Griechenland-Splitter
Griechenland.
Nur ein paar Denkanstöße und Gedanken- und Zitatfetzen, ausführliche
Analysen können Sie andernorts lesen. Wenn Sie aber nur einen Artikel lesen
können, möchte ich Sie sehr bitten, diesen Artikel des
Handelsblatt-Kommentators Norbert Häring zum Scheitern der Verhandlungen und
die Politik Wolfgang Schäubles zu lesen: „Warum Varoufakis so erbittert bekämpft
wurde und warum er sich auf Tim Geithner berufen kann“.Bitte bis zum Schluß lesen – dort nämlich zitiert Häring aus dem 2014
erschienenen Buch des früheren US-Finanzministers Tim Geithner, der über einen
Besuch bei Schäuble auf Sylt im Sommer 2012 berichtet:
„Er sagte mir, es gäbe immer noch viele in Europa, die
dachten, die Griechen aus der Währungsunion zu werfen, sei eine plausible – ja
sogar wünschenswerte – Strategie. Die Idee war, dass, wenn Griechenland draußen
wäre, Deutschland eher bereit wäre, die finanzielle Unterstützung zu leisten,
die der Euroraum brauchte, weil die Deutschen dann nicht länger Hilfen für
Europa als Herauspauken der Griechen interpretieren würden. Gleichzeitig wäre
ein Grexit traumatisch genug, um dem Rest Europas die nötige Furcht
einzuflößen, damit es mehr Souveränität für eine stärkere Bankenunion und
Fiskalunion aufgibt. Griechenland brennen zu lassen, so das Argument, würde es
leichter machen, ein stärkeres Europa mit glaubwürdigeren Brandschutzmauern zu
errichten. Ich war schockiert von dieser Argumentation.“(zitiert aus: Tim Geithner, „Stress Test“)
Es fällt ja auf, daß es durchaus nicht nur linke Stimmen sind, die die
brutale Austeritätspolitik Schäubles und Merkels kritisieren, sondern weltweit
ein beeindruckender Chor aus eher liberalen und sozialdemokratischen
Politikern, Wirtschaftsexperten und Nobelpreisträgern. „Deutschland (und einige andere nördliche Hardliner) erwarten die
bedingungslosen Kapitulation Griechenlands und die Beseitigung der griechischen
Regierung bzw. setzen auf eine Panikreaktion in Athen, die in einen Austritt
aus der Eurozone mündet.
Diese Haltung des Bundesfinanzministers, der sich nun offensichtlich die
Bundeskanzlerin angeschlossen hat, richtet ungeheuren Schaden in Europa, in
Deutschland und in der ganzen Welt an. Man beharrt auf einer unsinnigen Politik
(siehe den Brief der fünf Ökonomen) und demonstriert der ganzen Welt, dass man
die Macht und die Chuzpe hat, sie gegen jede Vernunft durchzusetzen.“
(Heiner Flassbeck)
„Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman
spricht in einem neuen Beitrag davon, daß die
Bezeichnung ‚This is a coup’ völlig korrekt sei. Er prangert eine ‚verrückte
Forderungsliste’ an. Seine Einschätzung ist klar: ‚Das geht über pure Rache
noch hinaus, es ist die völlig Zerstörung der nationalen Souveränität und das
Fehlen der Hoffnung auf Besserung.’ Er meint, dass es wohl ein Angebot war, das
Griechenland ablehnen sollte und nennt es ‚grotesken Verrat an allem, was das
europäische Projekt vorgab zu repräsentieren’.
Daß er die Fratze des hässlichen Deutschlands hinter den Vorgängen sieht,
daraus macht er keinen Hehl. Berlin gehe es um Erniedrigung, nicht einmal die
vollständige Kapitulation habe zur Genugtuung ausgereicht. Deutschland wolle
nicht nur ‚einen Regimewechsel’, sondern ‚die totale Demütigung’. (...) ‚Das
europäische Projekt - ein Projekt, das ich immer gelobt und unterstützt habe -
hat gerade einen furchtbaren, vielleicht sogar tödlichen Schlag erhalten. Und
was immer man von Syriza oder Griechenland hält - die Griechen haben es nicht
verbockt.’
