02.10.2013
Ausmitteilung
„Ausmitteilung“:Die
Konzertagentur Berthold Seliger wird zum Jahresende schließen, die Firma wird
zum 31.12.2013 nach 25 ½ Jahren abgemeldet.
Um gleich etwaigen Gerüchten deutlich entgegenzutreten:
diese Firma ist wirtschaftlich äußerst gesund, das laufende Geschäftsjahr wird
zu den zwei oder drei besten Jahren der Firmengeschichte gehören, und auch 2012
war ein sehr gutes Jahr. Und: Berthold Seliger erfreut sich im Rahmen der
Möglichkeiten eines nicht mehr ganz jungen Mannes bester Gesundheit und ist
guter Dinge.
Die Gründe, warum ich meine Firma schließe, sind, wenn man
so will, gesellschaftlicher, geschäftspolitischer wie auch privater Natur. Im
Wesentlichen gründet die Entscheidung, diese Firma zu schließen, auf der
Erkenntnis, daß das „Geschäft mit der Musik“ sich im letzten Jahrzehnt massiv
in die falsche Richtung entwickelt hat und sich für eine kleine Agentur wie
diese immer weniger Einflußmöglichkeiten ergeben, die Richtung des Schiffes
mitzubestimmen. Einige wenige weltweite Monopole dominieren den gesamten
Musikmarkt, ob es die Tonträgerfirmen oder das Live-Geschäft angeht. Die
Vielfalt der Kultur ist längst in Gefahr, während Konzerne zum Beispiel mit
Konzerten den größten Profit machen, ohne mit den Konzerten überhaupt etwas zu
tun zu haben – ich spreche von den Ticketingfirmen, die mit ihren absurden
Gebühren mehr verdienen als die Künstler und die Kulturarbeiter, die das alles
auf die Beine stellen. „World gone wrong“,
um es mit Bob Dylan zu sagen. Doch diese falsche Entwicklung findet sich auf
allen Ebenen. Wir sind nicht nur im Zustand der „marktkonformen Demokratie“,
wie sie Frau Merkel propagiert, nein, wir bewegen uns längst auch in einer marktkonformen Kultur. Man möge mir
verzeihen, aber mich interessiert die Frage, um die in unserem Geschäft längst
alles kreist, nämlich „wie viele Tickets verkauft die Band xyz?“, "wieviel
Profit kann ich mit Kultur machen?", deutlich weniger als die Frage der
Qualität der Musik, die eine Band spielt. Die erste Frage aller Musik ist –
taugt die Musik etwas? Kann diese Musik die Welt bewegen? Und dann erst kommt
die (natürlich auch wichtige) Frage, wie man mehr Tickets für die Konzerte der
jeweiligen Band verkaufen kann. Es kommt auf die Prioritäten an. Doch über
Inhalte wird immer weniger gesprochen, das „modern talking“ geht über Profite,
über Marketing, über Brands statt über Bands.
Machen wir uns nichts vor: Die Musikbranche war schon immer
ein Haifischbecken, auch schon vor 25 Jahren, als diese Konzertagentur
gegründet wurde. Die großen Plattenfirmen beispielsweise, sagte der legendäre John
Peel vor Jahren, „haben nie so getan, als
seien sie zu etwas anderem da, als möglichst viel Geld zu verdienen, von dem
sie den Musikern möglichst wenig abgeben. Sie sind Investitionsapparate.“ Klar.
Doch vor einem oder zwei Jahrzehnten trafen Sie auch in den großen
Plattenfirmen und auf allen anderen Ebenen des Musikgeschäfts auf Liebhaber,
auf Musikverrückte, auf Afficinados – während Sie diese heutzutage mit der Lupe
suchen müssen, und selbst in den sogenannten Indie-Firmen ist der
Musikliebhaber längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Mittlerweile hat sich
die Lage für jemanden, der sich als Kulturvermittler,
als Kulturarbeiter versteht,
dramatisch verschlechtert – übrigens auch das Wirtschaften in der
Musikindustrie als solches. Tugenden wie Vertrauen oder Loyalität, die Basis
eines old school-Business sind, wie ich es betreibe, werden zunehmend in den Hintergrund
gedrängt.
Sie können meine Analyse der Lage des „Geschäfts mit der Musik“ in meinem Insiderbericht, im dieser Tage
bei Edition Tiamat erschienenen gleichnamigen Buch im Detail nachlesen, ich
will Sie an dieser Stelle nicht mit langwierigen Erklärungen langweilen.
