl in
der „FAZ“)(Was mich am Rande
interessieren würde: wer finanziert denn eigentlich all den bundesdeutschen
Journalisten ihre Reise in Ai Weiweis Atelier? Das erinnert sehr an die von den
Plattenkonzernen finanzierten Promoreisen zu einer Zeit, als die Musikindustrie
noch mehr Geld hatte als heutzutage – auch damals entstanden liebesdienerische Artikel über die Künstler, die die Journalisten besucht hatten...)Ob im
„Tagesspiegel“, in der „Zeit“, im „Spiegel“ – allüberall Schranzen, die sich
als Journalisten ausgeben, am Hof des Heiligen Ai, Jünger auf Pilgerfahrt, auf
der das Heiligtum beschaut wird und keinesfalls in Frage gestellt, es kann nun
einmal nicht sein, was nicht sein darf, man will einzig eine Bestätigung der
vorgefaßten Meinung, das ist der einzige Behuf all der Dienstreisen in die
„chinesische Diktatur“. Und ganz offensichtlich geht es nur um diese eine,
einzige Narration – das Vermögen, Kunstwerke mit Sachverstand zu betrachten und
zu analysieren, wurde in Deutschland zurückgelassen (falls es denn je
bestand...).

Und was noch
auffällt: keiner und keine all der JournalistInnen auf Pilgerfahrt in Beijing
hat auch nur eine einzige Kunstausstellung besucht – oder zumindest nicht
darüber berichtet. Kein Wort, nirgends. Dabei läuft im unabhängigen „Ullens
Center for Contemporary Art“ (UCCA) eine beeindruckende Schau von Xu Zhen. Dort
hat der Künstler zum Beispiel die große kommunistische Bronze vorm
Volkshelden-Monument des Tian’anmen-Platzes nachgebaut – mit lauter Steinzeitmenschen.
Es ist eher eine der schwächeren Arbeiten in dieser Schau, aber: ja, so etwas
darf in Beijing gezeigt werden. Ohne Probleme. Mitten im Herzen der Diktatur...Oder die Schau von
He Xingyon im Today Art Museum: auf riesigen Formaten zeigt der Künstler
Foto-Kunstwerke vom Eingriff der chinesischen Moderne in die Natur – von der
Zerstörung der Natur, von Umweltkatastrophen (etwa einer Explosion in einer Chemiefabrik
in Chao Tian Men, die den nebenliegenden Fluß blutrot färbt). Fotos, die in
Qualität und Format an Gursky erinnern, die kritisch sind, und ja, auch so
etwas wird in Beijing in Museen gezeigt.Oder die
eindrucksvolle Schau zum 60jährigen Bestehen der Kunstschule der Akademie im
Nationalen Kunstmuseum. Alles Ausstellungen, die ohne Zweifel hervorragend
sind, die ein kritisches Bild von China transportieren (wenn es Ihnen darauf
ankommt...) – die aber von all den deutschen Journalistinnen und Journalisten,
die in Beijing beim Heiligen Ai zugange waren, souverän ignoriert wurden.

Kann das Zufall
sein? Peter Hacks schrieb einmal den bösen Satz: „Ein Land, das Medien hat, braucht keine Zensur.“ 

P.S.Letztlich am
besten hat mir dann doch eine Stelle im Artikel von Deutschlands führendem
investigativen Magazin gefallen. Da wird Ai Weiwei mit Gandhi und Picasso
verglichen. Kleiner hamses grade nich: „Ai
ist in seiner Wirkung eine Mischung aus Gandhi und Picasso. Er steht auf der
richtigen Seite der Moral und der Kunst.“ („Spiegel“)Ah ja. Aber hat
der Heilige Ai nicht auch schon zwei Musikvideos gedreht? Sollte man ihn also nicht
auch auf eine Stufe mit Beethoven oder Mozart stellen? Und jüngst soll er sogar
in einem Kurzfilm mitgewirkt haben, der „heimlich“ in Beijing entstanden ist
(wie geht das eigentlich, „heimlich“, wo der Künstler doch tagein tagaus
permanent überwacht wird? nun ja, wollen wirs mal nicht zu genau nehmen...).
Man sollte ihn also auch mindestens mit Jack Nicholson oder Robert de Niro
vergleichen: Ai Weiwei, eine Mischung aus Gandhi, Picasso, Beethoven und Jack
Nicholson. Schon besser, oder? 

P.P.S.Und um das alles
abzurunden: Die Bohai-Bucht ist eine der drei großen Meeresbuchten im Norden
des Gelben Meeres. Vom Beijinger Südbahnhof kann man mit dem Schnellzug in
dreißig Minuten nach Tianjin an der Bohai-Bucht fahren. Vielleicht haben sich
die deutschen Medienvertreter dort ja verabredet und zu ihrem großen Bohai
inspirieren lassen? Gewissermaßen zu tief ins Wasser der Bohai-Bucht geschaut?

