02.12.2015

Hunger ist nirgendwo unvermeidlich

Aus einem Gespräch mit Martín Caparrós, dessen neues Buch „Der Hunger“ dieser Tage bei Suhrkamp erschienen ist, in „Die Welt“ vom 28.11.2015:

„Natürlich tragen wir ein Stück Verantwortung für die Zustände weltweit, aber die Hauptverantwortung trägt das System des globalen Finanz- und Wirtschaftskapitalismus. Die Produktion ist so organisiert, dass die Bedürfnisse in den wohlhabenden Ländern gedeckt werden. Es geht nicht darum, dass möglichst viele Menschen ernährt werden.“
Fehlt es uns an Einsicht und an Empathie?
„Jeder Achte hat nicht genug zu essen. Aber das ist keiner von den Menschen, denen wir täglich begegnen. Es sind vielmehr Menschen, die weit entfernt leben. Das macht es einfach, sie zu vergessen: Es ist nicht unser Problem. Wenn wir ihren Hunger nicht bewusst zu unserem Anliegen machen, dann sehen wir es nicht. Wir schauen einfach in eine andere Richtung. Wir sind einfach so strukturiert, uns um die Dinge zu kümmern, die uns nah sind.“
(...)
Sie schreiben, strukturellen Hunger gäbe es eigentlich gar nicht. Wie meinen Sie das?
„In Niger wird der Hunger als strukturell vorgeführt, das heißt, er ist angeblich unvermeidlich. Der Boden ist unfruchtbar, es ist ungeheuer trocken, heiß. Die Erde gibt unter diesen Bedingungen einfach nicht genug her. Man kommt also rasch auf den Gedenken, tja, da lässt sich einfach nichts machen. Und dann entdeckt man, dass Niger eines der Länder mit den reichsten Uranvorkommen ist. Man könnte von den Gewinnen aus dem Export eine Infrastruktur aufbauen, die jedem Einwohner ein Leben ohne Hunger ermöglichen würde. Aber das Uran wird von einem französischen und einem chinesischen Unternehmen gefördert, die stecken alle Gewinne ein.“
(...)
„Mir wurde klar, dass dies eine der schlimmsten Folgen von Armut ist, diese Perspektivlosigkeit, diese Verkümmerung der Träume, die fehlende Fantasie, sich ein anderes Leben auch nur vorzustellen. Sich eine Zukunft auszumalen – das ist auch ein Luxus der Reichen.“
(...)
„Es gibt 1,2 Milliarden Menschen, die für das kapitalistische System völlig nutzlos sind. Man weiß einfach nicht, wie man sie ausbeuten soll. Sie leben in Slums, an den Rändern der großen Städte oder irgendwo auf dem Land. Man kann sie nicht einfach massenweise sterben lassen, also schickt man ihnen von Zeit zu Zeit ein bisschen Essen, Medizin, ein paar Ärzte. Da ist ein gewaltiger Fehler innerhalb des globalen Systems, es kann die vorhandenen Ressourcen nicht nutzen.“

(„Hunger ist nirgendwo unvermeidlich“, in: „Die Welt“, 28.11.2015)