01.11.2014

Krieg & Karl Kraus

„Krieg ist zuerst die Hoffnung, daß es einem besser
gehen wird, hierauf die Erwartung, daß es dem andern schlechter gehen wird,
dann die Genugtuung, daß es dem andern auch nicht besser geht, und hernach die
Überraschung, daß es beiden schlechter geht.“(Karl Kraus)

01.11.2014

Mädchen gehen zur IS

Um nochmal auf die bürgerlichen Qualitätsjournalisten zurückzukommen –
was sie derzeit ja auch gerne treiben: sie schreiben Reportagen über einzelne
junge Menschen, die nach Syrien reisen und sich dem IS anschließen. Wie die
„Süddeutsche Zeitung“ über zwei Wiener Teenagerinnen, die im April nach Syrien
reisten und sich dem IS anschlossen.Mal jenseits dessen, daß ich mich frage, wie diese Reportagen entstehen,
also ob a) die Zeitungen tatsächlich die jungen Menschen in Syrien aufsuchen
(wohl eher nicht), und b) ob die jungen Menschen dann tatsächlich mit den
Reportern sprechen würden (wohl eher nicht), und c) ob die IS derartige
Gespräche von Neu-Islamisten mit Reportern der bürgerlichen abendländischen
Presse überhaupt zulassen würden (wohl eher erst recht nicht) – und wenn man
diese drei kleinen Fragen beantwortet hat, denkt man sich, es wird halt so sein
wie im topseriösen Blödzeitungsjournalismus – man lungert ein bißchen bei
Verwandten und Freunden herum, schreibt deren Äußerungen ins Notizbuch und
bläht das alles mit eigenen Empfindungen auf. Heraus kommen dann Sätze wie in
dem der „Süddeutschen Zeitung“, die ein Franz Josef Wagner nicht besser hätte
schreiben können: „Meisterinnen der sozialen Netzwerke. Sie
rennen aus ihren Schulen, werfen ihre kurzen Röcke weg und schicken Selfies,
auf denen nichts zu erkennen ist hinter schwarzem Tuch. Früher tänzelten sie
durch die Favoritenstraße, jetzt sind sie in einer Welt, in der selbst die Hinterteile der weiblichen Schafe auf
den Märkten verdeckt werden müssen.“ („SZ“) Oder, auf „SPON“, über eine
junge Französin, die nach Aleppo abgehauen ist: „Dabei sei sie früher ein ganz normales, fleißiges Mädchen gewesen und
habe sich für Disney-Filme interessiert.“Aber jenseits all dessen, und ich bitte, nochmal ansetzen zu dürfen:
Eine Frage, die man sich ja stellen könnte und die zu beantworten spannend
wäre, ist doch die, warum sich junge
Menschen, die jahre- bzw. meist jahrzehntelang in unserer ach so tollen
abendländischen Demokratie aufwachsen, ganz offensichtlich mit deren
politischen, kulturellen und vielleicht auch sozialen Angeboten so wenig
anzufangen wissen, daß sie sich lieber einer islamistischen und de facto
faschistischen Organisation anschließen. Vielleicht sind die Gründe ähnlich wie
bei den vielen Menschen, die an den Wahlen nicht mehr teilnehmen, also der
Nichtwähler (und jetzt mögen bitte keine Sozialdemokraten ums Eck geschossen
kommen und versuchen, die jungen Islamisten mit Bonuspunkten und Rabattmarken
von Supermärkten in die Demokratie einzuwerben, wie sie es bezüglich der
Nichtwähler vorgeschlagen haben...). Daß die Narration von Teilhabe, Kultur und
Zivilgesellschaft für viele Menschen in der neoliberalen Postdemokratie einfach
nicht mehr funktioniert. Daß der Neoliberalismus, der „uns in einen Zustand permanenter Angst befördert hat“ (Mark
Fisher), eben das Gegenteil der „Freiheit“ ist, die sie uns immer noch
verkaufen, die aber nur die Freiheit zu grenzenlosem, angestrengtem Konsumismus
in einer „marktgerechten Demokratie“ (Angela Merkel) ist. Und in einer Welt der
Ego-Maschinen und Selbst-Kuratierer gibt es eben einen gewissen, dramatisch
steigenden Prozentsatz von Menschen, die sich gemeinsam in eine „Mikrogemeinde“
zurückziehen, wie Georg Seeßlen bei anderer Gelegenheit schreibt. Eine
Mikrogemeinde auch als Parallelwelt wie bei dem französischen Teenager-Mädchen,
das eben nicht nur „ganz normal und fleißig“ ist und (oder weil es)
Disney-Filme schaut, sondern das ein Doppelleben geführt hat: „Erst nach ihrem Verschwinden habe die Familie ein zweites Handy, einen
zweiten Facebook-Account und islamische Kleidungsstücke entdeckt.“ (SPON).Daß diese Mikrogemeinde, in die die Teenager (und
es scheinen Hunderte zu sein) abgetaucht sind, ausgerechnet islamistisch und
reaktionär ist, ist ausgesprochen tragisch. Wie die bürgerlichen Medien darüber
berichten, ist traurig und haben die Teenager so nicht verdient.

