Berlin Festival zwischen Konsum und Kontrollgesellschaft
Natürlich war beim diesjährigen „Berlin Festival“ alles super, super und
nochmal super, die Festivalchefin verstieg sich gar zu der Behauptung:„Die Stadt Berlin
hat ihr Äquivalent im Berlin Festival gefunden, mit all seinen Facetten, der
Musik, der Kunst, der Kultur, den Geheimnissen und der Menschen aus Berlin und
allen Fans der Stadt.“ Na denn...
Vor allem aber hat das „Berlin Festival“ ein scheußliches
„Cashless-Bezahlsystem“ eingeführt, das dazu führt, daß die
Festivalorganisatoren, also die Konzerne, detaillierte Datensätze – also
Persönlichkeitsprofile – von allen Fans inklusive deren Konsumgewohnheiten
(z.B. welche Shows sie auf dem Festival sehen, welche Getränke sie zu welcher
Show und zu welcher Tageszeit trinken, was sie wann und wo essen) in Verbindung
mit Name, Anschrift, z.T. Kreditkarten und eMail-Adressen erhalten. „Neue Notizen aus der
Kontrollgesellschaft“ hat der geschätzte Jens Balzer in der „Berliner
Zeitung“ einen hervorragenden Artikel über dieses Problem überschrieben –
Pflichtlektüre, würde ich sagen. Zumal das große Spiel mit den Daten der
KonzertbesucherInnen, also Big Concert Data munter weitergeht: Gerade hat FKP
Scorpio bekanntgegeben, auf dem Hurricane dieses Jahr die gleiche Bezahltechnologie
– statt Bargeld tragen die Festivalbesucher einen Bezahlchip auf dem
Festivalbändchen – einführen wird.
Beim „Berlin Festival“ war das bargeldlose Datenschnüffel-System
jedenfalls ein grandioses Fiasko:„Hatte man auf dem
Berlin Festival Durst, mußte man sich zunächst in eine der sehr langen
Schlangen vor einer der wenigen Festivalbändchen-Aufladestationen einreihen, um
nach einer Wartezeit von durchschnittlich einer halben Stunde dazu in die Lage
versetzt zu werden, seinen Festivalbändchen-Computerchip dergestalt aufzuladen,
daß man dem Bändchen-Aufladepersonal einen Geldschein überreichte und das
Handgelenk mit dem Chip fest auf eine große mattgraue Sensorfläche presste.
Woraufhin auf einem kleinen mattgrauen Monitor die Geldsumme erschien, die nun
auf dem Bändchenchip gutgeschrieben war. Alsdann konnte man sich ein weiteres
Mal in eine sehr lange Schlange einreihen, nunmehr vor einem der Tresen, um
dort ein Getränk zu erwerben, welches wiederum durch Auflegen des Handgelenks
mit dem Chip auf eine mattgraue Sensorfläche beglichen wurde.“(Jens Balzer, „Berliner Zeitung“)
„...wären da nicht die Nötigungen des erstmals auf einem deutschen
Festival eingeführten bargeldlosen Bezahlsystems. Es zwingt nicht nur zu
zusätzlichem Schlangestehen und ständigen Abwägungen, wann man wie viel auf den
ins Einlaßbändchen integrierten Chip lädt, sondern dürfte auch zu einer netten
Restbetrags-Geschenksumme für das Festival geführt haben. Denn um die
Pfand-Euros, die auch aufvdem Chip gebucht werden, auszugeben, muß man sein
Konsumverhalten schon sehr genau kalkulieren oder bereit sein, die Erstattung
des Betrages im Netz abzuwickeln, wobei man den Organisatoren unweigerlich ein
Datenpaket inklusiv eTrinkverhalten-Profil auf dem Festival überläßt. Die
Marktforschngsabteilungen der Getränkekonzerne wird es freuen, datenbewußte
Musikfans nicht. Daß am Finaltag um Mitternacht das Pfandsystem in der Arena
ausfiel, spricht ebenfalls gegen den Cashless-Zwang.“(Nadine Lange, „Tagesspiegel“)
Doch wie hört sich das alles in der Presseerklärung des „Berlin
Festival“ an? So:„Zum Jubiläum
wurde außerdem das Cashless-Bezahlsystem erfolgreich eingeführt – als das erste
auf einem Festival in Deutschland – und von Besuchern gut angenommen.“Musikindustrie-Sprech. Alles super. Immer. Und wenns mal nicht super ist? Ist alles super.