Sicher, meine Firma hat sich in mehr als 25 Jahren einen festen Platz im
Konzertgeschäft Europas erkämpft. Eine Position, aus der heraus man natürlich
noch weitere Jahre einigermaßen gesichert versuchen könnte, anspruchsvolle
Musik auf Tour zu bringen. Nur: wenn man etwas, in dem man sehr aktiv „drin“
ist, als falsch erkannt hat, sollte man nur noch einen sehr überschaubaren
Zeitraum darin bleiben, das ist klar. Es ist das alte Lied, daß es eben „kein richtiges Leben im falschen“ gibt,
wie Adorno in seinen „Minima Moralia“ sagte. It’s that simple.
Auch die Rahmenbedingungen,
unter denen man hierzulande, aber auch europaweit eine kleine Firma wie meine
Konzertagentur betreiben muß, tragen nicht gerade zur Lust aufs Weitermachen bei.
Jüngstes Beispiel: für Tourneeveranstalter wurde der ermäßigte Umsatzsteuersatz
von 7% auf Einnahmen aus Konzerten mit Beginn dieses Jahres endgültig beerdigt,
ab sofort muß man als Tourveranstalter 19% bezahlen. Das bedeutet aktuell einen
Einnahmenachteil meiner Firma von mehr als 50.000 Euro im Jahr – Geld, das in
schwierigen Zeiten von einer kleinen Firma nur unter größten Mühen
erwirtschaftet werden kann. Eines kann ich nach mehr als 25 Jahren
Konzertagententätigkeit sagen: Unterstützung aus der Politik hat man als
Betreiber einer kleinen Firma nie erhalten, das einzige, was ich von den
jeweiligen Regierungen gleich welcher Couleur erlebt habe, war, daß man Knüppel
zwischen die Beine geworfen bekommt, daß es immer mühsamer wird, eine kleine
Konzertagentur mit einem anspruchsvollen Programm in stürmischen Zeiten am
Leben zu erhalten. Das ist nicht der Grund, diese Firma zu schließen, es
erleichtert einem aber ganz sicher die Entscheidung...
Und es gibt noch eine persönliche Ebene, die allerdings wie alles
Persönliche auch in die Gesellschaft hineinreicht: Ich arbeite jetzt
seit fast 35 Jahren hart und bestreite mit meiner Arbeit meinen
Lebensunterhalt. Ich habe das Gefühl, es ist an der Zeit, dem Strudel der
harten Arbeit, des Sich-Definierens über Leistung, aber auch der
Selbstausbeutung und der ständigen Verfügbarkeit an sieben Tagen in der Woche
einmal über einem längeren Zeitraum entkommen zu müssen. Ich habe kein Erbe zu
verprassen – mir ist es lediglich in all den Jahren gelungen, ein paar Euro zur
Seite zu legen. Die werde ich nun in eine Art schöpferischer Auszeit
investieren, in zwei oder drei Jahre „Sabbatical“.
Sie wissen vielleicht, was man tun sollte, wenn man in einen Strudel gerät:
ganz runter bis auf den Grund, klar, und dann irgendwie seitwärts raus – das
ist die einzige Chance, einem Strudel zu entgehen. Ich habe mich also für das gepflegte Seitwärts-Entweichen
entschieden. Ich finde es richtig, im sozusagen „besten Alter“ eine Zeit lang
seitwärts aus dem Strudel entschwinden, statt mit all dem, was so lebenswichtig
ist, auf eine ferne (Renten-)Zeit zu warten, die uns Kulturarbeitern sowieso
eher „droht“ als lockt. All die Bücher lesen, die man schon lange lesen wollte.
Musik hören ohne den Druck, sie unter Verwertungsaspekten beurteilen zu müssen.
Reisen. Schreiben (zwei weitere Bücher sind in Vorbereitung...).
In Jan-Frederik Bandels Buch „Palette revisited“ erzählt Harun Farocki
von einem Dasein als Jugendlicher im Hamburg der 60er Jahre: „Wir sind jetzt 15, wenn wir zehn Jahre lang
nichts machen, haben wir immer noch genug Zeit, danach etwas zu tun. Das ist
eigentlich die Hoffnung, auszulöschen, was es an tradierten Auflagen gibt, und
bei der Stunde Null wieder neu anzufangen.“ Es mag einer Generation von Selbstoptimierern und Karrieristen eine
ungeheure Vorstellung sein, einfach mal ein paar Jahre auszusteigen, zu
„leben“, und danach erst an alles Weitere zu denken. Aber warum eigentlich? Was
ist so absurd an dieser Vorstellung? Ist es nicht viel naheliegender, in
„bestem Alter“ einmal ein, zwei oder drei Jahre aus dem Strudel seitwärts zu
verschwinden, neue Erfahrungen zu machen und danach zu sehen, wohin einen das
Leben noch so trägt, statt stumpf auf die Rente hinzuarbeiten? Natürlich ist
das die Umkehr der gesellschaftlichen
Produktivitäts- und Rentabilitätsideale – und genau das ist natürlich
ungeheuer reizvoll!