01.11.2014

Nordkoreas Kim, der Weihnachtsmann

Was dem Feuilletonisten das frühherbstliche Weihnachtsgebäck und die
Schokonikoläuse, das ist dem Politikberichterstatter unter den
Qualitätsjournalisten sein Nordkorea. Seit jeher kann man ja die PR-Kampagnen
dieses kleinen Staates nur bewundern – wie einer der kleinsten Staaten der Erde
es schafft, eine so umfangreiche und permanente Berichterstattung zu generieren
– Respekt! Und dabei gibt es ja keine westlichen JournalistInnen in Nordkorea.
Klar, der eine oder die andere machen mal eine kurze, geführte und in allen
wesentlichen Punkten von der Regierung vorgegebene Rundreise (wie ich sie vor
etlichen Jahren unternommen habe, siehe den mehrteiligen Reisebericht in
„Konkret“, auch hier
zu finden, aber die meisten Berichte, die Sie in den Qualitätsmedien
bundesdeutscher Provenienz finden, sind eben reine Spökenkiekerei und entstehen
in Tokio, Beijing oder am heimatlichen Schreibtisch. Ob da Kim Jong Un bei
einer Jubiläumsfeier fehlt, hinkt oder im Panzer sitzt – keiner, der auf „SPON“,
„FAZ“ oder „SZ“ darüber schreibt, weiß irgendetwas, sondern entnimmt seine
Informationen aus dem staatlichen Fernsehen Pjöngjangs oder den Berichten
südkoreanischer Quellen (die es wiederum aus dem Fernsehen Pjöngjangs usw.
usf.).Kim Jong Un ist gewissermaßen der Weihnachtsmann des deutschen
Qualitätsjournalismus.

