Eleonore Büning zur Popkritik
In der „FAS“ schreibt die formidable Klassik-Expertin Eleonore Büning
einen interessanten kleinen Aufsatz zum Thema „Warum schreiben Popkritiker über
alles, nur nicht über die Musik?“ (steht leider nicht online, kann/will die
FAZ/FAS nicht...)Frau Büning weist
darauf hin, daß Popmusik musikalisch sozusagen einfallslos ist, daß sie sich
der musikalischen Bausteine, die seit dem 17. Jahrhundert vorhanden und bekannt
sind, mehr oder minder ohne Verfeinerung oder gar Weiterentwicklung bedient: „Die Bausteine für eine Rockballade oder
einen Schlager unterscheiden sich nicht grundsätzlich von denen für ein Schubertlied
oder eine Gluckarie oder ein Monteverdimadrigal oder ein neapolitanisches
Volkslied oder ein jiddisches Wiegenlied: Kadenzformel, Dreiklang, Terzfall,
Sextsprung, Lamentosekunde, Auftakt und Synkope - was halt die gute, alte
Musikrhetorik so an emotionalen Stimulantien hergibt. Das funktioniert seit
Jahrhunderten tadellos...“Mal abgesehen
davon, daß ich bezweifle, daß die meisten Popmusiker und Popkritiker auch nur
eine Ahnung von Kadenzformeln, Terzfall, Sextsprung oder Lamentosekunden haben
(und damit meine ich nicht, daß sie nicht wissen, wie das heißt, sondern, daß
sie diese Stilmittel weder kennen noch bewußt einsetzen...), hat Frau Büning
völlig Recht, wenn sie sagt: „Das
Wesentliche am Pop ist nicht die Musik, es ist die mit musikalischen Mitteln
geweckte große Emotion, es sind die dadurch transportierten mehrheitsfähigen
Bekenntnisse, Identifikationsmodelle, Lebenswelten,
Selbstdarstellungskonzepte.“Und daß sie von
einem Popkritiker erwartet, daß er uns solche sozialen und politischen Phänomene,
eben: das Gesellschaftliche an der
Popmusik erklärt. In der Realität (und wenn ich über die Musikkritik nöle, dann
immer in dem Wissen, daß es da draußen auch ein paar wirklich hervorragende PopkritikerInnen
gibt, die BalzerBruckmaierWalter und wie sie alle heißen – eben die geliebten
und bewunderten Ausnahmen, die die Regel bestätigen...), in der Realität also
passiert leider das Gegenteil: Endloses Zitieren von Songtexten und das noch
endlosere Name-Dropping sind die Regel. Nochmal Eleonore Büning:„Was nützt es, zu wissen, in welcher inzwischen
aufgelösten Band Y oder Z der Rhythmusgitarrist der Gruppe O, P oder Q schon
mal vorher gespielt hat, wenn schon die Gruppen A oder B nur den Leuten bekannt
sind, die neben dem Kritiker in der Fankurve saßen? Manchmal denke ich, diese
hochnäsigen Kollegen von der Popmusikfraktion, die schon so jung so verknöchert
herumschwadronieren, verstecken sich und ihre Meinung hinter Gebirgen von Namen
aus demselben Grund, aus dem sich die klassischen Musikkritiker früher hinter
Wällen aus Adornozitaten versteckt haben: Es handelt sich um
Verteidigungswälle. Adorno nannte solche sich abkapselnden Gruppen von
Musikliebhabern, die mit ihrem exklusiven Musikgeschmack unter sich bleiben
wollten: ‚Ressentimenthörer’.“