27.04.2014

Die halbe Nation ist irre

„Die halbe Nazion
iss irre; (& die andre Hälfde nich ganz bei Groschn!).“Arno Schmidt, „Die Schule der Atheisten“ (1971)

27.04.2014

NSA & Heartbleed

Und wie nun herausgekommen ist, hat die NSA uns alle unter Ausnutzung
der Heartbleed-Sicherheitslücke zwei Jahre lang ausspioniert:Die SZ meldet heute, am 12.4.2014, (wie die
meisten anderen Medien) in ihrem Online-Aufmacher: „Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg
unter Berufung auf zwei 'mit der Angelegenheit vertraute Personen'
berichtet, wußte die NSA seit
mindestens zwei Jahren von der Schwachstelle. Anstatt diese jedoch zu melden
und damit die Internet-Sicherheit zu verbessern, habe man Heartbleed zur Sammlung von Daten im
Rahmen von Geheimdienstoperationen verwendet. Über das Ausmaß der Aktionen ist
nichts bekannt."Zitiert nach „Perlentaucher“, der in seiner
Einleitung allerdings eher die falsche Frage stellt:„Schock über Heartbleed: Jimmy Wales und viele andere fragen, ob uns
die NSA über zwei Jahre Kriminellen auslieferte“, schreibt der
„Perlentaucher“. Dabei ist doch wohl eher die NSA (und alle anderen
Geheimdienste mit ähnlichen Praktiken) selbst die kriminelle Organisation, der
wir alle ausgeliefert sind, oder?!? Heartblöd.

27.04.2014

Journalisten können nicht an sich halten

Was einem ja wirklich permanent auf den Keks geht, ist, wenn die Damen
und, meistens, Herren des sogenannten Popjournalismus nicht an sich halten
können. Da wird Mitte April das neue Album von der auch von mir sehr und seit
langem (danke Jens Balzer!) geschätzten Fatima Al Qadiri besprochen, in „Spex“
und in Klaus Walters ebenfalls sehr geschätztem wöchentlichen Rundbrief. Allein
– das Album wird erst am 9.Mai erscheinen. Was also soll das? Warum wird etwas
besprochen, das es noch gar nicht gibt?Schon klar, liebe Pop-Journos, ihr seid natürlich die allertollsten
Hechte und habt alles, was es an Musik so gibt, schon Wochen oder Monate im
Voraus, klar. Aber müßt ihr das auch immer so groß raushängen lassen? Müßt ihr
wirklich auf der von der Musikindustrie gelegten Schleimspur bereitwillig
herumrutschen? Den Verwertungszyklus befeuern? Denkt ihr wirklich, irgendjemand
würde euch für uncool halten, wenn ihr ein Album mal nicht als erste, sondern
dafür kompetent und ausführlich nach
Erscheinen (also zu einem Zeitpunkt, da es nicht nur ihr, sondern auch der
gewöhnliche Sterbliche anhören kann) besprechen würdet?Es saugt. Und nützt den meisten Alben auch eher wenig, denn der
„Konsument“ dürfte einen Monat später bei Erscheinen des Albums eure tolle
Rezension längst vergessen haben und damit möglicherweise auch den Kauf des
Albums, erst recht in diesen Zeiten, in denen mediale Zyklen ja eher minimiert
denn maximiert werden...Don’t like.

13.04.2014

Raubkunst in Hermann Parzingers Büro

Im Büro eines der obersten Hüters der deutschen Kultur, des kulturellen
Preußen-Erbes, im Büro also des Chefs des Präsidenten der Stiftung Preußischer
Kulturbesitz, die den Neubau des Berliner Stadtschlosses mit dem
Humboldt-Museum massiv vorantreibt, hing bis vor kurzem ein Gemälde von Oskar
Kokoschka, bei dem es sich sehr wahrscheinlich um Raubkunst handelt. Und der
oberste Hüter der Preußen-Kultur, Hermann Parzinger, fand nichts dabei, ganz im
Gegenteil, im „Tagesspiegel“ äußert sich Parzinger nonchalant: „Da wir davon ausgingen, daß keine Verfolgungsbedingtheit
vorlag, gab es keinen Grund, es nicht zu hängen.“ So reden deutsche
Kulturbürokraten mit Sekundärtugenden, mit denen sie ohne Weiteres vor einigen
Jahrzehnten auch dem Nazi-System hätten dienen können.

Doch selbst wenn das Kokoschka-Gemälde formaljuristisch nicht unter die
Raubkunst-Kriterien fallen sollte – Tatsache bleibt, wie Nikolaus Bernau
dankenswerterweise für die „Berliner Zeitung“ recherchiert hat, daß das Gemälde
1935 von der „Berliner
Nationalgalerie aus Beständen erworben wurde, die die Münchener Kunstsammlerin
und Galeristin Anna Caspari in der Dresdner Bank als Pfand hinterlegt hatte.
Anna Caspari gelang es gerade noch, ihre Söhne nach London in Sicherheit zu
bringen, bevor sie selbst 1941 nach Litauen deportiert und am 25. November in
Kaunas ermordet wurde." Ein Bild also, das einem Opfer des Holocaust
gehörte, bevor es unter fragwürdigen Rahmenbedingungen an den Staat ging, einer
Jüdin, deren Galerie 1939 von der Gestapo geplündert und geschlossen wurde und
die zwei Jahre später von den Nazis ermordet wurde. Und darunter saß tagein
tagaus der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ging seinen
Geschäften nach. Und ist sich keiner Schuld bewußt. Ein Kriterium wie Empathie
darf man bei so einem Kulturfunktionär schon gar nicht erwarten.

Es ist widerlich. Hermann Parzinger ist als
Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht länger tragbar. Da er
sicher nicht das Fünkchen Anstand besitzt, von sich aus zurückzutreten, muß er
von der Politik, und wenn die wieder einmal versagen sollte, von den
Bürgerinnen und Bürgern zum Rücktritt gezwungen werden!

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