01.11.2014

Bands, Techies & Kontrollgesellschaften

Drollig, wie die verschiedenen Großkünstler vergangener Zeiten zuletzt
ihre eigenen technischen Kleingärten mit Zäunen einhegen. U2 veröffentlichen
ihr neues Album auf Apples iTunes und zwingen allen iTunes-Nutzern ihre von den
meisten nicht erwünschte Musik als Spam auf. Fast noch bescheuerter wirkt die
Geste der Zerknirschtheit, mit der die irischen Steuerflüchtlinge im Nachhinein
auf Gutwetter bei den Fans machen wollen. Es sei „Größenwahnsinn“ und „Eigen-PR“
gewesen, die zu dieser Aktion geführt habe, so der Band-Chef. Oder war es nicht
doch das liebe Geld? Cui Bono? Dem Vernehmen nach haben U2 knapp 100 Millionen
von Apple kassiert. Bono jedenfalls siehts so: „Wir wurden als Band erstklassig bezahlt.“ Wohl wahr.Mainstream-Kollege Thom Yorke, bekanntlich eingefleischter
Streaming-Gegner, brachte sein neues Soloalbum nicht beim Apfel, sondern sozusagen
bei einer Birne heraus, nämlich exklusiv bei Bittorrent, im Bundle mit
Filesharer-Software. Ähem. War da was?Wann werden die Künstler es endlich lernen, daß das Geheimnis
erfolgreicher Musik-Veröffentlichungen nicht darin besteht, sich für viele
Millionen vor den Karren verschiedener Technik-Konzerne spannen zu lassen,
sondern die Musik einfach zeitgleich auf allen verfügbaren Kanälen zu
veröffentlichen? Diejenigen, die diese Musik hören wollen, wollen weder U2-Spam
in ihren iTunes-Ordnern, noch dazu gezwungen werden, Software auf ihren Rechner
zu installieren, um Thom Yorke zu hören. Die Freiheit besteht darin, daß die
Fans, die „User“ selbst bestimmen können, wie und wann (und ob...) sie die
Musik der Künstler hören wollen. Ob als Download, Stream, als Vinyl oder, wie
in der digitalen Steinzeitrepublik Deutschland immer noch mehr Menschen als
andernorts, als CD. Der Deal ist: Der Künstler macht die Musik. Der Fan
entscheidet, wie er sie hört. Die Zeiten der Disziplinargesellschaft, in der
die Fans vorgeschrieben bekommen, wie sie Musik zu hören haben, sind
Vergangenheit. Warum sperrt ihr eure Musik hinter Mauern, seien es die von
Apple oder die von Bittorrent? Kommt ins Offene, liebe Musiker, laßt euch aufs
21.Jahrhundert ein! Wenn eure Musik gut und interessant genug ist, wird sie
gehört und bezahlt werden – auf den Kanälen, die nicht ihr, sondern die Fans
bestimmen!

16.10.2014

Gabriel genehmigt Rüstungsexporte u.a. nach Saudi-Arabien

Wirtschaftsminister Gabriel (SPD) hat erneut Rüstungsexporte in
Milliardenhöhe an umstrittene Drittländer genehmigt. „SPON“ berichtet: „Deutsche Rüstungsfirmen machten im ersten Halbjahr unter
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) beinahe ebenso gute Geschäfte mit
umstrittenen Drittländern wie unter der schwarz-gelben Vorgängerregierung.
(...) Aus Ministeriumskreisen hieß es, die von den Genehmigungen begünstigten
Länder wie Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate seien ‚seit
Jahren in der Region für eine gewaltfreie Entwicklung eingetreten’. Auch das
Auswärtige Amt hat nach Informationen des Spiegel in internen Rüstungsrunden
auf die stabilisierende Funktion vor allem von Saudi-Arabien in der
Krisenregion hingewiesen.“„Stabilisierende Funktion“?!? Die Diktatur in
Saudi-Arabien hat bekanntlich direkt und indirekt die IS unterstützt und köpft
seit jeher systematisch Regimegegner: Allein in diesem Jahr hat das
saudi-arabische Regime bereits 59 Menschen enthauptet, doppelt so viele wie die
in barbarischen Videos gezeigten Enthauptungen westlicher Geiseln durch die
IS-Miliz.„Im August
sind die von Riad Verurteilten für Verbrechen wie Apostasie, Ehebruch
und 'Hexerei' hingerichtet
worden. In einem Fall sind vier Mitglieder einer Familie hingerichtet worden,
weil sie 'große Mengen Haschisch in Empfang genommen hatten', ein Urteil, das
laut Amnesty International auf Geständnissen beruhte, die durch Folter erlangt
wurden.“ (Tom Breakwell, „Vice“) Darüber wird natürlich nicht berichtet,
denn Saudi-Arabien ist ja Partner des Westens. Wie Mexiko, weswegen die
grausame Ermordung von etwa 50 demonstrierenden Studenten wahrscheinlich durch
die Polizei nur eine kleine Nachricht auf den hinteren Seiten der Zeitungen
wert ist – vorne muß man ja seitenlang über die Demonstrationen in Hongkong
berichten. „Ein
Land, das Medien hat, braucht keine Zensur.“ (Peter Hacks)

