Musikpreise sind Neofeudalismus - endlich substantielle Spielstätten- und Veranstaltungsförderung!
Musikpreise sind Neofeudalismus - endlich substantielle und langfristige Spielstätten- und Veranstaltungsförderung bereitstellen!„Echo, VUT-Award,
Helga-Award, Ballermann-Award, John Lennon-Talent-Award, 1 Live Krone, Comet,
Echo, New Faces Award, New Music Award, Panikpreis – und künftig auch noch der
Tonio Musikpreis. (...) Es gibt davon viel zu viele“, konstatiert Hagen
Liebing im „TIP Berlin“ völlig zurecht und hat dabei einen der größten Preise
hierzulande sogar noch vergessen: nämlich den von der Initiative Musik ausgelobten
jährlichen Spielstättenpreis, der neuerdings „Applaus“ heißt (für „Auszeichnung
der Programmplanung unabhängiger Spielstätten“, darauf muß man auch erstmal
kommen, viel Spaß beim Auflösen dieses Kürzungsrätsels!). Mal jenseits dessen,
daß dieser Preis nicht nur an „Spielstätten“ verliehen wird, sondern auch an
Einzelpersonen, die sich ihr privates Distinktions-Programm vom Staat
finanzieren lassen, wurden wieder einmal von der eigentlich vorgesehenen 1
Million Euro nur 905.000 Euro an 64 „herausragende Livemusikprogramme“
verliehen, während der Restbetrag wohl für die opulente jährliche
Verleihungszeremonie draufgeht, also für die Selbstbeweihräucherungskampagne
der Politik. Das Clubkombinat hat u.a. das „Verfahren der Preisvergabe“ und die
„relativ hohen Verwaltungskosten der Vergabe“ kritisiert und der Jury mangelnde
Objektivität und fehlende Transparenz vorgeworfen – eine Kritik, die wohl
berechtigt ist, denn diese Jury unter dem Vorsitz des Cheflobbyisten der
deutschen Musikindustrie und Regierungsbeauftragten für Kreative und Digitale
Ökonomie, Dieter Gorny, tagt hinter verschlossenen Türen, wurde nie gewählt,
sondern ernannt und ist komplett von Westdeutschen besetzt.
Allerdings denke ich, daß die Kritik des Clubkombinats zu kurzsichtig
ist. Eigentlich geht es doch um etwas Anderes: Zu kritisieren ist, daß die
Spielstättenförderung für Zeitkultur,
wie ich es nennen möchte, eine rein neofeudalistische Angelegenheit ist –
einige wenige Kulturveranstalter erhalten ein paar Almosen, und die Könige (von
Grütters bis Gorny) können sich in ihrer vermeintlichen Gutherzigkeit sonnen
(und sich sicher sein, daß von den ausgezeichneten Clubs oder Veranstaltern
keine Kritik zu erwarten ist, denn für die sind 30.000, 15.000 oder 5.000 Euro
durchaus Geld, und sie benötigen jeden Euro. Und so bevorzugen die Clubs das
Kuscheln mit der Kulturstaatsministerin Grütters, anstatt wirklich sinnvolle
Forderungen zu artikulieren.
Denn die
Spielstätten und Veranstalter von Zeitkultur
sollten sich nicht mit Almosen abspeisen lassen, sondern endlich eine
substantielle und grundsätzliche Förderung von Spielstätten und Veranstaltern
fordern: 100 Millionen Euro verteilt auf fünf Jahre, finanziert durch Bund und
Länder! Damit könnte die dringend benötigte Infrastruktur in den Clubs flächendeckend
finanziert werden (denn die Ausstattung deutscher Spielstätten etwa im Vergleich zu
Benelux oder Frankreich ist hanebüchen; in Frankreich sorgte Kulturminister
Lang in den 80er Jahren bereits für eine vernünftige landesweite Förderung,
weswegen die dortigen Kulturzentren zu den bestausgestatteten Europas zählen). Gleichzeitig könnten mit diesen Mitteln
auch freie Veranstalter unterstützt werden, die mit ihren riskanten
Kalkulationen immer mit einem Bein am finanziellen Desaster entlangschrammen
(kein Clubkonzert unter 200 Zuschauern läßt sich sinnvoll rechnen, wenn man
faire Gagen bei günstigen Ticketpreisen anstrebt – aber gerade diese kleinen
Clubkonzerte sind es, die den Karriereaufbau von Bands ermöglichen). Und wenn die Infrastruktur finanziert wäre,
könnten Künstler und Bands endlich auch die dringend benötigten Mindestgagen
erhalten, statt für einen Appel und ein Ei (falls Catering überhaupt gestellt
wird...), vulgo: „für die Tür“ zu spielen. Und für größere
Konzertveranstaltungen ist es unerläßlich, daß die etablierten und von den
SteuerzahlerInnen bereits finanzierten Veranstaltungsorte zu fairen Bedingungen
für Veranstaltungen der Zeitkultur zur Verfügung gestellt werden, statt mit
astronomischen Mietpreisen entweder die Zeitkultur aus diesen Spielorten
herauszuhalten oder dafür zu sorgen, daß die Ticketkäufer mit überhöhten
Eintrittspreisen die Spielstätten, die sie mit ihren Steuerzahlungen bereits
finanziert haben, erneut subventionieren.
Noch einmal: Wir brauchen keine Alibiveranstaltungen und keine ständigen
Preisverleihungen, und Zeitkultur benötigt weder Almosen noch eine direkte
Künstlerförderung. Zeitkultur benötigt eine
intakte Infrastruktur, etwa ein Netzwerk von gut ausgestatteten Spielstätten
und Veranstalter, die sich ein wagemutiges Programm leisten können. Dies
erreicht man durch eine langfristige und substantielle Spielstätten- und
Veranstalter-Förderung. Dazu erwarten wir umgehend Vorschläge von den
verantwortlichen KulturpolitikerInnen auf Bundes- und Landesebene.
Oder hat man etwa davon gehört, daß all die hochsubventionierten
deutschen Opernhäuser und Theater statt struktureller Millionen-Förderung nur
noch einmal jährlich einen mit relativ wenig Geld ausgestatteten
Spielstättenpreis erhalten würden? Es geht darum, daß die politisch
Verantwortlichen endlich die Zeitkultur ernst nehmen und nicht als Teil von
Wirtschaftsförderung oder als buntes Völkchen, mit dem man sich einmal im Jahr
bei einer Preisverleihung sonnen kann, mißverstehen oder gar mißbrauchen.