„Ein sonderbarer
Wahnsinn überwältigt die Arbeiterklassen der Länder, in denen die
kapitalistische Zivilisation herrscht. Dieser
Wahnsinn ist die Arbeitsliebe, die morbide, leidenschaftliche Arbeitssucht, die
bis zur Erschöpfung der Lebenskräfte des Einzelnen und seiner Nachkommen
getrieben wird“, schreibt Paul Lafargue, der Schüler und
Schwiegersohn von Karl Marx, 1880 in seinem leidenschaftlichen Text „Das Recht
auf Faulheit“. Nun ist, zugegeben, in meinem Leben „Faulheit“ eher schwer vorstellbar –
daß man aber von dem Wahnsinn namens Arbeitsliebe, von der „morbiden
Arbeitssucht“ wegkommen sollte, scheint mir hilfreich und eine Lektion, die
noch zu lernen sein wird.
Es gibt letztlich,
trotz alledem und alledem, wesentlich mehr gute Gründe, diese Agentur jetzt zu
schließen, als sie weiterzubetreiben.
Das heißt nun überhaupt nicht, daß ich der Musik völlig und für immer
den Rücken drehen werde. Es wird ein neues kleines, feines Ein-Mann-Büro geben:
ein „Büro für Musik, Texte und
Strategien“, das zum 1.1.2014 seine Arbeit aufnehmen und übrigens auch die
Patti Smith-Tournee im Februar 2014 und die Bratsch-Tour im März/April 2014 und
wohl auch noch die eine oder andere weitere Tournee veranstalten wird. Für
wenige ausgewählte Bands werde ich auch weiter als Europaagent arbeiten. Ein
kleiner Raum, kein Telefon, nur ein Email-Anschluß. Einzelne Projekte
durchdenken und/oder organisieren und/oder produzieren. Künstler und
Plattenfirmen und Projekte von Fall zu Fall beraten. Strategien entwickeln, wie
Künstler oder Kulturprojekte in schwierigen Zeiten überleben können. Ich werde
Stellung beziehen, wo, wann und wenn man mich dazu einlädt (und manchmal auch
ungefragt, wie gehabt). Und ein wenig Lehre wird auch dabei sein, ich werde
versuchen, vor allem junge Menschen an meinem Erfahrungsschatz teilhaben zu
lassen – ob das Künstler zu Beginn ihrer Karriere sind oder Menschen, die ihren
Weg im Kulturmanagement gehen wollen. Es hört ja nie auf, daß man etwas
bewegen, etwas ändern will. Nur, der Ort wird nicht mehr eine Konzertagentur
sein, die im Tagesgeschäft steckt und sich den immer heftiger werdenden
Turbulenzen des neoliberalen Markt-Getriebes ständig ergeben muß, um
erfolgreich zu bleiben oder wenigstens zu überleben. Nicht für einen Apparat
arbeiten, sondern für Ideen.
Im neuen Büro sowie unterwegs wird intensiv über Kultur, Musik und die Welt nachgedacht werden. Sich Zeit nehmen für
Gedanken und Strategien. Sich der
Pflicht zur absoluten und ständigen Betriebsamkeit widersetzen. Und es wird
auch darum gehen, sich mehr mit kulturellen
Partizipationsmöglichkeiten der Benachteiligten als mit
Distinktionsvorteilen der Bevorteilten zu beschäftigen. Doch zunächst einmal wird Chinesisch gelernt, und ich werde 2014 einige
Monate in China leben.
Das Musikgeschäft hat mein Leben über zweieinhalb Jahrzehnte immens
bereichert. Sowohl den intensiven Kontakt und Austausch mit den Künstlern, als
auch die oft partnerschaftliche oder doch zumindest vertrauensvolle, meist
angenehme Zusammenarbeit mit Veranstaltern, Partneragenturen, Plattenfirmen,
den Medien betrachte ich als ein Geschenk. Ich will nicht verhehlen, daß auch
ein bißchen Wehmut dabei ist, diese Entscheidung getroffen zu haben, weil sie
eben auch bedeutet, diese schönen Erfahrungen hinter sich zu lassen. Doch Patti
Smith hat in der ihr eigenen deutlichen Art sehr schön gesagt: „I don’t fuck so
much with the past, I fuck with the
future...“ Der Blick geht nicht so sehr zurück, sondern nach vorne. Ich
freue mich wie verrückt auf die Zukunft, die sicher nicht minder spannend und
nicht minder bereichernd werden wird. Sie dürfen sich Berthold Seliger als
glücklichen Menschen vorstellen...