15.10.2014

Xavier Naidoo ist Jesus

Der Weihnachtsmann dieses Blogs, allerdings einer, der längst
schon nicht mehr alle am Christbaum hat, das aktuelle Blog-Faktotum
sozusagen ist derzeit Xavier Naidoo. Unten hatte ich bereits aus einem
Artikel von Georg Diez auf „Spon“ zitiert, wonach sich der
christlich-esoterische Schnulzensänger neuerdings auf den Demos der Neuen
Rechten tummelt.Am Tag der Deutschen Einheit zelebrierte Xavier Naidoo, der in der
offiziellen Bewerbung der Stadt Mannheim für den Titel als „Unesco-Musikstadt“
als „Galionsfigur und Ikone“
Mannheims bezeichnet wird, nun die Union mit ehemaligen NPD-Funktionären,
sogenannten „Reichsdeutschen“ und anderen Reaktionären auf deren Berliner
„Demonstrationen“. Der Mannheimer Schnulzensänger trug, auf YouTube ist es zu
sehen, dabei das sogenannte Sankt-Georgs-Band, „das einstmals vom russischen Zaren an besonders tapfere Soldaten
vergeben wurde und heute in Rußland und der Ukraine als Erkennungszeichen der
prorussischen Separatisten genutzt wird. Wie man der Webseite ‚staatenlos.info’
entnehmen kann, dienen die schwarz-orangen Streifen zugleich als
Erkennungszeichen der ‚Nationalen Befreiungsbewegung Deutschland’“
(„Berliner Zeitung“).Auf einer weiteren „Demonstration“, an der Naidoo am 3.Oktober teilnahm,
trug er, man kann auch das auf YouTube betrachten, ein T-Shirt mit der sinnigen
Aufschrift „Freiheit für Deutschland“; im späteren Verlauf dieser Demonstration
wurden antiamerikanische und antiisraelische Slogans skandiert. Naidoo hat auf
einer ähnlichen „Montagsdemonstration“ im August in Mannheim laut „Berliner
Zeitung“ den „Umstand beklagt, daß ‚Deutschland
immer noch von den Amerikanern besetzt’ und darum ‚kein richtiges Land’ sei;
auch sei die Frage, ob es überhaupt’ eine Verfassung besitzt’.“Naidoo vergleicht
sich in dem Zusammenhang im Übrigen wenn schon nicht mit Gottvater, dann doch
mit dessen Sohn: „Jesus ist auf alle
Menschen zugegangen. Ich möchte ebenfalls auf Menschen zugehen, egal wo sie
sind, egal wo sie herkommen. Ich möchte von Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und
meiner Überzeugung sprechen. (...) Ich möchte auf Menschen zugehen. Auch zu
'Reichsbürgern'. Auch auf die NPD. Das ist mir alles wurst.“

15.10.2014

TTIP

Gegen die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP)
zu sein, ist mittlerweile fast schon ein Allgemeinplatz geworden, unter dessen
Banner man es sich auch mit der bürgerlichen Presse oder den
Montagsdemonstranten gemütlich machen kann. Und natürlich ist der TTIP ein
elender und ekelhafter Versuch, „wieder
nennenswertes Wachstum zu generieren, indem man die Politik, die zur Krise
geführt hat, in noch extremerer Form weiterführt“ (Jörn Schulz), und zwar,
wie das im Spätkapitalismus eben üblich ist, mit definitiv undemokratischen
Mitteln. Daß hiesige Kulturschaffende in dieser Angelegenheit entlarvend
systemtreu argumentieren (also gewissermaßen: „wir müssen das bestehende
deutsche respektive europäische System unbedingt erhalten!“ Wirklich? weil es
so toll ist? weil wir uns nichts Besseres mehr vorstellen können?), ist
signifikant und eigentlich nicht weiter erwähnenswert.