Der Wirtschaftsexperte macht auch deutlich, daß der ganze Vorgang mit Ökonomie
praktisch nichts mehr zu tun hat. ‚Laßt uns darüber im Klaren sein: In den
vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass Mitglied der Eurozone zu sein
bedeutet, daß die Gläubiger deine Wirtschaft vernichten können, wenn du aus der
Reihe tanzt.’ Er unterstreicht noch einmal, daß auch die härtesten
Sparprogramme ohne den unausweichlichen Schuldenschnitt ‚eine zum Scheitern
verurteilte Politik ist’.“ (Telepolis)
„Was ist der Unterschied zwischen der Mafia und der
gegenwärtigen europäischen Führung? Die Mafia macht dir ein Angebot, das du
nicht ausschlagen kannst. Die Führer der Europäischen Union machen dir ein
Angebot, das du weder ausschlagen noch annehmen kannst, ohne dicht dabei selbst
zu vernichten.“ (Irish Times)
„Das macht auch die Härte deutlich, die von
Schäuble ausgeht. Er will ein Exempel statuieren, ein neoliberales Exempel. Wer
in einem Euroland unter die Räder gerät, egal aus welchen Gründen, der wird zu
einer solchen Politik gezwungen. Dann werden die Regeln definiert, und die sind
neoliberal. Wer die nicht einhält, muss künftig wissen, dass er dann kein Geld
mehr bekommt. Egal ist dabei auch, ob eine Fehlkonstruktion des Euro dafür
verantwortlich ist. Das richtet sich klar gegen Spanien und Portugal, die ja
auch schon zu Kreuze gekrochen sind, aber auch an die Krisenländer wie Italien
und Frankreich. Es ist natürlich ein Signal an die gesamte EU, wo diese
Spardoktrin insgesamt durchgesetzt werden soll. (...) Die Marschrichtung ist
klar. Ich habe mir die Euro-Erklärung vom 12. Juli nochmal durchgelesen. Da
steht klipp und klar drin, dass kein Gesetz mehr gemacht werden darf, ohne die
vorherige Kontrolle durch die Institutionen (ehemals Troika). Da steht auch,
dass nicht mal darüber öffentlich debattiert werden darf, bevor die nicht ihre Meinung
zu dem Gesetz vorgetragen haben. Das ist ein total organisierter
Souveränitätsverlust.“ (Rudolf Hickel)
Der französische Demograf Emmanuel Todd im Interview mit dem belgischen Soir über das
„von Deutschland und seinen baltischen, polnischen etc. Satelliten
kontrollierte Europa, das zu einem hierarchischen, autoritären, 'austeritären' System geworden ist": „Für
François Hollande ist das die
Minute der Wahrheit. Wenn er die Griechen fallenlässt, dann stellt er sich in
die Tradition jener Sozialisten die seinerzeit dem Maréchal Pétain unbeschränkte Vollmacht erteilten... Die reale
Tragik der Situation ist, dass Europa ein Kontinent ist, der sich im 20.
Jahrhundert in zyklischer Weise unter
deutscher Führung umbringt." (Perlentaucher)
„Wenn man Druck
macht auf ein Volk, dann steht es irgendwann auf. Das sei an die Adresse jener
gerichtet, die uns hier jeden Tag an die Wand stellen wollen. Das vom Geld
dirigierte Europa erscheint mir inzwischen wie eine riesige Spinne, und jeder,
der in ihr Netz gerät, ist verloren.“ (Mikis Theodorakis in der FAZ)
„Europa war und ist ein Konglomerat konkurrierender
Nationalstaaten, die ihre Ressentiments als Kultur verbrämen, die unbedingt
erhabener sein soll als die amerikanische und auch als die der Nachbarn – plus
Binnenmarkt und tödliche Außengrenze. Da der Kapitalismus fortwährend
Disparitäten schafft, weil Kapital dahin strömt, wo Profit winkt, zerfällt
Europa in Sieger und Verlierer, Gläubiger und Schuldner, Hegemon und
Peripherie, in der antieuropäische und antideutsche Stimmungen blühen und jede
Volkstanzgruppe eine eigene Nation begehrt. (...) Die Ursache der deutschen
Härte ist eine Mixtur aus deutscher Ideologie, ökonomischen Zwängen und
politischem Kalkül. Der Süden war im Bewußtsein der Deutschen stets gleichzeitig
ein Paradies und eine Bedrohung – früher seiner Moral, heute seiner
Ersparnisse. Der immer strebend sich bemühende Zwangscharakter kommt mit sich
eher ins Reine, wenn er die abartig findet, die dem Kapitalismus Leben
abtrotzen und einen entspannten Eindruck machen.“ (Rainer Trampert
in Jungle World)
Ach ja, und zum in deutschen Medien so gern verbreiteten Märchen über
die „faulen Griechen“: Laut Statistik der OECD betrug die mittlere
Jahresarbeitszeit 2014 in Griechenland 2042 Stunden. In Deutschland wurde
dagegen im gleichen Jahr im Durchschnitt 1371 Stunden gearbeitet. Fleißige
Griechen! Faule Deutsche?