03.02.2015

Deutsche Popmusik in deutschen Eingeweiden - Grölemeyer, Böhse Onkelz, Ben Becker

Der Bochumer Sänger, der nicht tanzen kann, gilt hierzulande als einer
der fähigsten Textdichter. Das bedeutet in einem Land, in dem, wie Wiglaf
Droste konstatierte, „Bild“ als Zeitung durchgeht, naturgemäß nicht viel und
wundert einen dementsprechend kaum, wenn man diese wohlfeil gedichteten Zeilen
liest, die sich auf des Sängers neuem Album befinden – es geht um das Endspiel
der Fußball-Weltmeisterschaft, übrigens – pure Poesie das:

„Letzter Moment kommt über Links
schwebt ein und senkt sich zwischen die Flügel,
Direkt aus der Luft von der gebogenen Brust
ein Fallschuß hat Gottes Gefüge.
Er ladet sanft im langen Eck.
Der Löw war los
Sie war grandios
Und endlich wars ihre Zeit
Geschliffen, gegriffen
Sie war'n übergroß
Und endlich hat es gereicht.
Und dieser Weg, der war nicht leicht“

Dieser stammelnde Altherren-Pop ist ganz tief drinnen in der deutschen
Seele (oder in der Deutschen Leib?), schon klar, da, wo der große Konsens
herrscht und sonst nur Platz für Tote Hosen oder Andrea Berg oder Böhse Onkelz
ist. Allerdings kann man auch mit Zeilen wie „Der zerrockte Clown / zerfeiert euch zu Staub“ (Deichkind)
eventuell an diesen geheimnisumwucherten Platz in den deutschen Eingeweiden
gelangen. Dort suhlt sich gern auch Ben Becker – man betrachte auf YouTube
seine in „Ich bin Jesus“-Größenwahnpose getätigte Ankündigung der „Onkelz“ auf
dem Hockenheimring – und mal am Rande: Was ist schon eine Pegida-Aufmarsch im
Vergleich zu den Böhse Onkelz-Volksaufläufen auf dem Hockenheimring? Zu den
Pegida-Demos kommen nicht mal zehn Prozent so viele Menschen, letztes Jahr,
dieses Jahr wieder. Veranstaltet von dem Tourveranstalter, der auch einige
Jahre lang einen James Blake auf Tour brachte und aktuell auf seiner Website,
anything goes, Bryan Ferry neben den Böhsen Onkelz anbietet (und Paul Simon
& Sting neben Rinderwahnsinn, Rinderwahnsinn auf dem Bild rechts) und AC/DC
und U2. It’s the profit, stupid!Klaus Walter hat in einem sehr lesenswerten Aufsatz in der „Berliner Zeitung“ auf den
„Ärzte“-Song „Schrei nach Liebe“ von 1993 hingewiesen, einem „Psychogramm des minderbemittelten
Eingeborenen, dessen diffuser Hass auf ‚die da oben’ sich gut verträgt mit
einem konkreteren Hass auf das als anders Markierte: Ausländer, Neger, Schwule,
Juden. Der Ärzte-Song gewährt auch Einblicke in die Triebökonomie des deutschen
Losers“, so Klaus Walter: „Zwischen
Störkraft und den Onkelz steht ’ne Kuschelrock-LP,“ singen die „Ärzte“.