Interessant ist da
schon eher, was der Professor für Öffentliches recht und Völkerrecht, Markus
Krajewski, dieser Tage in der „taz“ zu diesem Thema zu erzählen hatte.
Demzufolge nämlich hat ausgerechnet Deutschland den strengen Investorenschutz,
ein Kernstück des geplanten TTIP-Abkommens, 1959 selbst erfunden: „1959 schloss die Bundesregierung erstmals
ein solches Abkommen mit Pakistan. Inzwischen gibt es 130 dieser Verträge mit
anderen Staaten - so viele wie sonst nirgendwo. Nach dem Zweiten Weltkrieg
hatte Deutschland keine militärischen Möglichkeiten, wollte als Handels- und
Exportmacht aber trotzdem seine Wirtschaftsinteressen schützen. Deswegen wählte
man den Weg, dass deutsche Unternehmen das Recht bekamen, vor speziellen Schiedsgerichten
zu klagen, wenn beispielsweise ihr Eigentum in einem Entwicklungsland enteignet
wird und die dortige Justiz nicht verlässlich ist.“
Die schärfsten Kritiker der Elche... na, Sie wissen schon.Und es gilt also wie immer: wenn man etwas, das man für grundfalsch
hält, nicht haben will, dann darf man nicht an paar Symptomen herumdoktorn,
sondern muß es grundsätzlich regeln. Wer nicht möchte, daß US-Konzerne vor
Schiedsgerichten unter Ausschluß der Öffentlichkeit ihre
Schadensersatzmaßnahmen durchsetzen können, wie es das TTIP vorsieht, der
sollte auch gegen die 130 Verträge protestieren, die die Bundesrepublik
Deutschland mit dem nämlichen Inhalt anderen Staaten gegenüber durchgesetzt
hat.

15.10.2014

Apple zensiert Nippel

Apple als Maschine der Kontrollgesellschaft, als eigene Kontroll- und
Zensurinstanz sozusagen: Wie Jens Friebe im Interview mit „Intro“ erzählt, hat
iTunes seine erste Platte nicht auf die Verkaufsplattform eingestellt, „warum das so ist, sagen die nicht“. Und
beim Cover seines aktuellen Albums „hat
man uns, was das jetzige Cover angeht, sozusagen im Vorfeld dazu geraten, den
Nippel zu zensieren“, obwohl der „bei
der Größe, in der das Cover auf iTunes steht, sowieso nicht sichtbar gewesen
wäre.“ Aber wer bei Apple Alben kauft, ist sowieso selber Schuld, also...

15.10.2014

Die SUISA schreibt mir eine Mail

Anfang Oktober
trat ich mit meinem Vortrag „Das Geschäft mit der Musik“ in der Schweiz, im
wunderbaren „Bad Bonn“ in Düdingen in der Nähe von Bern auf. Der Veranstalter
hatte auf die Lesung auf seiner Homepage u.a. mit einem kleinen Zitat aus
meinem Buch geworben, wonach der SUISA-Chef (SUISA ist die Schweizer GEMA)
jährlich 357.000 Schweizer Franken verdienen würde (und der Chef der Schweizer
„VG Wort“, also der „ProLitteris“, hat noch mehr eingestrichen...) – als diese
Einkommenszahlen erstmals veröffentlicht wurden, äußerten Erfolgsautoren wie
Alex Capus ihren Unmut über die Verteilung der Einnahmen zwischen Funktionären
und den Autoren, und Politiker verschiedenster Fraktionen kündigten eine
parlamentarische Initiative an, die die Gehälter auf das in der Staatsverwaltung
übliche Niveau senken sollte. Die Funktionäre jedoch sahen, dort wie hier,
keinerlei Handlungsbedarf. Ernst Hefti, der Direktor von ProLitteris, meinte,
auf das Mißverhältnis zwischen den Einkommen vieler Urheber und dem seinigen
angesprochen, im „Tagesanzeiger“ lapidar, daß schließlich „jeder seinen Beruf
selber wählt“ – also gewissermaßen: Künstler, ihr seid selber Schuld, wenn ihr
so blöd seid, Musiker oder Autoren zu sein, machts halt wie ich, werdet
Funktionär einer Verwertungsgesellschaft, dann bekommt ihr auch ein
Herrschaftsgehalt!Am Nachmittag vor dem Auftritt erreichte mich eine Mail von Giorgio
Tebaldi, dem „Abteilungsleiter Kommunikation“ der SUISA; darin hieß es u.a.: „Sie halten heute Abend im Bad Bonn in
Düdingen eine Lesung mit dem Titel ‚Das Geschäft mit der Musik’. Im Teaser
schreiben Sie, daß das Jahresgehalt des SUISA-Generaldirektors CHF 357.000
beträgt. Wie Sie im SUISA-Geschäftsbericht 2013 auf Seite 20 lesen können,
beträgt das Gehalt CHF 303.613. Die von Ihnen genannte Zahl bezieht sich
unseres Erachtens auf das Jahresgehalt des Vorgängers Alfred Meyer im Jahr
2008. Ich möchte Sie bitten, in Ihrer Lesung das tatsächliche, aktuelle
Jahresgehalt zu nennen. Besten Dank und freundliche Grüße.“Um ehrlich zu sein, hatte ich gar nicht vor, bei meinen Vortrag
überhaupt auf die SUISA und die Gehälter ihrer Generaldirektoren einzugehen –
ihr Abteilungsleiter Kommunikation brachte mich allerdings auf die Idee, und so
las ich seine Mail unter großem und anhaltendem Gelächter des Publikums vor.
Womit uns schließlich allen gedient war.

