04.10.2015

Lollapalooza Berlin

Und dann war da noch das Lollapalooza-Festival, das erstmals in Europa
gastierte, auf dem Tempelhofer Feld in Berlin. Vorab gab es im Berliner
„Tagesspiegel“ eine mehr als halbseitige, als redaktioneller Beitrag getarnte
Werbung, in der die üblichen Floskeln unkommentiert und unhinterfragt
abgedruckt wurden, mit denen die „Lolla“-Macher eben so hantieren. Alles aus
dem neuen neoliberalen Wörterbuch der Uneigentlichkeit, jede Plattitüde, die
bereitsteht und nichts bedeutet: „Berlin ist eine Kunst- und Kulturmetropole“,
erfahren wir so dankenswerterweise von der Festivaldirektorin, und: „Diese
Stadt verdient es so sehr, so ein großes Festival zu haben“ (aber verdienen an
dem Festival nicht ganz andere? etwa der Live Nation-Konzern, der weltgrößte
Konzert- und Tourneeveranstalter, der bevorzugt die Präsidentschaftskampagnen
von US-Republikanern finanziert, wie schon sein Vorgängerkonzern Clear Channel
den Wahlkampf von George W. Bush?). Am gleichen Tag, an dem die unkritische
Lollapropaganda im „Tagesspitzel“ zu lesen war, konnte man andernorts von einer
Studie über die Mediennutzung hierzulande erfahren: Demzufolge lesen die 14-
bis 29-Jährigen nur noch neun Minuten täglich Zeitung, was einen bei der
angebotenen Qualität nicht so recht wundern will. Mag sein, daß das böse Internet daran Schuld ist, aber
anders, als es die Zeitungskonzerne immer wieder behaupten: Denn im Internet
können netzaffine (also meist jüngere) Menschen feststellen, daß die Zeitungen alle
größtenteils das gleiche schreiben. Warum sollten sie dafür Geld ausgeben?

Ansonsten war die Berliner Lollapalooza eine mißlungene und schlecht
organisierte  Veranstaltung, wenn man den
Medien glauben darf: „Ich stand fast anderthalb Stunden für mein Bändchen an.
Das Frühprogramm war jedoch ohnehin bestückt mit Langweilern wie James Bay oder
den Mighty Oaks (...) Am besten besucht war der Auftritt des an Harmlosigkeit
kaumnzu überbietenden Kinderrappers Macklemore“, berichtet Markus Schneider in
der „Berliner Zeitung“, und ergänzt: „Rund 50 Prozent der Besucher waren
Touristen, die wohl vom Markennimbus angelockt wurden“, was sich mit dem deckt,
was man von Insidern so hört, nämlich, daß nur etwa die Hälfte der bis zu 500
Euro teuren Tickets überhaupt in Berlin verkauft wurden. Schneider zieht das
Fazit, daß „das ganze Setting etwas regressiv war und an Pauschalreisen
erinnerte“, eine „betäubend friedliche Pop-Version von Disneyworld“.„Wenig Platz und endlose Schlangen“, moniert die Kritikerin der „taz“
das Festival, das sich ihrer Ansicht nach „alles andere als abseits vom
Mainstream verortet“. Und Gerrit Bartels beginnt seinen Bericht unter dem Titel
„Mainstream der Individualisten“ im „Tagesspiegel“ mit den Worten: „Was für ein
Debakel“ und erzählt von „Menschenschlangen überall“.Auf der „Alternative Stage“ steht rechts und links groß: „Be Different“
und „Be Alternative“. Das kennt man von der Bierwerbung: „The beer for a fresh
generation“ oder „für Vorreiter, nicht für Mitläufer“ bewarb die
Mitläufer-Biermarke Beck’s weiland ihre Dünnware, den KundInnen wird
suggeriert, sie seien etwas ganz Besonderes, eben „different“, wenn sie das
trinken oder hören, was alle trinken oder hören. So, wie bekanntlich der
Ballermann auf Mallorca das letzte Refugium selbstbestimmter
Individualtouristen ist.

Kerstin Grether kritisierte in der „Zeit“, daß beim sich ach so
alternativ gebenden Lollapalooza, dem großkotzig selbsternannten „Woodstock des
neuen Jahrtausends“ der Anteil von Musikerinnen „noch unter dem obligatorischen
Festival-Durchschnitt“ von 8 Prozent lag. Laut „taz“ barmt der
Lollapalooza-Booker Stefan Lehmkuhl (der auch Booker des Berlin-Festivals und
von Melt ist), „man habe mit Florence + The Machine einen weiblichen Headliner
buchen wollen  das sei an der Gage
gescheitert“. Jetzt mal im Ernst? Lehmkuhl will uns weismachen, daß bei einem
Festival, das angeblich ausverkauft war, also bei 45.000 BesucherInnen pro Tag eine
satt zweistellige Millionensumme eingespielt haben dürfte, nicht genug Geld für
Florence + The Machine oder andere weibliche Acts in der Kasse war? Awcmon,
verarschen können wir uns selber, Herr Lehmkuhl! Zumal es ja auch andere,
großartige Musikerinnen gegeben hätte. Nichtkommerzielle Festivals wie Roskilde
machen es vor, wie man ein anspruchsvolles, vielseitiges und interessantes Line
Up bucht. Dort werden die Gewinne allerdings auch nicht an Live Nation
abgeliefert, sondern sozialen und ökologischen Projekten gespendet...Lollapalooza ist eben „nicht mehr
cool, sondern ein Inventarstück der Musikindustrie“ (US-Kritiker Robert
Chistgau, 1995), Lollapalooza ist eine einzige, gigantische Mogelpackung und
ein kommerzielles Ereignis, das der Kommerzialisierung der Alternativkultur
durch die größten multinationalen Konzerne dient.

„Fuck Lollapalooza. That isn’t rock and roll.“„Coachella, Lollapalooza, Bonnaroo — the lineups are the fucking
same. It’s about numbers, it’s about bottom lines, it’s about measuring groups
and cultures of people and the numbers that they represent on a bottom-line
agenda. All the lineups are becoming more and more the same, the same fucking
headliners.“ (Justin
Vernon/Bon Iver im sehr interessanten Interview mit Grantland)