15.10.2014

Helmut Markwort wanzt sich an

Drollige Nachricht: Helmut Markwort, der damalige sogenannte
Chefredakteur und heutige Herausgeber des sogenannten „Focus“, hat zugegeben,
für seine Zeitschrift unter einem Pseudonym Beiträge über den FC Bayern München
geschrieben zu haben, obwohl er Mitglied im Aufsichtsrat des Vereins war. Und
was hat er enthüllt? Was man im „Focus“ eben so als investigative Recherche
versteht: „...was es bei einer
Rußland-Reise zu essen und zu trinken gab oder wer wo saß.“ („FAZ“). Nun ja.Dann fragt die „FAZ“ sich und uns noch, ob Markwort in einem „Rollenkonflikt“ gesteckt habe. Markwort? Rollenkonflikt?!? Ich
bitte Sie. Da müßte diese Knallcharge doch kapiert haben, was die Grundregeln
des Journalismus sind. Und so was wird dem Chef-Anwanzer und der FC Bayern-Betriebsnudel
in diesem Leben nicht mehr passieren. Wort.

09.10.2014

Weihnachtsware im Herbst

Liebe QualitätsjournalistInnen! Seid höflichst daran erinnert, daß es
bereits Oktober ist. Seit geraumer Zeit stapeln sich in den Supermärkten die
Weihnachts-Süßigkeiten, Lebkuchen, Nikoläuse, wasweißich. Falls es noch nicht
geschehen sein sollte, ist es also allerhöchste Eisenbahn, eure einschlägigen
Besinnungsaufsätze auf den Titelseiten oder Feuilletons oder Kommentarspalten eurer
Zeitungen loszuwerden: wie furchtbar es doch ist, daß sich in den Supermärkten
bereits mit Herbstbeginn die Weihnachtsware stapelt, wie schön das Leuchten in
den Kinderaugen der Adventszeit doch frührer war, und wie die Zeit überhaupt
fliegt und das Internet und Google und... na, ihr wißt schon, was ihr zu
schreiben habt, wollte euch nur kurz dran erinnern. Nicht zu danken, gern
geschehen. Es geht ja schließlich um Qualitätsjournalismus.

21.09.2014

Scorpions @ Fête de la Humanité

Und wissen Sie, wer letztes Wochenende der Headliner des großen
französischen Festivals „Fête de l’Humanité“ im Parc départemental
Georges-Vallon bei Paris war, also dem mehrtägigen Festival der Zeitung der
kommunistischen Partei Frankreichs? Noch vor Massive Attack, IAM, Bernard
Lavilliers, Alpla Blondy und all den anderen? Sie werden nicht drauf kommen:
Die SCORPIONS warens.

„Pour réinventer la liberté, l’égalité et la fraternité“ heißt es im
Untertitel des Festivals. Was für Zeiten. Die Hannoveraner singen für die
französischen Kommunisten, Gorbatschow macht Werbung für Louis Vuitton – was
mag da noch kommen? Ach ja – auch der französische Rüstungskonzern Lagardère
und das französische Staatsfernsehen TF1 halten größere Anteile an l’Humanité –
so ist das in unserem Nachbarland, „winds
of change“ sozusagen...

21.09.2014

Was ist Musik? Und Universal will an ihr Entertainmentbudget!

Was ist Musik?„Musik ist
und bleibt der Brandbeschleuniger der Kreativökonomie im Netz", sagt
der Deutschland-Chef von Sony Music Entertainment.

Und was ist eine Plattenfirma?„Wir – und das
meint Universal Music ganz besonders – sind der Innovationsmotor unserer
Branche, aber mittlerweile auch als Business-Avantgarde auch für andere
Branchen,“ tönt Frank Briegmann, „President Central Europe und Deutsche Grammophon
Universal Music International“ (was für eine Visitenkarte muß das sein! wer hat
die größte...)Und der Universal-Chef macht klar, worum es ihm als, wenn man das mit
der Business-Avantgarde mal etwas weiterspinnt, Business-Leninisten so geht:„Es geht um den
Kampf ums Portemonnaie der Konsumenten. Es geht um ihr Entertainment-Budget und
wie wir es zu uns und unseren Künstlern lenken.“

21.09.2014

BMW zum Letzten!

Wenn es um derart hehre Ziele geht, also „ums Portemonnaie der Konsumenten“, „um ihr Entertainment-Budget“ und wie es am schnellsten in die
Kassen von Universal Music, des Weltmarktführers unter den Tonträgerkonzernen,
gelenkt werden kann, dann möchten die Berliner Sozialdemokratie und das
Berliner MusicBoard nicht abseits stehen, sondern tatkräftig mithelfen.„Berlin Music Week“ (BMW), Sie wissen schon – diese komische und sehr
überflüssige Stadtmarketingveranstaltung, veranstaltet unter der Zuständigkeit
des Berliner Wirtschafts(!)senats von Leuten, die es als Erfolg ansehen, wenn
„Ruhe im Karton“ herrscht. Im Juli 2009 habe ich in der „Berliner Zeitung“
bereits den „Nachruf auf
eine Funktionärsmesse“ veröffentlicht, und dem ist auch heute nur wenig
hinzuzufügen, und das Nötige hat Jens Balzer in einem herrlichen Artikel in
selbiger Zeitung unter dem Titel „Warum Berlin keine Music Week braucht“ dieser Tage geschrieben.
Klar: kein Mensch, der noch bei Trost und bei klarem Verstand ist, wird zu
einem in Kooperation mit ausgerechnet dem Axel Springer-Konzern veranstalteten
„Music Hack Day“ gehen, oder zum „Berliner Pilsner Music Award“, oder sich in
den „Music Startup Corner“ setzen, wo unter anderem im Rhythmus blinkende Mobiltelefonhüllen
angeboten werden, oder zu einer ausgerechnet von der O2 World, also der
Berliner Mehrzweckhalle im charmanten Parkhauscharakter, präsentierten
Straßenmusiker-Minibühne gehen oder zu sonstigen Verzweiflungs-Veranstaltungen,
die eine „möglichst ideale Verbindung von
Business- und Publikumsevent anstreben“, also in Wirklichkeit
Werbeveranstaltung für die jeweiligen Geschäftsmodelle der jeweiligen Firmen. „Nicht nur über Musik reden, sondern hin
zum Making, zum kreativen Event.“ I’m awfully sorry, aber wer so
daherplappert, hat verloren. Und zwar völlig zurecht.

Und so ist es erfreulich, logisch und konsequent, daß es die BMW künftig
nicht mehr geben wird. Weniger erfreulich, eher unlogisch und wenig konsequent
ist es, daß es künftig stattdessen ein neues Stadtmarketingdingens geben wird
unter dem achsodollen Titel „Pop=Kultur“, unter dem Dach des Berliner
Musicboards und mithin der Staatskanzlei. Nun kann man am Berliner Musicboard
ja sehr schön sehen, wie ein schlechtes und falsches Konzept durch die
richtigen Personen, also vor allem durch Katja Lucker, dennoch zu etwas
Sinnvollem mutieren kann. Was man sich aber dabei gedacht hat, jetzt eine neue
Stadtmarketingveranstaltung anzugehen, bleibt ein Rätsel, ebenso wie das
ausgewählte Personal. Denn die „Kuratoren“ – denn alle Kunst muß heutzutage
kuratiert werden, das subversive Potential von Pop- und Subkultur soll von
staatlichen oder staatlich finanzierten Bediensteten begradigt werden; Keith
Richards sagte dazu: „Ein
Rock’n’Roll-Kurator? Das ist das Albernste, was ich je gehört habe“... –
die Kuratoren also sind in dem Fall ein Pop-Fan-Boy, der schon dazu beigetragen
hat, kritiklos ein einstmals renommiertes Musikmagazin für die Konsumindustrie
zuzurichten („wir sind so unabhängig wie möglich“, hieß es seinerzeit, als zu
erklären war, warum die Werbekunden direkten Zugang auf die Inhalte des Blattes
bekamen), und ein Tourveranstalter, der gerne mit sich selbst verhandelt, weil
er gleichzeitig bereits Musikkurator eines Berliner Theaters ist, ein Bock
also, der jetzt an einer zweiten mit öffentlichen Geldern subventionierten
Stelle herumgärtnert. Und zu welchem Zweck? Damit schließt sich der Kreis –
denn Björn Böhning (SPD), Leiter der Berliner Staatskanzlei, zeigte sich laut
„Berliner Zeitung“ erfreut und beglückt, daß auch „der Musikkonzern Universal,
der sich in den vergangenen Jahren demonstrativ von der BMW ferngehalten hatte
erstmals wieder Interesse an einer Kooperation bekundet“ habe.

So kommt wie immer eines zum anderen und alles zu einem...

Mein Vorschlag ist: Laßt es endlich bleiben! Berlin braucht keine wie
auch immer geartete Branchenveranstaltung. Und die Welt braucht keinen weiteren
Branchentreff, der Terminkalender der Musikfunktionäre und Protagonisten ist
ohnedies schon eng gefüllt mit all den weltweiten
Stadtmarketingveranstaltungen. Investiert das eingesparte Geld in die
musikalische Bildung – die Musikschulen Berlins brauchen dringend korrekt
bezahlte, fest angestellte LehrerInnen, und an den Schulen fällt auch in Berlin
ständig der Musikunterricht aus. Da ist Nachholbedarf, da ist das Geld gut
angelegt in die Kreativität künftiger Generationen. Und wenn irgendwer was
wissen willen über das, was in der reichhaltigen Berliner Musikszene so läuft –
gebt ihm statt ausgeklügelt kuratierter, überflüssiger Veranstaltungen einfach einen
Stadtplan mit all den kleinen und großen Clubs in die Hand und ein örtliches
Stadtmagazin, in dem all die zig Konzerte verzeichnet sind, die allabendlich in
Berlin stattfinden. Denn Berlin ist längst Pop. Punkt.

21.09.2014

BMW: Audiolith, Landstreicher

(Wie man es richtig macht, wenn
man schon unbedingt mittun will oder muß, bewiesen Audiolith und Beat The
Rich/Landstreicher: entweder packt man, wie die letztgenannten, seine größten
Acts, die normalerweise zigtausende Fans ziehen können, in einen dramatisch zu
kleinen Club und schaut, was so passiert – toll! da will man doch gleich mittun
und ebenfalls Teil einer Jugendgefährdung sein... oder man reicht, wie Erstere,
an einer Frittenbude ukrainische Teigtaschen und Freibier und verzichtet ganz
auf das Abspielen von Musik, weil Musik eben nicht zur Hintergrundbedudelung
taugt und die Leute sowieso quatschen und ukrainische Teigtaschen futtern
wollen... Respekt, liebe Kollegen!)

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